"Das Ende der Zarenherrschaft. Unsere
Revolution ist eine bürgerliche, deshalb müssen die
Arbeiter die Bourgeoisie unterstützen - sagen die nichtswürdigen
Politiker aus dem Lager der Liquidatoren.
Unsere Revolution ist eine bürgerliche,
sagen wir Marxisten, deshalb müssen die Arbeiter dem Volke
die Augen öffnen über den Betrug der bürgerlichen
Politiker, müssen sie lehren, den Worten nicht zu trauen,
sich nur auf die eigenen Kräfte verlassen, auf die eigene
Organisation, auf den eigenen Zusammenschluß, auf die eigene
Bewaffnung."
Aber auch das ist noch nicht genug. Auch Karl
Marx versucht man aus der Welt zu schaffen, Karl Marx, der wie
Lenin eingelebt und eingebürgert ist im Herzen des Proletariats.
Er soll durch den Rotstift des Staatsanwalts von Reichenberg einfach
aus der Geschichte des proletarischen Klassenkampfes gestrichen
werden. Ein Brief Karl Marx, an Kugelmann wird konfisziert. Der
Brief führt den Titel:. "Die Erhebung von Paris
1871" und lautet (ète):
"Wenn Du das letzte Kapitel meines "Achtzehnten
Brumaire" nachsiehst, wirst Du finden, daß ich als
nächsten Versuch der französischen Revolution ausspreche,
nicht mehr wie bisher die bürokratisch-militärische
Maschinerie aus einer Hand in die andere zu übertragen, sondern
sie zu zerbrechen; und dies ist die Vorbedingung jeder wirklichen
Volksrevolution auf dem Kontinent. Das ist auch der Versuch unserer
heroischen Pariser Parteigenossen. Welche Elastizitäten,
welche historische Initiative, welche Aufopferungsfähigkeit
in diesen Parisern! Nach sechsmonatiger Aushungerung und Verruinierung
durch inneren Verrat, noch mehr als durch den auswärtigen
Feind erheben sie sich unter preußischen Bajonetten, als
ob nie ein Krieg zwischen Frankreich und Deutschland existiert
habe, und der Feind nicht noch vor den Toren von Paris stehe!
Die Geschichte hat kein ähnliches Beispiel ähnlicher
Größe!... Diese feige Erhebung von Paris... ist die
glorreichste Tat unserer Partei seit der Juniinsurrektion. Der
Kampf der Arbeiterklasse mit der Kapitalistenklasse und ihrem
Staat ist durch den Pariser Kampf in eine neue Phase getreten.
Wie die Sache auch unmittelbar verlaufe, ein neuer Ausgangspunkt
von welthistorischer Wichtigkeit ist gewonnen."
Noch mehr! Ein im Wilhelminischen Deutschland von Rosa Luxemburg
am 18. März 1912 veröffentlichter Artikel, der anstandslos
im reaktionären Deutschen Reiche in der Presse erschienen
ist, findet hier im èechoslovakischen Staate
einen Staatsanwalt, (Výkøiky na levici.)
einen Zensor, der ihn streicht, um so die
Erinnerung oder die Darstellung der historischen Bedeutung der
Pariser Kommune den Arbeitern zu entziehen. Ich zitiere diesen
Artikel: "Märzenstürme". Von Rosa Luxemburg.
Erschienen in der "Gleichheit" am 18. März 1912
(ète):
"Wenn die Proletarier je im Wust der Tagespolitik
den Maßstab für große und kleine Dinge verlieren,
wenn sie je im Staube der öden Lebensstraße ermatten
und für einen Augenblick an ihrer Kraft verzweifeln sollten,
so gibt es ein sicheres Mittel, diese Stimmung zu überwinden,
es ist ein Blick auf die zurückgelegte Strecke ihres geschichtlichen
Weges, auf der wie große Marksteine die wichtigsten revolutionären
Waffengänge des Proletariats stehen. Die Arbeiterklasse hat
hat auch allen Anlaß, ihren geschichtlichen Erinnerungen
immer wieder ernste Aufmerksamkeit zu schenken. Sind sie doch
für uns das große Lehrbuch, das uns Wegweiser für
den weiteren Vormarsch gibt, aus dem wir lernen, alte Fehler zu
vermeiden und neue Illusionen zu zerstören. Denn nur durch
beständige Selbstkritik, durch das Besinnen auf sich selbst,
vermag die proletarische Masse ihren großen Klassenkampf
und ihre großen Ziele zum Siege zu führen. "Bürgerliche
Revolutionen", schrieb Marx vor 65 Jahren. "wie die
des 18. Jahrhunderts stürmen rascher von Erfolg zu Erfolg,
ihre dramatischen Effekte überbieten sich, Menschen und Dinge
scheinen in Feuerbrillanten gefaßt, die Extase ist der Geist
jedes Tages, aber sie sind kurzlebig, bald haben sie ihren Höhepunkt
erreicht und ein langer Katzenjammer erfaßt die Gesellschaft,
ehe sie die Resultate ihrer Drang und Sturmperiode nüchtern
sich aneignen lernt. Proletarische Revolutionen dagegen, wie die
des 19. Jahrhunderts, kritisieren beständig sich selbst,
unterbrechen sich fortwährend in ihrem eigenen Laufe, kommen
auf das scheinbar Vollbrachte zurück, um es wieder von neuem
anzufangen, verhöhnen grausam und gründlich die Halbheiten,
Schwächen und Erbärmlichkeiten ihrer ersten Versuche,
scheinen ihren Gegner niederzuwerfen, damit er neue Kräfte
aus der Erde sauge und sich riesenhafter ihnen gegenüber
aufrichte, schrecken stets von neuem zurück, vor der unbestimmten
Ungeheuerlichkeit ihrer eigenen Zwecke, bis die Situation geschaffen
ist, die jede Umkehr unmöglich macht und die Verhältnisse
selbst rufen: Hic Rhodus hic salta! Hier ist die Rose, hier tanze!
Der 18. März ruft zwei historische Ereignisse
in Erinnerung, die für die internationale Arbeiterklasse
wie zwei lodernde Fackeln die Strecke des letzten halben Jahrhunderts
beleuchten: die Revolution von 1848 und die Pariser Kommune von
1871. Die deutsche Revolution, die mit dem 18. März ihre
siegreiche Schlacht auf den Straßen Berlins geschlagen hat,
ist eine einzige große Lehre vom Bankerotte des bürgerlichen
Liberalismus. Am 18. März hatte die Arbeiterschaft mit Heldenmut
auf den Barrikaden die alte feudale Monarchie geschlagen, hatte
sie die Bahn gebrochen für eine freiheitliche demokratische
Entwicklung in Deutschland, für die deutsche Einheit, für
die deutsche Republik, für das allgemeine gleiche Wahlrecht
in Preußen. Was ist von alledem zur Wirklichkeit geworden?"
Ein weiterer Teil dieses Artikels ist ebenfalls
dem Zensor verfallen. Ich zitiere (ète):
"Nicht in luftigen Träumen von einer
politisch ausschlaggebenden Stellung im heutigen Staate, dank
irgendeiner plötzlichen Wendung der Umstände, kann die
Arbeiterklasse ihre Rechte erfechten, sondern lediglich in ständiger
revolutionärer Opposition gegen den Staat. Und wenn die Pariser
Kommune durch die leuchtende Spur ihres kurzen Daseins, wie ihres
heldenhaften Untergangs für immer ein Beispiel geblieben
ist, wie eine revolutionäre Volksmasse nicht vor der Ergreifung
der Macht zurückschrecken darf, auch wenn die Stunde der
Geschichte ihrer Macht weder Dauer noch Sieg beschieden hat, so
ist sie zugleich ein überragendes Denkmal der unversöhnlichen
Totfeindschaft zwischen der bürgerlichen Gesellschaft und
dem Proletariat, das ständig eingedenk eines tiefen Gegensatzes
zur gesamten Bourgeoisie nur im entschlossenen Kampfe gegen die
gesamte Bourgeoisie seine geschichtliche Mission zu erfüllen
vermag."
Aber noch weit interessanter ist, daß
der Zensor selbst einen bürgerlichen Revolutionär konfisziert
hat, St. Just, der mit seinen, "Wagt!" ebenfalls dem
Rotstift des Reichenberger Zensors verfallen ist. So weit ist
die Konfusion gediehen, daß ein Staatsanwalt selbst bei
den Worten eines bürgerlichen Revolutionärs zum Rotstift
greift. Der Artikel betitelt sich: "Wagt!" und lautet
(ète):
"Wenn die Regierung die Rechte des Volkes
verletzt, dann ist der Aufstand das heiligste Recht und die unerläßlichste
Pflicht für das Volk und für jeden Teil des Volkes.
Wer die Welt revolutionieren, wer das Wohl der Menschheit schaffen
will, darf erst im Grabe schlafen. Nur die schrecken vor der Schwierigkeit
der Lage zurück, die Angst vor dem Grabe haben. Ihr wollt
eine Republik. Wenn ihr nicht zugleich das wollt, was die Republik
ausmacht, dann wird sie das Volk unter ihren eigenen Trümmern
begraben. Was die Republik schafft, das ist die vollkommene Zerstörung
alles dessen, was ihr widerstrebt. Man beklagt sich über
die revolutionären Maßregeln, aber wir sind Gemäßigte
im Vergleich zu allen anderen Regierungen. Schonet die Aristokratie
und ihr bereitet 50 Jahre Kämpfe vor. Waget! Dieses Wort
umfaßt die ganze Politik unserer Revolution. Zerbrecht die
Partei der Rebellen, macht die Freiheit ehern, rächet die
Revolutionäre, die Opfer der Intriguen geworden sind, duldet
nicht mehr, daß es einen Unglücklichen, einen Armen
im Staate gibt. Diejenigen, welche eine Revolution machen, gleichen
dem ersten Seefahrer, der sich von seiner Kühnheit leiten
läßt. Eine Revolution, wie die unsere, ist kein Prozeß,
sondern ein Blitzstrahl auf alle Schurken."
Zum Schlusse muß ich aber noch auf eine
Konfiskation zu sprechen kommen und zwar in dem Gedicht unseres
Genossen Schiller Seff. In dem Gedichte "Die Buße"
sind die letzten fünf Verse dem Zensor verfallen. Sie lauten
(ète):
"Dann ist der Christus gar mein Schwager!
Und sind sie Gottes Töchterlein,
Dann wird mir Gott schon selbst verzeih'n.
Dann brauch ich Euch nicht mehr, Herr Pater,
Da ist ja Gott mein Schwiegervater!"
Bereits im Jahre 1872 hat Genosse Schiller
Seff eine achttägige Gefängnisstrafe für dieses
Gedicht und insbesondere für die letzten fünf
Verse abbüßen müssen. Und wir im èechoslovakischen
Staat hören ja so oft und ungezähltenmale, daß
wir uns entösterreichern nach allen Regeln der Kunst. Ich
glaube aber, daß die Dinge in Wirklichkeit so liegen, daß,
wenn Schiller Seff noch heute leben würde,
er vielleicht von den Herrschenden dieses Staates für dieses
Gedicht noch einmal büßen müßte, das in
der Art von Heine gehalten ist und daß sie es vielleicht
eines Tages auch erleben könnten, daß der Staatsanwalt
oder irgend ein Zensor versucht, aus Unkenntnis darüber,
wer Heine ist, Heine selbst zu konfiszieren. (Tak iest!) Wir
glauben, die Entwicklung der Dinge in diesem Staate geht dorthin,
daß der Zeitpunkt kommen wird, der vielleicht schon sehr
nahe ist, wo man die eigene Revolution von den eigenen Staatsanwälten
und Zensoren konfiszieren läßt. (Sehr gut!)
Wir müssen an den Herrn Justizminister
die Forderung richten, hier endlich einmal, da alles doch unter
seinem Protektorate geschieht und zu keiner Zeit in diesem Staate
so ungeheuer viel Konfiskationen und Zensuren vorgekommen sind
wie gerade jetzt, wo der Herr Minister Mayr-Harting das
Justizressort innehat, mit diesen Konfiskationen aufzuräumen.
Ich komme zum Schlusse, indem ich mich der
Worte von Kaiser Franz erinnere, der einmal gesagt hat: "Unsere
Zensur ist wirklich blöd". (Veselost na levici.)
Mit diesen Worten, die ein Spiegel für die Zensur- und
Konfiskationspraxis, im besonderen des Reichenberger Staatsanwaltes
sind, sowie der Zensur im allgemeinen, schließe ich in der
Überzeugung, daß die Arbeiterschaft im geeigneten Augenblick
ihren eigenen Rechnungsabschluß über alle diese Dinge
vorlegen wird und ihnen den Garaus macht, mit dieser Ausbeutergesellschaft
Schluß macht, Schluß macht mit dem Regime der Kapitalisten
und die Regierung der Arbeiter und Bauern aufrichtet. (Potlesk
komunistických poslancù.)