Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich
müßte ich sagen, meine geehrten leeren Bänke,
denn der Betrieb, der in diesem Hause bei einer sonstigen Frequenz
von 300 Abgeordneten herrscht, ist zum Staunen. Man müßte
meinen, daß die Bedeutung des wirtschaftlichen Themas und
Problems, das uns vorliegt, ein Interesse erwecken müßte,
das uns bekundet, daß das Parlament nicht eine Farce ist,
nicht eine Abstimmungsmaschinerie. Ich muß erklären,
daß allerdings durch dieses Verhalten meine sehr geehrten
Herren Kollegen damit das Parlament eigentlich als diese Abstimmungsmaschinerie
dokumentieren. Es ist nicht ganz verantwortlich, daß man
einer so großen Frage, wie es die Steuerreform ist, so interesselos
gegenübersteht, ist es doch eine Reform, ein Problem, das
in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung bis in das Innerste
des Einzelnen und der ganzen Gesellschaft hineingreift. Ich kann
es mir nicht versagen, diese Konstatierung zu machen, und es ist
mir auch nicht zu verargen. Ich hoffe, daß der weitere Verlauf
der Debatte vielleicht doch eine regere Beteiligung mit sich bringt,
um möglicherweise Änderungen herbeizuführen, die
allen als notwendig einleuchten. Allerdings muß ich bei
dieser Frequenz hauptsächlich meine Worte in das stenographische
Protokoll diktieren, denn die, die gleichen Sinnes sind, verlassen
sich darauf, daß ich das Notwendige vorbringe und die, die
es eigentlich angeht, sie fehlen, und die Vertreter der Finanzverwaltung
sind hartleibig und müssen unter ganz anderen moralischen
Druck und andere Frequenz gesetzt werden. Ich kann mir nicht verhehlen,
bei diesem Bilde des Hauses müßte sich eigentlich die
Finanzverwaltung mit vollem Rechte getrauen können, die 10fache
Steuer vorzuschreiben, ehe die Volksvertreter in derartige Bewegung
gesetzt würden, wie es notwendig ist.
Als erfreuliches Zeichen habe ich dem Berichte
des Herrn Generalberichterstatters Dr. Hnídek die
Erklärung entnommen, daß die Vorlage von ungeheuer
großer wirtschaftlicher Bedeutung ist und daß das
wirtschaftliche Leben im Zusammenhang steht mit dem politischen,
mit anderen Worten, daß das politische Leben zerfällt,
wenn das wirtschaftliche zerfällt. Das ist meines Er achtens
ein Fortschritt, der von ziemlich großer Bedeutung ist,
indem man nämlich im Parlamente zur Ansicht zu kommen scheint,
daß es nicht angeht, nur rein politische oder rein nationale
Fragen zu erledigen, sondern daß man auch wird daran denken
müssen, an wirtschaftliche Probleme mit Verständnis
heranzugehen. Und da hat mir ein Artikel ungemein gut gefallen,
den Günter Stein im "Berliner Tageblatt" vom 29.
April 1927 (Nr. 200) gebracht hat. Er erklärt dort, daß
die Wirtschaft überall in den Vordergrund des allgemeinen
Denkens und Handelns tritt. Natürlich wird jener Staat, bei
dem diese Denkweise zuerst eintritt und sich vordrängt, in
den Vordergrund kommen. Er erklärt aber weiter, was bezeichnend
ist, daß das Gehirn der Wirtschaft nicht in gleichem Maße
gewachsen ist wie ihr Körper und ihre Aufbau- und Zerstörungskraft.
Am deutlichsten tritt diese Tatsache in Erscheinung, wenn man
die Parlamentsdebatten über wirtschaftliche Probleme - und
welche politischen Fragen haben heute nicht wirtschaftlichen Charakter!
- in Deutschland, England oder Frankreich verfolgt. Überall
erweist sich die große Mehrzahl der Abgeordneten, die in
rein politischen und verwaltungstechnischen Dingen ihren Aufgaben
als Volksvertreter gewachsen sein mögen, in Bezug auf wirtschaftliche
Probleme als mehr oder weniger urteilsunfähig und selbst
unter den übrigen ist in allen Ländern eine souveräne
Beherrschung der ökonomischen Materie oder gar die Fähigkeit
und Bereitwilligkeit zu wirtschaftlicher Führerschaft eine
äußerst seltene Erscheinung, die überdies bedauerlicher
Weise fast nie mit der zu ihrer Auswirkung genügenden Macht
gepaart ist. Und daraus zieht er den Schluß, daß die
Regierung von dieser in politischen, meinetwegen auch in kulturellen
Dingen vorhandenen Macht beeinflußt ist und danach auch
die wirtschaftlichen Geschicke lenken muß. Meine Herren!
Dieser Satz gibt uns kolossal viel zu denken und wird natürlich
in den Vordergrund treten müssen, weil wir durch die Lage
der Verhältnisse, durch die Notlage, gezwungen sein werden,
in unserem Denken eine vollständige Umstellung vorzunehmen.
In dieser Beziehung reifen die Gedanken bei den einzelnen Parteien
schon. Schauen wir uns die Entschlüsse der èechischen
Sozialdemokraten an. Sie stehen heute auf dem Standpunkte, daß
der Senat überflüssig ist und daß man sich eines
Wirtschaftsparlamentes an seiner Stelle bedienen soll. Das ist
richtig, meine Herren, es bedeutet aber auch gleichzeitig die
Erkenntnis, daß unser vorhandenes Parlament diesen Verhältnissen
noch nicht gewachsen ist. Infolgedessen, weil ich immer das ein
zusammenhängendes Ganzes bildende Dreigestirn vor mir habe:
nationalkulturell, wirtschaftlich, werden wir trachten müssen,
uns auch in diese Bahn hineinzufinden; dann, glaube ich, wird
auch der Weg für uns ein besserer werden.
Ich habe Ihnen schon anläßlich der
Steuerdebatte im Budgetausschuß eine Aufklärung über
das Wirtschaftsleben versprochen. Ich bin leider noch nicht dazu
gekommen. Wenn ein Thema eine solche Besprechung der Wirtschaft
er fordert, so ist es ganz bestimmt die Reform der Steuern; und
das ist nicht nur an und für sich notwendig, sondern speziell
auch durch die Belastung, die gerade die Steuern dem Wirtschaftsleben
aufbürden. Wenn ich nun in erster Linie die Absicht habe,
eine Wirtschaftsdebatte abzuführen, so möchte ich Sie
vor allem daran erinnern, daß z. B. größtenteils
Ihre Orientierung nach Frankreich geht. Das entspricht dem Gefühl
der Dankbarkeit; ferner daran, daß wir das Gebilde der Kleinen
Entente haben, die ursprünglich den Zweck hatte, Deutschland
unter Kontrolle zu setzen, eventuell auch zu verhindern, daß
in Ungarn ein König kommt. Die Zeiten haben sich in dieser
Beziehung geändert und vielleicht hat sich das Vorgehen unserer
Außenpolitik als nicht ganz richtig erwiesen. In der Besprechung
des Wirtschaftslebens muß ich Ihnen erst den Blick noch
erweitern, indem ich Sie bitte zu beachten, welchen Einfluß
die Vereinigten Staaten von Amerika auf das europäische Wirtschaftsleben
ausüben. Ich muß Sie an die Verhältnisse in Asien,
in Rußland erinnern und andererseits natürlich an die
Notwendigkeit des wirtschaftlichen Zusammenschlusses der einzelnen
Volkswirtschaften, wenigstens in den Hauptbelangen. Ich meine
damit nicht unbedingt den Begriff von Paneuropa, wie er bereits
geschaffen worden ist, sondern aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten
muß dieser Gedanke geboren werden. Diese allgemeinen Richtlinien
müssen da sein und wir müssen da noch weiter gehen.
Wir unterscheiden verschiedene Staaten hinsichtlich der Auffassung
des Nationalitätenproblems. Wir haben reine Nationalstaaten,
die eigentlich Kämpfe in dem Sinne, wie sie andere Staaten
führen, nicht kennen. Wir haben Staaten, die in diesem Belange
konsolidiert sind, wir kennen auf der anderen Seite wieder Nationalitätenstaaten,
die aber den Kampf als solchen ausschalten - ich nenne das Beispiel
der Schweiz - und wir haben schließlich Nationalitätenstaaten,
die die Reibungsflächen zwischen der herrschenden Nation
und den Minderheiten nicht ausschalten konnten. Dieses Moment
bedarf der Erwähnung, weil es imstande ist, die wirtschaftlichen
Verhältnisse zu beeinflussen.
Noch ein anderes Moment, das in der Regel Beachtung
findet, ist die Regierungsform der verschiedenen Staaten. Da möchte
ich als einzige das Wirtschaftsleben wirklich beeinflussende Regierungsform
die Diktatur nennen, gleichgültig ob sie von rechts oder
links kommt. Sie ist jedenfalls eine außergewöhnliche
Regierungsform, die auf der Gewalt aufgebaut ist und gewöhnlich
nicht mit einer langen Dauer zu rechnen hat. Meines Erachtens
ist sie für die Wirtschaft als solche nicht ersprießlich,
gleichgültig, ob sie von rechts oder links kommt, weil sie
in der Regel Extreme darstellt und in diesen Extremen andererseits
wieder naturgemäß Unterdrückungen auslöst.
Wir brauchen uns da nur einerseits Sowjetrußland anzusehen
mit der Linksdiktatur, auf der anderen Seite Italien, wenn auch
ein König hier ist, mit der ausgesprochenen Rechtsdiktatur,
weiters Spanien, Portugal. Polen, Griechenland usw., mit wechselnder
Diktatur. Dann sehen wir wieder Staaten mit festen, bewährten
Regierungsformen, z. B. Belgien, Frankreich, und schließlich
sehen wir den großen Wirtschaftskörper Deutschland,
das unter der Depression noch ungeheuer leidet, andererseits aber
den Eindruck des allmählichen Aufstieges macht, natürlich
eine Warnung für die ganze Umgebung. Diese allgemeinen Erwägungen
mußte ich vorausschicken, weil die erwähnten Momente
imstande sind, die einzelnen Volkswirtschaften ungemein zu beeinflussen.
Auf das Außenpolitische komme ich diesbezüglich noch
zu sprechen.
Ich will mich nun unserem Staate selbst zuwenden
und führe ganz kurz aus, daß nach dem Zerfall der Österreichisch-ungarischen
Monarchie sich diese in verschiedene Kleinstaaten auflöste
und aus ihr auch die Èechoslovakei hervorging. Daß
sich die damaligen Machthaber nicht ganz auf den reinen Nationalstaat
stellten, ist natürlich, weil die wirtschaftliche Zusammensetzung
abgesehen von der geographischen Lage es erforderte,
daß man auch die Minderheiten dazu nahm, weil sonst die
entsprechende Gewährleistung für das wirtschaftliche
Gedeihen des Staates nicht gegeben gewesen wäre. Das fand
seinen Ausdruck sowohl in Memoire III, das dem Friedensdokument
von St. Germain zugrunde lag, wir finden es ausgedrückt in
Masaryks "Weltrevolution", wir finden
es ausgedrückt durch maßgebende èechische Politiker
und in vielen Interviews, die mit Masaryk
gemacht werden. Also muß es
wahr sein und bringt man es auch zum Ausdruck, daß Sie in
ihrer Gestaltung, wie Sie sich den Staat schufen, in den Grenzen
sich wirklich ein Wirtschaftsgebiet gestalteten, das bei vernünftiger
Führung desselben meiner Ansicht nach das konsolidierteste
Gebilde Mitteleuropas hätte werden können, aus dem ganz
einfachen Grunde, weil Sie ja eigentlich schon alles vorfanden
und ein ungeheures Erbe antraten. Sie haben ungefähr 65%
der österreichischen Industrie übernommen, von der Textilindustrie
allein 80%, Sie haben ungefähr die Hälfte der Landwirtschaft
bekommen, Sie haben die Naturschätze an Kohle und Mineralien
erhalten und, was nicht zu unterschätzen ist, eine kolossal
arbeitsame und sparsame Bevölkerung. Also die Vorbedingungen
waren für alles gegeben. Nun hätte man meinen müssen,
daß ein Schritt der Vernunft zur entsprechenden Behandlung
der ganzen Sache geführt hätte. Sie hatten zwei Möglichkeiten.
Entweder sich auf den Standpunkt der unbedingten Gleichberechtigung
zu stellen, d. h. Sie erklären alle Bürger des Staates
welcher Nation immer in allen Rechten und Pflichten gleichberechtigt.
Dann wären Sie - ich betrachte das objektiv von Ihrem Standpunkt
aus - auf das System der Schweiz gekommen. Sie haben ein anderes
System gewählt. Sie haben sich auf den reinen Nationalstaat
eingestellt und sich gedacht, als herrschende Nation die Minderheiten
vielleicht doch besser unterdrücken zu können oder sollen.
In diesem Gedankengang unternahmen Sie Ihre Maßnahmen, die
ich ganz kurz anführe, bezüglich des Einflusses auf
Gemeinde, Bezirk und Land, auf die Entlassung der Beamten, die
Behandlung der Arbeiter und Pensionisten, die Sprachenfrage -
die Sprachenverordnungen - auf die Schule, Lehrer usw. Dieses
Moment mußte ich zur Vervollständigung des Bildes anführen,
weil es von wirtschaftlicher Bedeutung ist. Ihre ganze Auffassung
bezüglich der Minderheitsschulen wenigstens ist so weit gegangen,
daß Sie solche unter ungeheurem Kostenaufwand er richtet
haben an Orten und Stellen, wo Sie nicht einmal èechische
Kinder zur Verfügung hatten, mit einem Wort aus reinen Prestigegründen.
Ich erinnere in wirtschaftlicher Beziehung an die Behandlung der
Kriegsanleihefrage, an die Behandlung der Geldanstalten und an
die Vermögensabgabe, an die Steuern, an
die Behandlung der sozialen Lasten, an die Behandlung der Lieferungsaufträge,
an die Bodenreform, an Marienbad, an die Wälderverstaatlichung,
an das Militär, Bahnen, Schutzgesetz usw.
Ich habe mich immer gefragt, wieso es möglich
gewesen ist, daß dieses ganze System vorherrschen konnte.
So habe ich mir als ehrlicher Mann eingestanden, daß es
nur möglich war bei einem so druchdringenden Nationalgefühl
Ihrerseits, vor dem ich, ich muß es ganz offen gestehen,
die allergrößte Hochachtung habe: und ich hegte immer
den Wunsch, daß wenigstens 50 % meiner Landsleute von derselben
Liebe zu ihrem Volke durchdrungen wären. Dann wäre es
vielleicht schon zu einem Verhältnis der gegenseitigen Achtung
gekommen. Dieses Verhältnis, aufgebaut auf dem Sie durchdringenden
Nationalgefühl ließ Sie nun diese Maßnahmen treffen,
weil Sie ausgesprochene Schwäche und ausgesprochene Zerrissenheit
und Zerfahrenheit bei den Minderheiten vorfanden. Allerdings muß
ich Ihnen ehrlich erklären, daß unbedingt der Zeitpunkt
von selbst kommen mußte, wo Sie dieses System zumindest
hemmen, bezw. einstellen mußten. Sie haben Ihre ganzen Maßnahmen
in einer Koalition durchgeführt, die an und für sich
in der Zusammensetzung nicht den natürlichen Voraussetzungen
entspricht. Ich kann Ihnen ehrlich erklären, daß ich
absolut ein Freund des Mitteldings bin und absolut nichts dagegen
einzuwenden habe, wenn sich bürgerliche und sozialistische
Kreise auf einer Mittellinie begegnen, weil ich von der Ansicht
ausgehe, daß in allen Forderungen und Belangen eigentlich
beide Gruppen, wenn wir sie nach diesem Gesichtspunkte betrachten,
ungemein viel Berührungspunkte haben. Gegensätze müssen
natürlich bestehen, denn sonst müßten wir gegenseitig
eingestehen, daß z. B. der Kommunist ein Bürgerlicher
sei oder umgekehrt usw. In diesen Gegensätzen wollen wir
uns jederzeit sachlich bekämpfen, aber in den Punkten, die
uns gemeinsam berühren, spielt es gar keine Rolle, wenn zwischen
uns das beste Einvernehmen herrscht. Eines ist freilich zu bemängeln,
daß diese Zusammensetzung eigentlich von der Forcierung
der nationalen Forderungen ausging. Dadurch mußten natürlich
gegenseitige Zugeständnisse gemacht werden. Es trat eine
Situation ein, es kam der Moment, wo man sich sagen mußte:
So kann das nicht weitergehen. Auf der anderen Seite finden Sie
die Bereitwilligkeit eines großen Teiles der Vertreter der
Deutschen und der anderen Minderheiten, an der Lenkung der Geschicke
des Staates teilzunehmen.
So ist in großen Zügen die Situation
und ich glaube, daß ich nicht weiter darüber sprechen
muß, ich mußte dies nur zur Vervollständigung
des Bildes anführen.
Wenn ich mich nun den eigentlichen Wirtschaftsproblemen
zuwende, so möchte ich in erster Linie etwas über die
Weltwirtschaft und die Weltwirtschaftskrise sagen, weil gerade
unser Staat von der Weltwirtschaft besonders abhängig ist
und viel mehr als ein anderer Staat auch durch Krisen berührt
wird. Wir hatten vor dem Kriege eine halbwegs geordnete Weltwirtschaft,
in der sich die Zusammenhänge gegenseitig ergänzten
und Erzeugung, Handel und Konsum in einem bestimmten Verhältnis
standen. Jeder Krieg natürlich, besonders aber ein Krieg
von der ungeheueren Bedeutung des Weltkrieges, muß auch
in das Wirtschaftsleben eine ungeheuere Revolution und Umstürzung
bringen. Diese Umstürzung ist zum Teil verursacht durch den
Übergang von der Kriegswirtschaft auf die Friedenswirtschaft,
zum Teil durch die Gründung neuer Staaten, wie wir dies speziell
in Mitteleuropa beobachten konnten, durch Entstehung kleiner Staaten,
die wieder schon durch den Dünkel der vollkommenen Selbständigkeit
die Gründung neuer Industrien bedingten. Diese neuen Industrien,
mochten sie noch so klein sein, verlangen einen ungeheueren Zollschutz.
Die einzelnen Staaten umgaben sich also mit ungeheueren Zollmauern.
Auf der anderen Seite finden wir die vollständige Ausschaltung
Rußlands mit seinen ungezählten Millionen Einwohnern,
das für den europäischen Markt als kolossales Absatzgebiet
in Betracht kommt. Wir sahen das ungeheuere Reparationsproblem,
die Reparationsschulden, die den besiegten Staaten aufgeladen
wurden und die vollständige Verschuldung Europas an Amerika,
wofür ich Ihnen noch ein paar Bei spiele anführen werde.
Wir sahen die Unstabilität der Währung, die Unproduktivität
der Ausgaben für Rüstungen, die ungeheueren Steuern,
den Absatzmangel, der dadurch eingetreten ist, daß infolge
der Verarmung der Völker der Konsum abnahm. Das sind die
Momente, die ungefähr die Weltwirtschaft in ihren Krisenerscheinungen
nach dem Kriege charakterisieren.
Um Ihnen ein Beispiel zu geben, unter welcher
Abhängigkeit heute Europa von Amerika steht, müssen
wir einmal die Frage des Geldwesens, bzw. des Kapitals, das Amerika
zur Verfügung steht, prüfen. Dafür ist mitentscheidend
die Berechnung und die Statistik über das Volksvermögen
des Landes und die Prosperität seiner Wirtschaft. Wenn sie
gestern die Zeitung gelesen haben, können Sie sich ein ungefähres
Bild davon machen, daß Amerika heute an Zinsen und Amortisationsquoten
von seinen Schuldnern ungefähr eine Milliarde Dollar zu bekommen
hat. Es kann mich natürlich nicht befriedigen oder mir irgendwie
das Problem günstiger erscheinen lassen, daß Europa
nicht der Hauptschuldner ist, daß Südamerika das Doppelte
und Kanada ungefähr dasselbe wie Europa schuldig ist. Es
bleibt natürlich trotzdem für Europa noch immer eine
ungeheuere Schuldensumme an Amerika übrig, ungefähr
11 bis 12 Milliarden Dollar. Für die Entwicklung Amerikas
kennzeichnend ist es, daß sein Volksvermögen im Jahre
1872 30 Milliarden Dollar, 1890 65 Milliarden, 1912 186 Milliarden
und 1920 320.8 Milliarden Doll. geschätzt wurde.
Großbritannien steht demgegenüber mit 40 Milliarden
im Jahre 1872, 53.4 Milliarden im Jahre 1890, 72.3
Milliarden im Jahre 1912 und 88.8 Milliarden im Jahre
1920. Frankreich in den entsprechenden Jahren: 33, 43.8,
57.1, 67.7 Milliarden. Und nun hören
Sie: Deutschland: 38, 49.5, 75 und 35.7!
Da haben Sie das Bild der kollossalen Verarmung Deutschlands und
der besiegten Staaten durch den Krieg, indem das Volksvermögen
Amerikas auf 320.8 Milliarden angewachsen und das Deutschlands
auf 35,7 Milliarden gesunken ist. Das ist natürlich von ungeheurer
Bedeutung und führt Ihnen das noch besonders klar vor Augen,
wenn Sie bedenken, in welchem Tempo und Ausmaß die Produktion
Amerikas zugenommen hat. Wir sehen den Wert der industriellen
Produktion Amerikas folgendermaßen steigen: im Jahre 1860
1,886 Millionen, im Jahre 1910 bereits 21.847 Millionen im Jahre
1922 28.422 Millionen. Diese Ziffern sind natürlich durch
die Verhältnisse der Nachkriegsjahre noch wesentlich gestiegen.
Nachtragen will ich noch, daß man das Volksvermögen
Amerikas heute auf 450 Milliarden Dollar schätzt.
Ein weiteres Moment ist folgendes: Amerika
war natürlich unter diesen Verhältnissen in der Lage,
als Geldgeber für Europa zu dienen und es hat auch Europa
diesbezüglich ziemlich versorgt. Wie sahen die Dinge vor
dem Kriege aus? Bis April 1917 hatte Amerika Folgendes zu bekommen:
von Großbritannien 1131.4 Millionen Dollar, von
Frankreich 736.7 Millionen, von Rußland 148.5
Millionen, von Italien 25 Millionen. Zusammen von den Ententestaaten
2.041.6 Millionen Dollar. Nun kommt der springende
Punkt. Deutschland schuldet Amerika 20 Millionen, also im Vergleich
zu England ungefähr 1/50. Das ist die
Ursache, warum Amerika in den Krieg eintreten mußte auf
Seiten der Entente. Es wäre sonst um sein Geld gekommen.
Da ist natürlich auch auf der anderen Seite wieder das schwerwiegende
Moment der ungeschickten Diplomatie der Zentralmächte, daß
sie es nicht verstanden haben, ihrerseits Amerika für sich
zu interessieren. Sonst hätte der unselige Krieg niemals
diese Ausdehnung nehmen können. Wie sieht es nach dem Kriege
aus? Da schulden die Siegerstaaten im Jahre 1919 an Amerika 9.630
Millionen Dollar. Amerika hat sich durch diese Anleihen, wie ich
Ihnen jetzt gezeigt habe, die Siegerstaaten untertänig gemacht.
Dazu kommt, daß Amerika auch Deutschland vertrauensvoll
mit in den Kreis der Schuldner aufgenommen hat, so daß es
nun diese ganze Kette der einzelnen Volkswirtschaften Europas
geschlossen hat. Heute ist Amerika in der Lage, zu kommandieren
und hat Europa nicht als Konkurrenten, es hat als Konkurrenten
lediglich vielleicht Japan, indem die Wirtschaft Japans mit Lieferungen
für die Philippinen usw. Amerika ungemein hart an den Leib
rückt. Sie sehen, daß infolge dieser Verhältnisse
Amerika für das Wirtschaftsleben Europas bestimmend ist;
und dazu kommt noch die ungeheuere Bedeutung des Umstandes, daß
Amerika durch seine forzierte Produktion in der Lage ist, heute
in vielen Artikeln Europa Konkurrenz zu machen. Amerika liefert
z. B. heute schon Strümpfe nach Norwegen, Schweden und Dänemark
billiger als sie Chemnitz liefern kann; dasselbe sehen sie in
Automobilen usw. Nun stellen Sie sich die Situation vor! Warum
sage ich das? Weil eigentlich bei allen maßgebenden Wirtschaftlern
sämtlicher Einzelvolkswirtschaften der Gedanke kommen muß:
Wenn die Volkswirtschaften Europas sich nicht besinnen, dann müssen
sie in die vollständige Knechtschaft und Sklaverei Amerikas
kommen, und da gibt es nur eine Rettung: das ist der wirtschaftliche
Zusammenschluß, oder wenn nicht Zusammenschluß, eine
Annäherung, wenigstens in den Hauptbelangen, ob Handelsverträgen
oder Zöllen oder wie immer. Sie mögen sich vielleicht
denken, daß ich damit zu weit ausgreife. Das ist nicht wahr,
denn die Gefahr liegt näher, als wir alle zusammen ahnen.
Wir haben auf der einen Seite Amerika mit dem kollossalen Druck
auf Europa und auf der anderen Seite das ungeheuere Absatzgebiet
Rußland, das uns vollständig verloren gegangen ist,
zu dem wir wegen des herrschenden Systems nicht den Weg gefunden
haben, das wir bis heute nicht de jure anerkannt haben, wiewohl
die Notwendigkeit dafür ungeheuer groß gewesen wäre;
das bedingt wieder die Verselbständigung der Wirtschaft Rußlands,
seine Industrialisierung, das bringt weiter mit sich, daß
Rußland heute mit den höchsten Schutzzöllen umgeben
ist und in dieser Hinsicht an erster Stelle steht. Das sind ungefähr
in den Grundzügen die Wirtschaftsprobleme. Darüber berät
gegenwärtig die Wirtschaftskonferenz in Genf. Es gibt Skeptiker
und Miesmacher, die fragen, was da herauskommen wird. Eigentlich
gehöre ich auch dazu, nach den Erfahrungen mit dem Völkerbund.
Denn wir haben von den theoretischen Ausführungen und Erwägungen
der allerhöchsten Herrschaften, wenn sie beisammen sitzen,
nichts, wenn nichts Greifbares dabei herauskommt. Denn Sie müssen
zugeben, daß für die Entwicklung des Geistes von Locarno
und Thoiry, geboren aus dem Völkerbund, eine große
Reihe von Jahren gehört hat, die meiner Ansicht nach bei
Vorhandensein des guten Willens riesig hätte abgekürzt
werden können. Ein Nachteil der Wirtschaftskonferenz, wenn
man ihn als solchen bezeichnen kann, liegt darin, daß die
Vertreter auf derselben lediglich Vertreter der Wirtschaft sind,
nicht Vertreter der Staaten bzw. Regierungen, und infolgedessen
nur Vorschläge unterbreiten können. Irgendwelche Bindungen
können Sie natürlich nicht eingehen. Das ist bestimmt
ein Mangel. Auf der anderen Seite ist es vielleicht auch ein Mangel,
daß sich die Zusammensetzung der Wirtschaftskonferenz nicht
unbedingt mit der Zusammensetzung des Völkerbundes deckt.
Während auf der einen Seite 56 Staaten stehen, sind auf der
andern nur 43 vertreten, allerdings davon drei, die dem Völkerbund
nicht angehören: das ist Amerika, das sich durch die Monroedoktrin
ohnehin nichts in seine Wirtschaft hineinreden lassen wird, dann
Rußland und die Türkei. Was aus der Weltwirtschaftskonferenz
herauskommen wird, können wir heute noch nicht sagen. Eines
steht für mich fest, daß diese Aussprache zwischen
den einzelnen Wirtschaften Europas und auch der Überseeländer
keinesfalls schaden kann, nachdem sie doch in den großen
Zügen bezweckt, die Handelspolitik, die Zollpolitik usw.
zu behandeln, wo natürlich in erster Linie der Hebel angesetzt
werden muß, wobei eigentlich alle zur Vernunft kommen müßten.
Nach diesen Erwägungen, die ich Ihnen
jetzt vorgetragen habe und die sich mit den Dingen außerhalb
des Rahmens der Èechoslovakei beschäftigten, möchte
ich mich der Wirtschaft im Innern zuwenden. Wenn wir die Wirtschaft
im Innern betrachten, müssen wir in weiterem Verfolg des
vorgebrachten Gedankenganges den Satz wiederholen, daß alles
vorhanden war, und meine Behauptung geht dahin, daß bei
vernünftigem Handeln die Èechoslovakei der konsolidierteste
Staat Mitteleuropas hätte sein können und eigentlich
lediglich an der Krise der Weltwirtschaft hätte teilnehmen
können, während sie unter den heute
gegebenen Verhältnissen auch unter denjenigen krisenhaften
Erscheinungen ungemein leidet, die andere, innere Ursachen haben.
Ich habe die Behauptung aufgestellt, daß wir seit Beginn
des Staates wirtschaftlich ausgedrückt ununterbrochen in
einem Zustand der Krise leben, daß wir noch niemals den
Beweis erbringen konnten dafür, daß wir für normale
Verhältnisse reif sind, daß sich unsere Wirtschaft
in normalen Verhältnissen bewähren wird. Man hat mir
widersprochen, aber ich habe Folgendes erklärt: Durch die
Währungspolitik, die der Staat getrieben hat, durch die Währungstrennung,
die uns eine Vermögensabgabe von ungefähr 10 Milliarden
aufgebürdet hat, ist die Währung einen anderen Gang
gegangen als in den anderen Staaten. Sie hat eine Inflation durchgemacht,
aber diese ist in einem Moment zum Stocken gekommen, wo wir eigentlich
noch gegenüber den anderen Staaten von einer vollwertigen
Valuta sprechen konnten. Dieses Moment, daß wir den Prozeß
der Sintflut nicht mitgemacht haben, hat uns den Einblick in Inflationserscheinungen
unserer Umgebung gewährt, die z. B. in Deutschland allein
bis in die Billionen gegangen ist. Unsere Wirtschaft hat anfangs
für das eigene Land in seinen Bedürfnissen sorgen müssen
und hat dann durch die Korruption des Wirtschaftslebens in unserer
Umgebung, ob das nun Österreich, Ungarn oder Deutschland
war, die krisenhaften Zustände in diesen Ländern zur
Ausnützung von Konjunkturen benützen können, ob
wir jetzt an den Ruhreinfall denken, ob wir selbst an den Kohlenstreik
in England oder an verschiedene andere Ereignisse denken, die
für uns eine Konjunktur bedeuteten. Wir hatten in unserer
Umgebung keine irgendwie geartete wirtschaftliche Konsolidierung,
und weil wir sie nicht hatten und die Verhältnisse bei uns
günstiger waren, weil die ganze Wirtschaft kräftiger
war, waren wir in der Lage, die Krisen der anderen in so hohem
Masse ausnützen zu können. Nun ist natürlich ein
Moment bei den Erscheinungen der inneren Krise dieses Staates
von ungeheuer großer Tragweite, daß wir nämlich
nach der Verselbständigung keinesfalls den Entschluß
bemerken konnten, die alten Wirtschaftsgebiete bei Aufrechterhaltung
der Souveränität der einzelnen Staaten wieder herzustellen.
Das ist ein Fehler von immenser Bedeutung, nie wieder gutzumachen.
Die österreichisch-ungarische Monarchie war bei ihrer Bewohnerschaft
von ungefähr 56 Millionen wirtschaftlich in einem Gegenseitigkeitsverhältnis.
Diese Einstellung hat sich in allem gezeigt, so daß wir
in der wirtschaftlichen Struktur der Monarchie eigentlich nicht
in dem Masse von einem Exportstaate sprechen konnten, wie ihn
heute die Èechoslovakei darstellt. Das alte Österreich-Ungarn
hat auch exportiert, aber lange nicht in dem Masse, wie wir es
heute als Èechoslovakei tun müssen. Durch die frühere
gegenseitige Einstellung und dann durch die
Zerschlagung des Gebietes, ferner durch die Übernahme von
65% der Industrie ging uns im Anfang das Wirtschaftsgebiet
nur politisch verloren. Nun hätte aber jeder vernünftige
Politiker dahin kommen müssen, daß er sich sagte: Wenn
der Staat nun seine Selbständigkeit erreicht hat und diese
Selbständigkeit nicht mehr ins Wanken gebracht werden kann,
ist es die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, in erster Linie
zu trachten, das alte Wirtschaftsgebiet im Wege von Zollerleichterungen,
einer modifizierten Zollunion bei voller Aufrechterhaltung der
Souveränität, durch Herabsetzung der Zölle oder
Gewährung von Minimalzöllen, durch Einführung geregelter
einheitlicher Bahn-, Posttarife - über die Währung will
ich gar nicht sprechen - wieder herzustellen. Man hat das nicht
getan. Warum nicht? Die politischen Verhältnisse, das Verhältnis
zu Österreich, zu Ungarn, ließen es nicht zu. Das ist
ein Fehler, der nie wieder gutgemacht werden kann.