Ètvrtek 6. èervna 1929

Pøíloha k tìsnopisecké zprávì

o 201. schùzi poslanecké snìmovny Národního shromáždìní

republiky Èeskoslovenské

v Praze ve ètvrtek dne 6. èervna 1929.

1. Øeè posl. inž. Kalliny (viz str. 16 tìsnopisecké zprávy):

Sehr geehrte Herren! Der zur Debatte stehende Bericht des Herrn Landesverteidigungsministers gibt mir Veranlassung, die große Zahl der Todesopfer zu beklagen, die der Semtiner Katastrophe zum Opfer gefallen sind, wobei ich nicht verhehlen kann, meinem Erstaunen darüber Ausdruck zu geben, daß der Herr Ministerpräsident in seinem Berichte von nur sieben Toten gesprochen hat. Die wenigen Sätze, die er im Anschluß daran der neuen Spionageaffaire gewidmet hat, lassen zwar annehmen, daß keine Dokumente gestohlen wurden, d. h. sich zur Zeit im Auslande befinden, was aber durchaus nicht ausschließt, daß nunmehr sehr viele wichtige Dokumente der èechischen Landesverteidigung jenseits der Grenze im vollen Wortlaut und Umfang bekannt sind. Ich nehme im übrigen den ganzen Vorfall nicht tragisch, da es weder der erste, noch der letzte Spion war, und im übrigen ein noch so großer offener und geheimer Militärapparat bei der Verteidigung der langgestreckten Grenze des Staates versagen wird und versagen muß, und dies zumindest insolange, als Millionen Bewohner dieses Staates infolge der Vorenthaltung des ihnen zustehenden Naturrechtes der Selbstbestimmung und der daraus resultierenden Unterdrückungen an dem Bestande dieses Staates kein wie immer geartetes Interesse haben.

Wenn ich schon beim Kapitel Heerwesen bin, will ich die Gelegenheit benützen, um darauf hinzuweisen, wie gering die Menschen leben von den militärischen Machthabern eingeschätzt werden. Ich möchte insbesondere auf den Selbstmord des Soldaten Wilhelm Sachs aus Trautenau hinweisen, welcher beim Artillerieregiment Nr. 126 in Samorin in Dienst stand. Welche Verhältnisse in dieser Garnison herrschen, die in eingeweihten Kreisen allgemein als das "Algier Europas" bezeichnet wird, geht aus der Tatsache hervor, daß sich in der letzten Zeit unter den Soldaten dieses Regiments vier Selbstmorde ereignet haben. Welche Behandlung die Soldaten seitens der Offiziere finden, geht u. a. aus folgender Tatsache hervor: Während der großen Winterkälte wurde bekanntlich vom Landesverteidigungsministerium die Ausgabe von Ohrschützern für das Militär angeordnet. In Samorin wurde dieser Befehl nicht nur nicht befolgt, sondern es wurden im Gegenteil die Soldaten, die sich aus privaten Mitteln diese Ohrschützer anschafften, deshalb der Bestrafung zugeführt. Oder ein anderer Fall aus Samorin: Ein Offizier verlangt in der Kantine eine Zigarette, die ihm von einem Soldaten gereicht wird. Er findet diese Zigarette als zu hart. Der Soldat gibt ihm dienstbeflissen eine andere, auch diese ist ihm zu hart und die weitere Folge ist eine kräftige Ohrfeige in das Gesicht des Soldaten.

Um auf den genannten Wilhelm Sachs zurückzukommen, möchte ich feststellen, daß ihm anläßlich einer Marschübung der Transport eines Wagens mit Limonaden und Eßwaren anvertraut wurde. Als Sachs sich überzeugen wollte, ob auf dem Wagen alles in Ordnung sei und er deshalb den Wagen bestiegen hatte, wurde er wegen dieses Vergehens zum Rapport befohlen, mit 7 Tagen Einzelarrest bestraft und dann von der Kantine weg zur Batterie kommandiert. Noch am selben Tag hatte er Nachtdienst und dabei machte er seinem jungen Leben ein freiwilliges Ende. Als Kapitän Jandovský von den Eltern befragt wurde, warum denn sein Sohn einer solch harten Strafe zugeführt wurde, wußte dieser aus Verlegenheit kaum eine Antwort zu sagen. Ich glaube, es wäre höchste Zeit, daß das Landesverteidigungsministerium sich dieser Samoriner Hölle endlich einmal annimmt und sie gründlich ausräuchert.

Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch einen zweiten Fall der Besprechung unterziehen, der seit Jahren einerseits die Öffentlichkeit, andererseits das Landesverteidigungsministerium beschäftigt. Es handelt sich um den plötzlich eingetretenen Tod des Reservisten Josef Hoffmann, des Betriebsleiters der städtischen Elektrizitätswerke in Preßnitz, welcher einige Tage nach seiner Einrückung zur Waffenübung plötzlich vom Tode ereilt wurde und, wie von Zeugen erhärtet wird, hauptsächlich deshalb, weil er im erkranktem Zustande nicht die Pflege gefunden hat, die notwendig gewesen wäre, sein Leben zu erhalten. Ich habe vor Jahren in einer Interpellation die Vorgänge deutlich geschildert und besonders darauf hingewiesen, daß Zeugen, darunter ein Apotheker, erklärt haben, daß der an Lungenentzündung erkrankte Josef Hoffmann vom èechischen Bedienungspersonal nicht verstanden und in diesem Zustand kalt gebadet wurde, was ausschlaggebend gewesen sein soll, daß ihn der Tod ereilte. Aber der Landesverteidigungsminister hat in seiner Antwort, wie die stereotype Antwort immer und immer wieder lautet, gesagt, daß die Untersuchung bewiesen habe, daß die militärischen Organe an dem Tod unschuldig sind. Ich bin mir dessen bewußt, daß man durch noch so gründliche Untersuchungen und allfällige schwere Bestrafungen, dem Soldaten nicht mehr das Leben schenken kann, aber es ist ein tief trauriges Zeichen, daß den Überlebenden, in diesem Falle der Witwe dieses Soldaten bis zum heutigen Tage keine Unterstützung ausgezahlt wird und daß trotz wiederholten Drängens der Landesverteidigungsminister auf dem Standpunkt steht, daß bezüglich der Rentenansprüche das Gesetz vom 31. Jänner 1922, Slg. d. G. u. V. Nr. 41, maßgebend sei, wonach für diese Rentenansprüche das Ministerium für Soziale Fürsorge zuständig sei. Was übergangen wird, ist, daß die Witwe in ihrem Unglück nicht rechtzeitig, d. h. nicht fristgerecht, diesen Rentenanspruch angemeldet hat. Ich glaube, es ist ein Beweis mangelnden Verantwortungsgefühls, daß sich das Verteidigungsministerium nicht schon damals, als das furchtbare Unglück geschah, bemüßigt gesehen hat, die Witwe zu unterrichten, sie habe ihren Rentenanspruch beim Ministerium für Soziale Fürsorge anhängig zu machen und daß sich das Ministerium, welches bekanntlich alljährlich Millionen und Millionen dem Moloch des Militarismus opfert, nicht verpflichtet fühlt, wenigstens der Witwe im Gnadenwege eine Rente zukommen zu lassen.

Einer der krassesten Fälle aber hat sich im Vorjahre abgespielt, beim Artillerieregiment Nr. 9, Batterie 4 in Sillain. Ich habe diese Angelegenheit bereits im Wege einer Interpellation anhängig gemacht, sehe mich aber heute veranlaßt, auf Grund der mir zugekommenen Antwort des Ministeriums diese Angelegenheit neuerlich aufzurollen. Ich glaube, es ist einer der krassesten Fälle, der sich überhaupt in der èechoslovakischen Armee ereignet hat. Auf Grund genauer Zeugenaussagen und besonders unter Anlieferung der Abschrift aus dem Marodenprotokoll war ich in der Lage, in der Interpellation anzuführen, daß der Gefreite Franz Wilhelm, als er zu Ostern 1928 in seinem Heimatsort Chiesch bei Luditz auf Urlaub weilte, von furchtbaren Schmerzen befallen wurde und sofort einen Arzt aufsuchte. Die Untersuchung beim Arzt ergab, daß er an einer Drüsenschwellung schwer erkrankt ist und daß es sich wahrscheinlich um einen Tumor tuberkulöser Natur handle. Der Arzt in Chiesch wollte ihn in Behandlung nehmen, der pflichtgetreue deutsche Soldat erklärte aber, in einigen Tagen einrücken zu müssen, worauf ihm der Arzt den Rat gab, nach Einlangen in seinem Dienstort sich sofort krank zu melden, da er dringlichst ernste Spitalsbehandlung benötige. Es ist bezeichnend, daß trotz der Krankmeldung des Soldatens dieser vom Regimentsarzt für vollständig gesund erklärt wurde und zwar sowohl am 29. Feber 1928 als auch - wie dem Marodenbuch zu entnehmen ist - am 1. März, am 19. April und am 22. April. Im Marodenbuch vom 22. April ist verzeichnet, daß der Mann als vollkommen gesund und diensttauglich erklärt wurde - und zwei Tage später, am 23. April, war er bereits eine Leiche.

Was hat nun auf Grund langwieriger Untersuchungen der Herr Landesverteidigungsminister in seiner Interpellationsbeantwortung zu sagen? "Durch die Erhebung der ärztlichen Fachmänner, durch den Sektionsbefund wurde festgestellt, daß sich bei dem Gefreiten des Artillerieregimentes Nr. 9, Franz Wilhelm ein chronischer Geschwulstprozeß des Bauchfelles in der unteren Bauchhälfte, hauptsächlich im Becken, und zwar höchstwahrscheinlich tuberkulösen Ursprunges, entwickelt und daß der Tod des Gefreiten Wilhelms weder der Nachlässigkeit noch dem Handeln oder Unterlassen irgendeiner Person zugeschrieben werden kann, wobei diese Person hätte ersehen können, daß hiedurch eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit verursacht oder vergrößert werden könnte". Trotz wiederholter Meldung zur Marodenvisite, trotzdem er noch am 22. April vom Regimentsarzt Tesaø vollständig gesund und diensttauglich erklärt wurde ist er zwei Tage später verstorben und man hat heute die Stirne, in der Interpellationbeantwortung zu erklären, daß auf Grund des ärztlichen Sachverständigengutachtens von irgendeiner Schuld militärischer Organe nicht gesprochen werden kann. Ich glaube feststellen zu müssen, daß diese Beantwortung ein blutiger Hohn auf jedes Menschlichkeitsempfinden ist.

Bezeichnend sind die Schlußworte dieser Interpellationsbeantwortung, und sie sind ein Beweis dafür, daß man auch in diesem Staate Menschenleben ad acta zu legen versteht. Die Schlußworte heißen: "Das Sachverständigengutachten wurde sodann auf meinen Antrag" - den Antrag Udržals - "dem Militärprokurator in Preßburg eingesendet, der, als durch die übrige Untersuchung nichts Verdächtiges hervorgekommen ist, die Strafanzeige nach § 138 des Militärstrafgesetzbuches ad acta legte." Damit war die Angelegenheit für das Ministerium erledigt.

Meine verehrten Anwesenden! Ich habe aus der Reihe der vielen Hunderte von Soldatenmißhandlungen nur diese wenigen Fälle hervorgehoben, um an Hand der Schilderung dieser besonders krassen Fälle den Beweis zu erbringen, wie in diesem Staate von Seite des Militarismus und der verantwortlichen Organe mit jungem Menschenleben gespielt wird.

Da ich nun einmal schon beim Worte bin, halte ich es mit Rücksicht auf die allgemeine politische Lage und mit Rücksicht auf die Ereignisse, die sich in der letzten Zeit abgespielt haben, für zweckmäßig und notwendig, ein Kapitel gleich mitzubesprechen, das im engsten Zusammenhang mit den Fragen der Heeresverwaltung, der Landesverteidigung, steht und zwar mit den Fragen der Außenpolitik. Vorwegnehmen möchte ich noch die Tatsache, daß man in diesem Staate zwar einerseits immer dort und zwar am unrichtigen Fleck mit der Verausgabung von Geldmitteln spart, wo sie dringend im Sozialinteresse angewendet werden müßten und andererseits, wie wir durch die Zeitungen erfahren haben, bereits Vorbereitungen trifft, das Militärbudget wahrscheinlich über Wunsch des Vertreters des Außenministeriums neuerlich um 80 Millionen zu erhöhen. Der Herr Außenminister vermeidet es bekanntlich, hier im offenen Hause über seine Tätigkeit Bericht zu erstatten. Ja, wir wissen, daß er bereits seit mehreren Jahren in diesem Hause überhaupt nicht das Wort ergriffen hat und sich damit begnügt, seine, an und für sich seltenen Berichte hinter den verschlossenen Türen des Außenausschusses zu erstatten. Ich kann darin nur eine Flucht vor der Öffentlichkeit sehen und es ist mir unverständlich, daß sich die Mehrheit in diesem Hause ein solches herabsetzendes Vorgehen überhaupt gefallen läßt. Denn es wird dadurch dem Parlamente das gesetzmäßig ihm zustehende Recht der offenen Kritik und der Antragstellung vorweggenommen. Die Scheu des Herrn Außenministers im offenen Hause Bericht zu erstatten, scheint mir auch der Grund zu sein, warum gestern im Außenausschuß die Mehrheit sich bewegen ließ, die Eröffnung der Debatte auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen.

Am unverständlichsten hiebei ist das Vorgehen der deutschen Regierungsparteien, denen doch nicht unbekannt ist, daß gerade in den letzten Monaten und Wochen auf internationalem Gebiet, vor dem internationalen Forum, eine wichtige Frage verhandelt wird, und zwar die Frage des Minderheitenschutzes und der Minderheitenschutzverträge, die doch gewiß für das Sudetendeutschtum, das in der Gesamtheit zu vertreten sie ja immer vorgeben, von ausschlaggebender Bedeutung sind. Man hat fast den Eindruck, als ob die deutschen Regierungsparteien sich auf den Standpunkt stellen, daß die Außenpolitik ein Privatsport des Herrn Außenministers ist. Im übrigen erhellt dies auch aus der Stellungnahme, die vor Monaten der Vizepräsident Koll. Zierhut im Außenausschuß bezogen hat, als ein temperamentvolles Mitglied der deutschen Regierungsparteien schärfste Kritik an, der Außenpolitik Beneš's übte. Er meldete sich damals auf Grund der entsetzten Gesichter der èechischen Koalitionskollegen sofort zum Wort und bemerkte entschuldigend, daß es doch das Recht eines jeden Mitgliedes der Koalitionsparteien sein müsse. Kritik zu üben, und er vertröstete die Koalitionskollegen mit dem Hinweis, daß ja letzten Endes die Außenpolitik nicht von dem temperamentsvollen Kollegen, sondern vom Außenminister Beneš gemacht wird. (Výkøiky na levici.)

Meine verehrten Anwesenden! Die deutschen Regierungsparteien nehmen bekanntlich seit mehr als 2 1/2 Jahren teil an der Macht im Staate, und wenn wir diese ihre Machtanteilnahme bezw. ihre Auswirkung, z. B. auf dem Gebiete der Außenpolitik betrachten, so können wir nur feststellen, daß sie sich damit begnügen, zu verhüten, daß ihre Anteilnahme bei keiner èechischen Partei und am allerwenigsten beim Koll. Dr. Kramáø irgendeinen Anstoß oder gar Grund zu Mißvergnügen auslöst. Die Folge dieser unbegreiflichen Einstellung ist, daß weder auf innen- noch auf außenpolitischem Gebiet der deutschfeindliche Kurs seit dem 12. Oktober 1926 irgendeine Änderung erfahren hätte, so daß noch immer z. B. bei dem sogenannten mäßigen Gefrierpunkt der freundnachbarlichen Beziehungen zum Deutschen Reiche gehalten wird, das zwar im Außenhandel an erster Stelle steht, sowohl was die Einfuhr wie die Ausfuhrziffern anlangt, daß aber nach wie vor in der Außenpolitik der französische Kurs ausschlaggebend ist, der, nicht zum Vorteil für seine wirtschaftliche Entwicklung, den kleinen Èechoslovakischen Staat zwingt, fast ein Viertel seiner jährlichen Staatseinnahmen dem Militarismus zu opfern, der, wie Dr. Beneš erst wieder vor kurzem erklärt hat, notwendig sei, um die pazifistische Linie seiner Außenpolitik erfolgreich fortsetzen zu können. Es ist dies die bekannte Logik; daß es für den gewiegten Politiker und Diplomaten nicht schwer ist, zu jeder Hacke einen Stil zu finden. In diesem Falle ist der Stil die ständig laut verkündete Friedensliebe, die Unabänderlichkeit der Friedensdiktate - soweit sie den èechoslovakischen Machtinteressen dienen - und ähnliches mehr. In demselben Augenblicke aber, wo z. B. auf Grund der Bestimmungen des Völkerbundpaktes die Frage der Abrüstung der sogenannten Siegermächte aufgeworfen wird, hat man gleich tausenderlei Ausreden zur Hand, um die Erfüllung dieser vertraglich übernommenen Verpflichtungen abzulehnen, bezw. möglichst hinauszuschieben, oder aber man macht ihre Erfüllung von unerfüllbaren Voraussetzungen abhängig, mit einem Worte, man hat hier ein Regime brutaler Machtmethoden aufgerichtet, das sich des Popanzes wegen auf die Diktatbestimmungen beruft, die unter Mißachtung der gegebenen Versprechungen und unter Ausnützung der Notlage des deutschen Volkes im Jahre 1918 und durch Bruch des Selbstbestimnungsrechtes der Völker dem deutsch en Volke aufgezwungen wurden.

Ich halte es für notwendig, das Kapitel "Abrüstung" einer etwas gründlicheren Besprechung zu unterziehen, und zwar schon deshalb, weil Außenminister Dr. Beneš in seinem gestern erstatteten Referat immer und immer wieder sieh darauf beruft, daß er es als seine hehrste, heiligste Aufgabe ansehe, auf der genauesten Erfüllung der Bestimmungen der Friedensdiktate zu beharren. Es ist nur allzu bekannt, daß auf Grund der Bestimmungen des Völkerbundpaktes, auf Grund des Wortlautes der Mantelnote zu den Friedensdiktaten sich die Siegermächte verpflichtet haben, mit der Abrüstung auch der Siegerstaaten sofort einzusetzen, wenn Deutschland und die übrigen ehemals mit ihm verbündeten Staaten die Abrüstung durchgeführt haben werden. Darüber herrscht heut kein Zweifel, daß diese vier Staaten restlos abgerüstet haben. Nun kam die Reihe an die sogenannten Siegerstaaten, ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Herr Minister Dr. Beneš bucht bekanntlich jede Maßnahme, jede Konferenz oder jeden Kommissionsbeschluß auf dem Gebiete internationaler Abmachungen in der Richtung der Verhinderung der Durchführung der von den sogenannten Siegermächten übernommenen vertraglichen Verpflichtungen als einen Erfolg. So muß auch seine gestrige Bemerkung gewertet werden, die ungefähr den Wortlaut hatte, daß er mit den Ergebnissen der bisherigen Beratung der Vorabrüstungskonferenz vollständig zufrieden sei. In Wirklichkeit ist bekanntlich das Ergebnis all dieser vorbereitenden Beratungen mehr als kläglich. Bisher konnte man sich auf Grund des Einspruches Frankreichs und seiner Vasallenstaaten nicht einmal über die Grundsätze einigen, nach denen die Abrüstung überhaupt zu erfolgen hätte. Man hat in der Zwischenzeit eine Reihe von Verträgen abgeschlossen, den Locarno-Vertrag z. B., in welchem sich Frankreich bekanntlich neuerlich verpflichtete, mit aller Beschleunigung und mit allem Ernst an das Abrüstungswerk heranzutreten, man hat den Gaskrieg unter Verbot gestellt, man hat sich aber entschieden dagegen gewehrt, daß die Bombenflugzeuge aus der kommenden Kriegführung verschwinden sollen. Und warum? Weil Deutschland über solche Bombenflugzeuge nicht verfügt und weil Frankreich im Interesse des allgemeinen Weltfriedens - wenn ich Frankreich sage, denke ich gleichzeitig auch an die Vasallenstaaten - weil Frankreich und die Vasallenstaaten der Bombenflugzeuge nicht glauben entbehren zu können, jener ungeheuerlichen Mordwerkzeuge, die bekanntlich nur dazu dienen können, die friedliche Bevölkerung des Hinterlandes mit Tod und Verderben zu überziehen. Das ist die wahre Friedensliebe dieser Staatslenker, die sich vor wenigen Monaten nicht gescheut haben, den Kellog-Antikriegspakt zu unterzeichnen. Auf der einen Seite erklären sie, daß mit der Unterzeichnung des Kellogg-Antikriegspaktes ein gewaltiger Schritt nach vorwärts getan sei, auf der anderen Seite lehnen sie es ab, daraus die entsprechenden Schlußfolgerungen zu ziehen, die doch allein darin bestehen können, möglichst die Menschheit vor neuen Kriegen zu bewahren, also mit aller Beschleunigung die Abrüstung durchzuführen. Um an diese Abrüstung nicht herangehen zu müssen haben bekanntlich die französischen Diplomaten ich weiß nicht ob sich nicht vielleicht ein èechischer Diplomat bei der Preisverteilung für den geistigen Ursprung dieser Idee mitbewerben würde - den Grundsatz aufgestellt: erst Sicherung, dann Abrüstung. Ich bin vollständig überzeugt, daß durch diese These die Abrüstung überhaupt verhindert werden soll. Denn die Beratungen des Sicherheitsausschusses haben ergeben, wes Geistes Kind diese These ist. Der Sicherheitsausschuß tagte bekanntlich unter Vorsitz des èechischen Außenministers Dr. Beneš und er hat man muß das anerkennen - sich weidlich bemüht, solche Sicherheitsforderungen zu stellen, die als unerfüllbar bezeichnet werden müssen. Was wollen denn die französischen und die Kleinen Entente-Diplomaten mit "Sicherheitsforderung"? Nichts anderes, als die Garantie der Aufrechterhaltung des gegenwärtigen status quo für ewige Zeiten, also Aufrechterhaltung des Unrechtszustandes, der seit 1918/19 in Mitteleuropa herrscht. Ich glaube, daß diese Feststellung allein genügt, um zu beweisen, was man eigentlich mit dieser Sicherheitskonferenz beabsichtigt. Noch niemals in der Weltgeschichte gab es Verträge, die Ewigkeitsdauer hatten. Alle Verträge wurden bei Eintritt geänderter Zustände und geänderter Machtverhältnisse einer Revision unterzogen und es ist daher zumindest als Irreführung der Völker zu bezeichnen, wenn Herr Dr. Beneš immer und immer wieder als Rufer derjenigen auftritt, die erklären, daß an den Schandfriedensverträgen von Paris nicht ein Jota geändert werden dürfe. Wir müssen der Losung "durch Sicherheit zur Abrüstung" eine andere Losung entgegensetzen, eine Losung, die auf vernünftigen Grundlagen aufgebaut ist u. zw. die, daß die Sicherheit nur durch Abrüstung erreicht werden kann, d. h., daß die Abrüstung unbedingt vorausgehen muß, um Zustände herbeizuführen, die einer Sicherung des wahren Friedens dienen. (Posl. dr Koberg: Man bestellt sich Spionageaffairen und beweist damit, daß man nicht abrüsten könne!) Ich glaube, daß alle sich ihrer Verantwortung bewußten Menschen mit mir eines Sinnes sind, daß die größte Kriegsgefahr in Europa darin liegt, daß auf der einen Seite vollständig abgerüstete Staaten neben Staaten stehen, die bis an die Zähne bewaffnet sind, ausgestattet mit den modernsten Kriegsmitteln, ein Zustand, der selbstverständlich früher oder später zur Katastrophe führen muß. Um sich ein Bild zu machen, wie es um die Überrüstung der einzelnen Staaten bestellt ist, möchte ich unter anderem darauf hinweisen, daß z. B. an Deutschlands Grenzen u. zw. auf Abschnitte zu 10 km auf deutscher Seite 243 Mann Reichswehr entfallen, zwei leichte Maschinengewehre, kein Flugzeug, kein Kampfwagen, kein schweres Geschütz, 0.7 leichte Geschütze und 0.2 schwere Maschinengewehre. Diesen 243 Mann deutscher Reichswehr, stehen z. B. auf demselben Abschnitt der französischen Grenze einschließlich der Reserve gegenüber: 69.122 Mann, 318 schwere, 258 leichte Maschinengewehre, 41 Kampfwagen und 51 Geschütze. Ich glaube, daß diese Feststellung allein genügt, um zu beweisen, wo und von woher der Frieden am meisten bedroht ist.

Ich habe der Abrüstungsfrage deshalb einen breiteren Raum in meinen Ausführungen eingeräumt, weil es meines Erachtens unsere Pflicht ist, immer und immer wieder darauf hinzuweisen, daß es eine Irreführung der Völker ist, wenn behauptet wird, daß es notwendig sei, im Interesse der Aufrechterhaltung des Friedens aufzurüsten. Ausschlaggebend für meine Ausführungen aber war, daß ich damit den Nachweis erbringen wollte, daß Herr Beneš sich nur dann auf die restlose Erfüllung der abgeschlossenen Verträge beruft, wenn er daraus einen Vorteil für seinen Zwangsstaat erblickt, während er alle Verpflichtungen in der Praxis zu erfüllen ablehnt, so weit sie die weitere Ausgestaltung seiner Machtmittel irgendwie beschneiden könnten.

Neben der Abrüstungsfrage ist bekanntlich ein weiteres wichtiges Problem, das heute die ganze Weltöffentlichkeit beschäftigt, die Reparationsfrage, über die sich bekanntlich Herr Dr. Beneš gestern im Außenausschuß ebenfalls außerordentlich optimistisch geäußert hat, indem er erklärte, daß mit der jetzt in Paris zustandekommenden Lösung - und wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird ja der Sachverständigenausschuß morgen um 12 Uhr mittags seine Unterschrift unter diese Vereinbarungen setzen - gewissermaßen die Liquidierung des Weltkrieges platzgreife. Nun dürfen wir nicht vergessen, daß es sich bei den Verhandlungen in Paris durchaus nicht um Verhandlungen zwischen Gleichen handelt, es sei denn, daß wir den Maßstab nach Paris übertragen, der hier zwischen den èechischen und deutschen Regierungsparteien platzgegriffen hat, welche Zusammenarbeit bekanntlich auch auf der Grundlage "Gleiche unter Gleichen" erfolgt ist. Es ist eine unumstößliche Tatsache, daß, von den Friedensdiktaten beginnend, alle seither abgeschlossenen Verträge und Vereinbarungen sich unter Zwang vollzogen haben. Sie verstoßen mithin gegen die guten Sitten und sind daher nur vom machtpolitischen, niemals aber vom moralischen Stanpunkt aus zu betrachten. Es ist mir unbegreiflich, daß besonders Dr. Beneš, der doch auf Grund seiner vielen Reisen, auf Grund seiner Belesenheit und auf Grund seiner weitreichenden Verbindungen gewiß über alles, was in der Welt vorgeht, gut unterrichtet wird und gut unterrichtet ist das ist ja seine Stärke, darauf beruft er sich immer im Außenausschuß, daß er ja die Verhältnisse auf Grund weitreichenderer Sachkenntnis zu beurteilen in der Lage sei - z. B. von all dem vielen, auf wissenschaftlicher Grundlage aufgebauten Material, welches auf die bekannte Kriegsschuldlüge Bezug hat, nichts wissen will, und doch ist auf dieser Kriegsschuldlüge das ganze Versailler Diktat aufgebaut.


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