Meine Damen und Herren! Der Bericht des Gewerbe- und Außenausschusses Druck Nr. 700 zum Regierungsantrag 629, womit der Nationalversammlung ein Handelsvertrag mit Rumänien zur Beschlußfassung vorgelegt wird, nötigt uns, die gegenwärtige wirtschaftliche Lage erneut in diesem Hause einer Betrachtung zu unterziehen. Wir glauben, wenn wir solcher Art tätig sind, nicht zu sehr außerhalb des Rahmens der Tagesordnung zu fallen, denn die Wirtschaftsverhältnisse, wie sie sich im Staat da und dort zeigen ... (Posl. Krebs: Wir sind keine Insel der Seligkeit!) - der Staat ist keine Insel der Seligkeit diese wirtschaftlichen Verhältnisse sind nicht zuletzt die Folgen der staatlichen Handelsund Wirtschaftspolitik, wie sie auch durch den rumänischen Vertrag sich zeigt. Die wirtschaftliche Depression mit als eine Folge der staatlichen Handels- und Wirtschaftspolitik bezeichnen, das darf ich wohl hier im Hause unwidersprochen tun; sie ist bereits eine Katastrophe. Nach einer konjunkturalen Anspannung der letzten Jahre haben wir eine Wirtschaftsdepression zu beobachten, an der endlich selbst die Staatsverantwortung nicht ganz achtlos - zumindest jetzt - vorübergehen kann. Diese Wirtschaftsdepression ist von der Staatsverantwortung - ich komme auf die Äußerungen des Herrn Finanzministers, des Herrn Außenministers und des Herrn Fürsorgeministers noch zu sprechen tatsächlich jetzt erst erkannt worden. Wir haben schon vor Jahren die damals aufsteigenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten betont. Als wir solcherart 1927 bei der Besprechung des Staatsrechnungsabschlusses für das Jahr 1926 uns zu den wirtschaftlichen Verhältnissen des Staates bezogen und zu den Entwicklungen, die diese Verhältnisse später nehmen würden, da war mancherorts hier Kopfschütteln verbreitet. Wir haben es damals, noch in einer Zeit konj unkturaler Anspannung gewagt, diese Krise, die wir voraussahen, vorauszusagen.
Ich erinnere bei dieser Feststellung an meine Wirtschaftsrede vom 3. Dezember 1927. Wir haben damals gewußt, daß die Konjunktur, die zu Ende lief, eine außergewöhnliche ist und nicht eine dauernde sein könne. Wir waren für diese Ansicht und Meinung gerüstet worden durch die nüchterne Beobachtung der weltwirtschaftlichen und weltpolitischen Verhältnisse. Die Bestätigung unserer rechtzeitig geäußerten Meinungen über die Entwicklungen in der Èechoslovakei ist seither - ich möchte sagen leider Gottes - eingetreten: nachdem im Jahre 1927 und einige Monate darüber hinaus die Konj unktur ihren Höhepunkt erreicht hatte, kamen wir 1928, 1929 und 1930 in die wirtschaftliche Depression hinein, die heute - ich deutete das schon einleitend an - sogar von den Herren der Staatsverantwortung wahrgenommen wird. Der Herr Finanzminister Dr. Engliš hat allerdings das erstemal in dieser Weise in seinem Exposé vom 25. September zur Wirtschaftskrise seine Stellung bezogen. Auch er ist nunmehr der Meinung, daß die wirtschaftlichen Verhältnisse im Staate nicht von heute auf morgen in der Form, wie sie sich heute aufzeigen, zu beenden sein würden, sondern, daß sie im ganzen Jahre 1931 anhalten werden. Auch der Herr Außenminister Dr. Beneš, der auch ein bißchen ein Wissender geworden sein mag, hat trotz seines immer und ewig zutage tretenden Optimismus bei seiner letzthin im Budgetausschuß gepflogenen Stellungnahme von diesem übertragendem - Optimismus etwas Abstand nehmen müssen. Wir haben schließlich einen Dritten im Bunde der Herren, die die Staatsverantwortung tragen, der sich zu den Verhältnissen zu äußern vermochte, der Herr Minister für soziale Fürsorge Dr. Czech auf dem Parteitage der Sozialdemokraten in Teplitz. Was der Herr Minister Dr. Czech sagt, ist nur eine Bestätigung alles dessen, was wir rechtzeitig vor drei und vier Jahren als Folgewirkung gewisser Unzukömmlichkeiten der geschaffenen europäischen Ordnung aufzeigten. Wir sind der Meinung, daß das, war wir an düsterster Erwartung für die Entwicklung der kommenden Monate in diesem Hause vorgetragen fanden und hörten, vielleicht nur ein Mindestmaß dessen ist, was tatsächlich geschehen wird. Wenn wir in den Jahren 1926 und 1927 rechtzeitig auf die Dinge aufmerksam machten, so war der Schlüssel zu dieser Erkenntnis nicht gerade ein Geheimschlüssel; ich verwies darauf, daß wir nur etwas nüchterne Betrachter der europäischen Wirtschafts- und politischen Lage waren und daß wir deshalb zu gar keinem anderen Schluß kommen konnten, als daß die Verhältnisse über unnatürliche konjunkturale Anspannungen, die nur temporär wirken, solcher Art werden müssen. Diese wirtschaftlichen Schwankungen und Krisen, in die wir hineingetrieben sind, die katastrophale wirtschaftliche Depression, in der wir heute stehen, ist ja nichts anderes als die Folge einer Form der Liquidation des Krieges; einer Liquidation, die notwendigerweise solche Zustände gebären mußte (Posl. Krebs: Eine Balkanisierung unserer Verhältnisse!) Jawohl! Koll. Krebs, ich werde noch Gelegenheit nehmen, auch hierauf zu sprechen zu kommen. Es muß zugestanden werden, daß es Volkswirtschaftler gibt, die die Entwicklung, wie sie sich heute in Europa darstellt, auch rechtzeitig erkannten, wenn diese Volkswirtschaftler auch nicht gerade innerhalb des Amtsbereiches der èechoslovakischen Handels- und Wirtschaftspolitik standen. Ich erwähne den englischen Volkswirtschaftler Kaynes und sein Werk: "Die wirtschaftlichen Folgen des Friedensvertrages", das lange vor dem Eintritt der Katastrophe erschien, und in dem diese Katastrophe als notwendige Folge des Friedensvertrages prophezeit wurde. Die wirtschaftlichen Schwankungen und das was wir an großen Katastrophen der Wirtschaftsführung zu verzeichnen haben, sind also die Folge der Form der Liquidierung des Krieges. Die Charakterseite dieser Liquidation zeigt sich in den Friedensverträgen von Versailles, St. Germain, Trianon, Sevres usw. Wir fragen, ob wir diese Verträge überhaupt Friedensverträge nennen dürfen. Unsere Antwort lautet: Nein. Diese Friedensverträge waren nicht das, was sie sein sollten, sie waren nicht Verträge, welche eine neue Ordnung nach dem Kriege für Europa vorbereiten konnten, sie waren der fortgesetzte Schlag gegen Deutschland, die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln. Sie waren nicht der Versuch, neue Zusammenhänge zwischen den europäischen Staaten auch als Volkswirtschaften zu schaffen, um solcher Art den Wiederbeginn eines für alle Völker und ihre Volkswirtschaften erträglichen Lebens anzubahnen, entgiftet endlich auch durch alles das, was der Krieg an hunderten und tausenden Erscheinungen und Begebnissen gebracht hatte. Das, was wir in den Friedensverträgen von Versailles, St. Germain, Trianon und Sevres finden, ist die Fortsetzung des Krieges, wenn auch mit etwas anderen als den blutigen Mitteln des Krieges. Es brauchen diese Mittel deshalb nicht minder grausam und ihre Folgewirkungen nicht geringer zu sein. Heute besteht allenthalben die Erkenntnis, daß eine tragische Irrung in diesen Verträgen gelegen ist, für alle, nicht nur die Besiegten, auch für diejenigen, die diese Verträge als Grundlage des Lebens Europas geschaffen haben, und erwarteten, daß ihre Interpretation ihnen unendliche Vorteile bringen wird; heute sind auch diejenigen, die diese Verträge in dieser Absicht machten, des Erkenntnisses ihrer tragischen Irrung. Es ist unmöglich für einen großen Körper, wie etwa den europäischen Landkomplex, eine Neuordnung herzustellen, wenn sie in diesem großen Landkomplex einem der integrierendsten Bestandteile diese Ordnung nicht gönnen wollen, ja im Gegenteil, ihm eine Unordnung für die Dauer aufzwingen wollen.
Die Verträge, von denen ich spreche, sind auf irrigen Auffassungen aufgebaut. Sie sind der Meinung gewesen, etwas an Vorteilen für bestimmte Teile auszulösen, unbeschadet des Nachteiles, den man damit einem bestimmten Teile zufügen wollte. Deutschland ist mit seiner jetzigen Politik und Wirtschaft durch diese Verträge in derselben Art und Weise hart als durch den Krieg selbst berührt worden. Deutschland ist aber mit seiner Politik und Wirtschaft ein so integrierender Bestandteil der Politik und Wirtschaft Europas, daß die Berührung seiner Politik und Wirtschaft im Geiste der Friedensverträge für Europa selbst von ungeheuerlichen Folgen sein mußte. Das wird jetzt allenthalben über die Grenzen Deutschlands hinaus sichtbar. Man hat Deutschland als Wirtschaftskörper zerstört und zerstückelt, man nahm ihm die wich tigsten Bestandteile seiner Gesamtwirtschaft - ich erwähne nur Elsaß-Lothringen, das Saargebiet, Oberschlesien, Danzig usw. in der Absicht, es wirtschaftlich niederzuhalten. Deutschland konnte solcher Art, selbst nach Beendigung des Krieges, nicht in seine normale Lebensweise zurückkehren, konnte nicht gesund werden, mußte krank sein. Seine Politik aber - und das ist keine Unnatürlichkeit - mußte auf diese Absichten selbstverständlich reagieren. Das ist ja in den letzten Wochen wahrzunehmen gewesen. Mit Österreich-Ungarn ist es nicht anders geschehen. Ein großes einheitliches Wirtschafts- und Zollgebiet zerstückelte man, indem man aus seinem Körper drei selbständige Staaten machte, die Nachfolgestaaten Èechoslovakei, Österreich und Ungarn und andere Gebiete aus diesem Körper anderen Staaten, Polen, Rumänien und Südslawien zuteilte. Wenn man die gegebenen Zustände - in diesen Gebieten ist nun einmal auch die Èechoslovakei gelegen - betrachtet, war diese Entwicklung der Zerstörung und Zertrümmerung im günstigsten Falle in den wirtschaftlichen Folgen noch abzuschwächen, wenn man versucht hätte, mindestens in wirtschaftlicher Beziehung zusammenzuhalten und über das Gebiet trotz seiner politischen Zerstückelung eine große Wirtschaftskonzeption zu setzen. Solcher Art sah ja auch der Friedensvertrag von Versailles im Artikel 222 gewisse Möglichkeiten vor. Er schuf die Möglichkeiten einer Rekonstruktion der großen wirtschaftlichen Einheit Österreich-Ungarn. Die Friedensmacher in Paris mögen gewußt haben, daß die politische Zertrümmerung Österreich-Ungarns für die Völker dieses gewesenen Staates und darüber hinaus, nicht von solchen Folgewirkungen begleitet sein würde, als die Dezentralisation in wirtschaftlicher Beziehung. Aber selbst diese Vorsichtsmaßnahme wurde in ihrer Durchführung verhindert. Das hatte zur Folge - was Abg. Krebs in einem Zwischenrufe mir schon vor Minuten zurief die wirtschaftliche Balkanisierung ganz Mitteleuropas, Deutschlands und der Gebiete des ehemaligen Österreich-Ungarns.
Zu diesen Ursachen der heutigen Wirtschaftsdepression tritt natürlich eine Menge anderer Ursachen, die wir desgleichen schon oftmals erwähnt haben. Es ist kein Wunder, daß sich dann das Chaos zeigt, das wir heute überall wahrzunehmen haben, in allen Teilen des Staatsgebietes, das eine Höhe erreicht hat, die die endgültige Katastrophe der Staatswirtschaft wohl etwas voraussehen läßt. Die Grundlage einer gesunden Wirtschaftsgebarung ist das ehrliche Bestreben von Teilen eines Ganzen, sich gegenseitig zu dienen. Wir können heute den großen europäischen Staatenkomplex als ein Ganzes auffassen. Es werden im Sinne dieser These in diesem Ganzen nur erträgliche wirtschaftliche Zustände geschaffen werden können, wenn die Teile dieses Ganzen sich in ehrlicher Absicht, einander zu dienen, zusammenfinden. Wenn man eine Handels- und Wirtschaftspolitik interpretieren will, die im Sinne dieser These gelegen ist, dann ist es gut. Die èechoslovakische Handels- und Wirtschaftspolitik hat freilich unterlassen, von allem Anfang an sich geistig in diesem Sinne zu organisieren. Im Gegenteil, die èechoslovakische Handels- und Wirtschaftspolitik hat besonders zur Zeit des Anfangs des Bestandes dieses Staates so viel gesündigt wider diesen einzig möglichen Geist, daß heute die Korrektur außerordentlich schwer fällt.
Wenn wir heute hier den Handelsvertrag mit Rumänien besprechen, dann bedauern wir umsomehr, daß ein Handelsvertrag mit Deutschland, der uns in wirtschaftlicher Beziehung unendlich wichtiger und wesentlicher wäre, noch fehlt, und daß scheinbar unsererseits bezüglich der Handels- und Wirtschaftspolitik nicht mit entsprechender Initiative gearbeitet wird, um diesen Mangel eines handels- und wirtschaftspolitischen Verfahrens auszugleichen. Ich sagte, daß die Ursachen der wirtschaftlichen Depression, dieser chaotischen Verhältnisse nicht zuletzt gelegen sind in jenen Ordnungen politischer und wirtschaftlicher Natur, die der Friedensvertrag von Versailles und die Teilverträge dieses Friedensvertrages gebracht haben. Diese Teilverträge, die anknüpfen hätten sollen an das, was vor dem Kriege bestanden hatte, um nach der Störung dieser Ordnung durch den Krieg seine Fortsetzung zu lassen, diese Friedensverträge schaffen das Entgegengesetzte davon. Wir müssen uns überlegen, was vor dem Kriege bestand. In einem ungeheuren Landkomplexe waren die Beeinträchtigungen des Lebens durch die Grenzen und Zolltarife auf ein Mindestmaß beschränkt, hatten die Faktoren der Ruhe und Ordnung, der Sicherheit und Gleichförmigkeit den Weg gesucht zu einem wahrhaft imposanten und doch feinst gegliederten Mechanismus von Verkehr, Kohle, Außenhandel usw., usw. Alles und jedes hing von einander ab, sicherte sich das Leben gegenseits, stützte sich, weil man einsah, daß ein Unterlassen dieser Tätigkeit nicht den Untergang des Einzelnen bedeutet hätte sondern den Untergang aller bedeuten müßte.
Man ließ sich durch Statistiken belehren, die die Handelsbeziehungen aufzeigten und eine beredte Sprache sprechen. Die Statistik der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeit Deutschlands und seiner Nachbarländer ist überwältigend und ich führe die Statistik nur deshalb an, um die Handels- und Wirtschaftspolitik zur Initiative zu bringen, den Mangel des Abschlusses eines Handelsvertrages mit Deutschland auszugleichen. Das ist eine Forderung, die wir mit besonderer Schärfe erheben können, wenn wir heute der Beschlußfassung dieses Vertrages zustimmen sollen. Deutschland war in der Vorkriegszeit der beste Kunde Rußlands, Norwegens, Hollands, Belgiens und der Schweiz, Italiens und Österreich-Ungarns. Es war der zweitbeste Kunde Englands, Schwedens, Dänemarks und der drittbeste Kunde Frankreichs. Es war die bedeutendste Zufuhrquelle für Rußland, Norwegen, Schweden, Belgien, Holland, Schweiz, Italien, Österreich, Rumänien, Bulgarien, die zweitbeste Zufuhrquelle für England, Belgien, Frankreich. England z. B. führte nach Deutschland mehr als nach anderen Ländern aus, außer Indien, und kaufte von Deutschland mehr als aus einem anderen Lande, ausgenommen die Vereinigten Staaten. Es gab kein europäisches Land mit Ausnahme der westlichen, das nicht mehr als ein Viertel seines gesamten Handels mit Deutschland trieb. Und bei Rußland, Österreich und Holland war das Verhältnis noch weit größer. Deutschland versorgte nicht allein diese Länder mit seinem Handel, sondern lieferte einigen von ihnen auch einen Teil seines Kapitals, der Organisation usw. Wir stehen also berechtigt mit der Forderung an dieses hohe Haus und an die verantwortliche Staatsführung, die Konsequenzen aus der Erkenntnis der wertvollen Seite der Vorkriegsordnung, zu führen, aus der heraus auch dann Deutschland als integrierender Teil der europäischen Politik und Wirtschaft eine andere Beachtung wieder finden wird, als die, die man etwa als Ewigkeitsbeachtung dieses Staates und seines Volkes durch die Friedensverträge von Versailles setzen wollte.
Wir haben also aus Anlaß der Besprechung des Berichtes des Gewerbe- und des Außenausschusses auf diese Dinge hinzuweisen.
Wenn wir aber, meine Verehrten, aus Anlaß der Beratung des Berichtes über den Handelsvertrag mit Rumänien der wirtschaftsund handelspolitischen Seite Erwähnung getan haben, können wir heute nicht anders, als noch auf eine andere Seite der Entwicklung in diesem Staate aufmerksam zu machen, die insbesondere in den letzten Tagen sich da und dort in geradezu skandalöser Weise bemerkbar gemacht hat. Als Folgewirkung der wirtschatflichen Depression hat sich ergeben eine Unvermögenheit der in der Wirtschaft stehenden Faktoren, gleichgültig ob der selbständigen oder der unselbständigen, den Verpflichtungen gegenüber dem Staate in der Steuerleistung nachzukommen. (Posl. Krebs: Die Leute brechen einfach unter der Steuerlast zusammen!) Die Leute brechen als Folge der wirtschaftlichen Depression und der ganz entgegengesetzt der Beruhigung dieser Depression ausgelösten Maßnahmen des Staates in steuertechnischer Beziehung, wie Koll. Krebs sehr richtig bemerkt hat, zu hunderten und tausenden zusammen. Hunderte und tausende Existenzen, die sich heute noch scheinbar aufrecht erhalten, sind nur nach außenhin aufgerichtet. (Souhlas.) Ich möchte einigen Herren der Staatsverantwortung anraten, sich einmal von den Verhältnissen zu überzeugen, die Kulissen wegzurücken, welche hunderte und tausende wirtschaftlicher Existenzen heute noch vor sich gerückt halten aus irgendwelchem Grunde, sie würden das wahre Gesicht des Staates in erschreckender Weise erblicken. (Posl. Krebs: Der Staat ist an sich gesund, die Wirtschaft aber bricht zusammen! Das ist das Bild!) Es ist bei der Einbegleitung des heurigen Staatsvoranschlages durch den Herrn Finanzminister Dr. Engliš dargetan worden, u. zw. in seinem Exposé vom 25. September 1930, daß man vonseiten der Staatsverantwortung diese Verhältnisse einer Wirtschaftsdepression und die Folgewirkung für tausende Existenzen wohl anerkannt und aus dieser Erkenntnis heraus den Staatsvoranschlag für 1931 konstruiert hätte. Meine Verehrten, wir finden eine Rücksichtnahme auf diese Verhältnisse im Staatsvoranschlag für 1931 keineswegs (Sehr richtig); denn sonst hätte es nicht vorkommen können, auch bei der notwendigen Erledigung der sozialen, humanitären und sonstigen wie kulturellen Aufgaben, von denen der Finanzminister sprach, daß dieser Staatsvoranschlag für 1931 eine höhere Ausgabenseite ausweist als der Voranschlag für 1930. (Posl. Krebs: Daß man nicht einmal darüber spricht, daß das Militärbudget über 30 Millionen überschritten wird!) Der Staatsvoranschlag wird auf der Ausgabenseite mit 9ÿ8 Milliarden Kè präliminiert gegen 9ÿ2 Milliarden Kè im Vorjahr. Und es ist so, wie Koll. Krebs sagt, daß diese Ausgabenhöhe, wenn der Rechnungsabschluß für 1931 kommen wird, größer sein wird als etwa im Voranschlag. Durch die Ansprüche des Ministeriums für Nationalverteidigung wurde noch jeder Voranschlag gesprengt, obwohl es mit seinen 1.400 Millionen ordentlichen Zuwendungen und den 315 Millionen außerordentlichen Zuwendungen aus dem Rüstungsfond usw. wahrlich genug haben könnte, um militärischen Aufgaben nachzukommen.
Aber ich bin etwas abgekommen. Ich habe in Betrachtung der katastrophalen wirtschaftlichen Verhältnisse, wie sie sich draußen allenthalben auftun, meinen wollen, daß der Staatsvoranschlag mit der Höhe seiner Ausgabensumme nicht die richtige Beantwortung ist, daß er keine Rücksicht auf den Zusammenbruch Tausender und Tausender nimmt, sondern glaubt, in dem gewohnten System der Wirtschafts- und Finanzführung weiterfahren zu können. Es ist unserer Meinung nach ganz unmöglich, daß wir im Jahre 1931, das, was der Herr Finanzminister an Einnahmen vorsieht, tatsächlich erledigen können. Es ist ganz unmöglich, daß das geschehen kann, es ist das unmöglich, auch mit jenen brutalen Methoden, wie sie sich heute da und dort die Finanzverwaltung zurechtlegt. Ich habe in der vorigen Woche eine Interpellation über die Steuervorkommnisse im Reichenberger Bezirk der Regierung vorgelegt. In Friedrichswald, im Bereiche der Steueradministration Reichenberg, hat man einen wahren Raubzug gegen die Steuerträger seitens der Finanzverwaltung organisiert, eine Kommission mit Aufgaben, wie sie unbegreiflich sind für ein geordnetes Staatswesen, hat sich an diesem Orte in einer Art und Weise benommen, die schon nicht mehr zu übertreffen ist. Man ist in die Häuser eingedrungen, hat Schränke, Truhen, Tische aufgebrochen, hat Kästen herausgerissen und jeden vorgefundenen Geldeswert beschlagnahmt. Man hat eiserne Kassen aufgeschlossen und aufgebrochen, sofern die betreffenden Besitzer sie nicht freiwillig aufzumachen bereit waren, und hat Geld konfisziert, auch wenn dasselbe dazu gedient hätte, Einkäufe von Rohwaren zu machen, um die Weiterführung des Betriebes aufrechtzuerhalten. (Výkøiky.) Schon hören wir, daß, was ich in einem Einzelfalle in der vorigen Woche der Regierung vorgetragen habe, sich da und dort wiederholt.
Was sich jetzt die Finanzverwaltung an Maßnahmen gegenüber den an und für sich durch die Wirtschaftskrise ausgepumpten wirtschaftlichen Existenzen erlaubt, ist das unmöglichste, was sich eine verantwortliche Staatsführung leisten dürfte. Unserer Meinung nach ist der Steuerträger ein sehr wertvoller Bestandteil des Staates und seiner Bevölkerung. (Posl. Krebs: Beneš könnte hier nicht sitzen und seine Politik machen, wenn er nicht die Steuerträger hätte!) Sehr richtig, und unserer Meinung nach müßte der Steuerträger auch für die Zukunft erhalten werden. Bei dieser Art der Staatsführung ist es ganz unausbleiblich, daß hunderte und tausende Wirtschaftsexistenzen, die, wenn sie sich erholen könnten, wiederum in besseren Zeiten eine Einnahmsquelle für den Staat bieten würden, zu Grunde gerichtet werden und für den Staat niemals mehr eine solche Einnahmsquelle werden. (Posl. dr. Hassold: In den èechischen Gebieten sind sie milder als in den deutschen Gebieten!) Herr Koll. Hassold hat sehr richtig bemerkt, von diesen skandalösen Vorgängen, die sich draußen im deutschen Teile des Staates abspielen, merken wir im èechischen Landesteil durchaus nichts. Ansonsten würden wahrscheinlich die èechischen Zeitungen längst aufgeschrien haben. Heute hat Koll. Krebs mir gegenüber von Vorfällen im Bereiche der Steueradministration in Aussig gesprochen. Ganz dasselbe brutale Vorgehen. Man setzt Kuratoren vor die Kassen (Hlasy: Zwangsverwalter!), Zwangsverwalter kleiner wirtschaftlicher Existenzen. Ein Aussiger Friseur hat an seiner Tageskasse einen Zwangsverwalter gesetzt bekommen, der sämtliche Einnahmen dieses kleinen Geschäftes in Verwaltung nimmt und den Inhaber des Geschäftes nur nach dem Namen nach Inhaber sein läßt. So liegen die Dinge, daß wir fürchten, daß zu den Folgewirkungen der Wirtschaftsdepression aus den von mir geschilderten Ursachen die Katastrophe sich noch weiter bis ins Ungemessene erhöhen wird. Wenn wir von Verantwortung getragen sind, können wir nicht anders als nur in letzter Stunde vor dem Zusammenbruch tausender und tausender Existenzen, zu versuchen, wo noch die Möglichkeit besteht, zu retten, was zu retten ist. Der Staatsvoranschlag für 1931 konnte auf die Wirtschaftsdepression Rücksicht nehmen. Ich verweise auf die stillen Reserven, die der Finanzminister in guten Zeiten zusammengebracht hat, die ihm die Steuerträger auch zur Verfügung gestellt haben und von denen man annehmen könnte, daß sie jetzt einigermaßen zur Schonung der Steuerträger über die wirtschaftliche Depression hinaus verwendet werden sollen. Was für wirtschaftliche Zustände im Staate herrschen, illustrieren 30 Antworten, die ich auf eine Rundfrage aus 30 Gemeinden des politischen Bezirkes Gablonz bekommen habe. Es ist katastrophal, in welcher Wirtschaftslage sich dieses hochstehende Industriegebiet heute befindet. Wenn ich diese 30 Briefe der einzelnen Gemeindevertretungen in diesem Hause vorlesen würde, so gäbe es sicherlich nicht einen Einzigen hier, der sich der Erkenntnis verschließen würde, daß es höchste Zeit ist, Umkehr zu halten und Maßnahmen zu treffen, aber nicht neue Steuerpläne, wie die Erhöhung der Erwerbsteuer, der Tarife auf den Bahnen, der Biersteuer usw. zu erwägen. Wir sind heute hier verpflichtet, auf diese Dinge aufmerksam zu machen. Wir sind heute die Dolmetscher von tausenden und abertausenden Wirtschaftsexistenzen dieses Staates, von zehntausenden und hunderttausenden Arbeitsmenschen, die durch die Wirtschaft des Staates in unerhörter Weise belastet werden. Wir sind heute verpflichtet, in letzter Stunde, sage ich, noch vor dem sonst zu erwartenden Zusammenbruch von tausenden und tausenden Menschen die Staatsverantwortung aufzurufen. Umkehr zu halten und die finanzielle Führung des Staates anders zurechtzulegen als bisher. Es ist möglich, daß diese Umkehr in wirksamer Weise gepflogen wird. Der Staat muß zu einer sparsamen Wirtschaft bei all jenen Teilen des Budgets gelangen, von denen man annehmen könnte, (Posl. Krebs: Daß sie dazu geeignet sind!) jawohl, daß sie geeignete Posten für die Sparsamkeit sind. Wir haben vorhin schon von den Kosten des Heeres gesprochen. Man hätte annehmen können, daß der Staat in Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse eine Verminderung der Ausgaben im Jah re 1931 vornimmt. Aber wir haben ganz dieselben großen Summen, und von den anderen Ausgabesummen, die nicht zur Verrechnung gelangen, weil sie in irgendeiner Form verschleiert werden, will ich gar nicht sprechen. Also sparsame Wirtschaftsführung in allen Teilen der Staatverwaltung, die dafür geeignetes Objekt abgeben. Eine vernünftige Finanzpolitik, die den Schutz des Steuerträgers im Auge hat, seine Schonung statt seiner Vernichtung. Wir verlangen in diesem Sinne Abschreibungen, Nachlässe von den Steuern, um die angesucht worden ist, Stundungen, Ratenzahlungen und insbesondere - es müßte nicht notwendig sein, daß wir hier darum bitten - eine verzugszinsenfreie Stundung von Steuern in dieser Zeit der Wirtschaftsnot. Es ist unerhört, daß im Voranschlag für 1931 vom Herrn Finanzminister noch ein Betrag von 120 Millionen Kè für Verzugszinsen und Exekutionsgebühren eingesetzt ist, in Erwartung der Einnahmen, die dem Staat aus der Not erwachsen sollen. Diesem Skandal muß ein Ende bereitet werden, und wir erlauben uns hier schon berechtigterweise, den Regierungsparteien die Bitte vorzutragen, im Sinne dieser Gedankengänge nach Schonung der Wirtschaftsexistenzen innerhalb ihrer Parteien und der Staatsführung, an der sie teilhaben, Wandel zu schaffen. Es ist selbstverständlich, daß wir die Fortführung des sozialen und Wirtschaftsprogrammes der Regierung verlangen. Das steht nicht im Gegensatz zu den Forderungen, die ich aufstelle, das ist nicht im Gegensatz zu unseren Meinungen über den Staatsvoranschlag. Ich betone, daß wir die Fortführung dieses sozialen und Wirtschaftsprogrammes verlangen, weil wir die Mittel zur Durchführung dieses Programms besitzen.
Meine Partei, die deutsche nationalsozialistische
Arbeiterpartei, hat in guten Zeiten die Staatsleitung aufgefordert,
Vorkehrungen für den eventuellen Fall der von uns erwarteten Krisenzustände
in der Wirtschaft zu treffen. Heute, da wir mitten in der von
uns prophezeiten Katastrophe stehen und nunmehr auch die Staatsleitung
selbst die Erkenntnis dieser Katastrophe getroffen hat, glauben
wir, daß diese Staatsverantwortung endgültig für Aktionen bereit
sein wird. Dies wünschen wir nicht nur von ihr, dies fordern wir
von ihr und werden, wenn diesen unseren Wünschen und Forderungen
nicht Rechnung getragen wird, nicht ermangeln, bei den hunderten
und tausenden zusammenbrechenden Existenzen im Lande draußen die
wahrhaft Schuldigen aufzuzeigen. Dann wird schon die Möglichkeit
gegeben sein, um die Konsequenzen zu ziehen. Wir aber lassen uns
von der höchsten Verantwortung leiten und nur aus dieser höchsten
Verantwortung heraus gegenüber den von Not und Elend gepeinigten
Menschen dieses Staates haben wir es für nötig gefunden, in dem
Sinne neuerlich zu reden, wie ich der Wirtschaftsführung des Staates
und der Steuerpolitik Erwähnung getan habe. (Potlesk.)
Meine Damen und Herren! Die Behandlung des Handelsvertrages mit Rumänien gibt uns Gelegenheit, einige Worte über die Not, in der sich die Landwirtschaft befindet, zu sprechen. Hiezu ist der Verhandlungsgegenstand deshalb besonders gut geeignet, weil wir der Überzeugung sind, daß die Hauptkosten des Handelsvertrages mit Rumänien unsere einheimische Landwirtschaft zu tragen hat. Die Not in der Landwirtschaft ist ein bereits allgemein bekanntes Kapitel. Über die Not in der Landwirtschaft reden nicht nur die Landwirte selbst, es reden darüber in neuerer Zeit auch andere erwerbende Kreise, und wenn wir die sozialistischen Parteien nehmen, so finden wir, daß über die Not in der Landwirtschaft auch sie Worte verlieren. Wenn ich aber das erwähne, so muß ich einen Unterschied nach der nationalen Zugehörigkeit machen. Die èechischen sozialistischen Parteien nahmen Notiz von der Not der Landwirtschaft, als die sozialistischen Genossenschaften, denen man seinerzeit im Wege der sogenannten Bodenreform Restgüter zuteilte, zu verkrachen begannen. Seinerzeit, als der Weizenpreis 200 Kè, der Kornpreis 160 Kè betrug und die Preise für alle übrigen landwirtschaftlichen Artikel gleichfalls über den Gestehungskosten lagen, war es freilich leicht zu wirtschaften. Mit dem Momente jedoch, wo sich ergab, daß die Preise für die landwirtschaftlichen Erzeugnisse, durchwegs Verlustpreise darstellen, war natürlich die leichte Betriebsführung selbst von Gütern, die man nahezu umsonst bekam, ungemein erschwert.