Vertrag

über die Auslieferung und die sonstige Rechtshilfe in Strafsachen

zwischen der Tschechoslowakischen Republik und dem Deutschen Reiche

vom 8. Mai 1922.

DIE TSCHECHOSLOWAKISCHE REPUBLIK UND DAS DEUTSCHE REICH sind übereingekommen, die Auslieferung von Verbrechern und die sonstige Leistung gegenseitiger Rechtshilfe in Strafsachen durch einen Vertrag zu regeln.

Zu diesem Zwecke haben zu Bevollmächtigten ernannt

Der Präsident der Tschechoslowakischen Republik:

Herrn Dr. Paul Wellner,

Ministerialrat und Leiter der Rechtsabteilung im Mi-

nisterium der äußeren Angelegenheiten,

Herrn Dr. Emil Spira,

Sektionschef im Justizministerium;

Der Präsident des Deutschen Reichs:

 

Seine Exzellenz Herrn Dr. Walter Koch,

außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten

Minister,

Herrn Dr. Wolfgang Mettgenberg,

Oberregierungsrat im Reichsjustizministerium.

Die Bevollmächtigten haben sich, nachdem sie einander ihre Vollmachten mitgeteilt und diese in guter und gehöriger Form befunden haben, über folgende Bestimmungen geeinigt:

Artikel 1.

Grundsatz der Gegenseitigkeit.

(1) Die vertragschließenden Teile verpflichten sich einander in Strafsachen aller Art, mögen sie bei Gerichts- oder Verwaltungsbehörden, schweben, nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen Rechtshilfe zu leisten, soweit die Gegenseitigkeit verbürgt ist.

(2) Die Bestimmungen dieses Vertrages erstrecken sich nicht auf die Rechtshilfe in Finanzstrafsachen vor Verwaltungsbehörden; die Regelung dieser Rechtshilfe bleibt dem besonderen Abkommen vorbehalten, das im Artikel XIX des am 31. Dezember 1921 geschlossenen Vertrags über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Steuersachen vorgesehen ist.

ERSTER ABSCHNITT.

Auslieferung und Durchlieferung.

Artikel2.

AuslieferungspflichtigePersonen.

(1) Die vertragschließenden Teile verpflichten sich einander auf Ersuchen einer zuständigen Behörde mit Ausnahme der eigenen Angehörigen, Personen, die strafrechlich verfolgt werden oder verurteilt worden sind, auszuliefern.

(2) Ist der Verfolgte nicht Angehöriger des ersuchenden Teiles, so steht es dem ersuchten Teile frei, die Heimatsregierung des Verfolgten von dem Auslieferungsersuchen in Kenntnis zu setzen. Macht er davon Gebrauch, so hat er unverzüglich unter Bestimmung einer angemessenen Frist, die gleichzeitig dem ersuchenden Teile mitzuteilen ist, der Heimatsregierung anheimzugeben, auch ihrerseits ein Auslieferungsersuchen zu stellen.

Artikel 3.

Auslieferungspflichtige Straftaten.

(1) Die Pflicht zur Auslieferung besteht nur, wenn die Straftat, welche die Auslieferung veranlassen soll, nach dem Rechte beider Teile ein Verbrechen oder Vergehen ist.

(2) Die Pflicht zur Auslieferung besteht auch wegen Versuchs einer auslieferungspflichtigen Straftat oder wegen Teilnahme (Mittäterschaft, Anstiftung und Beihilfe) daran, wenn der Versuch oder die Teilnahme nach dem Rechte beider Teile strafbar ist.

Artikel 4.

Straftaten, die nicht auslieferungspflichtig sind.

Die Pflicht zur Auslieferung besteht nicht, wenn die Straftat, welche die Auslieferung, veranlassen soll:

1. mit einer Vermögensstrafe bedroht oder bestraft ist, die nicht in eine Freiheitsstrafe umgewandelt werden kann;

2. eine politische Straftat ist;

3. eine Straftat ist, deren Strafbarkeit nur durch die Militärstrafgesetze begründet ist.

Artikel 5.

Verjährung.

Die Pflicht zur Auslieferung besteht nicht, wenn die Straftat oder die erkannte Strafe nach dem Rechte des ersuchten Teiles als verjährt anzusehen ist.

Artikel 6.

Zuständigkeit der eigenen Behörden für das Verfahren.

Die Pflicht zur Auslieferung besteht nicht, wenn die Behörden des ersuchten Teiles nach dessen Gesetzen zur Verfolgung der Straftat, welche die Auslieferung veranlassen soll, zuständig sind, oder wenn der Verfolgte wegen dieser Straftat von Behörden des ersuchten Teiles bereits außer Verfolgung gesetzt, rechtskräftig abgeurteilt, oder begnadigt worden ist.

Artikel 7.

Aussetzung der Durchführung der Auslieferung.

Ist der Verfolgte von den Behörden des ersuchten Teiles wegen einer anderen Straftat als derjenigen, welche die Auslieferung veranlassen soll, zur Untersuchung gezogen oder verurteilt worden, oder befindet er sich aus anderen Gründen in Haft, so kann die Auslieferung, unbeschadet der alsbald über das Auslieferungsersuchen zu treffenden Entscheidung, ausgesetzt werden, bis das Verfahren beendet, das Urteil vollstreckt, die Strafe erlassen oder die Haft vollzogen ist.

Artikel 7.

Mehrheit von Auslieferungsersuchen.

(1) Haben mehrere Staaten die Auslieferung nachgesucht und befindet sich unter ihnen der Staat, dem der Verfolgte angehört, so erfolgt die Auslieferung an die Heimatsregierung.

(2) Gehört der Verfolgte keinem der ersuchenden Staaten an, so gilt Artikel 2, Abs. 2 entsprechend. Wird die Auslieferung von dem Staat, dem der Verfolgte angehört, nicht begehrt, so erfolgt die Auslieferung an denjenigen Staat, in dessen Gebiet die nach dem Recht des ersuchten Teiles schwerste Straftat begangen worden ist; bei gleich schweren Straftaten erfolgt die Auslieferung an den Staat, dessen Auslieferungsersuchen bei dem ersuchten Teile zuerst gestellt ist.

Artikel 9.

Vorläufige Festnahme.

(1) Die vertragschließenden Teile verpflichten sich, den Verfolgten, dessen Auslieferung beantragt werden soll, vor Stellung des Auslieferungsersuchens vorläufig festzunehmen, wenn eine zuständige Behörde des anderen Teiles dies unter Angabe des Tatbestandes der Straftat, welche die Auslieferung veranlassen soll, beantragt oder den Verfolgten in dem Fahndungsblatt des anderen Teiles ausgeschrieben hat, die Auslieferung nicht von vornherein unstatthaft erscheint und die Festnahme zur Sicherung der Auslieferung oder im Interesse des Strafverfahrens erforderlich ist. Der Zeitpunkt der Festnahme ist der Behörde, die sie erbeten hat, unverzüglich mitzuteilen.

Das Ersuchen um vorläufige Festnahme und die Mitteilung über die Erledigung des Ersuchens können von Behörde zu Behörde im unmittelbaren Geschäftsverkehr, auch telegraphisch, übermittelt werden.

(3) Der vorläufig Festgenommene kann freigelassen werden, wenn das Ersuchen um Auslieferung nicht innerhalb einer Frist von sechs Wochen bei dem ersuchten Teile gestellt wird, die mit dem Ablauf des Tages der Festnahme beginnt.

Artikel 10.

Ersuchen um Auslieferung.

(1) Das Ersuchen um Auslieferung ist auf diplomatischem Jege zu stellen.

(2) Mit dem Ersuchen um Auslieferung ist. ein Haftbefehl oder das vollstreckbare Strafurteil, die wegen der Straftat, welche die Auslieferung veranlassen soll, von einer zuständigen Gerichtsbehörde des ersuchenden Teiles gegen den Verfolgten erlassen sind, beizubringen.

(3) Gehen aus diesen Urkunden Tatsachen, die zur Prüfung des Auslieferungsersuchens notwendig sind, nicht hinreichend hervor, so sind sie auf Verlangen durch ein gerichtliches Schriftstück, das die fehlenden Angaben enthält, unverzüglich zu ergänzen.

Artikel 11.

Maßnahmen zur Sicherung der Auslieferung.

Ist das Ersuchen um Auslieferung eingegangen, so trifft der ersuchte Teil sofern die Auslieferung nicht von vornherein unstatthaft erscheint, unverzüglich nach Maßgabe seiner Gesetze die zur Sicherung der Auslieferung erforderlichen Maßnahmen.

Artikel 12.

Grundsatz der Spezialität.

(1) Der Ausgelieferte darf wegen einer vor der Auslieferung begangenen Straftat nur insoweit zur Untersuchung gezogen oder bestraft oder an einen dritten Staat weitergeliefert werden, als die Auslieferung wegen dieser Straftat bewilligt ist oder der ersuchte Teil der Verfolgung oder Bestrafung zugestimmt hat.

(2) Die Beschränkung fällt fort, wenn der Ausgelieferte das Gebiet des ersuchenden Teiles nicht innerhalb eines Monats nach Wiedererlangung seiner Freiheit verläßt, oder wenn er in dies Gebiet zurückkehrt, nachdem er es verlassen hat.

 

 

Artikel 13.

Durchlieferung.

(1) Die vertragschließenden Teile verpflichten sich, auf Ersuchen einer zuständigen Behörde Personen, die einem der vertragschließenden Teile von einem dritten Staat ausgeliefert werden, durch ihr Gebiet durchzuliefern.

(2) Auf die Durchlieferung finden die für eine Auslieferung geltenden Bestimmungen entsprechende Anwendung.

(3) Die Durchlieferung ist von den Behörden des ersuchten Teiles in der Weise auszuführen, die ihm am geeignetsten erscheint.

ZWEITER ABSCHNITT.

Übergabe von Sachen, Zustellungen und Untersuchungshandlungen.

Artikel 14.

Übergabe von Sachen.

(1) Die vertragschließenden Teile verpflichten sich, auf Ersuchen einer zuständigen Behörde einander Beweisstücke oder Sachen zu übergeben, die der Täter durch die strafbare Handlung erlangt hat oder die der Einziehung, Vernichtung oder Verfallerklärung unterliegen.

(2) Wird die Übergabe von Sachen in Verbindung mit der Auslieferung oder Durchlieferung einer Person begehrt, so erfolgt die Übergabe tunlichst gleichzeitig mit der Auslieferung oder Durchlieferung.

(3) Wird bei der Übergabe die Rücklieferung vorbehalten, so sind die Beweisstücke und Sachen auf Verlangen ohne Verzug zurückzugeben. In jedem Falle bleiben die Rechte dritter Personen unberührt.

Artikel 15.

Zustellungen und Ladungen.

(1) Die vertragschließenden Teile verpflichten sich, auf Ersuchen einer zuständigen Behörde die ein Strafverfahren betreffenden Schriftstücke, mit Einschluß der Urteile, zuzustellen.

 

 

(2) Ein Zeuge oder Sachverständiger, der auf eine durch die Behörden des ersuchten Teiles ihm zugestellte Ladung vor den Behörden des ersuchenden Teiles freiwillig erscheint, darf, gleichviel welchem Staate er angehört; während seiner Anwesenheit im Gebiet des ersuchenden Teiles in keinem Falle unter dem Verdacht der Täterschaft, Teilnahme, Hehlerei oder Begünstigung hinsichtlich der den Gegenstand des Strafverfahrens bildenden oder einziger anderen vorher begangenen Tat strafgerichtlich verfolgt werden. Ebensowenig darf er zur Vollstreckung eines vor seinem Eintreffen ergangenen Strafurteile oder aus einem anderen vorher eingetretenen Rechtsgrunde festgenommen werden.

Artikel 16.

Untersuchungshandlungen.

Die vertragschließenden Teile verpflichten sieh, auf Ersuchen einer zuständigen Behörde Untersuchungshandlungen, insbesondere die Vernehmung von Beschuldigten, Zeugen oder Sachverständigen, die Einnahme des richterlichen Augenscheins oder die Durchsuchung und Beschlagnahme vorzunehmen.

Artikel 17.

Ablehnungsgründe.

(1) Die Rechtshilfe nach Artikel 14 bis 16 kann abgelehnt wer den, wenn in dem Strafverfahren, für das sie geleistet werden soll, die Pflicht zur Auslieferung nach den Bestimmungen dieses Vertrages nicht bestehen würde.

(2) Das Ersuchen um Zustellung einer Ladung wird abgelehnt, wenn dem Geladenen für den Fall seines Ausbleibens Zwangsmaßnahmen oder sonstige Nachteile angedroht werden.

Artikel 18.

Übermittlung der Ersuchen.

Die Ersuchen um Rechtshilfe nach Artikel 14 bis 16 sind in der Regel von Behörde zu Behörde im unmittelbaren Geschäftsverkehr zu übermitteln.

 

 

Artikel 19.

Erledigung der Ersuchen.

Ersuchen um Rechtshilfe nach Artikel 14 bis 16 werden von den Behörden des ersuchten Teiles, die nach dessen Gesetzen für gleichartige Amtshandlungen in eigenen Strafsachen zuständig sind in den für diese Amtshandlungen vorgeschriebenen Formen und mit den entsprechenden Zwangsmaßnahmen erledigt.

DRITTER ABSCHNITT.

Mitteilung von Verurteilungen und Ersuchen um Auskunft aus dem Strafregister.

Artikel 20.

Mitteilung von Verurteilungen.

(1) Die vertragschließenden Teile verpflichten sich einander von den rechtskräftigen, auf Strafe lautenden Entscheidungen Mitteilung zu machen, die von den Behörden des einen Teiles gegen Angehörige des anderen Teiles erlassen werden und nach den Vorschriften des Teiles, dessen Behörden sie ausgesprochen haben, in das Strafregister aufzunehmen sind. Ebenso werden sie einander die Nachrichten zugehen lassen, die sich auf derartige Entscheidungen beziehen und in das Strafregister aufgenommen werden.

(2) Die Mitteilung geschieht dadurch, daß eine Abschrift der auf Strafe lautenden Entscheidung oder der dem Strafregister zugehenden Nachricht übersandt wird. Der Austausch wird durch das Justizministerium in Prag und den Reichsminister der Justiz i Berlin vermittelt.

Artikel 21.

Auskunft aus dem Strafregister.

(1) Die vertragschließenden Teile verpflichten sich, einander auf Ersuchen einer zuständigen Behörde aus dem Strafregister Auskunft zu erteilen.

(2) Ersuchen um Auskunft aus dem Strafregister sind an die zuständige Strafregisterbehörde unmittelbar zu richten:

 

 

VIERTER ABSCHNITT.

Schlußbestimmungen.

Artikel 22.

Kosten des Rechtshilfeverkehrs.

(1) Die durch den Rechtshilfeverkehr nach den Bestimmungen dieses Vertrags erwachsenden Kosten werden von dem Teile getragen, in dessen Gebiete sie entstehen.

(2) Die Kosten, die aus Anlaß einer Durchlieferung oder durch ein Ersuchen um Gutachten von Sachverständigen oder Fakultäten entstehen, werden von dem ersuchenden Teile ersetzt.

Artikel 23.

Sprache der Rechtshilfeersuchen.

(1) Die Ersuchen und deren Anlagen sind in der Staatssprache (offizielle Sprache) des ersuchenden Teiles abzufassen. Als Staatssprache (offizielle Sprache) im Sinne dieses Vertrags gilt tschechoslowakischerseits die tschechische oder slowakische Sprache, deutscherseits die Amtssprache.

(2) Den in der Staatssprache des ersuchenden Teiles abgefaßten Urkunden ist, abgesehen von den Ersuchen und Mitteilungen nach Artikel 9, 20 und 21 dieses Vertrags, eine diplomatisch oder durch einen vereideten Dolmetscher beglaubigte Übersetzung in die Staatssprache des ersuchten Teiles beizufügen. Die Beifügung einer Übersetzung kann unterbleiben, sofern es sich um Anlagen der Ersuchungsschreiben handelt, die für einen Statsangehörigen des ersuchenden Teiles bestimmt sind:

(3) In Fällen, in denen die Beschaffung der Übersetzung der ersuchenden Behörde außerordentliche Schwierigkeiten bereitet, wird ihr die ersuchte Behörde dabei tunlichst behilflich sein. Die durch Beschaffung der Übersetzung entstehenden Kosten sind von dem ersuchenden Teile zu tragen.

 

 

Artikel 24.

Beglaubigung der Urkunden.

Für die Beglaubigung der von öffentlichen Behörden und Beamten der vertragschließenden Teile ausgestellten oder beglaubigten Urkunden gelten die Bestimmungen des in der Mitteilung der tschechoslowakischen Regierung vom 9. Juli 1920 erwähnten Beglaubigungsvertrages vom 25. Februar 1880.

Artikel 25.

Ratifikation und Kündigung.

(1) Dieser Vertrag soll in tschechischer und deutscher Sprache ausgefertigt werden. Er soll ratifiziert und die Ratifikationsurkunden sollen, sobald wie möglich, ausgetauscht werden.

(2) Der Vertrag tritt einen Monat nach Austausch der Ratifikationsurkunden in Kraft.

(3) Er bleibt in Geltung bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Ablauf des Tage an dem er von einem der beiden Teile gekündigt wird:

Zu Urkund dessen haben die Bevollmächtigten diesen Vertrag unterzeichnet und mit ihren Siegeln versehen.

Ausgefertigt in doppelter Urschrift in Prag, am achten Mai eintausendneunhundertzweiundzwanzig.

(L. S.) Dr. Wellner m. p.

(L. S.) Dr. Emil Spira m. p.

(L. S.) Dr. Koch m. p.

(L. S.) Dr. Wolfgang Mettgenberg m. p.

 

 

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