Wir deutschen Sozialdemokraten begrüssen
diese Entwicklung, welche die wirtschaftlichen Interessen zum
Mittelpunkt der Politik macht. Freilich, die Herren Christlichsozialen
und die Herren Landbündler die heute mit am Regierungsstrange
ziehen, dürfen es wohl kaum mehr wagen, draußen im
Lande vom Selbstbestimmungsrecht und ähnlichen Dingen zu
reden. Herr Windirsch hat das Zusammenwirken der
deutschen und èechischen Agrarier als eine Selbstverständlichkeit
erklärt. Wir haben wirklich nichts dagegen einzuwenden. Er
hat die Arbeitslosenunterstützung, die Sozialversicherung
u. s. w. in eine Parallele mit den Zöllen gestellt.
Das paßt wie die Faust aufs Auge. Bei den Agrarzöllen
handelt es sich darum, die èechische Regierung aus einer
großen Verlegenheit zu bringen. Wirtschaftlich bedeuten
die Zölle einen Extraprofit für eine kleine Minderheit
der gesamten Bevölkerung. Bei der Sozialreform
ist es doch ganz umgekehrt. Hier zählen die Interessenten
einige Millionen, bei der Sozialversicherung für die Arbeiter
21/2 Millionen, bei den Selbständigen fünf Viertel Millionen.
Da kann man wohl auch sagen: Ja Bauer, das ist wieder etwas ganz
anderes!
Sachliche Gesichtspunkte verlangt der gewesene
Handelsminister Dvoøáèek
und andere Faktoren, wie der genannte handelspolitische Ausschuß
der Handelskammernzentrale. Gut! Die einzig richtige Behauptung
der Agrarier in Bezug auf die Zollpolitik ist die, daß zwischen
Agrar- und Industriezöllen eine große Spannung besteht.
Das löst die Frage der Schutzzölle überhaupt aus.
Kein Volkswirtschaftler wird sich der Notwendigkeit entziehen,
unter ganz besonderen Umständen ausnahmsweise sogenannte
Erziehungszölle zuzulassen. Was wir Sozialdemokraten jedoch
strikt ablehnen, ablehnen müssen, sind Hochschutzzölle,
die offenkundig Profitzwecken dienen, gleichviel welcher Produktionsgruppe
immer sie nützen sollen. Die agrarische Behauptung, wir seien
einseitig zugunsten der Industrie eingestellt, wie es auch der
Herr Sen. Luksch gesagt hat, ist total falsch. Ich erinnere
an den vom 30. September bis 4. Oktober 1907 in Wien abgehaltenen
Parteitag der österreichischen Sozialdemokratie, der angesichts
der wachsenden Teuerung - das Mehl war in einem Jahre von 24 auf
34 K gestiegen - nicht nur die Agrarzölle ablehnte, sondern
auch die Aufhebung der Eisenzölle und die Verstaatlichung
der Kohlengrube forderte. In jener Zeit hatte die Prager Eisenindustrie-Gesellschaft
421/2% Dividende ausgeschüttet. Heute sind es wahrscheinlich
auch nicht viel weniger. Ich möchte noch hinweisen auf das
Buch von Karl Kautsky: "Handelspolitik und Sozialdemokratie."
Auf Seite 70 schreibt er: "Wer ruft "Fort mit den Getreidezöllen!"
darf nicht zurückschrecken vor dem Rufe "Fort mit den
Eisenzöllen!" Die Beschränkung des Kampfes auf
ein einzelnes Stück des Schutzsystems sei praktisch ebenso
unzu. reichend, wie theoretisch ungerechtfertigt.
Unsere Haltung ist also vollkommen korrekt.
Wie wir ablehnen, daß die Betriebsmittel des Landsmanns
künstlich durch Eisenzölle u. s. w. verteuert
werden, lehnen wir auch die künstliche Verteuerung der Lebensmittel
zugunsten einer wirklich nur kleinen Anzahl kapitalistischer Interessenten
ab. In der "Zemìdìlská jednota"
macht Ing. Knespel der èechoslovakischen Industrie den
Vorwurf, daß sie billig auf Koste
der Landwirtschaft produzieren wolle, statt an eine bessere Betriebsorganisation
und Erhöhung der Leistungsfähigkeit der Arbeiter zu
denken. Dem gegenüber muß doch gesagt werden, daß
die Industrie in der Èechoslovakei die Hauptstütze
der Volkswirtschaft ist, daß die große
Mehrheit der Bevölkerung in der Industrie, im Handel und
Gewerbe sowie in den freien Berufen tätig ist und daß
kaum ein Drittel der Bevölkerung der Land- und Forstwirtschaft
angehört. Die Zahl der in Land- und Forstwirtschaft Beschäftigten
sinkt ständig. Industrie und Landwirtschaft müssen einander
ergänzen. Das ist selbstverständlich. Aber auch für
die Landwirtschaft besteht der Zwang billiger Erzeugung und Erhöhung
der Betriebsorganisation, allerdings nicht auf Kosten der Land-
und Forstarbeiter. Das Problem lautet aber nicht auf Erhöhung
der Einnahmen durch mehr als zweifelhafte, dabei vorübergehende
Mittel, sondern durch Herabsetzung der Produktionskosten. Auch
der frühere Landwirtschaftsminister Dr Hodža
hat einmal darauf hingewiesen, daß man für den Freihandel
eintreten kann in dem Sinne, daß auch die Industriezölle
fallen, welche die Landwirtschaft belasten, und daß infolge
des geringeren Druckes auf die Landwirtschaft eine billigere Produktion
möglich wäre. Das ist der zweite Weg, der aber leider
nicht gegangen wird. Die falsche Politik der Agrarier steigerte
künstlich den Grundwert, erhöhte infolgedessen die Lasten
und Zinsen, erschwerte damit die Produktion. Dazu kommen die drückenden
Steuern und Abgaben. Wer die Landwirtschaft emporbringen
will, muß in erster Reihe den Militarismus, die Kartelle,
das Leihkapital und den Zwischenhandel bekämpfen. Das alles
tun die èechischen Agrarier und ihre Knappen nicht. Auf
die schädliche Bedeutung des Zwischenhandels hat Herr
Koll. Patzel bereits ausreichend hingewiesen. Erfahrungsgemäß
hat die agrarische Zollpolitik der Landwirtschaft nichts genützt.
In der Zeit von 1878 bis 1899 nahm in Böhmen die Neubelastung
durch exekutive Intabulationen um 192 Millionen Kronen zu, obwohl
in dieser Zeit die Zölle um das fünffache gestiegen
waren. Von 1900 bis 1910 nahm die Rinderzahl in Österreich
um 3.74% ab, was Professor Dr. Rauchberg mit Recht als einen Bankerott
der Landwirtschaft bezeichnet. Trotz der Schutzzölle gab
es 1911 in Österreich nicht weniger als 77.000 verseuchte
Gehöfte.
In völliger Übereinstimmung mit den
unvoreingenommenen Vertretern der Wissenschaft, die sich gleich
uns für den internationalen Zollabbau aussprachen - ich erinnere
da an Sehring und andere - aber auch in Übereinstimmung mit
Männern der Praxis können wir sagen, daß die Schutzzölle
kein Heilmittel für die Landwirtschaft sind und nicht sein
können. In England hat der Kampf um den Kornzoll jahrzehtelang
gedauert. Erst 1842 war der Glaube an die alleinseligmachenden
Kornzölle verschwunden. Als 1846 die Kornzölle abgeschafft
wurden, gab es in Großbritannien fast keine Bauern mehr,
Selbst zugegeben, daß der gegenwärtige Besitzer eines
Grundstückes durch Agrarzölle gewinnt, der Nachfolger,
der den verteuerten Grund übernehmen muß, steht genau
dort, wo sein Vorgänger vor Schaffung der preistreibenden
Zölle stand. (Odpor.) Das Gut hat wohl einen höheren
Wert, das Getreide hat einen höheren Preis, aber die Zinsenlast
ist auch größer, und den Vorteil hat der Gläubiger.
Das sagt, um den Autor dieser Behauptung zu nennen, Kollege Wollschack,
der in einer Schrift vor mehr als 20 Jahren unter dem Namen Teifen
dies bewiesen hat.
Ein reichsdeutscher Volkswirtschaftler Aereboe
schrieb, das künstlich durch Agrarzölle hervorgerufene
Gedeihen der Landwirtschaft bzw. eines Bruchteiles derselben wirke
so wie die Stimulation durch ein Opium oder durch starke Getränke,
aufregend für einen Augenblick, aber schwächend für
die Lebenszeit und es wird mit Recht darauf hingewiesen, daß
immer wieder Neuforderungen auf Erhöhung der Zölle eintreten
müssen, wenn das so weiter geht. Es ist also eine Schraube
ohne Ende.
Wogegen wir uns mit aller Leidenschaft wenden
müssen, ist der ganz unverschämte Mißbrauch der
Kleinlandwirte und Häusler von Seiten der Agrarier. Wir verlangen
detaillierte Untersuchung der ganzen Zollfrage, so wie es der
ehemalige Handelsminister Dvoøáèek
verlangt. Wir können uns nicht mit den Pauschalbehauptungen
begnügen, wie es auch der Abgeordnete Windirsch vorgebracht
hat, mit denen die Agrarier operieren. Kommen denn die Herren
mit klaren und einwandfreien Zahlen? Sie sagen bloß: Dem
Bauer geht es schlecht! Welchem Bauern, dem großen, dem
mittleren, oder dem kleinen Bauern, dem Hopfen-, dem Kartoffel-,
oder dem Weinbauern? (Výkøiky:
Allen Bauern!) Wie steht es mit dem Kreis
der Zollinteressen? Hier gibt die Statistik einen gewissen Anhalt.
Wir haben in Böhmen, Mähren und Schlesien nach einer
älteren Statistik, ich glaube aus dem Jahre 1920 1,483.000
Besitzer von Grund und Boden. Nur darf man nicht glauben, daß
das lauter Bauern sind. Der Großteil davon, nämlich
1,226.000 sind Kleinlandwirte, die im Durchschnitt mehr als einen
Hektar ihr eigen nennen, und wenn man sagt, daß die Grenze
für das Interesse an Agrarzöllen erst bei 5 Hektar beginnt,
dann muß man zugeben, daß der allergrößte
Teil, der erdrückende Teil der Landwirtschaft, der wirklichen
Besitzer von Grund und Boden, absolut kein Interesse an Agrarzöllen
haben kann. Von den Hopfenbauern, den Zuckerrübenbauern,
den Kartoffelbauern will ich gar nicht reden. Ein Teil der Landwirte
rechnet ja mit der Ausfuhr. Ich erinnere an die Interessen der
Hopfenbauern, die sicherlich nicht sehr erbaut sind, wenn in England
oder Deutschland oder anderswo Einfuhrzölle auf böhmischen
Hopfen eingeführte werden sollten. Man kann wohl sagen, daß
höchstens 17% aller Besitzer von Grund und Boden an Agrarzöllen
interessiert sind, aber da muß man auch wieder untersuchen,
in welchem Maße. Unser Parteifreund Dr. Renner, der spätere
Kanzler von Österreich, hat ausgeführt, daß in
Wirklichkeit nur 5% aller Besitzer einen großen Nutzen von
den Agrarzöllen haben, insbesondere von den Getreidezöllen.
20% haben einen geringen, einen zweifelhaften Nutzen und 75% der
kleinen Landwirte und Häusler haben einen effektiven Schaden.
So liegen die Dinge hier ähnlich. Vor der erdrückenden
Zahl der Bevölkerung der Republik überhaupt schweigt
des agrarischen Sängers Höflichkeit. Ob es nun 80 oder
90% der Konsumenten sind, die durch die Agrarzölle leiden,
davon wird nicht gesprochen. Ganz offenbar treiben die Agrarier
in der Zollfrage ein aufgelegtes Doppelspiel, wobei die kleinen
Landwirte zu Gunsten der Großagrarier die Leidtragenden
sind.
Die schwierige Situation in der Zollfrage geben
auch Leute zu, die ich höher schätze als gewisse Kollegen,
die sich so enragiert für die Agrarzölle einsetzen.
Ich möchte hinweisen auf das Werk vom Oberrat Andreas Meissner,
von der deutschen Sektion des Böhmischen Landeskulturrates,
"Agrarische Zollpolitik" wo er offen zugeben muß,
daß durch die Erhöhung der Zölle auf die Landwirtschaft
die Kleinlandwirte leiden. Er schreibt auf Seite 85: "Der
Umstand, daß die Getreideschutzzölle eine gewisse Verteuerung
des Getreides und der daraus gewonnenen Erzeugnisse (Mehl, Schrot,
Kleie und dergleichen), im Inlande zur Folge haben und daß
daher auch die inländischen Viehzüchter die von ihnen
durch Kauf zu beschaffenden Mengen an Getreide, Mehl, Schrot,
Kleie u. s. w. teuerer bezahlen müssen als ohne Bestand von
Getreidezöllen, kann und soll nicht in Abrede gestellt werden.
Ebenso ist es richtig, daß die Viehzölle für jene
inländischen Landwirte, welche Vieh- oder Viehprodukte (Fleisch,
Butter u. dgl.) für Haus und Wirtschaft kaufen müssen,
eine gewisse Verteuerung dieser Bedarfsartikel, die aber wieder
hinter der Zollhöhe in der Regel beträchtlich zurückbleiben
wird, zur Folge haben. Die landwirtschaftlichen Interessenvertretungen",
sagt Meissner, "befinden sich fast bezüglich aller Agrarzölle
in der schwierigen Lage, daß sie bei ihren gegenständlichen
Gutachten nicht allein die Interessen jener Landwirte, welche
das betreffende Erzeugnis herstellen und hiefür einen Schutzzol
benötigen, sondern auch die Interessen jener Landwirte, welche
dieses Erzeugnis kaufen müssen und daher durch diesen Schutzzoll
belastet werden, zu berücksichtigen haben."
Kollege Windirsch hat aber nicht bloß
eine 6fache Erhöhung der Zölle verlangt, sondern er
hat eine achtfache als notwendig hingestellt. Da möchte ich
ein Wort von Meissner anführen. Er sagt: (Posl. dr Hanreich:
Lesen Sie alles, lesen Sie die Tendenz des Buches!) Hören
Sie das Ganze an, ich komme schon auf die Tendenz zu sprechen.
Meissner sagt: "Die Agrarzölle dürfen also schon
mit Rücksicht auf die verschiedenen Wirkungen, welche sie
im Bereich der landwirtschaftlichen Interessensphäre selbst
haben, je nachdem die Landwirte als Produzenten oder aber als
Konsumenten im weitesten Sinne des Wortes in Betracht kommen,
nie übermäßig hoch gehalten werden." Das
mag sich Herr Kollege Windirch merken. Dann möchte
ich darauf noch hinweisen, was Meissner, direkt an unsere Adresse
gewendet, sagt, u. zwar Seite 89 und 90: "Die Gegner der
Agrarzölle, zu welchen vielfach auch politische Führer
der Kleinhäusler gehören, weisen darauf hin, daß
die Kleinhäusler weder Viehzucht noch Getreidebau in einem
derartigen Ausmaß betreiben können, daß sie nennenswerte
Mengen zum Verkaufe bringen könnten. Für den Kleinhäusler
sei es gar kein Vorteil, wenn die Kuh, die er im Stalle hat, einen
hohen Geldwert repräsentiert, der höhere Wert könne
von ihm doch nicht realisiert werden, wohl aber steigere er die
Größe des Verlustes im Falle der Notschlachtung oder
des Umstehens der Kuh. Für den Kleinhäusler sei die
Hauptsache, daß die Kuh viel Milch gibt. An einem hohen
Milchpreis habe er auch kein Interesse, da er ja die in seinem
Stall gewonnene Milch für den eigenen Hausbedarf benötige
und eventuell für eine vielköpfige Familie noch Milch
zukaufen müsse. Desgleichen sei es für den Kleinhäusler
nur erwünscht, daß die Getreidepreise möglichst
niedrig sind, da ihm ja von seiner eigenen Getreidefechsung nicht
nur nichts für den Verkauf übrig bleibe, sondern er
Futtergetreide, Kleie und meist sogar auch Brotgetreide, bzw.
Brot und Mehl kaufen müsse. Aus allen diesen Umständen
wird der Schluß gezogen, daß die Kleinhäusler
weder an Viehzöllen noch auch an Getreidezöllen ein
aktives Interesse haben, sondern derlei Zölle als für
sie nachteilig ablehnen müßten." Meissner sagt
weiter: "Wie wohl die geschilderte wirtschaftliche Lage der
Kleinhäusler unbestreitbar richtig ist, ist der darauf aufgebaute
Schluß trotzdem nur ein Trugschluß." Was hat
er uns, den Kleinhäuslern zu sagen, die gegen die Schutzzölle
sind? Er sagt ihnen: Ohne den Agrarzoll gebe es keinen Zuchtstier
mehr, ohne Zölle gebe es kein Saatgut mehr, die Landwirtschaft
werde zugrunde gehen. Das ist wohl eine lächerliche Ausrede.
Ich möchte eine andere Stimme zitieren, die den Herren Landbündlern
gewiß bekannt ist. Der Hauptkassier des Bundes der Landwirte,
Herr Ikert aus Kosel bei Böhm. Leipa, hat im Feber 1922 bei
der zoll- und handelspolitischen Tagung in Teplitz wörtlich
erklärt: "Ein großer Teil der kleinen Landwirte
und Häusler hat nur wenig Interesse an hohen Getreidepreisen,
weil er selbst noch Getreide kaufen muß. Im Prinzip stehen
wir kleinen Landwirte auf dem Standpunkt des Freihandels."
Man redet den Kleinlandwirten ein, sie müßten
aus Solidarität für die Interessen der anderen einstehen
und den Schutzzoll vertreten. Hier appelliert man an die berühmte
Dorfgemeinschaft, weil es um kapitalistische Interessen geht.
Bei der Bodenreform, der Pächterfrage, der Frage des Gemeindegutes,
der Steuerleistung, Verwaltung der Gemeinden, bei Fragen des sozialen
Fortschrittes u. s. w., die von den reichen Bauern und Großgrundbesitzern
Opfer erfordern würden, spürt man von der Dorfgemeinschaft
verteufelt wenig. Wo es um lebenswichtige Fragen, um das wirkliche
Interesse der kleinen Landwirte geht, wenden sich die Agrarier
wütend dagegen. So in der Frage der Futtermittel. In diesem
Punkte scheiden sich die Wege der beiden Interessentengruppen
vollständig. Von der Einfuhr billiger Futtermittel wollen
die Großagrarier, die selbst mehr erzeugen als sie brauchen,
nichts wissen, die Kleinlandwirte aber müssen naturgemäß
mit billigen Futtermitteln rechnen. Und wenn Kollege Windirsch
die Glasschleifer des Isergebirges als Beispiel hingestellt hat,
daß es der Landwirtschaft schlecht geht, so ist das darauf
zurückzuführen, daß eben die Futtermittel zu teuer
sind für jene, die zu wenig haben und sie kaufen müssen.
Dort liegt der Hund begraben. Was hierzulande fehlt an Futtermitteln,
sollte ohne Zoll und bei den geringsten Frachtsätzen aus
dem Auslande eingeführt werden können. Wir haben diesen
vernünftigen Standpunkt zugunsten der Kleinlandwirte schon
immer vertreten. Anders die Agrarier: Die Herren, die heute
èechische und deutsche Agrarpolitik machen, folgen den
Spuren Hohenblums. Ich möchte dabei über die Agrarpolitik
Hohenblums etwas sagen: In Bezug auf den im Herbst 1910 im österreichischen
Abgeordnetenhaus angenommenen Antrag auf Herabsetzung
der Futtermittelzölle schrieb damals das Hohenblumsche "Österreichische
agrarische Handbuch 1911": "Diese Betrebungen wären
geeignet, einen Keil in die Interessensolidarität der Landwirte
zu treiben. Denn die Agrarzölle beruhen auf einem Kompromiß
zwischen den Interessen der verschiedenen landwirtschaftlichen
Produktionszweige, es ist nur solange möglich, den von ihnen
geforderten Schutz aufrecht zu erhalten, als die Grundlage, auf
welcher sich dieser aufbaut, nämlich das gegenseitige Einvernehmen,
intakt bleibt." Sie sehen, man appelliert an die Solidarität
der kleinen Leute, zugunsten der Großproduzenten Lasten
auf sich zu nehmen.
Man komme uns nicht mit dem Hinweis, daß
durch Agrarzölle die Löhne der Landarbeiter steigen
werden. Wenigstens nicht in entsprechendem Ausmaß. In Deutschland,
England und anderswo hat man die Erfahrung gemacht, daß
die Steigerung der Löhne weit hinter dem Steigen der Lebens,
mittelpreise zurückbleibt. In Wirklichkeit haben also die
Landarbeiter nichts oder verteufelt wenig von den hohen Zöllen
zu erwarten.
Meine Damen und Herren! Ich möchte eine
Feststellung machen. Im Jahre 1922 hat man auf der zoll- und handelspolitischen
Tagung in Teplitz den zehnfachen Zollkoeffizienten verlangt. Damals
behauptete Dr Karl Fiedler vom Landeskulturrat in Prag, daß
bei Getreidepreisen von 369 bis 444 Kronen noch 23 bis 73%
Verlust für den Produzenten vorhanden sein sollten. Wie
hoch sollten dann die Getreidezölle eigentlich sein? Es herrschte
einst die Meinung in vielen landwirtschaftlichen Kreisen, daß
es vielleicht möglich sein werde, den während des Krieges
erzielten Preis von 600 Kronen per q Getreide aufrecht erhalten
zu können. Wie sollten dann bei solchen Preisen die Getreidezölle
ausschauen, wenn noch 73% Verlust durch den Zoll gedeckt
werden sollten? Nimmt man an, daß vor dem Kriege der q Weizen,
respektive Korn, 18 bis 20 K kostete, muß doch zugegeben
werden, auch von Ihrer Seite, daß die heutigen Preise angesichts
der sechs- bis siebenfachen Geldentwertung den damaligen Preisen
entsprechen. Wohin will die agrarische Zollpolitik denn steuern?
Was wir gern und freudig begrüßen
und fördern, ist die systematische Hebung der landwirtschaftlichen
Produktivkräfte mit Hilfe von Technik und Wissenschaft durch
Meliorationen, billigen Kredit, Ausbau der Genossenschaften, der
theoretischen und praktischen Bildungsstätten für die
Landwirte u. s. w. Wo es unbedingt notwendig ist und nicht anders
geht, wo ein Schutz der landwirtschaftlichen Produktion erforderlich
ist, empfehlen wir nach dem System Norwegens und der Schweiz die
Schaffung eines Einfuhrmonopols für Getreide, wie es auch
der österreichische Staatspräsident Dr. Hainisch in
seinem berühmten Werk "Die Landflucht" warm anpreist.
Er schreibt auf Seite 332 wörtlich: "Vor dem Schutzzoll
hat das Getreidemonopol große Vorteile voraus. Zunächst
wirkt es nicht so roh mechanisch wie der Schutzzoll, es wäre
denkbar, zu individualisieren. Man könnte, wenn nicht schon
für jeden einzelnen Besitzer fruchtbarer Gründe, so
doch für ganze fruchtbare Bezirke die Preise etwas niedriger
halten als für unfruchtbare Gegenden, auf deren Erzeugnisse
man nicht verzichten wollte. In dieser Weise ist Ungarn verfahren,
als es während des Krieges die Bewirtschaftung des Getreides
übernahm." Warum sprechen Sie nicht von diesen Dingen?
Ihr Kollege in der Schweiz, Prof. Laur, auf den Sie sich selbst
berufen, ist ein warmer Freund des Einfuhrmonopols für Getreide.
Warum denken Sie nicht an diese neuzeitliche Idee, warum gehen
Sie den Weg Hohenblums weiter.
Daß die èechoslovakische Landwirtschaft in Bezug
auf die Getreideproduktion auf der Höhe steht, wird man schwer
behaupten können. Die fehlenden 40.000 Waggon Getreide, die
alljährlich eingeführt werden müssen, könnten
bei besseren Methoden im Lande selbst produziert
werden. Da möchte ich noch Eines sagen. Schon Kautsky hat
im Jahre 1911 nachgewiesen und andere haben es ebenfalls getan,
daß der Durchschnittsertrag an Weizen in jenen Ländern
am größten war, wo kein agrarischer Schutzzoll bestand,
wo die Landwirtschaft auf sich selbst gestellt ist, aus eigener
Kraft konkurrenzfähig geblieben ist. Ich verweise auf England,
Holland, Belgien und Dänemark. In den Jahren von 1901 bis
1905 betrug der Hektarertrag an Weizen in Deutschland 18.44 q
pro Hektar, in Österreich 11.97 q, in Belgien dagegen 22.33
q und in Dänemark war der Ertrag sogar noch höher, 29.56
q. Ähnlich ist es mit dem Kartoffelbau und anderen Produkten.
Ich will auf Details nicht eingehen, möchte
aber noch folgendes sagen: In Dänemark, wo das Genossenschaftswesen
ausgezeichnet orgasiert ist, wo die Kleinlandwirtschaft vorherrscht,
wo heute eine sozialdemokratische Mehrheit und eine sozialdemokratische
Regierung ist, entfallen auf tausend Einwohner 720 Rinder und
320 Schweine, bei uns kamen unter der agrarischen Regierung, die
angeblich das Landvolk retten will, nach der letzten Viehzählung
im Jahre 1921 auf tausend Einwohner nur 322 Rinder und 121 Schweine.
Dagegen führen wir in der Èechoslovakei riesige Mengen
von Kartoffeln in Form von Spiritus aus, statt daraus Fleisch
zu produzieren. Die Volkswirtschaft ist infolgedessen, weil man
nach höheren Gewinnen jagt, mit Milliarden passiv in Bezug
auf die Fleischproduktion. Der agrarische "Venkov",
das Hauptorgan der èechischen Agrarier, schrieb im Jahre
1924: "Ändert die Wirtschaft, ändert
den Wirtschaftsplan und lernt die Tiere gut füttern."
Wir lehnen also die rein mechanische, lediglich momentanen Profitzwecken
dienende Zollpolitik im Sinne Hohenblums ebenso entschieden ab,
wie es seinerzeit im Jahre 1909 der österreichische Abgeordnete
Ritter von Pantz getan hat. Dieser im Sinne der Landbündler
ein Vollblutbauer, hat durchaus richtig erklärt, daß
der Bauernstand in seiner ganzen Interessensphäre dem Gewerbetreibenden
und Arbeiter weit näher steht, als dem Großgrundbesitzer
und daß der Bauer bei der bisherigen Agrarpolitik schließlich
doch nur die Kastanien für andere herausholt und sich hiebei
selbst die Hände verbrennt.
Meine Damen und Herren! Wir wissen sehr wohl,
daß der Kampf um die Zölle ein Stück Machtfrage
ist. Sehr mit Recht hat auf dem bereits erwähnten sozialdemokkratischen
Parteitag im Jahre 1907 in Wien ein Redner betont, daß eine
der Ursachen der Teuerung der Lebenshaltung für die Arbeiterklasse
die fortschreitende bessere Organisation von Agrariern und Industriellen
ist. In der damals angenommenen Entschließung wird klipp
und klar ausgesprochen, daß die Teuerung durch Zölle
und Kartelle eine Wirkung der kapitalistischen, auf dem Privateigentum
an Produktionsmitteln beruhenden Produktionsweise sei. Der Kampf
gegen das Zollsystem spielt hinein in die ungeheuer bedeutungsvolle
Frage der internationalen Arbeitsteilung von Agrar- und Industriestaat,
in die Frage des Welthandels und der Weltwirtschaft.
Diese brennenden Fragen der Gegenwart werden
freilich nicht von der kapitalistischen Gesellschaft endgültig
gelöst werden können, sondern nur von der kommenden
sozialistischen. Heute aber gilt es sich zu wehren gegen jene
reaktionären Gewalten, die uns verweigert haben das gleiche
politische Recht, die uns neiden den geringsten sozialen Fortschritt,
die Feinde sind jedes Kulturaufstiegs des Proletariats. Die Agrarier
und Christlich-Sozialen, die Agenten des Kapitals, kämpfen
um Geld und Profit, wir kämpfen für Brot und Freiheit.
Die wahre Demokratie lehnt jede Ausbeutung der breiten Massen
zugunsten einer handvoll Agrarier oder Industriebarone entschieden
ab. Darum Schach den Agrarzöllen jetzt und immerdar! (Potlesk
nìm. soc. demokratických poslancù.)