Wenn ich nun die Steuerreform hier überblicke,
so muß ich Ihnen gestehen, daß dem Regierungsentwurf
ein ganz wunderbarer Motivenbericht beiliegt. Dieser Motivenbericht
ist in seiner Ausarbeitung, wie ich vermute, zum großen
Teil die persönliche Arbeit des Herrn Finanzministers und
ist in seinem Aufbau wirklich ganz hervorragend. Aber eines muß
ich doch konstatieren. Ich habe gefunden, daß diese Theorien,
die für das Wirtschaftsleben ungemein passen würden,
in der Praxis sich nicht in dem Maße anwenden lassen und
angewendet werden, wie es der Motivenbericht verlangt und wie
es die Wirtschaft ebenso dringend brauchen würde. Ich muß
diese Konstatierung machen, weil ich sie für die nächsten
Gedankengänge brauche. Ich habe Ihnen erklärt, daß
das Exposée zum Budget den Standpunkt des Herrn Finanzministers
dahin manifestiert, daß es erklärt, trotz der Herabsetzung
der Sätze hoffe man die Einnahmen auf der Höhe zu erhalten,
und zwar durch die rigoroseste Einhebung. Das heißt mit
anderen Worten: "Die Steuerpflichtigen sind in einem Maße
unmoralisch, daß ich sie durch strenge Maßnahmen zur
Moral zwingen muß." Nun über das Kapitel der Steuermoral,
das ja eigentlich für die ganze Steuerreform von ausschlaggebender
Natur ist, sowohl bezüglich der Strafbestimmungen wie des
Verfahrens, kann man sich natürlich verschiedene Gedanken
machen. Der erste Gedanke wäre z. B. der: Du, Staat, wirst
sofort moralische Steuerträger in dem Moment haben, wenn
Du selbst als Staat moralisch bist, wenn Du als Ausgeber meiner
Steuern sie auch wirklich zweckmäßig und notwendig
ausgibt, alles wegläßt, was unnötig ist, was nicht
gebraucht wird. Dann muß aber auch auf der anderen Seite
das gegenseitige Vertrauen des Steuerpflichtigen zur Verwaltung
ausgebaut werden. Heute sieht die Finanzverwaltung im Steuerpflichtigen
in der Regel den Defraudanten und Betrüger, dem man mit vollem
Mißtrauen gegenüberzutreten hat, und umgekehrt kann
auch der Steuerpflichtige in seiner Behandlung den Administrationen
nicht jenes notwendige Vertrauen entgegenbringen, das für
den gegenseitigen Verkehr zwischen den beiden Parteien notwendig
wäre. Wenn das der Fall wäre, hätten wir über
die Steuermoral kein Wort zu sprechen, denn wie die Finanzwissenschaft
erklärt, ist es ein bekannter Satz, daß die Einkommensteuerlüge
einen schweren Begleiter hat, der in der Steuerunmoral und in
den durch den Steuerdruck notwendigen Erscheinungen besteht, die
diese Unmoral wieder zum großen Teile erzeugen. Nun bin
ich, so absurd es erscheinen mag, mit der Finanzverwaltung in
vollständigem Widerspruch, indem ich nämlich behaupte,
daß die Steuermoral generell kolossal gestiegen ist. Ob
speziell, ist eine andere Frage. Aber ich stelle die Behauptung
auf, daß die generelle Steuermoral immens gestiegen ist,
denn wenn sie nicht so gestiegen wäre, so wäre es gar
nicht möglich gewesen, daß der Staat so große
Einkünfte hätte haben können. Er wird sie zum großen
Teil auf die Institution der Revisionskommissionen zurückführen.
Darüber werden wir in der Debatte noch sprechen. Warum erkläre
ich das? Ich bringe die Hebung der generellen Steuermoral mit
dem Steuerdruck und der Steuerungleichmäßigkeit in
Verbindung und da behaupte ich, daß ein großer Unterschied
besteht zwischen persönlichem, sachlichem, örtlichem,
nationalem und internationalem Steuerdruck und der entsprechenden
Ungleichmässigkeit. Nun hören Sie zu! Unter der persönlichen
Beziehung verstehe ich Fälle der Bevorzugung besonderer Klassen.
So war die Landwirtschaft nach den gegebenen Gesetzen besser daran
als Handel, Gewerbe und Industrie. In sachlicher Beziehung meine
ich die Fälle der Doppelbesteuerung, die wir vielfach haben,
daß wir z. B. neben der Einkommensteuer und einer Ertragssteuer
auch noch eine zweite Ertragssteuer haben. Nehmen Sie den Beruf
der Agenten, die nicht nur die Einkommen- und Erwerbsteuer zahlen,
sondern noch die für sie nicht überwälzbare Umsatzsteuer
zahlen müssen. In örtlicher Beziehung ist der Steuerdruck
verschieden verteilt; wenn hier Vertreter der Slovakei sind, so
können Sie mir glauben daß dies kein Angriff sein soll,
was ich hier vorbringe, sondern die Konstatierung der reinen nackten
Wahrheit. Wir haben folgende Populationsquote: Böhmen hat
eine Populationsquote von 48.6%, Mähren hat eine
Populationsquote von 19.5%, Schlesien eine solche von
5%, Böhmen, Mähren und Schlesien zusammen also 73.1%;
die Slovakei hat 22.3% und Karpathorußland 4.6%,
beide zusammen also 26.9 %. Nun trägt zu den direkten
Steuern Böhmen 63%, Mähren 20% und Schlesien 4.7%
bei; Böhmen, Mähren und Schlesien tragen also 87.7%
zu den direkten Steuern bei, die Slovakei trägt 11.3
und Karpathorußland 1% bei. Das ist die Summe aller Staatssteuern,
die direkten Steuern, die Verbrauchssteuern, mit inbegriffen.
Die direkten Steuern betragen perzentuell: in Böhmen 63%,
in Mähren 23.8 %, in Schlesien 4.3%,
zusammen also 91.1%, während die Slovakei mit
Karpathorußland 8.9 % beiträgt. Man wird
mir sagen, daß die Steuertragfähigkeit von Karpathorußland
und der Slovakei nicht so groß ist, wie von Böhmen,
Mähren und Schlesien. Das weiß ich auch, aber ich behaupte,
daß bei einer Populationsquote von 26.9% der
Prozentsatz von 8.9 nicht der reinen Wirklichkeit entspricht.
Man beruft sich auf das Versagen der Administrative. Zugegeben;
aber, das ist natürlich kein Argument gegen meine Behauptung.
Wenn man die 91.1% von Böhmen, Mähren und
Schlesien als 100 annimmt, so stelle ich die Behauptung auf, daß
der Steuerdruck in nationaler Beziehung zu 50 % von der sudetendeutschen
Wirtschaft getragen wird, wiewohl die Populationsquote ungefähr
nur 23.5 bis 23.6% ausmacht. Hier haben
Sie die Ungleichmäßigkeit der Verteilung in nationaler
Hinsicht. In internationaler Hinsicht verweise ich darauf, daß
unser Steuersystem insbesondere bei der besonderen und allgemeinen
Erwerbssteuer uns gegenüber dem Auslande konkurrenzunfähig
macht, weil unsere Nachbarn im System der allgemeinen und besonderen
Erwerbssteuer bedeutend billiger sind. Nun sagen Sie mir, warum
kommt denn die Finanzverwaltung eigentlich dazu anzunehmen, daß
wir so schrecklich steuerunmoralisch sind. Da gibt eine Berechnung
des Herrn Finanzministers den Anlaß dazu. Der Herr Finanzminister
behauptet nämlich, daß das jährliche Nationaleinkommen
- bitte nicht mit Vermögen zu verwechseln - 60 Milliarden
beträgt und von diesem Nationaleinkommen nur ein Sechstel,
das sind 10 Milliarden, einbekannt werden. Infolgedessen bleiben
50 Milliarden übrig. Davon kommt natürlich ein großer
Teil auf jene Leute, die wegen des Existenzminimums keine Steuer
zu zahlen haben; und um den Rest wird der Staat betrogen, bemogelt,
es wird Defraudation betrieben? Ich weiß ganz genau, daß
es keinen Staat auf der ganzen Welt gibt, der bei den ausgefixeltesten
Steuergesetzen nicht mit Defraudation zu rechnen hätte. Das
existiert auf der ganzen Welt nicht und infolgedessen muß
die Finanzverwaltung von vorneherein mit einer Fehlergrenze rechnen.
Wie groß diese Fehlergrenze ist, ist natürlich eine
andere Frage. Nun bin ich der Sache nachgegangen und habe sie
nach bestem Wissen und Gewissen zu untersuchen getrachtet. Da
habe ich gefunden, nachdem mir doch statistisches Material nicht
derart zu Verfügung gestanden ist, daß man im Vergleiche
mit dem statistischen Material Deutschlands ungefähr zu dem
Schlusse kommt, daß das wirkliche Nationaleinkommen bei
uns unter normalen Verhältnissen 54 Milliarden ausmacht.
Ich habe dem Herrn Finanzminister auf die Brust gekniet
und habe ihm gesagt: "Herr, wie groß ist unser Nationaleinkommen?"
Und da hat er mir zugeben müssen, daß nach der Schätzung
des èechoslovakischen Staatsamtes oder nach einer provisorischen
Schätzung, das weiß ich jetzt nicht, das Nationaleinkommen
52 Milliarden beträgt, daß aber
eine kleine Fehlergrenze nach oben von 8 Milliarden angenommen
wird, so daß man zu 60 Milliarden gekommen ist. Die 8 Milliarden
kommen mir zu hoch vor, der Sprung von 52 auf 60 Milliarden ist
zu hoch. Infolgedessen wird natürlich die Berechnung eine
andere sein. Nun dürfte die Finanzverwaltung eine Berechnung
gemacht haben, indem sie gesagt hat, die Èechoslovakei
hat 131/2
Millionen Einwohner, 31/2 Millionen sind
steuerfrei und die anderen haben ein Minimum von 6000 Kronen.
So ist die Schätzung mit 60 Milliarden fertig. Nun habe ich
eine Analyse versucht, um der Sache beizukommen, ob sie stimmt.
Es wird mir erst widersprochen werden müssen, ob das stimmt
oder nicht. Ich habe bis jetzt gegen meine diesbezüglichen
Ausführungen im Budgetausschuß noch keinen Widerspruch
erfahren. Ich habe festgestellt, daß das Volkseinkommen
rund 54 Milliarden beträgt. Dort muß ich die Rechnung
beginnen. Der Betrag ist Bruttoeinkommen, während die 10
Milliarden, die die Finanzverwaltung annimmt, als Nettoeinkommen
einbekannt sind, also ist hier reichlich zwischen Brutto und Netto
ein Unterschied von 5.4 Milliarden, also 10%. Ich rechne,
daß ein Drittel aus dem Grunde des Existenzminimums befreit
wird, das sind 16.2 Milliarden, und rechne, daß
das einbekannte Einkommen nicht 10 Milliarden, sondern 25 Milliarden
ausmacht. Da hat sich die ganz köstliche Geschichte ergeben,
daß der Herr Finanzminister auf dem Standpunkt steht, das
einbekannte Reineinkommen betrage 10 Milliarden. Er geht davon
aus, daß im Motivenbericht für das Jahr 1920 9.939,085.000
angegeben worden ist. Nun habe ich aber im Motivenbericht gefunden,
daß das einbekannte und versteuerte Reineinkommen für
1920 mit 19.653,000.000 angegeben worden ist. Man hat mir gesagt,
das sei ein Fehler und entspricht nicht der Wahrheit, aber ich
habe den Beweis der Unrichtigkeit noch nicht erhalten, infolgedessen
gehe ich nicht zuweit, wenn ich sage, daß das einbekannte
Einkommen 25 Milliarden ausmacht. Wenn ich jetzt die Fehlergrenze
rechne, nämlich, was unterschlagen werden kann, so ergibt
da auch 10%, also 5.4 Milliarden, so ergibt sich für
mich ein Manko von 2 Milliarden. Ich kann mich um eine Milliarde
mehr oder weniger geirrt haben, das spielt keine Rolle. Aber ich
will den Nachweis dafür erbringen, daß der Standpunkt
der Finanzverwaltung nicht richtig ist, daß mit einer derartigen
Maßnahme der Steuerunmoral begegnet werden kann. Man kann
mir auch das widerlegen, indem man sich auf den Standpunkt stellt,
daß ich Bruttomit Nettoeinkommen verwechsle. Nun habe ich
eine zweite Rechnung gemacht. Ich gehe wieder von 54 Milliarden
aus. Das einbekannte Einkommen beträgt 25 Milliarden: nicht
versteuerte Einkommen, weil unter das Existenzminimum fallen:
zu diesen zähle ich die besteuerten Haushalte in den historischen
Ländern mit ungefähr 1,300.000, in der Slovakei und
in Karpathorußland dürfte der Prozentsatz niedriger
sein; ich nehme sie mit 300.000 an. Laut Statistik beträgt
die Summe der Haushalte 1,600.000, und wir haben gegenüber
etwa 3,400.000 unbesteuerten Haushalten etwa 1,800.000 besteuerte.
Rechne ich sie zu vier Personen, so erhalte ich 7,200.000. Rechne
ich die Lebenshaltungskosten per Person mit 3000 - weniger geht
wohl nicht so gibt das zusammen 21.6 Milliarden. Wenn
ich jetzt 10% als Regie, Steuern und Versicherung abrechne, so
kommen wir auf den Betrag von 48.6 Milliarden inkl.
nicht besteuerte Haushalte; abzügl. 5.4 Milliarden,
bleibt wieder der Betrag von 2 Milliarden übrig als Fehlergrenze.
Ich hoffe damit auch den Nachweis erbracht zu haben, daß
die Finanzverwaltung keine Ursache hat, die Steuerpflichtigen
so anzusehen und auch zu behandeln; und gerade auf dieses Argument
baue ich meine Folgerung auf, daß die strengen Strafbestimmungen
und das Verfahren nicht am Platze sind. Nun gehe ich weiter. Wenn
ich ein Bild darüber haben will, wie sich eigentlich das
Steuersystem in den direkten Steuern für mich darstellt,
so muß ich verschiedene Untersuchungen machen. Ich habe
mir zu diesem Zwecke das nicht besonders schöne Vergnügen
geleistet, die Budgets seit -919 zusammenzustellen und die direkten
Steuern seit 1898 zusammenzurechnen. Das hat für mich Resultate
gebracht, die natürlich wieder andere Schlüsse zulassen.
als zu welchen die Finanzverwaltung kommt. Ich habe mir erlaubt,
meinen Kollegen, den Journalisten, Tabellen vorzulegen, laut welchen
ich diese Schlüsse ziehe. Ich möchte Sie um die Liebenswürdigkeit
bitten, diese Tabellen einen Moment zur Hand zu nehmen, die ich
hiemit vorlege, Tabelle I, Il und III:
Abgang 12.811,495.977 | |||
Durchschnitt 16.298,160.172 | Einwohnerzahl 13.5 | ||
pro Kopf 10.865.44 | |||
pro Jahr 1.207.27 | |||
Die Ziffern verstehen sich ohne Nachtragsbudget, Investitionen, und ohne Staatsschulden, von welch letzteren in den Budgets bloß der Zinsen- und Amortisationsdienst enthalten ist. |
Jahr | ||||||||
Grundsteuer | Gebäudesteuer | Allgemeine Erwerbsteuer | Besondere Erwerbsteuer | Rentensteuer | Einkommensteuer | Tantiemensteuer | Zusammen | |
1914 | 23,842.356 | 32,699.810 | 12,991.642 | 31,487.777 | 4,953.141 | 33,560.146 | 444.529 | 139,979.401 |
1915 | 26,272.350 | 34,477.657 | 13,090.556 | 34,269.376 | 5,285.039 | 37,978.322 | 563.431 | 151,936.731 |
1916 | 41,872.784 | 35,940.525 | 15,741.365 | 30,628.108 | 6,084.196 | 59,579.532 | 980.529 | 190,827.039 |
1917 | 52,041.489 | 41,113.267 | 28,083.736 | 52,156.535 | 10,383.245 | 126,728.905 | 1,710.463 | 312,217.639 |
1918 | 67,904.288 | 50,967.803 | 52,970.193 | 63,420.669 | 13,067.348 | 168,412.867 | 2,497.686 | 419,241.854 |
1919 | 69,500.418 | 56,773.325 | 64,950.921 | 71,806.603 | 14,527.530 | 220,630.385 | 2,745.019 | 500,934.201 |
1920 | 111,021.084 | 54,380.333 | 136,136.723 | 91,368.339 | 21,011.058 | 358,523.708 | 6,295.801 | 778.737.046 |
1921 | 161,158.120 | 43,380.147 | 190,934.860 | 193,776.544 | 39,650.339 | 622,112.397 | 13,047.145 | 1.244,059.552 |
1922 | 107,088.500 | 42,197.965 | 180,851.360 | 217,923.266 | 51,208.955 | 663,341.290 | 18,635.250 | 1.281,246.586 |
1923 | 107,777.113 | 51,075.877 | 210,708.711 | 235,943.774 | 68,844.050 | 995,180.054 | 16,100.147 | 1.683,413.908 |
1925 | 76,069.491 | 60,467.975 | 197,793.386 | 280,525.712 | 68,201.462 | 1.247,462.844 | 17,255.708 | 1.947,776.578 |