Meine Herren! Wir sind mit der Opposition
darin einig, daß die èechoslovakische Invalidengesetzgebung
in vieler Beziehung ganz unzureichend ist. Wir haben schon im
Sommer 1926 mehrere Initiativanträge eingebracht, in denen
wir die hauptsächlichsten Wünsche der Invaliden verdolmetscht
haben. Ich habe dann im November 1926 nach
langen Verhandlungen mit den maßgebenden Herren jene Resolution
eingebracht, die heute schon mehrmals verlesen worden ist, in
der die Regierung aufgefordert wurde, das ganze Kriegsbeschädigtengesetz
zu novellieren und dabei die in den Initiativanträgen dargelegten
Wünsche weitestgehend zu berücksichtigen.
Wir haben schon damals, im Jahre 1926 und später,
immer wieder gefordert, daß die Anmeldefristen verlängert
werden sollen. Es ist ja richtig, daß in den früheren
Jahren die Anmeldefrist einigemal, ich glaube dreimal, verlängert
worden ist. Es steht aber fest, daß sich bis zum 31. Dezember
1923 nicht alle Invaliden gemeldet haben und daß es heute
ungefähr 30.000 Personen gibt, die sich erst nach dem 31.
Dezember 1923 gemeldet haben. Das heißt freilich nicht,
daß alle diese 30.000 Personen auch wirklich unter das Invaliditätsgesetz
fallen müßten.
Die zweite Forderung betraf die Besserstellung
der Schwerstinvaliden. Es ist ja richtig, daß es Staaten
gibt, in denen erst die zu 35% Invaliden eine Rente bekommen,
während bei uns schon Renten für Invalide mit 20% gegeben
werden. Aber auf der anderen Seite steht fest, daß bei uns
die Schwerstinvaliden außerordentlich wenig bekommen. Es
ist tief traurig, wenn wir hören, daß das arme Österreich
einem Kriegsblinden fünfmal soviel gibt, wie die Èechoslovakei.
Fürsorgeminister Dr. Šrámek
hat heuer im Frühjahr aus den Ersparnissen den Kriegsinvaliden
etwas gegeben. Aber wir sind mit dieser Summe nicht zufrieden,
die er gegeben hat, und dann sind wir damit nicht zufriedes, daß
das im Verordnungswege gegeben wird. Wir verlangen, daß
diese Besserstellung durch ein Gesetz erfolge. Wir haben auch
vor etwa 10 Tagen einen Entwurf zur Besserstellung der Schwerstinvaliden
ausgearbeitet. Wir betrachten diesen Entwurf nicht als eine
Lösung der ganzen Invalidenfrage, sondern nur als einen Schritt
zur Lösung. In diesem Antrage habe ich verlangt, daß
den Invaliden, deren Erwerbsunfähigkeit 75 bis 84% beträgt,
zu ihren bisherigen Bezügen eine monatliche Zulage von 100
Kè, und den Invaliden, deren
Erwerbsunfähigkeit 85 bis 100% beträgt, eine monattliche
Zulage von 200 Kè gegeben werde. Wir hatten am 1. Jänner
d. J. 5591 Invalide mit 75 bis 84% und 3.211 Invalide mit 85 bis
100%. Eine monatliche Zulage von 100 Kè für die erste
Kategorie würde 6.6 Millionen,
eine monatliche Zulage von 200 Kè für die zweite Kategorie
würde 7.7 Mill. erfordern. Der Gesamtaufwand betrüge
also 14.3 Mill. Kronen. Für 1928 waren für die Invaliden
insgesamt 507 Millionen präliminiert. Dieser Betrag wurde
nicht zur Gänze ausgegeben, es
wurden 35 Millionen erspart. Nachdem die Ausgaben für die
Invaliden infolge der Sterblichkeit von Jahr zu Jahr sinken, werden
1929 kaum 450 Millionen Kè für die Invaliden benötigt
werden. Es ist ein offenes Geheimnis, daß wir dermalen
mit unserem Antrag nicht durchgedrungen sind. Aber es ist selbstverständlich,
daß wir deswegen den Antrag nicht vielleicht ad acta legen,
sondern nach wie vor darauf beharren, daß er zur Verhandlung
gelange. Wenn heute von einem Redner auf Grund einer Zeitungsnotiz
erklärt worden ist, daß der Fürsorgeminister derjenige
sei, der sich gegen die Besserstellung der Schwerstinvaliden stelle,
muß ich sagen, daß diese Behauptung nicht richtig
ist.
Die dritte Forderung, die wir immer gestellt
haben, betrifft die Streichung der sog. Überzahlungen. Darüber
ist heute schon viel gesprochen worden, das meiste muß ich
unterstreichen. Wir müssen aber doch das eine zugestehen,
daß es auch auf diesem Gebiete hie und da besser geworden
ist, wenn wir auch auf der anderen Seite wiederum sagen
müssen, daß es einzelne Ämter gibt, die absolut
rigoroser sein wollen als selbst das Finanzministerium. Jetzt
werden jeden Monat im Durchschnitt 500.000 Kè an Überzahlungen
nachgesehen. Es ist das ein kleiner Fortschritt. Bis Ende 1928
sind 13 Millionen gestrichen worden, aber es fehlt noch
viel bis zur völligen Durchführung der Resolution, von
der heute schon einigemale gesprochen worden ist, der Resolution,
die verlangt, daß solchen Invaliden, die ein Einkommen von
unter 13.000 Kè hatten, diese Überzahlungen
ohne weiters gestrichen werden.
Weiters verlangen wir eine Unifizierung der Einkommensgrenze.
Wenn in diesem Staat für das Militär 2 Milliarden Kè
ausgegeben werden, so muß auch das Geld gefunden werden,
welches für die Invaliden unbedingt notwendig
ist, umso mehr als andere Staaten, ich verweise da auf Frankreich
und Österreich, in den letzten Jahren wiederholt die Lage
ihrer Invaliden verbessert haben.
Es ist heute von drei Rednern der Fall Zahm
besprochen worden. Meine Herren! Ich will von dieser Tribüne
den Vorfall nicht nochmals schildern. Herr Zahm aus Chemnitz,
der im Außenministerium verhaftet worden ist und den man
beim Polizeipräsidium einem langen Verhör unterzogen
hat, kam in unser Klublokal und ist dort buchstäblich zusammengebrochen.
Er saß dort drei Stunden und alle, die ihn sahen, merkten,
daß dieser Mann von einem schweren Nervenzusammenbruch
heimgesucht worden ist. Wir haben schon damals gegen diese ungeschickte
Behandlung eines èechoslovakischen Staatsbürgers,
der sich im Ausland aufhält, protestiert
und wir erwarten, daß das Außen - und das Innenministerium
sich nicht auf den Justamentstandpunkt stellen, sondern daß
die maßgebenden Herren alle Schritte tun werden, damit dieser
Fall endlich befriedigend aus der Welt geschafft werde. (Posl.
Horpynka: Der Zahm wird aber kein guter èechoslovakischer
Patriot werden!) Sicherlich nicht,
Herr Kollege.
Wir sind mit der Opposition darüber einig,
welches die Hauptforderungen der Invaliden sind, nicht einig aber
sind wir bei Beantwortung der Frage, wer die Erfüllung der
Wünsche der Kriegsbeschädigten verhindert. Wenn wir
uns die Frage stellen, müssen wir zuerst einmal fragen: Wer
hat denn das geltende Invalidengesetz eigentlich geschaffen? Nicht
eine Bürgerblockregierung war es, sondern eine Regierung,
in der sozialistische Parteien die erste Geige spielten. Wenn
man gegen dieses Gesetz spricht, und zwar mit vollem Recht spricht,
dann hätten wir erwartet, daß alle Redner, nicht nur
einige wenige, sich auch gewendet hätten gegen die Urheber
dieses Gesetzes, gegen die sozialistischen Parteien. (Posl.
L. Wenzel: Aber jetzt muß man das Gesetz aufwerten!) Sicherlich!
Sie, Herr Kollege, haben das Recht, diesen Zwischenruf zu machen,
aber ich meine, Sozialdemokraten haben nicht das Recht, so zu
sprechen, weil sie seinerzeit das Gesetz geschaffen haben. Ich
stelle weiter fest: zu einer Zeit, wo wir sozialistische Fürsorgeminister
hatten, sind ja von der Opposition wiederholt Anträge auf
Verbesserung der Lage der Invaliden gestellt worden und ich stelle
fest, daß alle diese sozialistischen Fürsorgeminister
und alle sozialistischen Referenten über das Kriegsbeschädigtengesetz
immer und immer erklärt haben: Ja, die Forderungen sind sehr
schön, wir können sie aber nicht durchführen, weil
wir nicht das nötige Geld haben! Meine Herren! Es ist Demagogie,
solche Gesetze zu schaffen und dann, wenn man in Opposition geht,
auf einmal den wilden Mann zu spielen und den Freund der Kriegsbeschädigten
zu mimen.
Meine Herren! Die Frau Abg. Kirpal der
sozialdemokratischen Partei hat hier behauptet, die Regierungsparteien
seien blind und wollten das große Elend der Kriegsbeschädigten
überhaupt nicht sehen. Sie wurde dann persönlich und
erklärte mich zu den größten Feinden der Kriegsbeschädigten.
Weiters sagte die Kollegin Kirpal, den Christlichsozialen
läge an einer Novellierung des Gesetzes nichts und den Christlichsozialen
sei es um die Kriegsbeschädigten gar nicht ernst. Nun, ich
glaube, ich kann hier ruhig von dieser Tribüne sagen, daß
wir solche Tiraden der Koll. Kirpal auch nicht ernst nehmen
können.
Es wurde heute von zwei Rednern das sogenannte
Vetorecht besprochen. Nun, meine Herren, was wäre geschehen,
wenn eine Regierungspartei erklärt hätte: wir sind gegen
die Verlängerung dieses jetzigen Gesetzes? Es wäre ein
Ex-lex-Zustand eingetreten, von dem sicherlich niemand entzückt
gewesen wäre, auch die Invaliden nicht. Aber, meine Frauen
und Herren, es ist von dem Vetorecht Gebrauch gemacht worden,
als es sich darum gehandelt hat, den alten, von einem christlich-sozialistischen
Minister entworfenen Antrag durchzubringen, daß man den
sogenannten Leichtinvaliden, die 20 bis 35% invalid sind, die
Rente einfach wegnimmt. Sehen Sie, damals haben wir vom Vetorecht
Gebrauch gemacht. Und wenn heute Zehntausende von diesen Invaliden
ihre Rente noch besitzen, verdanken sie es diesem Vetorecht. Selbstverständlich
wird von sozialistischer Seite davon nicht gesprochen.
Meine Herren! Der Herr Koll. Horpynka
hat heute selbst zugestanden, daß der Finanzminister Dr.
Engliš im Jahre 1926, als er die Budgetrede hielt,
eigens erklärt hat, daß ohne Restringierung der Versorgungsgenüsse
der Invaliden der Staatshaushalt nicht aktiv sein könne.
Koll. Horpynka hat gemeint, die Invaliden dürfen sich
von der jetzigen Regierung gar nichts versprechen, die Invaliden
sollten ihre Hoffnungen auf eine neue Regierung setzen und er
hat auch gemeint am besten wären Neuwahlen. Ich weiß
nicht, wie gerade die Partei des sehr geschätzten Herrn Koll.
Horpynka aus Neuwahlen hervorginge, ich meine, sicherlich
nicht stärker als heute, und wenn sie schwächer würde,
könnte die Partei für die Invaliden noch weniger tun
als heute. Es war interessant, heute den einzelnen Rednern der
Opposition zuzuhören und ich muß sagen, von einer einheitlichen
Front der Opposition war heute keine Spur. Auf der einen Seite
sozialistische Parteien im wütendem Kampfe gegen die Regierungsparteien.
Auf der anderen Seite hat z. B. der Vertreter der deutschen Nationalsozialisten
ganz richtig erklärt, daß auch die deutschen Regierungsparteien
für dieses Gesetz die Verantwortung tragen, auch wenn es
ihnen innerlich nicht paßt, aber er hat uns wenigstens den
guten Willen zuerkannt, den Kriegsbeschädigten zu helfen.
Wenn von sozialdemokratischer und kommunistischer Seite aus dem
Elend der Invaliden politisches Kapital geschlagen werden soll,
sagen wir: Damit ist den Invaliden nicht geholfen. Meine Herren!
Wenn wir für dieses Gesetz stimmen, tun wir das nicht vielleicht
deshalb, weil uns das Gesetz ideal erscheint, sondern einfach
nur aus Koalitionsdisziplin. (Potlesk poslancù
nìmecké strany køes. sociální.)