Støeda 4. kvìtna 1927

Pøíloha k tìsnopisecké zprávì

o 78. schùzi poslanecké snìmovny Národního shromáždìní

republiky Èeskoslovenské

v Praze ve støedu dne 4. kvìtna 1927 dopol.

Øeè posl. dr Rosche (viz str. 891 tìsnopisecké zprávy):

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich müßte ich sagen, meine geehrten leeren Bänke, denn der Betrieb, der in diesem Hause bei einer sonstigen Frequenz von 300 Abgeordneten herrscht, ist zum Staunen. Man müßte meinen, daß die Bedeutung des wirtschaftlichen Themas und Problems, das uns vorliegt, ein Interesse erwecken müßte, das uns bekundet, daß das Parlament nicht eine Farce ist, nicht eine Abstimmungsmaschinerie. Ich muß erklären, daß allerdings durch dieses Verhalten meine sehr geehrten Herren Kollegen damit das Parlament eigentlich als diese Abstimmungsmaschinerie dokumentieren. Es ist nicht ganz verantwortlich, daß man einer so großen Frage, wie es die Steuerreform ist, so interesselos gegenübersteht, ist es doch eine Reform, ein Problem, das in wirtschaftlicher und sozialer Beziehung bis in das Innerste des Einzelnen und der ganzen Gesellschaft hineingreift. Ich kann es mir nicht versagen, diese Konstatierung zu machen, und es ist mir auch nicht zu verargen. Ich hoffe, daß der weitere Verlauf der Debatte vielleicht doch eine regere Beteiligung mit sich bringt, um möglicherweise Änderungen herbeizuführen, die allen als notwendig einleuchten. Allerdings muß ich bei dieser Frequenz hauptsächlich meine Worte in das stenographische Protokoll diktieren, denn die, die gleichen Sinnes sind, verlassen sich darauf, daß ich das Notwendige vorbringe und die, die es eigentlich angeht, sie fehlen, und die Vertreter der Finanzverwaltung sind hartleibig und müssen unter ganz anderen moralischen Druck und andere Frequenz gesetzt werden. Ich kann mir nicht verhehlen, bei diesem Bilde des Hauses müßte sich eigentlich die Finanzverwaltung mit vollem Rechte getrauen können, die 10fache Steuer vorzuschreiben, ehe die Volksvertreter in derartige Bewegung gesetzt würden, wie es notwendig ist.

Als erfreuliches Zeichen habe ich dem Berichte des Herrn Generalberichterstatters Dr. Hnídek die Erklärung entnommen, daß die Vorlage von ungeheuer großer wirtschaftlicher Bedeutung ist und daß das wirtschaftliche Leben im Zusammenhang steht mit dem politischen, mit anderen Worten, daß das politische Leben zerfällt, wenn das wirtschaftliche zerfällt. Das ist meines Er achtens ein Fortschritt, der von ziemlich großer Bedeutung ist, indem man nämlich im Parlamente zur Ansicht zu kommen scheint, daß es nicht angeht, nur rein politische oder rein nationale Fragen zu erledigen, sondern daß man auch wird daran denken müssen, an wirtschaftliche Probleme mit Verständnis heranzugehen. Und da hat mir ein Artikel ungemein gut gefallen, den Günter Stein im "Berliner Tageblatt" vom 29. April 1927 (Nr. 200) gebracht hat. Er erklärt dort, daß die Wirtschaft überall in den Vordergrund des allgemeinen Denkens und Handelns tritt. Natürlich wird jener Staat, bei dem diese Denkweise zuerst eintritt und sich vordrängt, in den Vordergrund kommen. Er erklärt aber weiter, was bezeichnend ist, daß das Gehirn der Wirtschaft nicht in gleichem Maße gewachsen ist wie ihr Körper und ihre Aufbau- und Zerstörungskraft. Am deutlichsten tritt diese Tatsache in Erscheinung, wenn man die Parlamentsdebatten über wirtschaftliche Probleme - und welche politischen Fragen haben heute nicht wirtschaftlichen Charakter! - in Deutschland, England oder Frankreich verfolgt. Überall erweist sich die große Mehrzahl der Abgeordneten, die in rein politischen und verwaltungstechnischen Dingen ihren Aufgaben als Volksvertreter gewachsen sein mögen, in Bezug auf wirtschaftliche Probleme als mehr oder weniger urteilsunfähig und selbst unter den übrigen ist in allen Ländern eine souveräne Beherrschung der ökonomischen Materie oder gar die Fähigkeit und Bereitwilligkeit zu wirtschaftlicher Führerschaft eine äußerst seltene Erscheinung, die überdies bedauerlicher Weise fast nie mit der zu ihrer Auswirkung genügenden Macht gepaart ist. Und daraus zieht er den Schluß, daß die Regierung von dieser in politischen, meinetwegen auch in kulturellen Dingen vorhandenen Macht beeinflußt ist und danach auch die wirtschaftlichen Geschicke lenken muß. Meine Herren! Dieser Satz gibt uns kolossal viel zu denken und wird natürlich in den Vordergrund treten müssen, weil wir durch die Lage der Verhältnisse, durch die Notlage, gezwungen sein werden, in unserem Denken eine vollständige Umstellung vorzunehmen. In dieser Beziehung reifen die Gedanken bei den einzelnen Parteien schon. Schauen wir uns die Entschlüsse der èechischen Sozialdemokraten an. Sie stehen heute auf dem Standpunkte, daß der Senat überflüssig ist und daß man sich eines Wirtschaftsparlamentes an seiner Stelle bedienen soll. Das ist richtig, meine Herren, es bedeutet aber auch gleichzeitig die Erkenntnis, daß unser vorhandenes Parlament diesen Verhältnissen noch nicht gewachsen ist. Infolgedessen, weil ich immer das ein zusammenhängendes Ganzes bildende Dreigestirn vor mir habe: nationalkulturell, wirtschaftlich, werden wir trachten müssen, uns auch in diese Bahn hineinzufinden; dann, glaube ich, wird auch der Weg für uns ein besserer werden.

Ich habe Ihnen schon anläßlich der Steuerdebatte im Budgetausschuß eine Aufklärung über das Wirtschaftsleben versprochen. Ich bin leider noch nicht dazu gekommen. Wenn ein Thema eine solche Besprechung der Wirtschaft er fordert, so ist es ganz bestimmt die Reform der Steuern; und das ist nicht nur an und für sich notwendig, sondern speziell auch durch die Belastung, die gerade die Steuern dem Wirtschaftsleben aufbürden. Wenn ich nun in erster Linie die Absicht habe, eine Wirtschaftsdebatte abzuführen, so möchte ich Sie vor allem daran erinnern, daß z. B. größtenteils Ihre Orientierung nach Frankreich geht. Das entspricht dem Gefühl der Dankbarkeit; ferner daran, daß wir das Gebilde der Kleinen Entente haben, die ursprünglich den Zweck hatte, Deutschland unter Kontrolle zu setzen, eventuell auch zu verhindern, daß in Ungarn ein König kommt. Die Zeiten haben sich in dieser Beziehung geändert und vielleicht hat sich das Vorgehen unserer Außenpolitik als nicht ganz richtig erwiesen. In der Besprechung des Wirtschaftslebens muß ich Ihnen erst den Blick noch erweitern, indem ich Sie bitte zu beachten, welchen Einfluß die Vereinigten Staaten von Amerika auf das europäische Wirtschaftsleben ausüben. Ich muß Sie an die Verhältnisse in Asien, in Rußland erinnern und andererseits natürlich an die Notwendigkeit des wirtschaftlichen Zusammenschlusses der einzelnen Volkswirtschaften, wenigstens in den Hauptbelangen. Ich meine damit nicht unbedingt den Begriff von Paneuropa, wie er bereits geschaffen worden ist, sondern aus wirtschaftlichen Notwendigkeiten muß dieser Gedanke geboren werden. Diese allgemeinen Richtlinien müssen da sein und wir müssen da noch weiter gehen. Wir unterscheiden verschiedene Staaten hinsichtlich der Auffassung des Nationalitätenproblems. Wir haben reine Nationalstaaten, die eigentlich Kämpfe in dem Sinne, wie sie andere Staaten führen, nicht kennen. Wir haben Staaten, die in diesem Belange konsolidiert sind, wir kennen auf der anderen Seite wieder Nationalitätenstaaten, die aber den Kampf als solchen ausschalten - ich nenne das Beispiel der Schweiz - und wir haben schließlich Nationalitätenstaaten, die die Reibungsflächen zwischen der herrschenden Nation und den Minderheiten nicht ausschalten konnten. Dieses Moment bedarf der Erwähnung, weil es imstande ist, die wirtschaftlichen Verhältnisse zu beeinflussen.

Noch ein anderes Moment, das in der Regel Beachtung findet, ist die Regierungsform der verschiedenen Staaten. Da möchte ich als einzige das Wirtschaftsleben wirklich beeinflussende Regierungsform die Diktatur nennen, gleichgültig ob sie von rechts oder links kommt. Sie ist jedenfalls eine außergewöhnliche Regierungsform, die auf der Gewalt aufgebaut ist und gewöhnlich nicht mit einer langen Dauer zu rechnen hat. Meines Erachtens ist sie für die Wirtschaft als solche nicht ersprießlich, gleichgültig, ob sie von rechts oder links kommt, weil sie in der Regel Extreme darstellt und in diesen Extremen andererseits wieder naturgemäß Unterdrückungen auslöst. Wir brauchen uns da nur einerseits Sowjetrußland anzusehen mit der Linksdiktatur, auf der anderen Seite Italien, wenn auch ein König hier ist, mit der ausgesprochenen Rechtsdiktatur, weiters Spanien, Portugal. Polen, Griechenland usw., mit wechselnder Diktatur. Dann sehen wir wieder Staaten mit festen, bewährten Regierungsformen, z. B. Belgien, Frankreich, und schließlich sehen wir den großen Wirtschaftskörper Deutschland, das unter der Depression noch ungeheuer leidet, andererseits aber den Eindruck des allmählichen Aufstieges macht, natürlich eine Warnung für die ganze Umgebung. Diese allgemeinen Erwägungen mußte ich vorausschicken, weil die erwähnten Momente imstande sind, die einzelnen Volkswirtschaften ungemein zu beeinflussen. Auf das Außenpolitische komme ich diesbezüglich noch zu sprechen.

Ich will mich nun unserem Staate selbst zuwenden und führe ganz kurz aus, daß nach dem Zerfall der Österreichisch-ungarischen Monarchie sich diese in verschiedene Kleinstaaten auflöste und aus ihr auch die Èechoslovakei hervorging. Daß sich die damaligen Machthaber nicht ganz auf den reinen Nationalstaat stellten, ist natürlich, weil die wirtschaftliche Zusammensetzung abgesehen von der geographischen Lage es erforderte, daß man auch die Minderheiten dazu nahm, weil sonst die entsprechende Gewährleistung für das wirtschaftliche Gedeihen des Staates nicht gegeben gewesen wäre. Das fand seinen Ausdruck sowohl in Memoire III, das dem Friedensdokument von St. Germain zugrunde lag, wir finden es ausgedrückt in Masaryks "Weltrevolution", wir finden es ausgedrückt durch maßgebende èechische Politiker und in vielen Interviews, die mit Masaryk gemacht werden. Also muß es wahr sein und bringt man es auch zum Ausdruck, daß Sie in ihrer Gestaltung, wie Sie sich den Staat schufen, in den Grenzen sich wirklich ein Wirtschaftsgebiet gestalteten, das bei vernünftiger Führung desselben meiner Ansicht nach das konsolidierteste Gebilde Mitteleuropas hätte werden können, aus dem ganz einfachen Grunde, weil Sie ja eigentlich schon alles vorfanden und ein ungeheures Erbe antraten. Sie haben ungefähr 65% der österreichischen Industrie übernommen, von der Textilindustrie allein 80%, Sie haben ungefähr die Hälfte der Landwirtschaft bekommen, Sie haben die Naturschätze an Kohle und Mineralien erhalten und, was nicht zu unterschätzen ist, eine kolossal arbeitsame und sparsame Bevölkerung. Also die Vorbedingungen waren für alles gegeben. Nun hätte man meinen müssen, daß ein Schritt der Vernunft zur entsprechenden Behandlung der ganzen Sache geführt hätte. Sie hatten zwei Möglichkeiten. Entweder sich auf den Standpunkt der unbedingten Gleichberechtigung zu stellen, d. h. Sie erklären alle Bürger des Staates welcher Nation immer in allen Rechten und Pflichten gleichberechtigt. Dann wären Sie - ich betrachte das objektiv von Ihrem Standpunkt aus - auf das System der Schweiz gekommen. Sie haben ein anderes System gewählt. Sie haben sich auf den reinen Nationalstaat eingestellt und sich gedacht, als herrschende Nation die Minderheiten vielleicht doch besser unterdrücken zu können oder sollen. In diesem Gedankengang unternahmen Sie Ihre Maßnahmen, die ich ganz kurz anführe, bezüglich des Einflusses auf Gemeinde, Bezirk und Land, auf die Entlassung der Beamten, die Behandlung der Arbeiter und Pensionisten, die Sprachenfrage - die Sprachenverordnungen - auf die Schule, Lehrer usw. Dieses Moment mußte ich zur Vervollständigung des Bildes anführen, weil es von wirtschaftlicher Bedeutung ist. Ihre ganze Auffassung bezüglich der Minderheitsschulen wenigstens ist so weit gegangen, daß Sie solche unter ungeheurem Kostenaufwand er richtet haben an Orten und Stellen, wo Sie nicht einmal èechische Kinder zur Verfügung hatten, mit einem Wort aus reinen Prestigegründen. Ich erinnere in wirtschaftlicher Beziehung an die Behandlung der Kriegsanleihefrage, an die Behandlung der Geldanstalten und an die Vermögensabgabe, an die Steuern, an die Behandlung der sozialen Lasten, an die Behandlung der Lieferungsaufträge, an die Bodenreform, an Marienbad, an die Wälderverstaatlichung, an das Militär, Bahnen, Schutzgesetz usw.

Ich habe mich immer gefragt, wieso es möglich gewesen ist, daß dieses ganze System vorherrschen konnte. So habe ich mir als ehrlicher Mann eingestanden, daß es nur möglich war bei einem so druchdringenden Nationalgefühl Ihrerseits, vor dem ich, ich muß es ganz offen gestehen, die allergrößte Hochachtung habe: und ich hegte immer den Wunsch, daß wenigstens 50 % meiner Landsleute von derselben Liebe zu ihrem Volke durchdrungen wären. Dann wäre es vielleicht schon zu einem Verhältnis der gegenseitigen Achtung gekommen. Dieses Verhältnis, aufgebaut auf dem Sie durchdringenden Nationalgefühl ließ Sie nun diese Maßnahmen treffen, weil Sie ausgesprochene Schwäche und ausgesprochene Zerrissenheit und Zerfahrenheit bei den Minderheiten vorfanden. Allerdings muß ich Ihnen ehrlich erklären, daß unbedingt der Zeitpunkt von selbst kommen mußte, wo Sie dieses System zumindest hemmen, bezw. einstellen mußten. Sie haben Ihre ganzen Maßnahmen in einer Koalition durchgeführt, die an und für sich in der Zusammensetzung nicht den natürlichen Voraussetzungen entspricht. Ich kann Ihnen ehrlich erklären, daß ich absolut ein Freund des Mitteldings bin und absolut nichts dagegen einzuwenden habe, wenn sich bürgerliche und sozialistische Kreise auf einer Mittellinie begegnen, weil ich von der Ansicht ausgehe, daß in allen Forderungen und Belangen eigentlich beide Gruppen, wenn wir sie nach diesem Gesichtspunkte betrachten, ungemein viel Berührungspunkte haben. Gegensätze müssen natürlich bestehen, denn sonst müßten wir gegenseitig eingestehen, daß z. B. der Kommunist ein Bürgerlicher sei oder umgekehrt usw. In diesen Gegensätzen wollen wir uns jederzeit sachlich bekämpfen, aber in den Punkten, die uns gemeinsam berühren, spielt es gar keine Rolle, wenn zwischen uns das beste Einvernehmen herrscht. Eines ist freilich zu bemängeln, daß diese Zusammensetzung eigentlich von der Forcierung der nationalen Forderungen ausging. Dadurch mußten natürlich gegenseitige Zugeständnisse gemacht werden. Es trat eine Situation ein, es kam der Moment, wo man sich sagen mußte: So kann das nicht weitergehen. Auf der anderen Seite finden Sie die Bereitwilligkeit eines großen Teiles der Vertreter der Deutschen und der anderen Minderheiten, an der Lenkung der Geschicke des Staates teilzunehmen.

So ist in großen Zügen die Situation und ich glaube, daß ich nicht weiter darüber sprechen muß, ich mußte dies nur zur Vervollständigung des Bildes anführen.

Wenn ich mich nun den eigentlichen Wirtschaftsproblemen zuwende, so möchte ich in erster Linie etwas über die Weltwirtschaft und die Weltwirtschaftskrise sagen, weil gerade unser Staat von der Weltwirtschaft besonders abhängig ist und viel mehr als ein anderer Staat auch durch Krisen berührt wird. Wir hatten vor dem Kriege eine halbwegs geordnete Weltwirtschaft, in der sich die Zusammenhänge gegenseitig ergänzten und Erzeugung, Handel und Konsum in einem bestimmten Verhältnis standen. Jeder Krieg natürlich, besonders aber ein Krieg von der ungeheueren Bedeutung des Weltkrieges, muß auch in das Wirtschaftsleben eine ungeheuere Revolution und Umstürzung bringen. Diese Umstürzung ist zum Teil verursacht durch den Übergang von der Kriegswirtschaft auf die Friedenswirtschaft, zum Teil durch die Gründung neuer Staaten, wie wir dies speziell in Mitteleuropa beobachten konnten, durch Entstehung kleiner Staaten, die wieder schon durch den Dünkel der vollkommenen Selbständigkeit die Gründung neuer Industrien bedingten. Diese neuen Industrien, mochten sie noch so klein sein, verlangen einen ungeheueren Zollschutz. Die einzelnen Staaten umgaben sich also mit ungeheueren Zollmauern. Auf der anderen Seite finden wir die vollständige Ausschaltung Rußlands mit seinen ungezählten Millionen Einwohnern, das für den europäischen Markt als kolossales Absatzgebiet in Betracht kommt. Wir sahen das ungeheuere Reparationsproblem, die Reparationsschulden, die den besiegten Staaten aufgeladen wurden und die vollständige Verschuldung Europas an Amerika, wofür ich Ihnen noch ein paar Bei spiele anführen werde. Wir sahen die Unstabilität der Währung, die Unproduktivität der Ausgaben für Rüstungen, die ungeheueren Steuern, den Absatzmangel, der dadurch eingetreten ist, daß infolge der Verarmung der Völker der Konsum abnahm. Das sind die Momente, die ungefähr die Weltwirtschaft in ihren Krisenerscheinungen nach dem Kriege charakterisieren.

Um Ihnen ein Beispiel zu geben, unter welcher Abhängigkeit heute Europa von Amerika steht, müssen wir einmal die Frage des Geldwesens, bzw. des Kapitals, das Amerika zur Verfügung steht, prüfen. Dafür ist mitentscheidend die Berechnung und die Statistik über das Volksvermögen des Landes und die Prosperität seiner Wirtschaft. Wenn sie gestern die Zeitung gelesen haben, können Sie sich ein ungefähres Bild davon machen, daß Amerika heute an Zinsen und Amortisationsquoten von seinen Schuldnern ungefähr eine Milliarde Dollar zu bekommen hat. Es kann mich natürlich nicht befriedigen oder mir irgendwie das Problem günstiger erscheinen lassen, daß Europa nicht der Hauptschuldner ist, daß Südamerika das Doppelte und Kanada ungefähr dasselbe wie Europa schuldig ist. Es bleibt natürlich trotzdem für Europa noch immer eine ungeheuere Schuldensumme an Amerika übrig, ungefähr 11 bis 12 Milliarden Dollar. Für die Entwicklung Amerikas kennzeichnend ist es, daß sein Volksvermögen im Jahre 1872 30 Milliarden Dollar, 1890 65 Milliarden, 1912 186 Milliarden und 1920 320.8 Milliarden Doll. geschätzt wurde. Großbritannien steht demgegenüber mit 40 Milliarden im Jahre 1872, 53.4 Milliarden im Jahre 1890, 72.3 Milliarden im Jahre 1912 und 88.8 Milliarden im Jahre 1920. Frankreich in den entsprechenden Jahren: 33, 43.8, 57.1, 67.7 Milliarden. Und nun hören Sie: Deutschland: 38, 49.5, 75 und 35.7! Da haben Sie das Bild der kollossalen Verarmung Deutschlands und der besiegten Staaten durch den Krieg, indem das Volksvermögen Amerikas auf 320.8 Milliarden angewachsen und das Deutschlands auf 35,7 Milliarden gesunken ist. Das ist natürlich von ungeheurer Bedeutung und führt Ihnen das noch besonders klar vor Augen, wenn Sie bedenken, in welchem Tempo und Ausmaß die Produktion Amerikas zugenommen hat. Wir sehen den Wert der industriellen Produktion Amerikas folgendermaßen steigen: im Jahre 1860 1,886 Millionen, im Jahre 1910 bereits 21.847 Millionen im Jahre 1922 28.422 Millionen. Diese Ziffern sind natürlich durch die Verhältnisse der Nachkriegsjahre noch wesentlich gestiegen. Nachtragen will ich noch, daß man das Volksvermögen Amerikas heute auf 450 Milliarden Dollar schätzt.

Ein weiteres Moment ist folgendes: Amerika war natürlich unter diesen Verhältnissen in der Lage, als Geldgeber für Europa zu dienen und es hat auch Europa diesbezüglich ziemlich versorgt. Wie sahen die Dinge vor dem Kriege aus? Bis April 1917 hatte Amerika Folgendes zu bekommen: von Großbritannien 1131.4 Millionen Dollar, von Frankreich 736.7 Millionen, von Rußland 148.5 Millionen, von Italien 25 Millionen. Zusammen von den Ententestaaten 2.041.6 Millionen Dollar. Nun kommt der springende Punkt. Deutschland schuldet Amerika 20 Millionen, also im Vergleich zu England ungefähr 1/50. Das ist die Ursache, warum Amerika in den Krieg eintreten mußte auf Seiten der Entente. Es wäre sonst um sein Geld gekommen. Da ist natürlich auch auf der anderen Seite wieder das schwerwiegende Moment der ungeschickten Diplomatie der Zentralmächte, daß sie es nicht verstanden haben, ihrerseits Amerika für sich zu interessieren. Sonst hätte der unselige Krieg niemals diese Ausdehnung nehmen können. Wie sieht es nach dem Kriege aus? Da schulden die Siegerstaaten im Jahre 1919 an Amerika 9.630 Millionen Dollar. Amerika hat sich durch diese Anleihen, wie ich Ihnen jetzt gezeigt habe, die Siegerstaaten untertänig gemacht. Dazu kommt, daß Amerika auch Deutschland vertrauensvoll mit in den Kreis der Schuldner aufgenommen hat, so daß es nun diese ganze Kette der einzelnen Volkswirtschaften Europas geschlossen hat. Heute ist Amerika in der Lage, zu kommandieren und hat Europa nicht als Konkurrenten, es hat als Konkurrenten lediglich vielleicht Japan, indem die Wirtschaft Japans mit Lieferungen für die Philippinen usw. Amerika ungemein hart an den Leib rückt. Sie sehen, daß infolge dieser Verhältnisse Amerika für das Wirtschaftsleben Europas bestimmend ist; und dazu kommt noch die ungeheuere Bedeutung des Umstandes, daß Amerika durch seine forzierte Produktion in der Lage ist, heute in vielen Artikeln Europa Konkurrenz zu machen. Amerika liefert z. B. heute schon Strümpfe nach Norwegen, Schweden und Dänemark billiger als sie Chemnitz liefern kann; dasselbe sehen sie in Automobilen usw. Nun stellen Sie sich die Situation vor! Warum sage ich das? Weil eigentlich bei allen maßgebenden Wirtschaftlern sämtlicher Einzelvolkswirtschaften der Gedanke kommen muß: Wenn die Volkswirtschaften Europas sich nicht besinnen, dann müssen sie in die vollständige Knechtschaft und Sklaverei Amerikas kommen, und da gibt es nur eine Rettung: das ist der wirtschaftliche Zusammenschluß, oder wenn nicht Zusammenschluß, eine Annäherung, wenigstens in den Hauptbelangen, ob Handelsverträgen oder Zöllen oder wie immer. Sie mögen sich vielleicht denken, daß ich damit zu weit ausgreife. Das ist nicht wahr, denn die Gefahr liegt näher, als wir alle zusammen ahnen. Wir haben auf der einen Seite Amerika mit dem kollossalen Druck auf Europa und auf der anderen Seite das ungeheuere Absatzgebiet Rußland, das uns vollständig verloren gegangen ist, zu dem wir wegen des herrschenden Systems nicht den Weg gefunden haben, das wir bis heute nicht de jure anerkannt haben, wiewohl die Notwendigkeit dafür ungeheuer groß gewesen wäre; das bedingt wieder die Verselbständigung der Wirtschaft Rußlands, seine Industrialisierung, das bringt weiter mit sich, daß Rußland heute mit den höchsten Schutzzöllen umgeben ist und in dieser Hinsicht an erster Stelle steht. Das sind ungefähr in den Grundzügen die Wirtschaftsprobleme. Darüber berät gegenwärtig die Wirtschaftskonferenz in Genf. Es gibt Skeptiker und Miesmacher, die fragen, was da herauskommen wird. Eigentlich gehöre ich auch dazu, nach den Erfahrungen mit dem Völkerbund. Denn wir haben von den theoretischen Ausführungen und Erwägungen der allerhöchsten Herrschaften, wenn sie beisammen sitzen, nichts, wenn nichts Greifbares dabei herauskommt. Denn Sie müssen zugeben, daß für die Entwicklung des Geistes von Locarno und Thoiry, geboren aus dem Völkerbund, eine große Reihe von Jahren gehört hat, die meiner Ansicht nach bei Vorhandensein des guten Willens riesig hätte abgekürzt werden können. Ein Nachteil der Wirtschaftskonferenz, wenn man ihn als solchen bezeichnen kann, liegt darin, daß die Vertreter auf derselben lediglich Vertreter der Wirtschaft sind, nicht Vertreter der Staaten bzw. Regierungen, und infolgedessen nur Vorschläge unterbreiten können. Irgendwelche Bindungen können Sie natürlich nicht eingehen. Das ist bestimmt ein Mangel. Auf der anderen Seite ist es vielleicht auch ein Mangel, daß sich die Zusammensetzung der Wirtschaftskonferenz nicht unbedingt mit der Zusammensetzung des Völkerbundes deckt. Während auf der einen Seite 56 Staaten stehen, sind auf der andern nur 43 vertreten, allerdings davon drei, die dem Völkerbund nicht angehören: das ist Amerika, das sich durch die Monroedoktrin ohnehin nichts in seine Wirtschaft hineinreden lassen wird, dann Rußland und die Türkei. Was aus der Weltwirtschaftskonferenz herauskommen wird, können wir heute noch nicht sagen. Eines steht für mich fest, daß diese Aussprache zwischen den einzelnen Wirtschaften Europas und auch der Überseeländer keinesfalls schaden kann, nachdem sie doch in den großen Zügen bezweckt, die Handelspolitik, die Zollpolitik usw. zu behandeln, wo natürlich in erster Linie der Hebel angesetzt werden muß, wobei eigentlich alle zur Vernunft kommen müßten.

Nach diesen Erwägungen, die ich Ihnen jetzt vorgetragen habe und die sich mit den Dingen außerhalb des Rahmens der Èechoslovakei beschäftigten, möchte ich mich der Wirtschaft im Innern zuwenden. Wenn wir die Wirtschaft im Innern betrachten, müssen wir in weiterem Verfolg des vorgebrachten Gedankenganges den Satz wiederholen, daß alles vorhanden war, und meine Behauptung geht dahin, daß bei vernünftigem Handeln die Èechoslovakei der konsolidierteste Staat Mitteleuropas hätte sein können und eigentlich lediglich an der Krise der Weltwirtschaft hätte teilnehmen können, während sie unter den heute gegebenen Verhältnissen auch unter denjenigen krisenhaften Erscheinungen ungemein leidet, die andere, innere Ursachen haben. Ich habe die Behauptung aufgestellt, daß wir seit Beginn des Staates wirtschaftlich ausgedrückt ununterbrochen in einem Zustand der Krise leben, daß wir noch niemals den Beweis erbringen konnten dafür, daß wir für normale Verhältnisse reif sind, daß sich unsere Wirtschaft in normalen Verhältnissen bewähren wird. Man hat mir widersprochen, aber ich habe Folgendes erklärt: Durch die Währungspolitik, die der Staat getrieben hat, durch die Währungstrennung, die uns eine Vermögensabgabe von ungefähr 10 Milliarden aufgebürdet hat, ist die Währung einen anderen Gang gegangen als in den anderen Staaten. Sie hat eine Inflation durchgemacht, aber diese ist in einem Moment zum Stocken gekommen, wo wir eigentlich noch gegenüber den anderen Staaten von einer vollwertigen Valuta sprechen konnten. Dieses Moment, daß wir den Prozeß der Sintflut nicht mitgemacht haben, hat uns den Einblick in Inflationserscheinungen unserer Umgebung gewährt, die z. B. in Deutschland allein bis in die Billionen gegangen ist. Unsere Wirtschaft hat anfangs für das eigene Land in seinen Bedürfnissen sorgen müssen und hat dann durch die Korruption des Wirtschaftslebens in unserer Umgebung, ob das nun Österreich, Ungarn oder Deutschland war, die krisenhaften Zustände in diesen Ländern zur Ausnützung von Konjunkturen benützen können, ob wir jetzt an den Ruhreinfall denken, ob wir selbst an den Kohlenstreik in England oder an verschiedene andere Ereignisse denken, die für uns eine Konjunktur bedeuteten. Wir hatten in unserer Umgebung keine irgendwie geartete wirtschaftliche Konsolidierung, und weil wir sie nicht hatten und die Verhältnisse bei uns günstiger waren, weil die ganze Wirtschaft kräftiger war, waren wir in der Lage, die Krisen der anderen in so hohem Masse ausnützen zu können. Nun ist natürlich ein Moment bei den Erscheinungen der inneren Krise dieses Staates von ungeheuer großer Tragweite, daß wir nämlich nach der Verselbständigung keinesfalls den Entschluß bemerken konnten, die alten Wirtschaftsgebiete bei Aufrechterhaltung der Souveränität der einzelnen Staaten wieder herzustellen. Das ist ein Fehler von immenser Bedeutung, nie wieder gutzumachen. Die österreichisch-ungarische Monarchie war bei ihrer Bewohnerschaft von ungefähr 56 Millionen wirtschaftlich in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Diese Einstellung hat sich in allem gezeigt, so daß wir in der wirtschaftlichen Struktur der Monarchie eigentlich nicht in dem Masse von einem Exportstaate sprechen konnten, wie ihn heute die Èechoslovakei darstellt. Das alte Österreich-Ungarn hat auch exportiert, aber lange nicht in dem Masse, wie wir es heute als Èechoslovakei tun müssen. Durch die frühere gegenseitige Einstellung und dann durch die Zerschlagung des Gebietes, ferner durch die Übernahme von 65% der Industrie ging uns im Anfang das Wirtschaftsgebiet nur politisch verloren. Nun hätte aber jeder vernünftige Politiker dahin kommen müssen, daß er sich sagte: Wenn der Staat nun seine Selbständigkeit erreicht hat und diese Selbständigkeit nicht mehr ins Wanken gebracht werden kann, ist es die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, in erster Linie zu trachten, das alte Wirtschaftsgebiet im Wege von Zollerleichterungen, einer modifizierten Zollunion bei voller Aufrechterhaltung der Souveränität, durch Herabsetzung der Zölle oder Gewährung von Minimalzöllen, durch Einführung geregelter einheitlicher Bahn-, Posttarife - über die Währung will ich gar nicht sprechen - wieder herzustellen. Man hat das nicht getan. Warum nicht? Die politischen Verhältnisse, das Verhältnis zu Österreich, zu Ungarn, ließen es nicht zu. Das ist ein Fehler, der nie wieder gutgemacht werden kann.


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