Sehr geehrte Herren! Der zur Debatte stehende
Bericht des Herrn Landesverteidigungsministers gibt mir Veranlassung,
die große Zahl der Todesopfer zu beklagen, die der Semtiner
Katastrophe zum Opfer gefallen sind, wobei ich nicht verhehlen
kann, meinem Erstaunen darüber Ausdruck zu geben, daß
der Herr Ministerpräsident in seinem Berichte von nur sieben
Toten gesprochen hat. Die wenigen Sätze, die er im Anschluß
daran der neuen Spionageaffaire gewidmet hat, lassen zwar annehmen,
daß keine Dokumente gestohlen wurden, d. h. sich zur Zeit
im Auslande befinden, was aber durchaus nicht ausschließt,
daß nunmehr sehr viele wichtige Dokumente der èechischen
Landesverteidigung jenseits der Grenze im vollen Wortlaut und
Umfang bekannt sind. Ich nehme im übrigen
den ganzen Vorfall nicht tragisch, da es weder der erste, noch
der letzte Spion war, und im übrigen ein noch so großer
offener und geheimer Militärapparat bei der Verteidigung
der langgestreckten Grenze des Staates versagen wird und versagen
muß, und dies zumindest insolange, als Millionen Bewohner
dieses Staates infolge der Vorenthaltung des ihnen zustehenden
Naturrechtes der Selbstbestimmung und der daraus resultierenden
Unterdrückungen an dem Bestande dieses Staates kein wie immer
geartetes Interesse haben.
Wenn ich schon beim Kapitel Heerwesen bin,
will ich die Gelegenheit benützen, um darauf hinzuweisen,
wie gering die Menschen leben von den militärischen Machthabern
eingeschätzt werden. Ich möchte insbesondere auf den
Selbstmord des Soldaten Wilhelm Sachs aus Trautenau hinweisen,
welcher beim Artillerieregiment Nr. 126 in Samorin in Dienst stand.
Welche Verhältnisse in dieser Garnison herrschen, die in
eingeweihten Kreisen allgemein als das "Algier Europas"
bezeichnet wird, geht aus der Tatsache hervor, daß sich
in der letzten Zeit unter den Soldaten dieses Regiments vier Selbstmorde
ereignet haben. Welche Behandlung die Soldaten seitens der Offiziere
finden, geht u. a. aus folgender Tatsache hervor: Während
der großen Winterkälte wurde bekanntlich vom Landesverteidigungsministerium
die Ausgabe von Ohrschützern für das Militär angeordnet.
In Samorin wurde dieser Befehl nicht nur nicht befolgt, sondern
es wurden im Gegenteil die Soldaten, die sich aus privaten Mitteln
diese Ohrschützer anschafften, deshalb der Bestrafung zugeführt.
Oder ein anderer Fall aus Samorin: Ein Offizier verlangt in der
Kantine eine Zigarette, die ihm von einem Soldaten gereicht wird.
Er findet diese Zigarette als zu hart. Der Soldat gibt ihm dienstbeflissen
eine andere, auch diese ist ihm zu hart und die weitere Folge
ist eine kräftige Ohrfeige in das Gesicht des Soldaten.
Um auf den genannten Wilhelm Sachs zurückzukommen,
möchte ich feststellen, daß ihm anläßlich
einer Marschübung der Transport eines Wagens mit Limonaden
und Eßwaren anvertraut wurde. Als Sachs sich überzeugen
wollte, ob auf dem Wagen alles in Ordnung sei und er deshalb den
Wagen bestiegen hatte, wurde er wegen dieses Vergehens zum Rapport
befohlen, mit 7 Tagen Einzelarrest bestraft und dann von der Kantine
weg zur Batterie kommandiert. Noch am selben Tag hatte er Nachtdienst
und dabei machte er seinem jungen Leben ein freiwilliges Ende.
Als Kapitän Jandovský von den Eltern befragt wurde,
warum denn sein Sohn einer solch harten Strafe zugeführt
wurde, wußte dieser aus Verlegenheit kaum eine Antwort zu
sagen. Ich glaube, es wäre höchste Zeit, daß das
Landesverteidigungsministerium sich dieser Samoriner Hölle
endlich einmal annimmt und sie gründlich ausräuchert.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch
einen zweiten Fall der Besprechung unterziehen, der seit Jahren
einerseits die Öffentlichkeit, andererseits das Landesverteidigungsministerium
beschäftigt. Es handelt sich um den plötzlich eingetretenen
Tod des Reservisten Josef Hoffmann, des Betriebsleiters der städtischen
Elektrizitätswerke in Preßnitz, welcher einige Tage
nach seiner Einrückung zur Waffenübung plötzlich
vom Tode ereilt wurde und, wie von Zeugen erhärtet wird,
hauptsächlich deshalb, weil er im erkranktem Zustande nicht
die Pflege gefunden hat, die notwendig gewesen wäre, sein
Leben zu erhalten. Ich habe vor Jahren in einer Interpellation
die Vorgänge deutlich geschildert und besonders darauf hingewiesen,
daß Zeugen, darunter ein Apotheker, erklärt haben,
daß der an Lungenentzündung erkrankte Josef
Hoffmann vom èechischen Bedienungspersonal nicht verstanden
und in diesem Zustand kalt gebadet wurde, was ausschlaggebend
gewesen sein soll, daß ihn der Tod ereilte. Aber der Landesverteidigungsminister
hat in seiner Antwort, wie die stereotype Antwort
immer und immer wieder lautet, gesagt, daß die Untersuchung
bewiesen habe, daß die militärischen Organe an dem
Tod unschuldig sind. Ich bin mir dessen bewußt, daß
man durch noch so gründliche Untersuchungen und allfällige
schwere Bestrafungen, dem Soldaten nicht mehr das Leben schenken
kann, aber es ist ein tief trauriges Zeichen, daß den Überlebenden,
in diesem Falle der Witwe dieses Soldaten bis zum heutigen Tage
keine Unterstützung ausgezahlt wird und daß trotz wiederholten
Drängens der Landesverteidigungsminister auf dem Standpunkt
steht, daß bezüglich der Rentenansprüche das Gesetz
vom 31. Jänner 1922, Slg. d. G. u. V. Nr. 41, maßgebend
sei, wonach für diese Rentenansprüche das Ministerium
für Soziale Fürsorge zuständig sei. Was übergangen
wird, ist, daß die Witwe in ihrem Unglück nicht rechtzeitig,
d. h. nicht fristgerecht, diesen Rentenanspruch angemeldet hat.
Ich glaube, es ist ein Beweis mangelnden Verantwortungsgefühls,
daß sich das Verteidigungsministerium nicht schon damals,
als das furchtbare Unglück geschah, bemüßigt gesehen
hat, die Witwe zu unterrichten, sie habe ihren Rentenanspruch
beim Ministerium für Soziale Fürsorge anhängig
zu machen und daß sich das Ministerium, welches bekanntlich
alljährlich Millionen und Millionen dem Moloch des Militarismus
opfert, nicht verpflichtet fühlt, wenigstens der Witwe im
Gnadenwege eine Rente zukommen zu lassen.
Einer der krassesten Fälle aber hat sich
im Vorjahre abgespielt, beim Artillerieregiment Nr. 9, Batterie
4 in Sillain. Ich habe diese Angelegenheit bereits im Wege einer
Interpellation anhängig gemacht, sehe mich aber heute veranlaßt,
auf Grund der mir zugekommenen Antwort des Ministeriums diese
Angelegenheit neuerlich aufzurollen. Ich glaube, es ist einer
der krassesten Fälle, der sich überhaupt in der
èechoslovakischen Armee ereignet hat. Auf Grund genauer
Zeugenaussagen und besonders unter Anlieferung der Abschrift aus
dem Marodenprotokoll war ich in der Lage, in der Interpellation
anzuführen, daß der Gefreite Franz Wilhelm, als
er zu Ostern 1928 in seinem Heimatsort Chiesch bei Luditz auf
Urlaub weilte, von furchtbaren Schmerzen befallen wurde und sofort
einen Arzt aufsuchte. Die Untersuchung beim Arzt ergab, daß
er an einer Drüsenschwellung schwer erkrankt ist und daß
es sich wahrscheinlich um einen Tumor tuberkulöser Natur
handle. Der Arzt in Chiesch wollte ihn in Behandlung nehmen, der
pflichtgetreue deutsche Soldat erklärte aber, in einigen
Tagen einrücken zu müssen, worauf ihm der Arzt den Rat
gab, nach Einlangen in seinem Dienstort sich sofort krank zu melden,
da er dringlichst ernste Spitalsbehandlung benötige. Es ist
bezeichnend, daß trotz der Krankmeldung des Soldatens dieser
vom Regimentsarzt für vollständig gesund erklärt
wurde und zwar sowohl am 29. Feber 1928 als auch - wie dem Marodenbuch
zu entnehmen ist - am 1. März, am 19. April und am 22. April.
Im Marodenbuch vom 22. April ist verzeichnet, daß der Mann
als vollkommen gesund und diensttauglich erklärt wurde -
und zwei Tage später, am 23. April, war er bereits eine Leiche.
Was hat nun auf Grund langwieriger Untersuchungen
der Herr Landesverteidigungsminister in seiner Interpellationsbeantwortung
zu sagen? "Durch die Erhebung der ärztlichen Fachmänner,
durch den Sektionsbefund wurde festgestellt, daß sich bei
dem Gefreiten des Artillerieregimentes Nr. 9, Franz Wilhelm ein
chronischer Geschwulstprozeß des Bauchfelles in der unteren
Bauchhälfte, hauptsächlich im Becken, und zwar höchstwahrscheinlich
tuberkulösen Ursprunges, entwickelt und daß der Tod
des Gefreiten Wilhelms weder der Nachlässigkeit noch dem
Handeln oder Unterlassen irgendeiner Person zugeschrieben werden
kann, wobei diese Person hätte ersehen können, daß
hiedurch eine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit verursacht
oder vergrößert werden könnte". Trotz
wiederholter Meldung zur Marodenvisite, trotzdem er noch am 22.
April vom Regimentsarzt Tesaø vollständig gesund und
diensttauglich erklärt wurde ist er zwei Tage später
verstorben und man hat heute die Stirne, in der Interpellationbeantwortung
zu erklären, daß auf Grund des ärztlichen
Sachverständigengutachtens von irgendeiner Schuld militärischer
Organe nicht gesprochen werden kann. Ich glaube feststellen zu
müssen, daß diese Beantwortung ein blutiger Hohn auf
jedes Menschlichkeitsempfinden ist.
Bezeichnend sind die Schlußworte dieser
Interpellationsbeantwortung, und sie sind ein Beweis dafür,
daß man auch in diesem Staate Menschenleben ad acta zu legen
versteht. Die Schlußworte heißen: "Das Sachverständigengutachten
wurde sodann auf meinen Antrag" - den Antrag Udržals
- "dem Militärprokurator in Preßburg eingesendet,
der, als durch die übrige Untersuchung nichts Verdächtiges
hervorgekommen ist, die Strafanzeige nach § 138 des Militärstrafgesetzbuches
ad acta legte." Damit war die Angelegenheit für das
Ministerium erledigt.
Meine verehrten Anwesenden! Ich habe aus der
Reihe der vielen Hunderte von Soldatenmißhandlungen nur
diese wenigen Fälle hervorgehoben, um an Hand der Schilderung
dieser besonders krassen Fälle den Beweis zu erbringen, wie
in diesem Staate von Seite des Militarismus und der verantwortlichen
Organe mit jungem Menschenleben gespielt wird.
Da ich nun einmal schon beim Worte bin, halte
ich es mit Rücksicht auf die allgemeine politische Lage und
mit Rücksicht auf die Ereignisse, die sich in der letzten
Zeit abgespielt haben, für zweckmäßig und notwendig,
ein Kapitel gleich mitzubesprechen, das im engsten Zusammenhang
mit den Fragen der Heeresverwaltung, der Landesverteidigung, steht
und zwar mit den Fragen der Außenpolitik. Vorwegnehmen möchte
ich noch die Tatsache, daß man in diesem Staate zwar einerseits
immer dort und zwar am unrichtigen Fleck mit der Verausgabung
von Geldmitteln spart, wo sie dringend im Sozialinteresse angewendet
werden müßten und andererseits, wie wir durch die Zeitungen
erfahren haben, bereits Vorbereitungen trifft, das Militärbudget
wahrscheinlich über Wunsch des Vertreters des Außenministeriums
neuerlich um 80 Millionen zu erhöhen. Der Herr Außenminister
vermeidet es bekanntlich, hier im offenen Hause über seine
Tätigkeit Bericht zu erstatten. Ja, wir wissen, daß
er bereits seit mehreren Jahren in diesem Hause überhaupt
nicht das Wort ergriffen hat und sich damit begnügt, seine,
an und für sich seltenen Berichte hinter den verschlossenen
Türen des Außenausschusses zu erstatten. Ich kann darin
nur eine Flucht vor der Öffentlichkeit sehen und es ist mir
unverständlich, daß sich die Mehrheit in diesem Hause
ein solches herabsetzendes Vorgehen überhaupt gefallen läßt.
Denn es wird dadurch dem Parlamente das gesetzmäßig
ihm zustehende Recht der offenen Kritik und der Antragstellung
vorweggenommen. Die Scheu des Herrn Außenministers im offenen
Hause Bericht zu erstatten, scheint mir auch der Grund zu sein,
warum gestern im Außenausschuß die Mehrheit sich bewegen
ließ, die Eröffnung der Debatte auf einen späteren
Zeitpunkt zu verlegen.
Am unverständlichsten hiebei ist das Vorgehen
der deutschen Regierungsparteien, denen doch nicht unbekannt ist,
daß gerade in den letzten Monaten und Wochen auf internationalem
Gebiet, vor dem internationalen Forum, eine wichtige Frage verhandelt
wird, und zwar die Frage des Minderheitenschutzes und der Minderheitenschutzverträge,
die doch gewiß für das Sudetendeutschtum, das in der
Gesamtheit zu vertreten sie ja immer vorgeben, von ausschlaggebender
Bedeutung sind. Man hat fast den Eindruck, als ob die deutschen
Regierungsparteien sich auf den Standpunkt stellen, daß
die Außenpolitik ein Privatsport des Herrn Außenministers
ist. Im übrigen erhellt dies auch aus der Stellungnahme,
die vor Monaten der Vizepräsident Koll. Zierhut im
Außenausschuß bezogen hat, als ein temperamentvolles
Mitglied der deutschen Regierungsparteien schärfste Kritik
an, der Außenpolitik Beneš's übte.
Er meldete sich damals auf Grund der entsetzten Gesichter der
èechischen Koalitionskollegen sofort
zum Wort und bemerkte entschuldigend, daß es doch das Recht
eines jeden Mitgliedes der Koalitionsparteien sein müsse.
Kritik zu üben, und er vertröstete die Koalitionskollegen
mit dem Hinweis, daß ja letzten Endes die Außenpolitik
nicht von dem temperamentsvollen Kollegen, sondern vom Außenminister
Beneš gemacht wird. (Výkøiky
na levici.)
Meine verehrten Anwesenden! Die deutschen Regierungsparteien
nehmen bekanntlich seit mehr als 2 1/2 Jahren
teil an der Macht im Staate, und wenn wir diese ihre Machtanteilnahme
bezw. ihre Auswirkung, z. B. auf dem Gebiete der Außenpolitik
betrachten, so können wir nur feststellen, daß sie
sich damit begnügen, zu verhüten, daß ihre Anteilnahme
bei keiner èechischen Partei und am allerwenigsten
beim Koll. Dr. Kramáø
irgendeinen Anstoß oder gar Grund zu Mißvergnügen
auslöst. Die Folge dieser unbegreiflichen Einstellung ist,
daß weder auf innen- noch auf außenpolitischem Gebiet
der deutschfeindliche Kurs seit dem 12. Oktober 1926 irgendeine
Änderung erfahren hätte, so daß noch immer z.
B. bei dem sogenannten mäßigen Gefrierpunkt der freundnachbarlichen
Beziehungen zum Deutschen Reiche gehalten wird, das zwar im Außenhandel
an erster Stelle steht, sowohl was die Einfuhr wie die
Ausfuhrziffern anlangt, daß aber nach wie vor in der Außenpolitik
der französische Kurs ausschlaggebend ist, der, nicht zum
Vorteil für seine wirtschaftliche Entwicklung, den kleinen
Èechoslovakischen Staat zwingt, fast ein Viertel seiner
jährlichen Staatseinnahmen dem Militarismus zu opfern, der,
wie Dr. Beneš erst wieder vor kurzem erklärt
hat, notwendig sei, um die pazifistische Linie seiner Außenpolitik
erfolgreich fortsetzen zu können. Es ist dies die bekannte
Logik; daß es für den gewiegten Politiker und
Diplomaten nicht schwer ist, zu jeder Hacke einen Stil zu finden.
In diesem Falle ist der Stil die ständig laut verkündete
Friedensliebe, die Unabänderlichkeit der Friedensdiktate
- soweit sie den èechoslovakischen Machtinteressen dienen
- und ähnliches mehr. In demselben Augenblicke aber, wo z.
B. auf Grund der Bestimmungen des Völkerbundpaktes die Frage
der Abrüstung der sogenannten Siegermächte aufgeworfen
wird, hat man gleich tausenderlei Ausreden zur Hand, um die Erfüllung
dieser vertraglich übernommenen Verpflichtungen abzulehnen,
bezw. möglichst hinauszuschieben, oder aber man macht ihre
Erfüllung von unerfüllbaren Voraussetzungen abhängig,
mit einem Worte, man hat hier ein Regime brutaler Machtmethoden
aufgerichtet, das sich des Popanzes wegen auf die Diktatbestimmungen
beruft, die unter Mißachtung der gegebenen Versprechungen
und unter Ausnützung der Notlage des deutschen Volkes im
Jahre 1918 und durch Bruch des Selbstbestimnungsrechtes der Völker
dem deutsch en Volke aufgezwungen wurden.
Ich halte es für notwendig, das Kapitel
"Abrüstung" einer etwas gründlicheren Besprechung
zu unterziehen, und zwar schon deshalb, weil Außenminister
Dr. Beneš in seinem gestern erstatteten Referat immer
und immer wieder sieh darauf beruft, daß er es als seine
hehrste, heiligste Aufgabe ansehe, auf der genauesten Erfüllung
der Bestimmungen der Friedensdiktate zu beharren. Es ist nur allzu
bekannt, daß auf Grund der Bestimmungen des Völkerbundpaktes,
auf Grund des Wortlautes der Mantelnote zu den Friedensdiktaten
sich die Siegermächte verpflichtet haben, mit der Abrüstung
auch der Siegerstaaten sofort einzusetzen, wenn Deutschland und
die übrigen ehemals mit ihm verbündeten Staaten die
Abrüstung durchgeführt haben werden. Darüber herrscht
heut kein Zweifel, daß diese vier Staaten restlos abgerüstet
haben. Nun kam die Reihe an die sogenannten Siegerstaaten, ihre
vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Herr Minister
Dr. Beneš bucht bekanntlich jede Maßnahme, jede
Konferenz oder jeden Kommissionsbeschluß auf dem Gebiete
internationaler Abmachungen in der Richtung der Verhinderung der
Durchführung der von den sogenannten Siegermächten übernommenen
vertraglichen Verpflichtungen als einen Erfolg. So muß auch
seine gestrige Bemerkung gewertet werden, die ungefähr den
Wortlaut hatte, daß er mit den Ergebnissen der bisherigen
Beratung der Vorabrüstungskonferenz vollständig zufrieden
sei. In Wirklichkeit ist bekanntlich das Ergebnis all dieser vorbereitenden
Beratungen mehr als kläglich. Bisher konnte man sich auf
Grund des Einspruches Frankreichs und seiner Vasallenstaaten nicht
einmal über die Grundsätze einigen, nach denen die Abrüstung
überhaupt zu erfolgen hätte. Man hat in der Zwischenzeit
eine Reihe von Verträgen abgeschlossen, den Locarno-Vertrag
z. B., in welchem sich Frankreich bekanntlich neuerlich verpflichtete,
mit aller Beschleunigung und mit allem Ernst an das Abrüstungswerk
heranzutreten, man hat den Gaskrieg unter Verbot gestellt, man
hat sich aber entschieden dagegen gewehrt, daß die Bombenflugzeuge
aus der kommenden Kriegführung verschwinden sollen. Und warum?
Weil Deutschland über solche Bombenflugzeuge nicht verfügt
und weil Frankreich im Interesse des allgemeinen Weltfriedens
- wenn ich Frankreich sage, denke ich gleichzeitig auch an die
Vasallenstaaten - weil Frankreich und die Vasallenstaaten der
Bombenflugzeuge nicht glauben entbehren zu können, jener
ungeheuerlichen Mordwerkzeuge, die bekanntlich nur dazu dienen
können, die friedliche Bevölkerung des Hinterlandes
mit Tod und Verderben zu überziehen. Das ist die wahre Friedensliebe
dieser Staatslenker, die sich vor wenigen Monaten nicht gescheut
haben, den Kellog-Antikriegspakt zu unterzeichnen. Auf der einen
Seite erklären sie, daß mit der Unterzeichnung des
Kellogg-Antikriegspaktes ein gewaltiger Schritt nach vorwärts
getan sei, auf der anderen Seite lehnen sie es ab, daraus die
entsprechenden Schlußfolgerungen zu ziehen, die doch allein
darin bestehen können, möglichst die Menschheit vor
neuen Kriegen zu bewahren, also mit aller Beschleunigung
die Abrüstung durchzuführen. Um an diese Abrüstung
nicht herangehen zu müssen haben bekanntlich die französischen
Diplomaten ich weiß nicht ob sich nicht vielleicht ein èechischer
Diplomat bei der Preisverteilung für den geistigen Ursprung
dieser Idee mitbewerben würde - den Grundsatz
aufgestellt: erst Sicherung, dann Abrüstung. Ich bin vollständig
überzeugt, daß durch diese These die Abrüstung
überhaupt verhindert werden soll. Denn die Beratungen des
Sicherheitsausschusses haben ergeben, wes Geistes Kind
diese These ist. Der Sicherheitsausschuß tagte bekanntlich
unter Vorsitz des èechischen Außenministers Dr. Beneš
und er hat man muß das anerkennen
- sich weidlich bemüht, solche Sicherheitsforderungen zu
stellen, die als unerfüllbar bezeichnet werden müssen.
Was wollen denn die französischen und die Kleinen Entente-Diplomaten
mit "Sicherheitsforderung"? Nichts anderes, als die
Garantie der Aufrechterhaltung des gegenwärtigen status quo
für ewige Zeiten, also Aufrechterhaltung des Unrechtszustandes,
der seit 1918/19 in Mitteleuropa herrscht. Ich glaube, daß
diese Feststellung allein genügt, um zu beweisen, was man
eigentlich mit dieser Sicherheitskonferenz beabsichtigt. Noch
niemals in der Weltgeschichte gab es Verträge, die Ewigkeitsdauer
hatten. Alle Verträge wurden bei Eintritt geänderter
Zustände und geänderter Machtverhältnisse einer
Revision unterzogen und es ist daher zumindest als Irreführung
der Völker zu bezeichnen, wenn Herr Dr. Beneš immer
und immer wieder als Rufer derjenigen auftritt, die erklären,
daß an den Schandfriedensverträgen von Paris nicht
ein Jota geändert werden dürfe. Wir müssen der
Losung "durch Sicherheit zur Abrüstung" eine andere
Losung entgegensetzen, eine Losung, die auf vernünftigen
Grundlagen aufgebaut ist u. zw. die, daß die Sicherheit
nur durch Abrüstung erreicht werden kann, d. h., daß
die Abrüstung unbedingt vorausgehen muß, um Zustände
herbeizuführen, die einer Sicherung des wahren Friedens dienen.
(Posl. dr Koberg: Man bestellt sich Spionageaffairen und beweist
damit, daß man nicht abrüsten könne!) Ich
glaube, daß alle sich ihrer Verantwortung bewußten
Menschen mit mir eines Sinnes sind, daß die größte
Kriegsgefahr in Europa darin liegt, daß auf der einen Seite
vollständig abgerüstete Staaten neben Staaten stehen,
die bis an die Zähne bewaffnet sind, ausgestattet mit den
modernsten Kriegsmitteln, ein Zustand, der selbstverständlich
früher oder später zur Katastrophe führen muß.
Um sich ein Bild zu machen, wie es um die Überrüstung
der einzelnen Staaten bestellt ist, möchte ich unter anderem
darauf hinweisen, daß z. B. an Deutschlands Grenzen u. zw.
auf Abschnitte zu 10 km auf deutscher Seite 243 Mann Reichswehr
entfallen, zwei leichte Maschinengewehre, kein Flugzeug, kein
Kampfwagen, kein schweres Geschütz, 0.7 leichte Geschütze
und 0.2 schwere Maschinengewehre. Diesen 243 Mann deutscher Reichswehr,
stehen z. B. auf demselben Abschnitt der französischen Grenze
einschließlich der Reserve gegenüber: 69.122 Mann,
318 schwere, 258 leichte Maschinengewehre, 41 Kampfwagen und 51
Geschütze. Ich glaube, daß diese Feststellung allein
genügt, um zu beweisen, wo und von woher der Frieden am meisten
bedroht ist.
Ich habe der Abrüstungsfrage deshalb einen
breiteren Raum in meinen Ausführungen eingeräumt, weil
es meines Erachtens unsere Pflicht ist, immer und immer wieder
darauf hinzuweisen, daß es eine Irreführung der Völker
ist, wenn behauptet wird, daß es notwendig sei, im Interesse
der Aufrechterhaltung des Friedens aufzurüsten. Ausschlaggebend
für meine Ausführungen aber war, daß ich damit
den Nachweis erbringen wollte, daß Herr Beneš
sich nur dann auf die restlose Erfüllung der abgeschlossenen
Verträge beruft, wenn er daraus einen Vorteil für seinen
Zwangsstaat erblickt, während er alle Verpflichtungen in
der Praxis zu erfüllen ablehnt, so weit sie die weitere Ausgestaltung
seiner Machtmittel irgendwie beschneiden könnten.
Neben der Abrüstungsfrage ist bekanntlich
ein weiteres wichtiges Problem, das heute die ganze Weltöffentlichkeit
beschäftigt, die Reparationsfrage, über die sich bekanntlich
Herr Dr. Beneš gestern im Außenausschuß
ebenfalls außerordentlich optimistisch geäußert
hat, indem er erklärte, daß mit der jetzt in Paris
zustandekommenden Lösung - und wenn nicht alle Anzeichen
trügen, wird ja der Sachverständigenausschuß morgen
um 12 Uhr mittags seine Unterschrift unter diese Vereinbarungen
setzen - gewissermaßen die Liquidierung des Weltkrieges
platzgreife. Nun dürfen wir nicht vergessen, daß es
sich bei den Verhandlungen in Paris durchaus nicht um Verhandlungen
zwischen Gleichen handelt, es sei denn, daß wir den
Maßstab nach Paris übertragen, der hier zwischen den
èechischen und deutschen Regierungsparteien platzgegriffen
hat, welche Zusammenarbeit bekanntlich auch auf der Grundlage
"Gleiche unter Gleichen" erfolgt ist.
Es ist eine unumstößliche Tatsache, daß, von
den Friedensdiktaten beginnend, alle seither abgeschlossenen Verträge
und Vereinbarungen sich unter Zwang vollzogen haben. Sie verstoßen
mithin gegen die guten Sitten und sind daher nur vom machtpolitischen,
niemals aber vom moralischen Stanpunkt aus zu betrachten. Es ist
mir unbegreiflich, daß besonders Dr. Beneš,
der doch auf Grund seiner vielen Reisen, auf Grund seiner Belesenheit
und auf Grund seiner weitreichenden Verbindungen gewiß über
alles, was in der Welt vorgeht, gut unterrichtet wird und gut
unterrichtet ist das ist ja seine Stärke, darauf beruft er
sich immer im Außenausschuß, daß er ja die Verhältnisse
auf Grund weitreichenderer Sachkenntnis zu beurteilen in der Lage
sei - z. B. von all dem vielen, auf wissenschaftlicher Grundlage
aufgebauten Material, welches auf die bekannte Kriegsschuldlüge
Bezug hat, nichts wissen will, und doch ist auf dieser Kriegsschuldlüge
das ganze Versailler Diktat aufgebaut.