Středa 23. června 1926
Hohes Haus! Der vorliegende Gesetzentwurf schafft
für eine bisher seit dem Umsturz gehandhabte Gepflogenheit
eine Gesetzesnorm. So sehr es zu begrüßen ist, daß
die Unsicherheit im Rechtswege immer mehr abnimmt, ist diese Vorlage
doch geeignet, vielen Staatsbürgern die letzte Hoffnung auf
Bezahlung berechtigter Forderungen zu nehmen. Die Friedensverträge
von Versailles und Trianon haben keineswegs den ganzen Komplex
der Forderungen der Bürger an das alte Österreich, die
an die neuen Staaten übergegangen sind, vollkommen geregelt.
Durch diesen Gesetzentwurf werden aber alle Möglichkeiten,
noch berechtigte Forderungen vom Staate bezahlt zu erhalten, den
Staatsbürgern genommen. Das Rechtsgefühl sträubt
sich dagegen, daß die Staatsbürger für Vermögenswerte,
die sie dem Staate übergeben haben, keine Bezahlung erhalten.
Aus diesem Gesichtspunkte heraus wurde auch schon der bisherige
Vorgang unterbrochen in der Bezahlung der rückständigen
Kriegslieferungen. Wenn aber Vermögenswerte, die heute
noch volkommen im Besitze des čechoslovakischen Staates
sind, den Staatsbürgern noch nicht bezahlt
worden sind, so suchen diese selbstverständlich nach einer
Hilfe, um zu ihren berechtigten Forderungen zu kommen.
Ich greife einen besonders krassen Fall heraus,
und zwar die Angelegenheit der Kettenbrücke in Tetschen.
Die Kettenbrücke in Tetschen wurde von der Bevölkerung
erbaut durch eine Aktiengesellschaft, die ihr Geld zum Teil auch
unter den kleinen Leuten des Bezirkes aufbrachte. Im Jahre 1917
nun übernahm der österreichische Staat die Kettenbrücke
von Tetschen mit der Verpflichtung, die Aktionäre schadlos
zu halten. Er übernahm nicht nur die Kettenbrücke in
tadellosem Zustande, sondern er übernahm auch den gesamten
Reservefond der Gesellschaft im Betrage von 147.000 Kronen, um
damit die Aktien allmählich auslosen zu können, ja noch
mehr, er legte dem Bezirke, den Städten Tetschen und Bodenbach,
die Verpflichtung auf, alljährlich die Summe von 10.000 Kronen
dem Staate beizusteuern, um die Kettenbrückenaktien bis zum
Jahre 1930 zu tilgen. Eine solche Auslosung fand ein einzigesmal
statt, und zwar am 1. Jänner 1918. Seit dieser Zeit sind
alle Ansuchen der Aktionäre der Kettenbrücke vollkommen
unbeantwortet geblieben. So bleiben heute noch 774 Aktien im Betrage
von 325.000 Kronen zur Auslosung. Bei der Übernahme wurden
diese Aktien, die damals den Verkaufswert von 750 Kronen hatten,
mit 420 Kronen eingesetzt, so daß diese Summe heute der
Staat seinen Bürgern buchstäblich schuldet. Da nach
dem Inkrafttreten dieses Gesetzes der Anspruch der Aktienbesitzer
im Bezirk Tetschen vollständig abgewiesen werden müßte,
erlaube ich mir, zum § 1 einen Resolutionsantrag zu stellen,
nach dem die Regierung aufgefordert wird, über die Bestimmungen
dieses Gesetzes hinaus die Besitzer der Kettenbrückenaktien
des Bezirkes Tetschen angemessen zu entschädigen. (Souhlas.)