Meine Damen und Herren! So hätten wir
also jetzt wieder einmal einen offiziell aktiven Regierungschef
oder wenigstens einen scheinbar aktiven, und es muß schon
gesagt werden, daß es der Koalition durchaus nicht leicht
gefallen ist, dahin zu kommen. Wenn man auch nur die Regierungspresse
verfolgt hat, weiß man, welch ungeheuere personelle Schwierigkeiten
zu überwinden waren, bis man endlich dazu gekommen ist, ausgerechnet
den Kriegsminister mit dieser Funktion bekleiden zu können.
Man muß schon sagen, die Kleine Entente
macht sich. Rumänien ist, wie man weiß, ein halb faszistisch
regiertes Land, in dem die persönliche Freiheit nicht allzu
viel wert ist, man weiß, daß auch im Anhängsel
oder Mitläufer der Entente, in Polen, die Diktaturgelüste
des Marschalls und seines Militärklüngels immer weiter
bestehen, in Jugoslavien ist alle politische Freiheit aufgehoben
und der Kriegsminister, der Soldat, an der Spitze der Regierung
schaltet und waltet nach Gutdünken, und in der Èechoslovakei
sind wir nun wirklich so weit, daß der Kriegsminister wenigstens
an der Spitze der Regierung steht. Wie lange
ist es her, muß man sich fragen, seitdem die sogenannten
westlichen Demokratien nicht nur mit Maschinengewehren, sondern
auch mit schönen Sittensprüchlein gegen den Halbabsolutismus
der Mittelmächte aufmarschiert sind, und heute sehen wir,
daß Deutschland und Österreich wirkliche Demokratien
geworden sind, während Italien und Jugoslavien dem Absolutismus
gänzlich verfallen und in einer ganzen Reihe anderer
Siegerstaaten mindestens der Halbabsolutismus herrscht. Die Èechoslovakische
Republik ist aber, wie wir die Dinge sehen können, von einem
doppelten Ehrgeiz erfüllt, nämlich zugleich Demokratie
und ihr Gegenpart zu sein. Das Firmenschild
heißt "Demokratische Republik" und im Laden drinnen
die Vergewaltigung des Volkes. Die Verfassung: "Alle Macht
geht vom Volke aus" und die Tatsachen: Das Volk wird gegen
seinen deutlich festgestellten Willen regiert. Man braucht sich
nur die eine Wendung aus der gestrigen Regierungserklärung
näher anzusehen, wo der neue Regierungschef sagt, daß
die Ausschreibung von Wahlen eine Profanierung der Demokratie
wäre, um schon Bescheid zu wissen, welcher Geist herrscht,
wie undemokratisch die Menschen eingestellt sind und wie
damit, was nach außen hin als Firmenschild der Èechoslovakischen
Republik ausgestellt wird, Schindluder getrieben wird.
Seit Jahr und Tag hatten wir einen Ministerpräsidenten,
der offiziell außer Aktion war. Es kam als sehr erschwerend
für die Regierungskoalition dazu, daß sein Stellvertreter
ein Herr war, der sich in diesen Kreisen in seltenem Ausmaße
der allgemeinen Unbeliebtheit erfreute. Man wollte ihn weg haben,
aber er ging nicht. Fast ebenso groß wie sein Talent, sich
unbeliebt zu machen, ist seine außerordentlich ausgebildete
Tugend der Ausdauer, der Beharrlichkeit, der Zähigkeit. Er
geht nicht. Er und seine Partei wurden im Wahlkampfe blutig aufs
Haupt geschlagen, aber er bleibt. Es bleibt der Koalition nur
mehr ein letzter Ausweg, ihn zu belassen und ihn trotzdem matt
zu setzen, also Rücktritt des kranken Ministerpräsidenten.
So hat dann sein Stellvertreter nichts mehr stellzuvertreten.
So glaubt man die Koalition und das Volk leimen zu können.
Wir haben es hier mit einem Mißverstehen
der Wählerschaft zu tun, das, wenn es nicht gar so traurig
in seinen Folgen wäre, verdienen würde, grotesk-komisch
genannt zu werden. Die Mehrheit des Volkes entscheidet gegen den
Bürgerblock, gegen das System, das augenblicklich an der
Macht ist, gegen dieses fluchbeladene, Millionen Menschen drangsalierende
System und die Koalition glaubt, aus dem Votum der Wählerschaft
den Schluß ziehen zu können, daß eine Änderung,
ein Wechsel in den Chargen genügt, um die Wählerschaft
zufrieden zu stellen. Die Mehrheit entscheidet gegen diesen militaristischen
Wahnsinn und die Koalition antwortet darauf, indem sie den Vater
der Rüstungen zum Vorsitzenden der Regierung macht. Das ist
die Situation, wie wir sie hier vorfinden. Der Vorsitzende der
Regierung baut die Rüstungen auf, und derjenige, der die
Sozialpolitik abbaut, ist sein Stellvertreter. Das soll die Antwort
des Bürgerblocks auf die Wahlergebnisse vom 2. Dezember sein.
Nun zur Erklärung des Herrn Regierungsvorsitzenden.
Zunächst ein Wort über die Frage, was Regierungserklärungen
von dieser Stelle aus überhaupt wert sind. Am 14. Oktober
1926 hat der damalige Chef der internationalen Bürgerblockregierung
für diese eine Erklärung abgegeben und gesagt, er betrachte
es als seine, bezw. dieser Regierung und Mehrheit Aufgabe, die
Lösung der wirtschaftlichen Krise anzubahnen und herbeizuführen,
und er hat ausdrücklich erklärt, was ich wörtlich
zitieren möchte: "Jede sachliche und positive Kritik
wird uns immer willkommen sein". Aber was kam statt dessen?
Die Steuerreform mit ihrer Entlastung der Reichen und der Mehrbelastung
der armen und kleinen Leute, mit der unerhörten Mehrbelastung
des Konsums! Es kann als Erfolg dieser Bürgerregierung
gebucht werden, daß der èechoslovakische Arbeiter
heute zu den ärmsten Arbeitern der ganzen Welt gehört,
daß der Reallohn in der Èechoslovakei niedriger ist
als in den meisten Staaten Europas, und was die willkommene Kritik
anlangt, von der der Chef der Bürgerblockregierung
gesprochen hat, so haben wir in der Tat gesehen, daß sie
in der Niedertrampelung der Opposition, in der Mißachtung
aller Anregungen von oppositioneller Seite bestanden hat.
Švehla hat
damals auch gesagt, heute gehe die Regierung an die gemeinsame
Arbeit für die Schaffung eines harmonischen Zusammenlebens
im Rahmen der gegebenen Grenzen des Staates. Er hat erklärt,
er sei sich dessen bewußt, daß die aus verschiedenen
nationalen Kulturen erfließenden Differenzen nicht verschwinden
werden, aber das, worum es gehe, sei die Möglichkeit und
Notwendigkeit, die Differenzen und Meinungsverschiedenheiten zu
beseitigen. In dieser Hinsicht, so hat er weiter gesagt, wolle
die Regierung neue Bahnen gehen, und so öffne sich der Weg
zur Lösung der Frage des nationalen Zusammenlebens und zur
Verwirklichung aller Aufgaben des Staates. Und stellen wir nun
dieser Erklärung die Tatsachen gegenüber, bezw. all
das, was seit dieser Zeit unter der Regierung Švehla vom
Bürgerblock geschehen ist, so finden wir das Gemeindefinanzgesetz
mit der Beseitigung der Gemeindeautonomie, finden wir die Verwaltungsreform,
die alle Ansätze zur nationalen Autonomie, die schon vorhanden
waren, obwohl nur spärliche, geringfügige Ansätze,
aber doch Ansätze, die alle diese Ansätze vollständig
beseitigt hat, finden wir die Landesvertretungen mit der Majorisierung
aller Nichtèechen, finden wir die Aufhebung des Landes
Schlesien, finden wir die Tatsache, daß Bezirkshauptleut
des Staates über die ehemaligen autonomen
Bezirksvertretungen eingesetzt werden, finden wir die Fälschung
der nationalen und politischen Tatsachen durch die willkürlichen
Ernennungen in die Landes- und Bezirksvertretungen, finden wir,
daß den deutschen Bezirken die Mitgliedschaft beim Verband
der deutschen Selbstverwaltungskörper verboten wird, finden
wir weitere Drosselungen der deutschen Schulen, die Unterdrückung
der deutschen Fachschulen, die Bagatellisierung der deutschen
Kulturbedürfnisse im Budget, wir finden also Rechtsvorenthaltung,
Raub aller Rechte, Vergewaltigung ehemaliger Freiheiten - und
das soll also die Lösung der Frage des nationalen Zusammenlebens
sein! Er hat wirklich Wort gehalten, so wie er immer Wort gehalten
hat. Am 7. November 1927 hat Švehla im Budgetausschuß
eine neuerliche Erklärung für den Bürgerblock abgegeben,
in der ausdrücklich die Worte vorkommen: Nationale Verständigung,
Mobilisierung der Vernunft, die Schule dürfe kein Politikum
sein, sondern dürfe nur als Kulturaufgabe betrachtet werden
und das Sprachenproblem dürfe nicht vom Standpunkt des Prestiges,
sondern der Zweckmäßigkeit gelöst werden. Was
aber kam? Die Antwort steht im Budget, welches derselbe Budgetausschuß
gemacht hat, und da sehen wir: die Schule ist ein Politikum, auch
von dieser Bürgerblockmehrheit ist sie als Politikum behandelt
worden, denn die Ziffern des Budgets sprechen eine beredte und
nicht zu bestreitende Sprache, mobilisiert wurde nicht die Vernunft,
sondern die gewalttätigen Sprachenverordnungen. Und wie man
das Sprachenproblem zu lösen versucht hat, bitte, darauf
eine Antwort aus den allerletzten Tagen, wo man auf Befehl der
Zentralstelle die Beschlüsse der Bezirke auf Festsetzung
einer Geschäftssprache nicht zugelassen hat. Die Sprachenfrage
dürfe nicht vom Standpunkt des Prestiges, sondern nur vom
Standpunkt der Zweckmäßigkeit behandelt werden: und
in dem Augenblick, wo Bezirksvertretungen zusammenkommen und aus
Zweckmäßigkeitsgründen eine Geschäftssprache
beschließen wollen, kommt das Verbot, überhaupt einen
derartigen Beschluß zu fassen. So sieht es um die Regierungserklärungen
des Bürgerblocks aus. Damals, als Herr Švehla -
es ist notwendig, auch über diese Heucheleien etwas zu sagen,
mit denen man da umgeht - damals als Herr Švehla im
Oktober 1926 sich hierher gestellt hat wie ein Prophet der nationalen
Gerechtigkeit, haben die Obergläubigen im Hause, die deutschen
Regierungsparteien gerufen: Seht, ist nicht aus dem Saulus der
Sprachenverordnung ein Paulus der nationalen Verständigung
geworden? Hat damals nicht der Klubobmann des Bundes der Landwirte
sofort geschwärmt, man habe soeben die Botschaft des Heiles
vernommen? Doch das Unheil reitet schnell. Der Herr Klubobmann
des Bundes der Landwirte hat sein Heil gefunden - im Landeskulturrat,
er hat erfolgreicher gekämpft als die von ihm an den Pranger
gestellten Männer des 4. März. Und die Erklärungen
des Regierungschefs? Holler, Holler, nichts als Holler! Und man
muß Wilhelm Busch zitieren: "Denn erstens kommt es
anders, zweitens als er sagt".
Nun haben wir gestern die Erklärung des
neuen Regierungschefs gehört, eine Erklärung, in der
es hieß, Neuwahlen wären eine Profanierung der Demokratie.
Die Erklärung hat mit ein paar Phrasen über die Leiden
der Bevölkerung in diesem harten Winter geschlossen, ohne
daß der Herr Chef der Regierung klar und deutlich zum Ausdruck
gebracht hätte, was eigentlich praktisch zur Hilfeleistung
für die unter den Härten des Winters Leidenden geschieht.
Im großen und ganzen aber hat er gesagt, daß alles
so weiter gemacht werde, wie bisher, es war ja alles richtig und
schön und schließlich sei er ja nur Platzhalter für
Švehla, dem man baldige Gesundung wünsche. Ich
schließe mich diesem Wunsche aus menschlichen Gründen
freilich vollkommen an. Nach den Worten des neuen Regierungschefs
geht also alles weiter wie bisher und darum halte ich es für
notwendig, einmal etwas mehr über die Taten und Unterlassungen
dieser Regierungsmehrheit zu sprechen.
Wenn wir davon reden, so ist selbstverständlich
der erste Gedanke, der sich uns da aufdrängt, der Gedanke
an die Menschen, die in diesem unbarmherzig harten Winter unter
der doppelten Not des Frostes und ihrer sozialen Notstände
zu leiden haben. Diesen Notständen steht die Regierung einfach
tatenlos gegenüber. Wir begreifen schon, daß Verkehrsschwierigkeiten
erwachsen, wie der Herr Eisenbahnminister gemeint hat; es gibt
da eine Menge von Fachleuten, deren Urteil etwas anders lautet,
als das des Herrn Ministers, die meinen, daß es anders zugeht,
daß die Eisenbahnzüge nicht an die Schienen anfrieren.
Aber es gibt genug Verkehrsschwierigkeiten und dennoch wäre
bei einiger Vorsorge des Eisenbahnministeriums nicht notwendig,
daß man Menschen stundenlang in ungeheizten Zügen auf
offener Strecke stehen läßt, und es hätte gewiß,
wenn sich die Eisenbahnverwaltung mehr mit dem Verkehr und weniger
mit dem Schikanieren des Eisenbahnpersonals beschäftigt hätte,
vermieden werden können, daß die Kohlenversorgung der
Bevölkerung, sogar die Kohlenversorgung der Hauptstadt des
Landes unterbunden wird. Ich möchte die Gelegenheit benützen,
um hier ausdrücklich im Namen meines Klubs aufrichtigen Dank
den Eisenbahnern zu sagen, die mit Opfermut und unter ständiger
Hintansetzung ihrer Person unter furchtbaren Verhältnissen
ihren Dienst verrichten, die mit Heldenmut den Gefahren dieses
abnormalen Winters trotzen, um soviel, als in ihrer eigenen Kraft
steht, beizutragen, den Eisenbahnverkehr noch halbwegs aufrecht
zu erhalten und Leben und Sicherheit der Reisenden zu schützen.
Kein Wort des Dankes an diese Menschen ist zu viel und es wäre
zu wünschen, daß wir wenigstens ein klein wenig dieses
großen Dankes, den wir dem Eisenbahnpersonal schulden, auch
der Eisenbahnverwaltung sagen könnten.
Aber es gibt Dinge, die noch weit ärgern
sind, als die Verkehrskalamitäten. Der harte und langandauernde
Frost hat die saisonmäßige Arbeitslosigkeit ungemein
verschärft und so die Menschen, die gerade jetzt einen größeren
Aufwand für warme Kleidung, für fetthaltige Nahrung
und Beheizung zu machen hätten, in eine schwere Situation
gebracht. Die Kinder der Arbeitslosen frieren in ungeheizten
Räumen und wir haben schon von Fällen gehört, in
denen Menschenleben elend zugrunde gegangen sind. Die Mehrheit
hat bei der Beratung des Staatsvoranschlages mit einer scheinsozialen
Geste aus den Gebahrungsüberschüssen 5 Millionen Kè
zum Zwecke der Kinderausspeisung und 5 Millionen
für Jugendfürsorgeaktionen gewidmet. Wir aber werden
von diesen Organisationen mit Klagen bestürmt, daß
sie, statt reichlichere Unterstützungen zu erhalten, selbst
auf die Auszahlung der bereits bewilligten Beträge warten
müssen. Hier gilt unter dem Eindrucke der großen Not
das Wort: Bis dat, qui cito dat, doppelt gibt, wer schnell gibt.
Eine Verzögerung der Hilfeleistung heißt
eine Vernichtung der Hilfeleistung selbst. Es sollte nicht bei
der Geste bleiben, die Unterstützungen sollten wirklich auch
schnell ausgezahlt werden. Wir fordern, daß die Regierung
die restlichen Gebarungsüberschüsse - bisher wurde nur
ein Bettel gegeben - die unter Berücksichtigung der im Artikel
XXII des Finanzgesetzes vorgesehenen Widmungen noch über
15 Millionen betragen, sofort zu Hilfsaktionen für die hungernden
und frierenden Kinder flüssig mache. Wir sind sehr neugierig,
ob die Regierungsparteien den traurigen Mut aufbringen werden,
auch über diese Forderung mit der gewohnten Schnoddrigkeit
hinwegzugehen. Die Ausrede, daß wir Unmögliches verlangen,
ist der Mehrheit von vornherein abgeschnitten. Die Situation der
Staatsfinanzen ist keine solche, daß sie auch die bescheidensten
sozialen Leistungen unmöglich machen würde. Gestatten
Sie, daß ich mich mit diesem Problem, da uns ja auch der
Rechnungsabschluß vorliegt, ein wenig beschäftige.
Ich will jedoch nicht auf die Gebarung des Jahres 1927 eingehen,
da dies von meinem Fraktionskollegen bei der Ausschußberatung
hinreichend besorgt worden ist, sondern ich will mich mit aktuelleren
Dingen, nämlich mit den bisher bekanntgewordenen Daten der
Gebarung für 1928 befassen. Aus dem Monatsausweis der Nationalbank
für 1. Jänner 1929 ist zu entnehmen, daß die Finanzverwaltung
geradezu ungeheuerliche Mehreinnahmen über das Präliminare
hinaus erzielt hat. Das Erträgnis der Zölle war im Budget
mit 1100 Millionen Kè veranschlagt. Aber schon Ende September
wurde tatsächlich ein Ertrag von 1070 Mill. Kè verzeichnet,
d. h., daß die gesamten Einnahmen des letzten
Quartals, die Einnahmen jener Monate, in denen die Einfuhr am
allerstärksten war, reinen Überschuß über
das Präliminare bilden, was weit mehr als 300 Millionen Kè
ausmachen dürfte.
Nicht anders steht es mit der Umsatzsteuer.
Hier waren als Einnahmen der Staatskasse 1125 Millionen
Kè präliminiert, aber bereits in den Monaten Jänner
bis Oktober sind nebst 63 Millionen Kè an Luxussteuer nicht
weniger als 1429 Millionen Kè eingegangen. Also auch hier
gewaltige Mehreinnahmen, die, wenn man die restlichen zwei
Monate des Jahres mit in Anschlag bringt, eine halbe Milliarde
übersteigen werden. Dabei ergibt sich allerdings eine sonderbare
Erscheinung, auf die wir mit allem Nachdruck aufmerksam machen
müssen: Die gesamten Einnahmen aus der Umsatzsteuer, also
einschließlich des Anteiles der Selbstverwaltungskörper,
betragen 1757 Millionen Kè, so daß nach Abzug der
oben angeführten Post für die Selbstverwaltungskörper
nur 338 Millionen Kè für 10 Monate oder aufs Jahr
umgerechnet wenig mehr als 400 Millionen Kè übrig
bleiben. Nach dem Budget sollen aber
die Überweisungen mit dem Vorschuß auf die Lehrergehälter
374 Millionen Kè betragen und wir müssen an die Regierung
die Frage richten, ob die Selbstverwaltungskörper im Jahre
1928 den ihnen gebührenden Anteil erhalten haben,
oder ob sie am Ende gar trotz der würgenden Finanznot, in
die sie die leichtfertige Gesetzesmacherei des Bürgerblocks
gestürzt hat, noch bei den staatlichen Überweisungen
verkürzt worden sind. Wir sind auf die Antwort der Regierung
außerordentlich neugierig.
Ein besonderes Kapitel ist die Tabakregie.
Ich meine nicht nur in Bezug auf ihre elenden Erzeugnisse, sondern
auch in Bezug auf den unerhörten Wucher, der hier getrieben
wird. Gegenüber einem veranschlagten Reingewinn von 1051
Millionen Kè konnte schon in der Periode Jänner-Oktober
ein Nettoertrag von 1307 Millionen Kè
gebucht werden. Das heißt, daß der Reingewinn für
das ganze Jahr nicht eine, sondern. 1 1/2
Milliarden Kè betragen wird. Daß hier absichtlich
falsch präliminiert worden ist, liegt auf der Hand. Im Rechnungsabschluß
für 1927 wird darauf hingewiesen, daß
für Tabakankauf 457 1/2
Millionen Kc präliminiert waren, während der tatsächliche
Rohstoffbedarf nur 238 Millionen Kè betrug, also ungefähr
die Hälfte. Trotzdem finden wir, daß nicht nur im Jahre
1928 wiederum 469 1/2
Millionen Kè präliminiert worden sind, sondern
wir finden dieselben ganz offensichtlich falschen Beträge
auch wiederum im Budget für 1929. Es wird mit dieser Art
Präliminierung - man kann es nicht milder ausdrücken
- das Parlament einfach zum besten gehalten, einfach
gefoppt. Nur nebenbei möchte ich bemerken, daß nahezu
alle Verbrauchssteuern ein dem Voranschlag annähernd entsprechendes
Ergebnis geliefert haben, zum sicheren Beweis, daß man richtig
präliminieren kann und daß die Regierung mit dem Budgetrecht
des Parlaments ein frivoles Spiel treibt, um die Tatsache zu verschleiern,
daß das herrschende unsoziale Steuersystem aus den breitesten
Massen der Bevölkerung noch viel gewaltigere Summen herauspreßt,
als in den Voranschlägen angegeben wird. Unter diesen Umständen
ist es einfach unfaßbar, daß der Finanzminister auf
der einen Seite jedem Verlangen nach Herabsetzung der drückenden
Massenverbrauchssteuern ein starres "Nein" entgegensetzt,
auf der anderen Seite aber bei jeder sozialen Forderung auf die
Notlage der Staatsfinanzen verweist. Das krasseste Beispiel aus
der letzten Zeit ist wohl die schier unglaubliche Schäbigkeit
bei der Bemessung der Altersunterstützungen, über die
noch nicht das letzte Wort gesprochen ist und deren eingehende
Kritik wir uns noch vorbehalten. In dieses Kapitel gehört
auch die Behandlung der Kriegsinvaliden, die nicht nur Jahr für
Jahr mit der Hoffnung auf eine Verbesserung ihrer Bezüge
genarrt werden, sondern denen man durch eine rigorose und geradezu
unmenschliche Handhabung des Gesetzes auch noch die kärglichen
Ansprüche des geltenden Rechtes zu schmälern sucht.
Hierher gehört auch die seit langem fällige und notwendige
Gleichstellung der Altpensionisten, bei denen der Finanzminister
auch immer mit der Ausrede der mangelnden Bedeckung bei der Hand
ist, obwohl, wie ich ziffernmäßig nachgewiesen habe,
die Mehreinnahmen der Tabakregie allein reichlich genügen
würden, um das Problem restlos zu lösen.
In dieses Kapitel gehört nicht in letzter
Linie schließlich auch die Behandlung der Staatsangestellten.
Es ist schon längst klar geworden, daß der voreilig
und parteiisch durchgeführte Abbau finanziell ein Schlag
ins Wasser war, dem Dienste aber ungeheuer geschadet hat. Insbesondere
die trostlosen Zustände auf den Eisenbahnen sind nicht in
letzter Linie auf die ganz und gar verfehlte Personalpolitik zurückzuführen.
Obwohl man all das schon im Jahre 1926 wissen mußte, hat
das Gehaltsgesetz dieses Jahres den Angestellten eine schwere
Enttäuschung gebracht und ist durch die Systemisierung auf
Grund dieses Gesetzes neues schweres Unrecht an den Angestellten
begangen worden. Aber statt diese Fehler gutzumachen, verweigert
die Regierung den Staats- und öffentlichen Angestellten selbst
die Auszahlung einer einmaligen Teuerungsaushilfe. Dabei könnte
der erforderliche Betrag glatt aus den Kassenbeständen
entnommen werden, die schon Ende 1927 über 1300 Millionen
Kè, einschließlich des Bestandes an Wertpapieren
über 1700 Millionen Kè betragen haben, und die, wie
ich gezeigt habe, seither zweifellos noch um Hunderte
von Millionen gestiegen sind. Allerdings, Herr Sektionschef Braun
hat sich darauf berufen, daß die Mehreinnahmen der Staatskassa
für Zwecke der Konsolidierung der schwebenden Schuld gebunden
sind. Wir müssen aber denn doch annehmen, daß ein führender
Vertreter des Finanzministeriums das Finanzgesetz gelesen hat
und daher weiß, daß sich diese Bindung nur auf die
Einkommen- und Erwerbsteuer sowie auf die Umsatzsteuer bezieht,
also nicht auf die Verbrauchssteuern, nicht auf die Zölle
und nicht auf die Tabakregie. Die Regierung hätte
also Geld in Hülle und Fülle zur Verfügung, nicht
um die Èechoslovakei in ein Paradies auf Erden zu verwandeln,
wohl aber um den dringendsten Notständen abzuhelfen und wenigstens
einige Forderungen der arbeitenden Menschen zu erfüllen,
nachdem man mit der Steuerreform, den Stabilisierungsbilanzen
und den Exportsteuerrefundierungen ein wahres Füllhorn über
die besitzenden Klassen ausgeschüttet hat. Statt dessen sehen
wir, daß die Regierungsparteien, unbelehrt durch ihre Niederlage
vom 2. Dezember 1928, auf dem alten Weg der sozialen und politischen
Reaktion weiterschreiten. Wohl versuchen sie, sich ein populäres
Mäntelchen umzuhängen, wohl versuchen sie durch die
ihnen dienstbare Presse, ihre angeblich sozialen Leistungen anzupreisen,
in Wirklichkeit ist aber ihre antisoziale Haltung dieselbe geblieben,
wie bisher. Vor allem gedenken die Agrarier keineswegs, von der
Ausnützung ihrer Vormacht im Regierungslager abzulassen.
Mit heuchlerischer Berufung auf die Not der Landwirtschaft bedrohen
sie die Lebenshaltung der konsumierenden Bevölkerung, bedrohen
sie unsere Handelspolitik mit ihren Zollforderungen. Gestern hat
der Herr Regierungschef eigentlich verhältnismäßig
wenig von der Landwirtschaft gesprochen. Er hat sich Zügel
angelegt, wahrscheinlich um sich nicht als Sprachrohr seiner Partei,
der Partei, die ihn auf diese Stelle entsendet hat, gleich in
der ersten Sitzung des Hauses, wo er sich vorstellte, zu erklären.
Er hat von der Notwendigkeit der Industrialisierung der Landwirtschaft
gesprochen, aber wenn man hinaus auf die Dörfer geht und
die kleinen Landwirte fragt, wie sich die Hilfe der Regierung
auswirkt, so hört man Dinge, die nicht darauf schließen
lassen, daß ein guter Wille bei den Agrariern vorhanden
sei, der Landwirtschaft als Ganzem aufzuhelfen. Das, was wir sehen,
ist eine Freunderlwirtschaft, ist Protektionismus für die
Großlandwirte, für diejenigen Herren, in deren Interesse
die große Agrarpartei wirkt, und es wird durchaus nichts
geleistet für all die kleinen Leute, für die eine solche
Hilfe notwendig wäre. Aber es läuft bei alledem, was
in Bezug auf die Hilfe der Landwirtschaft von den Agrariern gesagt
und unternommen wird, ein gutes Stück Demagogie mit unter,
denn die Außenhandelsstatistik lehrt, daß die Einfuhr
von Lebendvieh im Jahre 1928 zurückgegangen ist. Aber zugegeben,
daß unsere Viehzucht nicht konkurrenzfähig ist, sind
denn mechanische Zollerhöhungen wirklich das einzige Mittel,
um dem abzuhelfen? Wir haben sogar Ausführungen hervorragender,
auch agrarischer Fachleute des Auslandes gelesen, die das Gegenteil
behaupten. Sie meinen, daß uns solche Zölle nicht nützen,
sondern schaden u. zw. auch für die Zukunft. Aber warum ist
die Mehrheit, wenn sie um das Schicksal der Viehzüchter besorgt
ist oder so besorgt tut, über unsere Anträge zur Behebung
der Futtermittelnot kalt hinweggegangen? Warum wollen sich unsere
Agrarier just zur Einführung von Zucht- und Mastprämien
nicht verstehen? In der Schweiz, in jüngster Zeit aber auch
in Deutschland und Österreich, verlangen auch bürgerliche,
auch agrarische Kreise die Einführung von Handelsmonopolen
zur Bekämpfung der ausländischen Konkurrenz. Nur bei
uns beschränkt man sich ausschließlich auf den Weg
der Preissteigerung, die notwendigerweise zur Verschlechterung
der Lebenshaltung, zur Herabdrückung der Kaufkraft führen
muß und damit die Grundlage der Volkswirtschaft untergräbt.
Auf unsere handelspolitische Situation hat
diese agrarische Politik den unheilvollsten Einfluß ausgeübt.
Vor kurzem hat es ein offiziöses Jubelgeschrei gegeben, weil
uns Frankreich endlich die Meistbegünstigung gewährt
hat. Aber wenn man den Erfolg etwas näher ansieht und untersucht,
so findet man, daß es nichts, aber auch gar nichts bedeutet.
Frankreich verzeichnet eine Einfuhr in die Èechoslovakei
von 3.9% und eine Ausfuhr von 1.46%.
Also ein Minimum dessen, was überhaupt für unsere Handelsbilanz
in Betracht kommt, wird von Frankreich konsumiert. Dagegen beträgt
der Ausfuhrhandel mit Deutschland ca 20%, mit Österreich
etwa 16% und auch Jugoslavien weist diesbezüglich wesentlich
höhere Ziffern auf als Frankreich. Mit Deuschland aber und
mit Jugoslavien können wir noch immer nicht zu geordneten
Handelsbeziehungen kommen, die Handelspolitik unserer Regierung
hat eben vollständig versagt.
Dabei finden wir, daß nicht nur diese
Gründe in Betracht kommen, die gestern der Herr Regierungschef
als dafür verantwortlich hingestellt hat, sondern noch eine
ganze Reihe anderer Motive und vor allen Dingen ein Grund, zu
dem gerade seine Partei, die Partei der Agrarier, das wesentlichste
beigetragen hat. Weiter sehen wir, daß auch die sogenannten
christlichen Volksparteien gegen diese einseitige agrarische Politik
hie und da schüchtern aufzumucken wagen, daß sie aber,
wenn es zur Entscheidung kommt, ruhig alle Attentate auf die Lebenshaltung
der breiten Massen mitmachen, genau so, wie sie sich zu allen
antisozialen Gesetzen hergegeben haben, genau so, wie sie bei
der Behandlung des Wohnungsproblems hie und da von Mieterinteressen
reden, aber immer im Hausherrninteresse handeln. Es ist charakteristisch,
daß von diesem wichtigen Problem gestern in der Regierungserklärung
überhaupt nicht die Rede war. Wir müssen bei dieser
Gelegenheit auch unser Bedauern darüber aussprechen, daß
Herr Prof. Rauchberg, der immerhin einen sozialpolitischen Ruf
zu verlieren hat, nunmehr schon fast auf jenem Standpunkt angelangt
ist, der dem Mieterschutz die Schuld an der Wohnungsnot zuschiebt,
obwohl gerade er diesen Unsinn früher so temperamentvoll
bekämpft hat. Wir halten angesichts der Schwierigkeit der
Lohnkämpfe, angesichts der Hartnäckigkeit, mit der sich
die Unternehmer, insgeheim von der Regierung unterstützt,
den bescheidensten Forderungen der Arbeiter entgegenstellen, angesichts
der ungeheuren Notlage der breiten Massen des Volkes, das Spiel
mit dem Überwälzungsgedanken für höchst gefährlich,
ja geradezu für frivol. Es gibt zur Lösung des Wohnungsproblems
nur zwei Wege: Entweder man stellt die Rentabilität des privatkapitalistischen
Bauens wieder her, dann aber kommen wir nicht zu valorisierten,
sondern zu weit übervalorisierten Mietzinsen, welche die
arbeitenden Massen unmöglich erschwingen können. Oder
aber, nachdem dieser Weg nicht zur Beseitigung, sondern zu einer
katastrophalen Verschärfung der Wohnungsnot führt, es
wird aus öffentlichen Mitteln oder wenigstens mit öffentlicher
Unterstützung gebaut. Dann aber ist es, selbst wenn man auf
dem Standpunkt steht, daß die Mietzinse eine Erhöhung
vertragen, wirtschafts- und finanzpolitisch widersinnig, die Mittel,
die zu Wohnungszwecken verwendet werden könnten, dem Hausherrn
als arbeitslose Rente zuzuschanzen. Wir bestreiten den Anspruch
der Hauseigentümer auf Valorisierung ihrer Renten ganz und
gar. Alle Renten sind entwertet worden, warum sollte just die
Hausherrenrente eine Ausnahme machen? Was wir fordern müssen,
ist ein dauerndes Mietenrecht, das den sozial Schwächeren
schützt, und ausgiebige Bauförderung aus staatlichen
Mitteln, wobei, solange die Lebenshaltung sich nicht bessert,
von einer Erhöhung der Mietzinse keine Rede sein darf.