Sehr geehrte Damen und Herren! Die zweite Haager Reparationskonferenz in den ersten drei Wochen dieses Jahres war zweifellos ein Ereignis von weltpolitischer Bedeutung. Dies beweist schon der Fragenkomplex der dort zur Verhandlung stand, sowie der Umstand, daß fast sämtliche mitteleuropäischen Staaten und die wichtigsten außereuropäischen Staaten daran teilnahmen. Vor allem aber ist dafür die Tatsache entscheidend, daß es sich hiebei im Wesen um nichts weniger handelte, als die unerträglichen finanziellen Belastungen aus den Friedensverträgen auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Zahlungspflichtigen zu revidieren und damit ein Haupthindernis für die Wiederherstellung eines wahren Friedens zu beseitigen. Ob und inwieweit dies gelungen ist, ist jetzt Gegenstand der Kritik der Parlamente aller Staaten, welche an diesen Problemen partizipieren, so auch bei uns. Hier hat der Herr Außenminister die Debatte über die Haager Konferenzen mit einem weitausgreifenden Exposé im Plenum beider Häuser der Nationalversammlung eingeleitet, das über die Haager Berichterstattung hinausgehend als eine Verteidigung und - wahrscheinlich auch beabsichtigt - als Verherrlichung seiner Führung der auswärtigen Politik aufgefaßt werden kann. Diese Erscheinung ist übrigens diesmal hier nicht vereinzelt. Es ist das sozusagen das Leitmotiv aller Außenminister aller Staaten, welche sich heute dagegen verteidigen müssen, daß sie der Kassa des heimischen Finanzministers aus Haag zu wenig nach Hause gebracht haben.
Eine Ausnahme bildet da wohl nur das kleine, aber allen sympathische Österreich, das unbestritten erfolgreich gewesen ist.
Mit seinem Exposé hat der Herr Minister für auswärtige Angelegenheiten einen Überblick über eine Reihe weltgeschichtlicher Bedeutsamkeiten gegeben, worauf zu reagieren sehr verlockend wäre, wozu aber die vorgesehene Redezeit nicht ausreichen dürfte. Insbesondere hinsichtlich der Regelung der deutschen Frage wäre es für uns deutsche Christlichsoziale verlockend, des näheren darauf einzugehen, wenn wir auch das entscheidende Wort darüber den Verhandlungen des Reichstages, der dazu berufen ist, selbstverständlich vorbehalten. Nur vom Standpunkt der Kulturgemeinschaft begrüßen wir alle Fortschritte - und können das auch heute nicht verschweigen - welche auf dem Wege des Wiederaufbaues des Deutschen Reiches bereits erzielt worden sind. Wir werden uns in unserer Stellungnahme im besonderen nur auf jene Probleme beschränken - und ich habe das namens meines Klubs zu tun - an welchen die Èechoslovakische Republik unmittelbar interessiert ist. Das ist vor allem die Betrachtung, in welcher Weise die finanzielle und wirtschaftliche Liquidation durch die zweite Haager Konferenz bei uns zu Tage tritt. Dank unserer Objektivität verschließen wir uns nicht der Feststellung, daß die Herabsetzung der sogenannten Befreiungstaxe von 750 Millionen Goldfranken auf 370 Millionen Goldmark oder rund 3 Milliarden Kè, sowie die Ermäßigung der Kriegsschulden für die Ausrüstungskosten der seinerzeit in Frankreich und Italien errichteten èechoslovakischen Legionen Erleichterungen für unsere Volkswirtschaft bedeuten, und soweit diese durch die Bemühungen unserer Delegation im Haag erreicht wurden an und für sich erfreulich sind.
Diese Freude wird allerdings dadurch getrübt, daß die Befreiungstaxe den Nachfolgestaaten Polen, Rumänien und Südslavien vollkommen nachgelassen wurde und daß auch die übrigen Kriegsschulden dieser Staaten bedeutendere Abstriche erfahren haben, so daß wir in der Konkurrenz der Erfolge in dieser Richtung sicherlich nicht an erster Stelle stehen. Hiebei kann ich nicht umhin, zu bemerken, daß der Bemäntelung dieser Tatsache wohl auch die Behauptung entspringt, die man jetzt vielfach hört, man dürfe bei der Befreiungstaxe nicht einfach die Annuitäten von 10 Millionen Goldmark mit 37 als der hiefür festgesetzten Zahl der Jahre multiplizieren, denn unsere Befreiungsschuld sei eigentlich, im gegenwärtigen Zeitpunkt kapitahsiert und mit 5% eskomptiert, nicht 3 Milliarden, sondern weniger als die Hälfte davon. Wir sind der Ansicht, daß das nicht zutrifft und eine Selbsttäuschung ist, denn wir sind nicht in der Lage, die Scnuld sofort im Ganzen abzustoßen, wovon diese Berechnung abhängig wäre. Daß man im Haag unserer Republik mehr zu zahlen auferlegt hat als den andern kleinen Verbündeten der Alliierten, hat sicnerlich nicht in Übelwollen oder Mißachtung seinen Grund. Der Grund ist der: Es ist den alliierten Mächten gut bekannt, daß die reichen Gebiete der historischen Länder der Èechoslovakei vom Kriege unberührt geblieben sind, während Polen, Rumänien und Südslavien alle Schrecknisse der Verheerungen des Krieges in ihren Ländern durchmachen mußten. Wenn dies bei uns nicht der Fall war, wem ist das zu verdanken?
Meine Damen und Herren! Das ist das Verdienst - und möge es chauvinistischen Ohren noch so paradox klingen - der Mittelmächte im Erfolge gegen die russischen Fronten, wofür den Mittelmächten demnach auch hier postumer Dank gebührt, der bisher unterblieben ist; ja im Gegenteil: das Verhalten der Mittelmächte ist hier ununterbrochenen Zurücksetzungen und Schmähungen ausgesetzt. Oder ist die voreingenommene und ganz unzulängliche Lösung der Kriegsbeschädigtenfrage, die Schlechterstellung der sog. Altpensionisten, nicht zuletzt die konstante Vertagung der Lösung der Fragen der Unteroffizierspensionen, der Berufsunteroffiziere von ehemals, weiters die Degradierung und Kürzung der Pensionen der ehemaligen Generale und nicht zuletzt die Konfiskation des größten Teiles der Kriegsanleihe etwas anderes als ein deutlicher Fingerzeig dafür, daß dieses historische Verdienst der Mittelmächte auch für den späteren èechoslovakischen Staat bisher mit grobem Undank abgelehnt worden ist? (Sehr richtig!) Die Mitteilung im Exposé des Herrn Ministers Dr. Beneš, daß die Gefahr der Reparationszahlungen von über 24 Milliarden für die vom Staate übernommenen österreichisch-ungarischen staatlichen Güter und für die deutschen Staatsgüter in Hultschin durch die Haager Reparationskonferenz beseitigt worden ist, hat uns befriedigt, unbeschadet des Umstandes, daß dieser Erfolg allerdings hauptsächlich auf die Reparationsbefreiung Österreichs zurückzuführen ist, dem das Meiste dieser Reparationsleistungen hätten gutgeschrieben werden müssen. Dem Mangel eines Reparationskontos dieses Staates muß es demnach auch zugeschrieben werden, daß die Streichung der Gegenforderungen Österreichs beschlossen wurde. Es liegt uns nicht daran, die Aktivposten unserer Delegation zu schmälern, wir können aber nicht umhin, auch die Passivposten hervorzuheben und so z. B. die Anfrage zu stellen, ob und in welcher Weise seitens der Haager Reparationskonferenz Ersatz für den Bolschewikeneinfall in die Slovakei im Jahre 1919 in Anrechnung gebracht worden ist. Soweit uns bekannt ist, hat im Haag nur die grundsätzliche Regelung des Reparationsproblems der mitteleuropäischen Staaten ihre Erledigung gefunden und die Details, die definitive Stilisierung und Sicherung einer eindeutigen Auslegung der kommenden Pariser Konferenz vorbehalten. Dort werden auch die Fonde A und B, welche bei der Regelung der Ostreparationen eine so große Rolle spielen, ihre abschließende Regelung erfahren. Es ist interessant, daß während die ausländische Presse über die Bildung dieser Fonde, die für die durch die Agrarreformen hervorgerufenen Agrarprozesse zur Liquidation derselben reserviert sind, genaue Aufschlüsse gibt, das sehr umfangreiche Exposé des Ministers aber in diesem Punkte auffallend und relativ kurz ist. So verlautet hierin nichts darüber, daß zur Schaffung dieses Fonds A die Èechoslovakische Republik ebenso wie Jugoslavien und Rumänien von den unter dem Titel "besondere Forderungen" empfangenen Summen ab 1944 jährlich 6.1 Millionen Goldkronen einzuzahlen haben werden. So die Mitteilungen der internationalen Presse. Die Darstellung des Herrn Ministers macht den Eindruck, als ob diese Lösung mit den Fonden als ein Erfolg der Kleinen Entente anzusehen wäre, welcher Eindruck aber nach unserer Meinung verschwindet, wenn man erfährt, daß in das Verw altungskomitee der Fonde ein Mitglied der ungarischen Regierung und drei von der Finanzkommission des Völkerbundes oder einer andern von den drei Großmächten Frankreich, Italien und England bezeichneten Organisation delegierte Mitglieder kommen werden. Überdies soll ausdrücklich erklärt worden sein, daß die vor den gemischten Schiedsgerichten anhängigen Agrarprozesse zwar im Geiste der Versöhnung und des Friedens erledigt werden sollen, die Regierungen Ungarns und der Nachfolgestaaten ihren Standpunkt als Rechtsstandpunkt aber unberührt aufrecht erhalten. Demnach sind die Agrarprozesse nicht aus der Welt geschafft. Unserer Meinung nach ebensowenig die gemischten Schiedsgerichte, deren Zuständigkeit für die Agrarprozesse der Her,. Minister bisher immer scharf bekämpft hat, welche nicht nur nicht aufgehoben, sondern wie wir erfahren konnten, sogar erweitert, worden sind, was unserer Meinung nach keineswegs als Aktivum des Herrn Ministers in den Ergebnissen der Haager Konferenz zu werten ist. (Min. dr Beneš: To je náš prospìch!) Die Èechoslovakei hat die Zuständigkeit der Schiedsgerichte auch jetzt anerkennen müssen und der Schiedsgerichtsgedanke ist in diesem Belange nicht entkräftet worden. Die Schiedsgerichte sind sogar verstärkt worden durch Hinzuziehung zweier neutraler Schiedsrichter und als Berufungsinstanz gegen ihre Sprüche ist der Weltschiedsgerichtshof im Haag erklärt worden. Auch bezüglich des Fondes B, welcher zur Befriedigung der Forderungen der ehemaligen Erzherzoge, der Kirche etc. aus dem Titel der Bodenreform vorbehalten ist, bedeutet keine grundsätzliche Ablehnung dieser Forderungen, sondern ist im Gegenteil gerade dazu bestimmt, die vom internationalen Haager Schiedsgerichtshof anerkannten Forderungen an die Anspruchsberechtigten zu liquidieren, wobei, wenn der Fond B mit seiner Dotation von 100 Millionen Goldkronen nicht ausreichen sollte, die sachfälligen Nachfolgestaaten für das Plus aufkommen müssen. Also auch darin scheint der Standpunkt der Kleinen Entente nicht durchgedrungen zu sein. Als ein Kapitel, welches für die Fragen, die heute zur Verhandlung stehen, von ausschlaggebendster Bedeutung ist, erscheint uns die Behandlung der Frage der Bodenreform überhaupt in diesem Exposé besonders gewichtig. Der Herr Minister hat die Bodenreform als einen Erfolg unserer Politik und der Politik der Kleinen Entente angesprochen und konstatiert, daß im Haag der Kampf um die Bodenreform mit einem vollen Sieg in politischer und moralischer Hinsicht geendet hat. Als Kronzeugen hiefür hat der Herr Minister den ungarischen Außenminister geführt, der erklärte, daß die Bodenreform gegen die ungarischen Mitbürger korrekt durchgeführt worden ist und daß sie zufrieden sind. Ich weiß nicht, welche Informationen dem Ausspruch des Ministers Walko zugrunde liegen muß aber namens ungezählter deutscher Mitbürger feststellen, daß bei uns keineswegs die Ansicht herrscht, daß die Bodenreform avec l'esprit de justice et d'équité durchgeführt worden ist. Ebenso steht fest, daß die Bodengesetze für uns kein Ausdruck der demokratischen Überzeugung unserer ganzen Öffentlichkeit mehr sind, wenn sie es überhaupt je waren, da der demokratischen Überzeugung, die wir über eine Bodenreform haben, die Tatsachen widerst reiten, welche sich im Zuge der Durchführung der Bodenreform nur zu häufig hier ereignet haben und in die Augen springen. Das sind erstens mehr als 150.000 bis jetzt bereits arbeitslos und brotlos gewordene Angestellte und Arbeiter der ehemaligen Grundbesitze; zweitens die zugegebenen 1871 Restgüter für Parteigrößen, Fabriksdirektoren, Rechtsanwälte, Beamte des Bodenamtes, Verwandte von Ministern usw.; drittens die gesetzwidrige Zusammensetzung des Verwaltungsausschusses, wodurch die Vertreter der nationalen Minderheiten bisher noch immer ausgeschlossen sind; viertens der Absolutismus des Bodenamtes, welches jeder parlamentarischen Kontrolle zum Schutze von politischen Parteiinteressen entzogen ist. Unserer Meinung nach ist überdies die Durchführung der Bodenreform mit eine der Ursachen der katastrophalen Lage unserer Volkswirtschaft und nicht zuletzt unserer Landwirtschaft. Es scheint uns, daß es vom innerpolitischen, volkswirtschaftlichen, sozialen und Gerechtigkeitsstandpunkte sowie auch für den internationalen Repräsentationsstandpunkt des Staates viel vorteilhafter gewesen wäre, wenn man sich an das Beispiel der Vereinigten Staaten von Amerika gehalten hätte oder jetzt halten würde, die schon bei ihrer Gründung im Jahre 1776 im Artikel 5 der amerikanischen Konstitution das Recht auf Leben, Freiheit und Eigentum - Right of live, liberty und property - für unverletzlich erklärten, "eine Enteignung ist nur gegen gerechte Entschödigung gestattet". In gleicher Weise lauten auch die französischen Deklarationen und es ist ja auch bekannt, daß auf der ersten Konferenz im Haag im Jahre 1907 dieses internationale Recht auch in diesem Jahrhundert wieder in zwei Artikeln verbrieft wurde. "Untersagt ist die Aufhebung der Rechte und Forderungen der Gegenpartei, das Privateigentum wird geachtet werden." Wenn die Friedensverträge von Versailles, St. Germain und Trianon in den Artikel 297 bezw. 267 und 50 erklären, daß das Eigentum der Ungarn und Österreicher auf dem Gebiete der Nachfolgestaaten nicht enteignet werden darf und, sofern dies für das öffentliche Wohl geschieht, nur gegen angemessene Entschädigung, so ist das unserer Ansicht nach nur die Aufnahme der alten völkerrechtlichen Auffassungen über Eigentumsrechte in diese Bestimmungen, England, Frankreich und die übrigen europäischen Staaten führten - als weiteres Beispiel - von 1910 bis 1913 einen Prozeß gegen Portugal, da Portugal mit der Aufhebung und Einziehung von Ordensvermögen auch englisches, französisches und sonstiges ausländisches Ordensvermögen enteignete. England erklärte damals, Portugal könne gegen seine Staatsbürger welche Rechtsordnung immer einführen, der unbedingte Schutz des Privateigentums Fremder sei jedoch heiliges internationales Gesetz, gegründet auf dem gerechtfertigten Vertrauen fremder Staatsangehörigen. Die Achtung privaten Eigentums, die Achtung erworbener Rechte sind Grundsätze aller zivilisierten Völker. Dieses Vertrauen muß unter allen Umständen geschützt werden, daher ist eine Enteignung nur gegen volle Entschädigung zulässig. Das ist auch unser Standpunkt, und dieser Standpunkt steht dem Exposé des Herrn Ministers scheinbar scharf gegenüber.
Die Ergebnisse der Haager Konferenz sind in materieller Beziehung sicher im großen und ganzen erfreulich. Wir sind die letzten, die dieses Verdienst der èechoslovakischen Delegation leugnen, und wir mussen es als unsere Genugtuung empfinden, wenn Erleichterungen zustandegekommen sind, da ja unsere nach Millionen zählende Bevolkerung dieses Staates mitzahlen müßte. Ich glaube, auf diesem Gebiete können sich unsere Ansichten denen des Exposé des Herrn Ministers ziemlich nahe halten. Anders ist es allerdings mit der Frage der Auswirkungen in moralischer und politischer Hinsicht, welche die Haager Friedenskonferenz da zu Tage gefördert hat.
Wir sind der Ansicht, daß bessere Resultate erzielt worden wären, wenn nicht in unserer Außenpolitik im letzten Jahrzehnt eine verfehlte Auffassung geherrscht hätte, nämlich Siegerpolitik im Schutze der unvergänglich gewähnten Kriegsmentalität der großen Entente betreiben zu müssen. Wir führen die Enttäuschungen, die daher auch auf materiellem Gebiete ausgelöst worden sind, auf die falsche Propagandatätigkeit in dieser Hinsi cht zurück, eine Propagandatätigkeit, welche die Änderung der Auffassung der Welt seit einem Jahrzehnte im èechischen Volke nicht recht aufkommen lassen wollte und angeblich die Ernüchterung fürchtete. Vielleicht hat der Herr Minister notgedrungen deshalb alles auf die Karte der Kleinen Entente, als des unentbehrlichen Bundesgenossen Frankreichs, gesetzt. Die Haager Konferenz hat aber deutlich gezeigt, daß die Versöhnung der Feinde aus dem Weltkriege auf gutem Wege ist und daß vor allem unter dem Zwang der Wirtschaftsverhältnisse die Einsicht der großen Völker und ihrer führenden Staatsmänner ständig dahin wächst, der Realpolitik gegenüber der Gefühlspolitik den Vorrang zu geben. Diese Umstellung können wir aber in dem Exposé des Herrn Ministers nicht finden, da er gerade im meritorischen Schlußteile seiner Ausführungen erklärt, an seiner bisherigen Linie, an der Linie seiner bisherigen Bündnispolitik, stark festzuhalten. Unserer Meinung nach bringt diese Bündnispolitik uns in ständige Gefahr, gegen unsere Nachbarn, auf welche wir wirtschaftlich am meisten angewiesen sind, Front machen zu müssen, daß wir dadurch schweren handelspolitischen und wirtschaftlichen Schaden erleiden und überdies gewärtig sein müssen, daß diese Nachbarn nunmehr durch diese Bündnispolitik gezwungen, auch ihrerseits zu einer Bündnispolitik greifen können, die gegen uns gerichtet ist und deshalb in keiner Weise im Vorteile des Staates und seiner Völker gelegen wäre. Überdies fördert diese Bündnispolitik, die den Methoden und Rezepten der Vorkriegszeit entspricht, den ewig rüstenden Militarismus, der schon seiner natürlichen Bestimmung nach immer ein Feind des Friedens bleiben wird.
In dieser Beziehung bedauern wir diese Auslassungen des Herrn Ministers und glauben, daß sie in der Zukunft keinen Nutzen und Vorteil für den Staat und seine Bevölkerung bringen werden, so daß wir eine Umgruppierung der politischen Auffassung über die Linien der Außenpolitik auf das angelegentlichste wünschen. Die Ergebnisse der Haager Konferenz scheinen uns tatsächlich ein bedeutender Fortschritt zur Verwirklichung des Friedens nach dem Weltkriege zu sein. Auch für uns erachten wir deshalb die Zeit gekommen, im gleichen Sinne die geistige, moralische und psychologische Liquidierung im inneren des Staates und nach außen energisch in die Wege leiten zu müssen. Dies darf unserer Meinung nach sich nicht in der Weise gestalten, daß wir uns auf Kriegsmentalität und Nachkriegsdogmen festlegen, Sieger und damit Beherrscher von Nachbarstaaten und Nachbarvölkern zu sein.
Da wir heute noch nicht so weit
sind, wie wir es wünschen würden, noch nicht die Sicherheit haben,
daß eine neue Aera der Außenpolitik unseres Staates einsetzen
wird, sind wir deutsch en Christlichsozialen trotz aller Anerkennung
so mancher für uns positiven Ergebnisse der Haager Reparationskonferenz
nicht in der Lage, dem Berichte des Herrn Außenministers unsere
Zustimmung zu geben. (Souhlas a potlesk.)
Hohes Haus! Wenn ich namens meiner Partei zu dem Berichte des Herrn Außenministers Dr. Beneš über die Ergebnisse der Haager Verhandlungen Stellung zu nehmen habe, möchte ich einige Worte grundsätzlicher Natur deshalb vorausschicken, damit keine Mißdeutung hinsichtlich unserer Stellungnahme jetzt und später erfolgen könne. Unsere Stellungnahme zu Haag liegt ganz in der Linie der bisherigen Friedenspolitik. Sie ist der Ausfluß des ein volles Jahrzehnt umspannenden Kampfes des internationalen Proletariates um den Frieden der Welt, sie ist der Ausfluß des Ringens der sozialistischen Arbeiterinternationale um die Herbeiführung der Völkerverständigung vor, während und besonders nach dem Weltkrieg, wo die sozialistischen Parteien in vielen Ländern erstarkten. Trotz unserer gegenteiligen verschiedentlich en Auffassung in der Beurteilung der èecboslovakischen Außenpolitik, sowie besonders in der Einschätzung der Friedensverträge, in der Bewertung der Kleinen Entente, in der außenpolitischen Einstellung zu den Nachbarstaaten, besonders zu Deutschland und Österreich, haben wir uns immer, wenn große Friedensprobleme zur Verhandlung, standen und die großen Friedensetappen erörtert wurden, auf die Seite der èechoslovakischen Außenpolitik gestellt; dies geschah im Kampf um das Genfer Protokoll, bei den Auseinandersetzungen um den Dawesplan, das geschah während des Ringens um Locarno und Thoiry, bei der Verhandlung des Kellogg-Paktes und nicht minder bei der Beratung des ersten Haager Übereinkommens. Und die gleiche Stellung beziehen wir auch heute dem sogenannten Haager "Neuen Plan" gegenüber. Es geschieht, obwohl die im neuen Übereinkommen gefundene Lösung keine sozialistische, sondern eine kapitalistische, obwohl sie nicht eine Lösung sozialistischer Regierungen, sondern eine solche des - Finanzkapitals ist. Es geschieht, weil sie eine Abkehr bedeutet von der bisherigen militaristischen, imperialistischen und nationalistischen Gewaltfriedenspolitik, mit der aufzuräumen wir als eine der wichtigsten Aufgaben der internationalen sozialistischen Arbeiterklasse betrachten. Da der Haager Neue Plan geeignet ist, den Krieg und die Gewaltfriedenspolitik zu liquidieren, das Verhältnis der Völker zu einander in normalere Bahnen zu lenken, die internationale Situation zu entgiften und der Völkerverständigung die Wege zu ebnen, tragen wir - unbeschadet unserer kritischen Einstellung zu den Einzelheiten der getroffenen Abmachungen - kein Bedenken, uns an die Seite der Haager Abmachungen zu stellen und sie als einen wesentlichen Fortschritt auf dem Wege zum Frieden Europas anzuerkennen und ihr zuzustimmen. Indem wir dies feststellen, wollen wir zusammenfassend den Kern der politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Haager Abmachungen herausheben. Sie gipfeln darin, daß vom ersten Juli dieses Jahres das Rheinland völlig geräumt sein und kein fremder Soldat sich auf - deutschem Boden befinden wird, wodurch die ganze vergiftende Atmosphäre zwischen den beiden großen Kulturvölkern, zwischen Franzosen und Deutschen, dauernd und hoffentlich für immer beseitigt wird; sie gipfeln darin, daß die Reparationskommission und mit ihr die politischen und militärischen Sanktionen und alle militärischen Einwirkungen beseitigt und alle etwaigen Differenzen nicht mehr durch die Repationskommission und Sanktionen, sondern bestenfalls durch den Schiedsgerichtshof im Haag entschieden werden. Sie gipfeln darin, daß die Entente faktisch zu bestehen aufhört und jeder der Ententestaaten für die Zukunft volle Freiheit des Handelns erlangt, daß der Unterschied zwischen Sieger und besiegten Staaten endgültig aufhört, da sich die Zahlungsverpflichtungen der anderen Länder nach ganz anderen Grundsätzen regeln und auch sogenannte Siegerstaaten nicht verschont wurden, sie bestehen weiters darin, daß die Frage der Ostreparationen einer Lösung zugeführt und damit eines der traurigsten Kapitel der Reparationspolitik bereinigt wird. Wir wollen in dieser Beziehung ruhig den Erfolg unserer Außenpolitik und des Außenministers unseres Staates anerkennen, daß diese Frage gemeinsam mit dem Young-Plan im Haag gelöst und geregelt wurde. Und die Ergebnisse vom Haag bestehen schließlich darin, daß die Leistungen Deutschlands gegenüber den Pariser Verträgen und den Dawesabmachungen herabgesetzt und endgültig fixiert werden, wodurch der peinigenden und auf immer neue Verwicklungen eingestellten Ungewißheit ein Ende bereitet wird. All das muß, gemessen an dem bisherigen Zustand, als eine Etappe zur Befriedung betrachtet werden. Äußerlich betrachtet, ist das Haager Übereinkommen vor allem eine Schöpfung internationaler wirtschaftlicher Faktoren und nicht zuletzt des internationalen Finanzkapitals, dessen Machtposition in den letzten Jahren ungeheuer gestiegen ist und das durch die Schaffung der Reparationsbank weitere Bedeutung gewinnen dürfte. In Wirklichkeit ist der Haager Friedensschluß die Krönung des von der sozialistischen Arbeiterklasse schon vor vielen Jahren begonnenen und unter großen Mühen betriebenen Friedenswerkes, die Krönung des gewaltigen Ringens der sozialistischen Arbeiter-Internationale um den Völkerfrieden, gegen den sich eine ganze Welt von Feinden, gegen den sich alles, was nationalistisch, militaristisch und imperialistisch denkt, mit Zähnen und Klauen zur Wehr gesetzt hat. Ohne die Arbeit der sozialistischen Internationale, ohne die Wirksamkeit der reichsdeutschen und englischen Regierung Müllers und MacDonalds, die den Haager Verhandlungen ihr Gepräge aufgedrückt hatten, ohne Unterstützung der Arbeiterklasse wäre die Arbeit jener Wirtschaftsfaktoren, die den Schlußstein für Haag legten, niemals möglich geworden.
Was ist der in die Augen springende Unterschied zwischen Haag und den Zuständen vorh er? Vorher herrschten die Friedensverträge, die keine Verträge waren, sondern ein Diktat, begründet auf falschen Voraussetzungen, wie man heute allgemein anerkennen muß. Und es ist der bedeutsamste Unterschied, daß diese Friedensdiktate von Versailles, St. Germain und Trianon im Haag durch Verträge ersetzt wurden, gleichgültig wie man sich zu diesen Verträgen stellt. Die Friedensverträge, von denen man nunmehr hoffentlich allgemein überzeugt ist, daß sie keine Friedensverträge waren, daß sie den Frieden Europas unausgesetzt bedroht und die Wirtschaft Europas ständig schwer gefährdet haben, diese Friedensverträge haben sich zum Teil schon selbst korrigiert. Von St. Germain und Versailles ging es nach Spaa, von Spaa nach Locarno, von Locarno ging es zum Dawes-Plan, dann zum Young-Plan und schließlich nach dem Haag. Nicht reibungslos. Auch Sanktionen wurden durchgeführt, über die Ruhrbesetzungen hinweg haben die Friedensverträge diesen Lauf genommen. (Pøedsednictví pøevzal místopøedseda Špatný).
Hohes Haus! Es darf keinen Moment verkannt werden, daß das Werk von Haag noch schwer gefährdet ist. Es genügt wohl, wenn ich ein Detail daraus hervorhebe. Ich weiß nicht, wenn nicht in Deutschland ein sozialistischer Kanzler, wenn nicht sozialistische Mitglieder in der Regierung säßen, was die Intriguen des deutschen Sachverständigen, des Reichsbankpräsidenten Schacht, schließlich aus der Sache gemacht hätten und welche unerhörten Anstrengungen und Mühen es unsere Genossen im Deutschen Reich gekostet hat, diesen Intriguen die Parole zu bieten und das Werk zu vollenden. Haag ist daher - und da befinde ich mich im Gegensatz zum Exposé des Herrn Ministers nach unserer Auffassung keineswegs der Schlußstein, sondern nur ein Markstein. Er selbst hat es ja auch als Markstein bezeichnet. Marksteine setzt man gewöhnlich nicht an den Schluß, sondern auf halben oder Dreiviertelweg, damit man weiß, wo man gegangen ist und nach welcher Richtung man weiter gehen kann. Die Verpflichtungen, die der Young-Plan Deutschland auferlegt, sind schwer und hart. Wir sind überzeugt, daß die Mehrheit des deutschen Volkes und seine Vertreter die übernommenen Verpflichtungen loyal erfüllen werden; ob sie es können werden, ist eine Frage der nächsten Jahre und wir vermögen keinen anderen Weg zu finden, als daß es vom Haag nach dem bisherigen Ausmaße auch weiter geht zu einem neuen, zu einem zweiten, eventuell zu einem dritten Haag. Wir erblicken eine große Gefahr darin, wenn die Lasten, die Deutschland auferlegt werden, größer sind als ihre normale Wirtschaft verträgt, daß die Rückwirkung nicht nur für Deutschland, nicht nur für die Arbeiterklasse Deutschlands, sondern für ganz Europa und für die Arbeiterklasse Europas von sehr schweren nachteiligen Folgen begleitet sein müssen. Es droht dem deutschen Volke der Zustand, daß es zum Taglöhner herabsinkt, daß es die Lasten nur aufbringen kann, in dem sein Lebensstandard herabgesetzt wird und indem die Löhne der deutschen Arbeiter ganz wesentlich herabgesetzt werden müssen und die Form eines Lohndumping annehmen. Und es ist für die Wirtschaft unseres Staates, für die Wirtschaft und die Finanzpolitik Europas nicht gleichgültig, was 17 Millionen Lohnarbeitern im Deutschen Reiche geschieht, unter welchen Bedingungen sie zu arbeiten und zu leben vermögen. Dieses Lohndumping muß ebenso auf der zweiten Seite die Wirkung haben, daß Deutschland seine Einfuhr soweit als möglich drosselt. In dem Momente, wo Deutschland seine Einfuhr über das normale Maß zu drosseln verpflichtet ist, sind wir ein Teil der Leidtragenden mit unserer Ausfuhr nach Deutschland, und die Rückwirkung ist die Vergrößerung der Industriekrise bei uns, die Vermehrung der Arbeitslosigkeit in Deutschland und in anderen Ländern. Die Lage der europäischen Arbeiterklasse ist durch dieses Übereinkommen vom Haag noch immer gefährdet mit Rücksicht auf die Rückentwicklung der Verhältnisse in Deutschland. Die Wirtschaft Europas verträgt kein zugrunde- oder halbzugrundegerichtetes Deutschland, durch das sie schwer in Mitleidenschaft gezogen würde. Einige Beweise: Ich habe schon von der Ruhrbesetzung gesprochen, die mit einer kollossalen Verelendung der deutschen Währung, mit der Verarmung der Deutschen geendet hat. Hat sie der Entente schließlich genützt? Nein. Einen zweiten Fall. Als im Jahre 1921 die Entscheidung über Oberschlesien fiel - ich will das nicht in vorwurfsvollem Tone, sondern nur als Konstatierung sagen - fiel mit Zustimmung der èechoslovakischen Vertretung im Auslande, als man den Deutschen ein großes wichtiges Kohlenrevier nahm und es den Polen gab, da glaubte man eine große Tat gesetzt zu haben. Und die Wirkung war, daß sich Deutschland von der Wegnahme der oberschlesischen Kohlengruben verhältnismäßig sehr rasch erholt hat und daß diese oberschlesischen Kohlen in den Händen Polens auf den europäischen Absatzmarkt drückten, die Kohlenkrise in England ungeheuer verschärft haben; mindestens 60.000 arbeitslose englische Bergarbeiter bezahlen die Kosten. Diese Kohlengruben bewirken, daß wir im Mährisch-Ostrauer Revier nicht voll arbeiten können, unseren Absatzmarkt im Süden und im Osten der Republik verloren haben. Es hat sich also diese Maßnahme direkt gegen England und gegen die Èechoslovakei gerichtet. Ich führe das nur zum Beweis an für die Richtigkeit dieser Darstellung, daß wirtschaftliche Probleme - hoffentlich ist Schluß damit nach dem Haag nicht vom Gesischtspunkte, ob Sieger oder Besiegter, nicht von dem Standpunkte aus, ob ich einem Volke Verpflichtungen auferlegen will, die es eventuell nicht tragen kann, sondern nur von dem einzig möglichen Standpunkte aus gelöst werden können: Wie wirken sich solche Maßnahmen auf die allgemeine Wirtschaftslage Europas aus? Daran haben wir das größte Interesse.