Hohes Haus! Das erste Wort von unserer Seite
gilt heute einem ernsten Protest. Die Opposition ist in diesem
Hause nie gut behandelt worden. Was aber jetzt praktiziert wird,
geht schon wirklich über die Hutschnur. Unser Klub hat am
11. November 1926 den Antrag auf Einsetzung eines Geschäftsordnungsausschusses
gestellt. Daß die Geschäftsordnung in vielen Punkten
reformbedürftig ist, werden wohl auch die deutschen Regierungsparteien
heute noch zugeben. Es gab eine lange Zeit, wo sie noch nicht
an der Schüssel mit den heißbegehrten Knödeln
gesessen sind, um für ihre schwere Arbeit des Regierens belohnt
zu werden, wie es Koll. Windirsch erst dieser Tage in Reichenberg
ausgeführt hat. Damals waren auch sie gegen die Geschäftsordnung
und haben gegen deren Handhabung neben uns und mit uns protestiert.
Umso auffälliger ist es nun, daß unser Antrag bisher
noch nicht zur Abstimmung gebracht worden ist, obgleich seit dem
26. November 1926 bereits 7 Sitzungen des Hauses stattgefunden
haben. Nicht einmal auf die Tagesordnung hat man den Antrag gestellt,
obwohl es laut § 22, Abs. 2 der Geschäftsordnung nur
einer einfachen Abstimmung bedürfte. um ihn zu erledigen.
Auffallend ist auch, daß zwei später eingebrachte Anträge
bereits erledigt worden sind. Man komme nicht mit der Ausrede,
daß eine bestimmte Frist im § 22 nicht vorgesehen ist.
Wir haben das sichere Gefühl, daß man die Verhandlung
unseres Antrages absichtlich verzögert, um gewissen Herrschaften
keine Ungelegenheiten zu bereiten, die sonst gezwungen wären,
ihre früheren eigenen Anträge mit Füßen zu
treten.
Wir verwahren uns entschieden gegen diese parteiische
Handhabung der Geschäftsordnung und die Einschränkung
des Initiativrechtes der Abgeordneten. Alle Kniffe nützen
auf die Dauer doch nichts, der Abrechnung entgehen die Herren
Regierungsdeutschen absolut nicht. Gleichzeitig erheben wir Einspruch
dagegen, daß man unserem Verlangen nach regelmäßiger
Abhaltung der Obmännerkonferenzen nicht Rechnung trägt.
Dadurch wird die von gewissen verantwortlichen Faktoren der Mehrheit
öfter hervorgehobene Notwendigkeit, ein besseres Verhältnis
zwischen Mehrheit und Minderheit herzustellen, verschüttet
und werden alle diese Bestrebungen ad absurdum geführt. Die
Verhältnisse in dieser Hinsicht haben sich trotz der Vermehrung
des Präsidiums verschlechtert, wenigstens für die Minderheit,
die viel gerühmte bessere Atmosphäre ist für uns
noch nicht festzustellen. Indem wir das hiemit festnageln, brandmarken
wir diesen undemokratischen Zustand auf das schärfste. Allerdings
ist uns klar, daß die Herrschaften, die mit rauher Hand
die sogenannte Verwaltungsreform um jeden Preis durchsetzen wollen,
sich auch nicht scheuen, hier im Hause uns die starke Faust zu
zeigen. Wir wollen ihnen aber die Sache nicht billig machen. (Souhlas
poslancù nìm. soc. dem. strany dìlnické.)
Sie werden auf Granit beissen. (Výkøiky
poslancù nìm. soc. dem. strany dìlnické!).
Und nun komme ich zu dem in Verhandlung stehenden
Gegenstande selbst. Die in Verhandlung stehende Regierungsvorlage
befriedigt uns deutsche Sozialdemokraten als wirkliche Freunde
einer großzügigen staatlichen Bauförderung und
einer zeitgemäßen Wohnkultur in gar keiner Weise. Das
bekannte Sprichwort, daß gut Ding Weile haben will, trifft
hier nicht zu. Kostbare Zeit ist nutzlos vertrödelt worden,
ehe sich die Regierung zu bestimmten Vorschlägen entschloß,
und als diese bekannt wurden, war die Enttäuschung eine allgemeine.
Selbst der Regierungsmann Tichi musste gestern offen erklären,
daß das Gesetz kein ideales ist. Er vertröstet aber
seine Wähler und Anhänger damit, daß es ja nur
eine Abschlagszahlung für eine wirkliche Reform bildet. Ob
sie aber kommen wird, ist bei dieser Regierung und bei dieser
Mehrheit allerdings nicht sicher. Sehnsüchtig haben insbesondere
die Wohnungslosen die Vorlage erwartet und alle jene, welche aus
engen, ungesunden, der Moral hohnsprechenden Räumen herausstreben.
(Posl. de Witte: Von dieser Regierung erwarten sie etwas?)
Der Ertrinkende klammert sich oft an einen Strohhalm, wenn
er sich retten will.
Das in allen Teilen der Republik noch immer
herrschende Wohnungselend der arbeitenden Klasse ist ein aufgelegter
Kulturskandal, bedeutet systematische Vernichtung von Gesundheit
und kostbaren Menschenleben, drückt sich aus in verschärften
sozialen Mißständen und liefert reichliche Arbeit für
das Kriminal. Selbst bei den Bergarbeitern, für die in den
letzten Jahren ziemlich viele Wohnhäuser aus den Mitteln
des staatlich verwalteten Kohlenfonds errichtet wurden, ist noch
großes Wohnungselend zu finden. Die Auswahl der Bewerber
für die neuen Kolonienhäuser wa,r nicht leicht. Denn
alle lebten unter den menschenunwürdigsten Verhältnissen.
Bei der Besiedlung der Kolonie Kopitz bei Brüx z. B. kamen
nur jene Bewerber in Betracht, die mit drei Familien gemeinsam
in einem Raume wohnten. Es war nicht selten so arg daß die
Mitglieder der Familien nicht auf einmal zugleich schlafen konnten.
Sogar unter dem Bette schliefen die Menschen in einzelnen Fällen,
da der übrige Fußboden bereits belegt war. In Gemeindearresten,
Leichenhallen, Armenhäusern sind heute noch Arbeiterfamilien
in skandalöser Weise untergebracht. Von den schandbaren Verhältnissen
in den verwanzten Waggons und Notbaracken soll nicht weiter gesprochen
werden.
Erschreckend groß ist das Wohnungselend
natürlich in erster Linie in den aufstrebenden Industriestädten,
wie z. B. in Brünn. In Notwohnungen der Gemeinde Brünn
in der Steinmühle wohnen 30 Personen in einem Zimmer! Aber
wie? Auf dem Hussowitzer Friedhof bei Brünn stehen Baracken
und in den Vororten Brünns sieht man elende selbstgezimmerte
Hütten als Notwohnungen. Furchtbar sind die Wohnungsverhältnisse
für das Proletariat im Egerlande. Im Karlsbader Bezirk sind
dankenswerter Weise durch die Amtsärzte der Bezirksverwaltungskommission
Erhebungen über das Wohnungselend erfolgt, die schauderhafte
Zustände ans Tageslicht brachten. Zahlreiche Arbeiterfamilien
hausen in feuchten Kellergewölben, Scheunen und Schupfen,
sogar in Felsenwohnungen. Und daneben herrscht in der stolzen
Stadt Karlsbad, dem sogenannten Fenster der Republik, höchster
Wohnungsluxus für die zahlungsfähigen Reichen. Vielfach
müssen zwei Personen oft verschiedenen Geschlechts und verschiedenen
Alters, in einem Bett schlafen. In den stark überfüllten
Proletarierwohnungen mit schlechter stinkender Luft, dem Mangel
an Gerät u. s. w. muß schon im Kinde der Sinn für
eine geordnete Häuslichkeit erstickt werden. Es tritt an
seine Stelle Gleichgültigkeit gegen Unsauberkeit und dergl.
mehr, eine müde Resignation, ein Fatalismus, wie er gewissen
Kreisen nur erwünscht und lieb sein mag, die erklären:
"Das alles ist unabänderlich, ist Schicksal, ist ja
von oben so gewollt".
Schwere gesundheitliche Folgen sind unausbleiblich
Diphterie, Tuberkulose, Typhus werden geradezu in solchen überfüllten
Wohnungen gezüchtet. Die Kinder, die Zukunft des Volkes,
bleiben selbstverständlich in der Entwicklung weit zurück.
Es ist im Bezirke Karlsbad amtlich nachgewiesen, daß nicht
weniger als 4/5 der Kinder unter diesen menschenunwürdigen
Wohnungsverhältnissen in der Entwicklung schwer bedroht sind,
ja darin stark zurückbleiben. Die Säuglings sterblichkeit
ist besonders groß, die Ärzte weisen auch darauf hin,
daß die Hautund Geschlechtskrankheiten unter solchen kulturwidrigen
Umständen sehr um sich greifen. Vorzeitiges Siechtum, Krankheit
und Arbeitsunfähigkeit sind für die Erwachsenen die
unausbleiblichen Nachwirkungen. Als besonders krasser Fall wurde
in Alt-Rohlau bei Karlsbad festgestellt, daß ein 12 m2
großer Raum zugleich Wohnung, Küche und Schlafraum
für eine Familie und außerdem noch Werkstätte
für 5 gewerbliche Arbeiter war. (Posl. de Witte: Das ist
in der Stadt Karlsbad selbst, nicht in Altrohlau!) Noch ärger!
Schädigungen sittlicher und kultureller Art sind stets an
der Tagesordnung. Amtlich wurde im Karlsbader Bezirk festgestellt,
daß nicht weniger als 351 Familien mit einer zweiten Familie
und in 13 Fällen noch mit einer dritten Familie in einem
einzigen Raum zusammenwohnen müssen. Wie furchtbar, wenn
Empfängnis, Geburt und Tod in dem gleichen engen Raum vor
fremden Zeugen, oft sogar vor Kindesaugen sich abspielt. Es kann
daher leider nicht überraschen, wenn im Berichte der Karlsbader
Amtsärzte erklärt wird, daß die Blutschande unter
solchen Umständen bei weitem öfter vorkommt, als die
Allgemeinheit zu glauben wagt. Im Karlsbader Bezirke befinden
sich nicht weniger als 11.000 Menschen im schlimmsten Wohnungselend.
Und wenn man offen sein will, so müßte man auf Seiten
der Regierungsparteien zugeben, daß ähnliche schlimme
Verhältnisse auch in den anderen deutschen Gebieten vorhanden
sind. Im städtischen Armenhaus in Bergreichenstein ergab
die Untersuchung, daß 10 Personen in einem Raum wohnen mußten,
in vielen Wohnungen in Bergreichenstein müssen die Kinder
auf Truhen oder auf Bänken schlafen, manche Wohnungen liegen
unter dem Straßenniveau, sind infolgedessen feucht, dumpfig
und ungesund. Im Egerer Bezirk, wo die Bezirksverwaltungskommission
ebenfalls Untersuchungen über das Wohnungselend angestellt
hat, ist es in Liebenstein am schlimmsten wo von 1900 Bewohnern
1527 unter abnormalen Wohnungsverhältnissen leiden. Das gleiche
Bild zeigt auch die Gemeinde Schlada, in welcher von 621 Einwohnern
396 in schlechten Wohnungen hausen müssen. Aber nicht nur
in Städten und kleinen Orten, wo viel Industrie ist, herrscht
krasses Wohnungselend, auch draußen am Lande ist das gleiche
Elend. Über das Wohnungselend der Landarbeiter braucht man
ja gar nicht zu reden, es ist evident, es ist erwiesen. Ich habe
selbst unlängst Photographien von Wohnungen gesehen, die
so elend sind, daß man nicht einmal das Vieh hineinsperren
würde. Das Vieh besonders bei den Großgrundbesitzern,
ist oft hygienisch weit besser untergebracht als weite Schichten
der Arbeiterbevölkerung in Stadt und Land. Wenn man in einem
Album die ganze Wohnungsschande unserer Zeit zusammenfassen könnte,
wäre das eine der gewichtigsten Anklagen gegen eine Gesellschaftsordnung,
die angeblich die beste sein soll.
Wenn wir nun die Wissenschaft fragen, wie menschliche
Wohnräume eigentlich beschaffen sein sollen, bekommen wir
eine Antwort, die mit der bitterbösen schrecklichen Wirklichkeit
in größtem Widerspruche steht. "Die Forderung
nach einem eigenen Bett für jeden einzelnen ist die elementarste
hygienische Forderung", sagt einer der Führer der Wohnungsreform,
u. zw. Herr Dr. Hruschka, Stadtphysikus von Aussig. Darüber
hinaus fordert er die Absonderung von Bettgruppen in mehrere Räume,
separat für Erwachsene und getrennt nach Geschlechtern. Wie
weit, meine D amen und Herren, sind von der Erführung dieser
primitivsten Forderungen der Wohnungskultur die neisten Arbeiterfamilien
noch entfernt! Unbedingt zu verwerfen ist auch nach ärztlichen
Grundsätzen das Schlafen in der Küche, aber man kann
wohl sagen, in der überwiegenden Anzahl der Arbeiterfamilien
ist dieses ungesunde Wohnen in der Küche immer noch zu finden.
Als notwendigen Luftraum fordert die ärztliche Wissenschaft
rund 20 m3, alles heute noch eine schöne Fata
Morgana. Die Wissenschaft fordert auch in einer richtigen Hauswirtschaft
Reinigungsvorrichtungen mit Wasserspülung, Waschen und Bad.
Wo ist das im proletarischen Haushalte heute schon zu finden?
Eine rationelle Hauswirtschaft will zwecks Ersparnis von Arbeit
noch mehr, will z. B. Kochnischen, Spülküchen. Arbeitsersparnis
ist erhöhte Gesundheit für die Frau! Weiters verlangt
man von ärztlicher Seite für größere Gruppen
von Familien Waschhäuser mit Dampfund elektrischen Maschinen.
In den mustergültigen Wiener Gemeindebauten gibt es dergleichen.
Das alles aber ist noch lange kein Luxus, sondern gehört
zu den minimalen Forderungen der Hygiene. Eine erste hygienische
Minimalforderung ist die Besonnung der Wohnräume, vor allem
leichte Zugänglichkeit des Sonnenscheins in die Wohnung selbst.
Daß eine entsprechende Lüftung ebenfalls notwendig
ist, bedarf keines Wortes. Eine Hauptforderung der Wohnkultur
ist die Dezentralisation des Wohnens innerhalb der menschlichen
Siedlungen, keine Zusammenpferchung von Massen.
Die erste Vorbedingung für billigstes
Bauen aber ist billigster Grund, ist die Beseitigung der Bodenspekulation,
die Überführung des notwendig en Grundbesitzes ins Eigentum
der Gemeinde, also Bodenreform. Aber bei uns sind diese Vorbedingungen
für den billigen Bau nicht vorhanden. Man betreibt keine
Bodenreformpolitik in dem Sinne, wie es notwendig wäre, die
Spekulation in Grund und Boden hat heute noch einen weiten, weiten
Spielraum. Die deutschen Regierungsparteien hätten die Möglichkeit,
da etwas zu tun, sie sitzen an der Macht, sie haben die Hand am
Steuerruder.
Zum billigsten Wohnen gehört auch das
billigste Bauen, die Herabsetzung der Materialpreise und die technisch
vollkommene Ausrüstung in modernem Sinne. Beides fehlt. Ziegel
und Holz u. s. w. sind nicht billiger geworden, denn die Kartelle
diktieren noch immer wahnsinnige Preise, die Baumeister und Bauhandwerker
sind nicht genossenschaftlich organisiert, um gemeinsam Material
beziehen zu können, sie sind dem Baustofflieferanten fast
wehrlos preisgegeben. Es gibt wertvolle Richtlinien, wie gearbeitet
werden sollte, in Deutschland draußen. Ich verweise auf
den Berliner Oberbaurat Wagner, der in der Praxis zeigt, wie hier
durch planvolle Organisation des Bauhandwerkes gespart werden
könnte. Daß die Klagen über Wucherpreise der Baumaterialien
berechtigt sind, darüber belehrt uns ein Artikel des Herrn
František Kupka in der "Národní Práce"
vom 10. März d. J. Dort wird geschrieben: "Die Baukosten
haben u. a. deshalb eine solche Höhe erreicht, weil die Betriebe,
in denen solche Artikel erzeugt werden, wie z. B. Stramberg-Witkowitz
oder Königshof, große Gewinne erzielen, in ersterer
Gesellschaft wurden im letzten Jahre 1925 45 % Dividende verteilt."
Das ist aufgelegter Wucher. Die Königshofer Zementfabrik
hat, trotzdem sie in diesem Jahre 10 Millionen an Dividende ausgeschüttet
hat, in demselben Jahre 19 Millionen obendrein investiert. Dazu
kommt eine Reihe von Abschreibungen und anderen Investitionen,
sodaß diese Fabrik im Jahre 1925 allein 120 % des Aktienkapitals
verdient hat. Das "Prager Tagblatt" hat im Oktober 1926
mitgeteilt, daß der Verwaltungsrat der Königshofer
Zementfabrik beschlossen hat, in Königshof noch eine große
neue Fabrik zu bauen und daß, wie dasselbe Blatt mitteilt,
anfangs Jänner 1927 der Bau schon weit vorgeschritten ist.
Ebenso wird in Beraun eine neue Fabrik gebaut mit einer täglichen
Erzeugung von 80 Waggons, mit aller modernsten maschinellen Einrichtungen,
und trotzdem wird schon jetzt gemeldet, daß die Dividende
für das Jahr 1926 höher sein wird als für das vergangene
Jahr 1925. Das sind unerhörte Profite, gegen die kein Staatsanwalt
einschreitet.
Und so wie beim Zement ist es ähnlich
beim Holz. Hier ist auch eine Preissteigerung von 30 bis 35 %
zu verzeiehnen, die durchaus ungerechtfertigt erscheint. Ich möchte
nun fragen, wo die christlich-soziale Partei ist, die bei der
Beratung der Agrarzölle erklärt hat, man müsse
den wucherischen Teuerungsbestrebungen durch entsprechende gesetzliche
Maßnahmen entgegentreten. (Výkøiky
na levici.) In der Beziehung haben Sie
vergessen, der Teuerung, die durch die Zölle gekommen ist,
entgegenzutreten und auch bei den Baumaterialien sehen wir keine
Gegenaktion seitens der christlich-sozialen Partei. Ich möchte
nur darauf hinweisen, daß die deutsche Hauptstelle für
Wohnungs- und Siedlungsfürsorge, ebenso wie Herr Koll. Krumpe
sehr richtig sagt, die Bauförderung sei eigentlich als
Frage der Häuser- und Wohnungsproduktion zu betrachten. Wenn
Sie also eine vernünftige Volkspolitik treiben wollen, müssen
Sie dafür sorgen, daß die Preise entsprechend herabgesetzt
werden. Die Profite der Unternehmer erlauben es schon. Daß
die Beistellung billigen Baugeldes eine der Hauptbedingungen für
die rationelle Bauförderung ist, erscheint selbstverständlich.
Aber hier ist eigentlich der wundeste Punkt. Eine wirkliche Bauförderung,
die Schaffung von einwandfreien Wohnungen bedeutet tatsächlich
erhöhte Kultur, weniger Gasthausbesuch, weniger Alkohol,
demnach Ersparungen und Hebung des Familiensinnes. Aber das sind
Dinge, an denen gewisse Kreise nicht interessiert sind. Wir wollen
nur eines feststellen: Mit privatkapitalistischen Mitteln, wie
es viele glauben, läßt sich dieses hohe Ziel freilich
nicht erreichen, das gerade Gegenteil tritt ein. Heute schon werden
freiwerdende Wohnungen nicht mehr vermietet, weil man damit rechnet,
daß nach dem Fallen des Mieterschutzes enorme Preise werden
gefordert werden können. Schon jetzt muß jeder, der
eine Wohnung beziehen will, Tausende, ja Zehntausende Kronen Baubeitrag
und Vorausbezahlungen leisten und Mietzinse bezahlen, die ins
Aschgraue gehen. Ein viel größerer Teil des Lohnes
als vor dem Kriege geht heute schon für die Miete auf. Das
Mieterschutzgesetz wird tausendfach durchbrochen, die Mieter trauen
sich oft nicht, sich zu wehren. Dazu kommt, daß der Abbau
des Mieterschutzes von den bürgerlichen Parteien immer mehr
propagiert wird.
Ich möchte noch etwas über den Abbau
des Mieterschutzes sagen. Gestern hat Herr Koll. Tichi
von der Gewerbepartei in offenkundigem Widerspruch zu dem vorhergehenden
Redner Abg. Schubert nicht den sofortigen Abbau des Mieterschuzes
verlangt, weil er ganz richtig darauf hingewiesen hat, daß
durch einen plötzlichen radikalen Abbau auch zahllose Gewerbetreibende,
die nur Mieter sind, schwer geschädigt würden. Das hat
man auch in Budapest erlebt, wo der Mieterschutz radikal abgebaut
wurde, und es wird auch anderswo erlebt. Herr Schubert ist
allerdings etwas rücksichtsloser und draufgängerischer.
Man muß eben feststellen, daß in puncto Volksfeindlichkeit
die Herren Landbündler immer voran sind. Der Hinweis des
Herrn Abg. Schubert darauf, daß die Aufhebung des
Mieterschutzes der Wirkung der Beseitigung der gebundenen Ernährungswirtschaft
gleichkommt, paßt wie die Faust aufs Auge. Die Dinge sind
doch so: Nahrungsmittel waren bei der Aufhebung der gebundenen
Wirtschaft genug vorhanden, aber beim radikalen Abbau des Mieterschutzes
werden eben nicht genügend Wohnungen vorhanden sein. Das
ist der wesentliche Unterschied. Das übersieht Herr Schubert
ganz geflissentlich. Das mussolinische Italien ist sein Vorbild,
das hat er gestern ausdrücklich angeführt. Unser Vorbild
ist natürlich ein ganz anderes, es ist das rote Wien, wo
wir in der Praxis gezeigt haben, was die Gemeinde, was die Allgemeinheit
in der Zukunft leisten könnte.
Nun möchte ich Sie, meine Herren und Damen,
fragen, wie es werden würde, wenn ein radikaler Abbau des
Mieterschutzes eintreten würde. Es wäre einfach katastrophal.
Man braucht nur die Verhältnisse in Prag im Auge zu haben.
In Prag gibt es über 20.000 Wohnungssuchende im Jahr und
zur Verfügung stehen nur 5000 neue Wohnungen. Die Folgen
eines radikalen Mieterschutzabbaues sind wirklich nicht zu überblicken.
Nun zu Vorlage selbst. "Es war ein schwerer Fehler",
sagt Herr Dr. Rauchberg, der bekannte Wirtschaftspolitiker, "daß
die Bauvorlage vom 12. Juni 1926 nicht erledigt und schließlich
von der Regierung zurückgezogen wurde", und fügt
hinzu: "Ein noch größerer Fehler ist das vorliegende
Bauprovisorium. Dieses Gesetz versperrt tatsächlich den Weg
zur grundsätzlichen Lösung der Bau- und Wohnungsfrage."
Das Gesetz ist wirklich ein faules Kompromiß von fragwürdigstem
Werte. Es ermöglicht den Bau nur für Leute, die einiges
Vermögen bereits besitzen. Einzel personen müßten
25 % des Baukapitals ihr Eigen nennen, Gemeinden und Genossenschaften
20%. Wo sind Gemeinden und wo sind die Genossenschaften, die über
derlei Mittel verfügen können, dabei besteht doch die
Absicht, die Gemeindefinanzen noch weiter zu drosseln. Wenn sich
bei uns droben im deutschen Gebiete jemand um 40.000 Kronen ein
einfaches Häuschen mit einer Wohnküche im Erdgeschoß
und einem Schlafraum im Obergeschoß bauen will, muß
er 10.000 Kronen besitzen. Wie viele Arbeiter verfügen heute
über diese Mittel? Gewiß nur sehr wenige. Die niedrigen
Löhne, die von gewisser Seite als Heil der Produktion hingestellt
werden, bilden in diesem Falle geradezu einen Fluch für die
heimische Volkswirtschaft, für den inneren Markt, für
den kulturellen Aufstieg der breiten Masse. Auf das, was uns gestern
von anderer Seite empfohlen wurde, daß die Unternehmer gezwungen
werden sollten, Fabrikswohnungen zu bauen, darauf wollen wir verzichten.
Unsere Arbeiter wollen unabhängig sein von dem Einfluß
und der Gnade unserer Unternehmer. (Souhlas poslancù
nìm. soc. dem. strany dìlnické.) Die
Fürsorge der Regierung erstreckt sich auf eine Garantie,
die praktisch den Staat nicht sehr belasten wird. Staatliche direkte
Zuschüsse kommen überhaupt nicht in Betracht. Herr Dr.
Rauchberg - um wieder diesen Namen zu nennen - bezeichnet diesen
Vorgang, wie er im Gesetz eingehalten wird, mit Recht als einen
Rückschritt auf eine primitive Entwicklungsstufe. Die Begrenzung
der Staatsgarantie mit 120 Millionen Kronen ist natürlich
sehr schlimm. Mit dieser Bagatelle kann man nur einen winzigen
Bruchteil dessen leisten, was notwendig wäre. So lange wir
Geld genug haben, für den Militarismus jährlich 2 Milliarden
zu opfern und einen neuen Rüstungsfonds von mehr als 31/2
Milliarden anzulegen, ist es ein Verbrechen, bei der Bauförderung
in dieser schäbigen Weise zu sparen.
Unser Klub stellt eine ganze Reihe von Verbesserungsanträgen,
die, wenn sie angenommen werden, das Gesetz brauchbar machen würden.
Leider müssen wir erwarten, daß die Regierungsmehrheit
unsere Anträge, so gut gemeint, so praktisch und so nützlich
sie sind, glattweg ablehnen wird. Unsere Anträge werden voraussichtlich
auch von den deutschen Parteien abgelehnt werden, die einst im
Namen des deutschen Volkes, der Menschlichkeit und Kultur neben
uns für eine großzügige Bauförderung gekämpft
haben.
Es ist zumindestens merkwürdig, daß
die "Deutsche Presse", das Hauptblatt der christlich-sozialen
Partei, am 20. Feber d. J. die Vorlage damit begrüßte,
daß der Gesetzentwurf das Gute, das der frühere Entwurf
enthielt, übernimmt, die Schattenseiten aber auszuschalten
sucht. (Výkøiky poslancù nìm.
soc. dem. strany dìlnické.) Auf
die rauhe Wirklichkeit ist das natürlich der reinste Hohn.
Herr Abg. Schubert hat ein ähnliches Loblied angestimmt.
Nun, das ist freilich nicht verwunderlich: Die deutschen Christliehsozialen
und auch die Landbündler finden ja heute alles gut und schön,
was von der grün schwarzen Regierung kommt. Da hat. z. B.
der Herr Minister Mayr-Harting - um noch etwas nebenher
zu erwähnen - am Prager Kreisparteitag der Christlichsozialen
am 12. März den jeder Demokratie spottenden, die Bevölkerung
der schrankenlosesten Willkürherrschaft von Bürokraten
ausliefernden Entwurf der Verwaltungsreform in ganz unglaublicher
Weise warm verteidigt. Diese Vorlage enthält nach dem Minister
angeblich gesunde Gedanken, die Ernennungen würden nicht
mißbraucht u. s. w. Dies und ähnliches sagt der Minister
in einem Augenblick, wo draußen das Volk einmütig das
Verdammungsurteil über diese Vorlage spricht, wo auch die
landbündlerischen und christlichsozialen Gemeindevertreter
die sozialdemokratischen Proteste mit unterfertigten. Dutzendweise
könnten wir ihnen diese Proteste auf den Tisch des Hauses
legen. (Výkøiky na levici.) Der
Herr Minister soll nur unter das wirkliche Volk gehen und hören,
was es sagt, nicht aber sich hinter geschlossenen Türen verstecken.
Seine Meinung und seine Rechnung, daß der Stillstand der
Front der Opposition gegen die Regierungsparteien erfolgt sei,
ist eine falsche Rechnung. Die Herren dürfen nicht glauben,
daß sie uns einschläfern werden, daß sie uns
irreführen könnten. Der Kampf geht weiter, die Abrechnung
kommt, meine Herren. Das Volk, Herr Koll. Krumpe, denkt
an seine Zukunft. An was Sie und der Herr Minister denken, weiß
ich nicht. Wenn man schon politisch so blind ist, die Vogelscheuche
der Verwaltungsreform für einen Paradiesvogel zu halten,
so ist es erklärlich, wenn man auch diese Vorlage für
ein Wunderding hält. Allerdings, der ganzen Politik, die
jetzt die Herren machen, fehlt noch der Segen von oben. Ich weiß
nicht, ob dieser Segen ausreichend sein wird, wenn der Tag der
Abrechnung mit den Wählern einmal kommt.
Ich möchte noch darauf hinweisen, daß
der ehemalige Abgeordnete Schälzky in der 112. Sitzung
des Abgeordnetenhauses vom 19. Dezember 1921 erklärt hat,
mit einer Gesetzgebung, die in einigen Monaten immer wieder ihre
Arbeit revidieren muß, mache sich das Parlament nur lächerlich.
Diese Worte gelten heute doppelt für eine Vorlage, der die
deutschen Regierungsparteien Pate stehen. Derselbe Abgeordnete
hat am 14. Dezember 1923 darüber geklagt, daß die damalige
Vorlage nicht den Wünschen seiner Partei entspreche. Was
würde er jetzt sagen, wenn er diese Vorlage in die Hand bekäme.
Besonders die Kreditschwierigkeiten nahm er aufs Korn. Ich frage:
Sind diese Kreditschwierigkeiten behoben? Haben die Regierungsparteien,
auch die deutschen, für genügend Barmittel gesorgt?
Nein!
Koll. Schubert hat gestern erklärt,
daß die Auslagen zu groß sind, daß man auch
hier sparen müsse. Sparen Sie beim Militär, dann werden
Sie Geld haben zu Kulturzwecken. Ich möchte darauf hinweisen,
daß damals, als die Herren noch gleich uns das bittere Brot
der Opposition essen mußten, der Abg. Schubert in
der gleichen Sitzung vom 14. Dezember 1923 über die schwierige
Geldbeschaffung geklagt hat, während er jetzt, wo seine Partei
in der Regierung sitzt, keine besseren Vorschläge zu machen
in der Lage ist. Besonders erregt war damals der Abg. Schubert
darüber, daß die Möglichkeit der Enteignung
von Baugrund gegeben ist. Das hat ein Mann gesagt, der Bodenreformer
sein will! Ich möchte seine gestrige Rede noch etwas näher
charakterisieren. Sie bestätigt aufs neue, daß auf
Seite seiner Partei das einfachste Verständnis für die
fachgemäße Lösung sozialer Probleme vollständig
fehlt. Man klagt gar oft und mit Recht über die Landflucht.
Aber diese ist zurückzuführen auf den Mangel an Wohnungsfürsorge
für die Landarbeiter und Dienstboten, zurückzuführen
auf die vielen erwachsenen Landarbeiter, Männer und Frauen,
die nicht in der Lage sind, eine eigene Familie zu gründen,
zurückzuführen darauf, daß der Grund und Boden,
den sie brauchen, um eine eigene Existenz zu gründen, nicht
zur Verfügung gestellt wird. Das sind die sozialen Probleme,
die hier in Frage kommen. Aber der Herr Abg. Schubert hat
mit keinen einzigen Wort des Elends des Landvolkes und der Forstarbeiter
gedacht, obwohl draußen immer von der Dorfgemeinschaft geredet
wird, obwohl man draußen den Leuten weißmachen will,
daß auch die Landbündler für die Interessen dieser
großen Schicht von Wählern eintreten. Man muß
es geradezu als Hohn empfinden, wenn der Abg. Schubert erklärt
hat, man wolle ja nur jene Leute schützen, die weniger als
25% Eigenkapital für Baugründe haben, sie vor leichtfertiger
Kurzsichtigkeit und vor d em Unglück bewahren, daß
sie ihr Geld verlieren. Nun dieser Schutz ist wirklich sehr fragwürdig.
Herr Koll. Schubert begrüßt weiter die Erschwerung
der Enteignung der Baugründe. Er begrüßt das Regreßrecht
des Staates an die Bauwerber, kurz er ist ein ganz sonderbarer
Freud der Bauförderung. Wir stellen uns die Bauförderung
ganz anders vor. Herr Abg. Schubert hat auch davon gesprochen,
daß die Sozialpolitik nun diese Wege weiter wandeln wird,
wie er und die Seinen es wünschen. Es ist traurig, daß
es mit der Sozialpolitik unter der grünschwarzen Regierung
so weit gekommen ist. Für uns, meine Damen und Herren, ist
es vollständig klar: Seit die deutschèechische
Koalition der bürgerlichen, der Kapitalistenklasse besteht,
ist es auch auf dem Gebiete der staatlichen Bauförderung
gewaltig nach rückwärts gegangen. Das liegt ja in der
Natur der Herren Windirsch und
Mayr-Harting, die heute stolz erklären, der Kurs gehe
nach rechts, die Bildung einer konservativen Mehrheit sei ein
großer Erfolg. Freilich, wo diese Herren regieren, wird
der soziale Fortschritt stets zu kurz kommen. Wir wissen, was
dies bedeutet. Es bedeutet die Herrschaft des Geldsacks und der
Kirche, es bedeutet erhöhte Ausbeutungsmöglichkeit der
breiten Massen, es bedeutet Reaktion und Rückschritt auf
allen Gebieten, es bedeutet die Verewigung der Unkultur.
Darum erklären wir deutschen Sozialdemokraten
den entschiedensten Kampf gegen das herrschende System, und es
ist wohl ganz selbstverständlich, daß wir nicht für
ein Gesetz stimmen, das dem Volke nicht das bringt, was es bringen
sollte. (Potlesk poslancù nìm. soc. dem.
strany dìlnické.),