Poslanecká snìmovna N. S. R. È. 1920.

I. volební období.

2. zasedání.

Pùvodní znìní.

1047.

Dringliche Interpelation

der Abgeordneten Køepek, Dr. Lodgman, Böhr, Ing. Jung, Dr. Kafka u. Genossen

an die Regierung

betreffend das der Friedenskonferenz im Jahre 1919 überreichte Memoire über das Problem der Deutschen in Böhmen.

Zu Beginn der Tagung der neugewählten National Versammlung wurde im Senate durch eine dringliche Interpellation (Druck. Zahl 31) die Vorlage der Materialien zum Friedensvertrage und zwar insbesondere jenes Memoires angeregt, dessen der Minister des Äusseren am 30. IX. 1919 in der Revolutionsversammlung Erwähnung getan hat. Die Interpellation ist bis heute nicht beantwortet worden. Wohl aber hat der Minister des Äussem im ständigen Ausschuss auf neuerliche Anfrage von deutscher Seite erklärt, dass er keinen Anstand gegen die Vorlage der Friedensvertragsmaterialien erhebe. Trotzdem ist aber noch immer nicht das Geringste in dieser Richtung vorgekehrt worden. Erst im diesen Tagen (10.—19. Oktober) ist in der deutschen Zeitung Bohemia eine Denkschrift abschnittweise zum Abdruck gelangt, weiche, wenn sie echt ist, mit dem vorerwähnten Memoire identisch sein dürfte.

Nun enthält diese Denkschrift allerdings soviel Geschäftsfälschungen. Unrichtigkeiten, Entstellungen. Anachronismen, schiefe Urteile Fehlschlüsse und sie steht in ihrem der Zukunft zugewendeten Teil so sehr im Widerspruch mit der den Deutschen gegenüber auch noch nach dem Friedensschlüsse beobachteten tschechoslovakischen Politik, dass man sieh nur schwer entschliessen kann, zu glauben, die tschechoslovakischen Vertreter hätten es wirklich gewagt, der Friedenskonferenz ein solches Schriftstück zu unterbreiten. Aber trotzdem muss man sich doch wohl mit dem Gedanken der Echtheit der Denkschrift befreunden, wenn man sich vor Augen hält, dass es die Regierung unterlassen hat, sich in entschiedener Weise gegen die Zumutung einer so unquialifizierbaren Irreführung der Friedenskonferenz zu verwahren, und wenn man vollends sieht, wie es die offizielle Zeitung Èeskoslovenská Republika versucht, die Denkschrift als ein allgemein bekanntes, harmloses Schriftstück zu. bagatellisieren. Angesichts dieses Umstandes erachten es die im Deutschen Parlamentarischen Verband vertretenen Mitglieder der Nationalversammlung als ihre Pflicht, die Denkschrift näher ins Auge zu fassen. Es wäre ein, ganzes Buch notwendig, um die Unrichtigkeiten, die, sieh in ihr finden, erschöpfend aufzuzeigen und die Urteile, die sie enthält, zu widerlegen oder wenigstens auf das richtige Mass zurückzuführen. Das kann an dieser Stelle nicht geschehen, vielmehr soll nur in der Hauptsache angeführt werden, in welcher Weise sich die Denkschrift gegen die Anforderungen der Wahrheit, Gewissenhaftigkeit und Redlichkeit vergeht.

1. Die geographische Grundlage.

Das Problem, welches der Friedenskonferenz zur Entscheidung vorlag, war die Behandlung der Deutschen in der Tschechoslowakei. Zur Entscheidung stand die Präge, ob die deutschen Gebiete dem tschechoslowakischen Staate zugeschlagen werden sollen und ob der tschechoslowakische Staat als Nationalstaat oder als Nationalitätenstaat zu gestalten sei. Auf diese Frage hätte die Denkschrift offen und ehrlich eingehen sollen. Zu. diesem Zwecke hätte sie von der Tschechoslowakei überhaupt und von den für diese in Anspruch genommenen Ländern im einzelnen sprechen müssen. Statt dessen liebt sie es, so oft es ihr passt, Böhmen und die Tschechoslowakei zu identifizieren. So spricht sie gleich im ersten Satz von dem Problem der Deutschen in Böhmen. in gleicher Weise wird im Abschnitte IV. Böhmen als geographische Einheit in strategischer Hinsicht behandelt, obwohl es doch klar ist, dass nicht Böhmen, sondern die Tschechoslowakei in Hinkunft als kriegführende Partei in Betracht käme.

Was nun aber Böhmen selbst betrifft, so zerlegt die Denkschrift das deutschböhmische Gebiet in drei grosse Gruppen, welche sie als die Gruppe von Eger-Saaz (groupe de Cheb-Žatec!), die Gruppe von Eeichenberg (groupe de Liberec!) und die Gruppe von Südböhmen bezeichnet. Diese Gruppenbildung will den Eindruck erwecken, dass es sich um rein lokale Gebiete handelt, welche die Umgebung von Eger, Saaz und Reichenberg darstellen, während in Wahrheit der ganze städtereiche Norden und Westen des Landes von Deutschen bewohnt wird und zwar nicht in zwei von einander getrennten Gruppen sondern zusammenhängend ohne irgendwelchen Einschnitt. Nur gelegentlich finden sich grössere tschechische Minderheiten als Enklaven eingesprengt. (Vergleiche die gewiss nicht zugunsten der Deutschen verfälschte Karte in dem tschechischen Propagandawerke Tobolkas: Das böhmische Volk 1916.)

An späterer Stelle (Abschnitt III) spricht übrigens die Denkschrift selbst nicht mehr von Eger, Saaz und Eeichenberg, sondern von den zwei deutsehen Gruppen des Nordens und des Nordwestens und behauptet von ihnen, dass sie durch die hohen Gebirge und durch, die natürlichen Grenzen zwischen Böhmen einerseits, Preussisch-Schlesien, Sachsen und Bayern andererseits von Deutschland völlig (!) getrennt sind. Seltsam, dass man von dieser völligen Abtrennung von Deutsehland in Deutschböhmen bisher nichts gewusst hat! Die Bevölkerung von Egef und Reichenberg-Saaz kommt als Binnenstadt nicht in Betracht — wird wohl sehr über-rascht gewesen sein, zu hören, dass das reichsdeutsche Gebiet, welches sie so leicht und gern zu den verschiedensten Zwecken aufsucht, durch hohe Gebirge und natürliche Grenzen von. ihrer Heimat völlig abgetrennt ist. Seltsam auch, dass die deutsehböhmischen Gebiete, wie aus der Denkschrift, selbst ersehen werden kann, in industrieller Hinsicht den tschechischen Landesteilen so sehr überlegen sind, obwohl sie doch — von Deutschland völlig angeschnitten — darauf angewiesen sein müssten, bei den Tschechen Anlehnung zu suchen und die Kultur von Osten zu beziehen!

Über Mähren geht die Denkschrift mit der Bemerkung hinweg, dass die Deutschen dort zerstreut leben und dass es dort nirgends geschlossene, durchaus deutsche Massen gebe. Ein Blick auf die dem Tobolkaschen Werke beigelegte Sprachenkarte hätte die Verfasser von der Tatsache eines deutsehmährischen Gebietes liberzeugen können, überdies hätten sie nicht über die Tatsache hinweggehen dürfen, dass sich alsbald nach dem Zerfall der Monarchie ein eigenes Sudetenland gebildet hat, welches sich der Hauptsache nach aus geographisch zusammenhängenden mährischen und schlesischen Gemeinden, zusammensetzt.

2. Der geschichtliche Hintergrund.

Tut die Denkschrift schon der Geographie Gewalt an, obwohl sie durch jede Land- und Sprachenkarte widerlegt werden kann, so sind ihre in die einzelnen Abschnitte eingestreuten geschichtlichen Ausführungen geradezu grotesk. Es ist unfassbar, dass Vertreter eines, Volkes, welches der Erforschung seiner eigenjen Geschichte die beste. Kraft gewidmet hat, in solcher Weise Behauptungen aneinander reihen, die in ihrer Gesamtheit eine unerhörte Entstellung und sogar Fälschung der Geschichte darstellen. Es lässt sih das heim. besten Willen nicht mit einigen Worten dartun, sosehr man sieh auch bemüht, nur das Notwendigste herauszuheben.

Die Denkschrift bann für ihre Zwecke nicht weit genug in die Vergangenheit zurückgreifen. Durch lange Jahrhunderte sei Böhmen das Zentrum des Widerstandes gegen die Deutschen gewesen. Seit dem G. Jahrhundert hätten die Deutschen zu mehrerenmalen versucht sich Böhmens zu bemächtigen, aber es sei ihnen nie geglückt. Die Gebirge hätten die tschechoslowakische Bevölkerung immer gerettet. Gut, dass die Denkschrift nicht ausdrücklich hinter das 6. Jahrhundert zurückgeht, obwohl man die angeführte Stelle, wenn man will, auch auf die frühere Zeit beziehen kann. Denn sonst wäre sie in eine Zeit gelangt, in welcher Böhmen überhaupt nur von — germanischen Völkern besiedelt war. Und als an ihre Stelle Slawen traten, da bildeten diese keineswegs eine tschechoslowakische Bevölkerung. Es gehört gewiss eine ungewöhnliche Kühnheit dazu, einen erst im Weltkrieg geschaffenen Begriff in das frühe. Mittelalter zu übertragen. Die böhmischen Slaven waren staatsrechtlich noch in keiner Weise, vereinigt und konnten darum nicht ein Zentrum des Widerstandes gegen die Deutschen bilden. Wie gering damals die Widerstandsfähigkeit und staatenbildende Kraft der Bewohner Böhmens war ergibt sich am besten daralus, dass der Süden des Landes im 7. Jahrhundert von den Avaren abhängig war und dass die erst, vorübergehende Staatsgründung, in die Böhmen einbezogen wurde, dem Franken Samo gelang. Der nächste Versuch einer Staatsgründung aber geht nicht von Böhmen, sondern von Mähren aus und führet zu dem eine Zeitlang blühenden Grossmährischen Reich.

Was aber das Verhältnis zu den, Deutschen oder wie man richtiger sagen muss, zum fränkischen Reiche — auch das heutige Prankreich gehörte dazu — und später zum deutsehen Reiche betrifft, so nterschlägt die Denkschrift die kriegerischen sowohl wie die friedlichen Erfolge, die das Reich Böhmen gegenüber erzielt hat. Die Randgebirge haben Böhmen nicht vor der unter Karl dem Grossen begründeten Tributpflicht gegenüber dem Reiche geschützt, sie haben nicht verhindert, dass Böhmen in ein dauersdes Lehensverhältnis zum deutschen Reiche gelangt ist. Das Lehenverhältnis an sich wurde auch von tschechischer Seite niemals geleugnet, wohl, aber versuchte man darzutun, dass nicht das Land Böhmen, sondern blos der Landesherr in diesem Verhältnisse gestanden sei. Nunmehr gibt aber der führende tschechische Reichtshistoriker Kapras unumwunden zu, was die deutsche Wissenschaft langst festgestellt hat, dass man vom Ende des 10. Jahrhunderts ab bereits von einer sachlichen Lehensabhängigkeit des Herzogtums Böhmen selbst, sprechen müsse. Als Lehen des Deutschen Reiches stand Böhmen, mochte es auch seiner periferischen Lage noch soviel Selbstständigkeit verdanken, nicht ausserhalb Deutschlands sondern gehörte mit zu Deutschland. Vom Deutschen Reiche leitet der böhmische Landesherr seinen Kömgstitel ab, im Reiche war er Kurfürst und Erzschenk, wiederholt war Prag als Residenz deutscher Kaiser und Könige ungeachtet der hohen Gebirge zum Mittelpunkt des Deutschen Reiches, hier wurde die erste Universität Deutschlands begründet, hier die neuhochdeutsche Kanzleisprache herausgebildet. Im kirchlicher Beziehung gehörte Böhmen zur Regensburger Diözese und, nachdem das Prager Bistum gegründet worden war, zur Mainzer Erzdiözese.

So wenig die Gebirge eine chinesische Mauer gegen Deutsehland darstellten, so wenig bildeten sie stete eine staatsrechtliche Grenze. Unter Vratislav I. bildete Böhmen bloss den südwestlichen Teil des auch Mahren, Schlesien, Posen und Krakau umfassenden Staatsgebildes, unter Pøemysl Ottokar erstreckte sich das Herrschaftsbereich des Königs nach Süden, unter den Luxenburgern nach Norden und Osten, gerade das Riesengebirge hat die ihm in der Denkschrift zugedachte Absperrungsaufgabe durch Jahrhunderte nicht erfüllt.

Aber auch in nationaler Hinsicht haben die Gebirge keine Rolle gespielt. Die Sprachgrenze "fallt nicht zusammen mit der Kammlinie der Randgebirge, sondern sie verläuft mitten im Lande selbst. Die Deutschen haben nicht bei den Gebirgen Halt gemacht, sondern sind in das Innere des Landes vorgedrungen.

Die Sprachgrenze ist eine Binnengrenze. Ohne sich des Widerspruchs gegenüber der Behauptung bewusst zu werden, dass sich Böhmen stets gegen die Deutschen schützen, musste, führt die Denkschrift an, die regierenden Familien hätten die Deutschen als Kolonisten nach Böhmen berufen, um. die Einkünfte des königlichen Schatzes zu vermehren. Die Denkschrift verschweigt hier die ungeheuere kulturelle Bedeutung, welche die Arbeit der deutschen Ansiedler in Böhmen, der ersten Bebauer des Bodens, der Bringer städtischer Kultur und sicheren bäuerlichen Rechtes für das Aufblühen des Landes gehabt hat, sie verschweigt, dass sich die deutsche Sprache im Hochmittelalter der grössten Beliebtheit im Lande und insbesonders am königlichen Hofe erfreute, wo deutsche Sänger und deutsche Ritter weilten, sie berücksichtigt allein das Moment des Gewinnes, um dadurch Ansiedler und Landesherren in gleicher Weise herabzusetzen. Nicht genug daran lässt sie aber die Hereinberufung der Deutschen bis in das 20. (!) Jahrhundert fortdauern, indem sie behauptet, dass die Habsburger im 17., ja sogar die Wiener Regierungen im 19. und 20. Jahrhundert eine grosse Zahl Deutscher kommen Hessen um die tschechischen (tch@eques!) Länder unter deutscher Herrschaft zu erhalten. Nach der Meinung Wiens sollten die Deutschen in Böhmen durch ihr Auftreten die Vertreibung der Tschechen aus diesen Gebieten.(!!) oder deren Germanisierung zur Folge haben. Auch das offenbar bis in das 20 Jahrhundert hinein!

Für diese empörende Behauptung wird selbstverständlich kein Beweis angeboten. Die Verfasser der Denkschrift kämen in die peinlichste Verlegenheit, wenn sie angeben sollten, wohin Wien die Tschechen vertreiben wollte. Wurde vielleicht die tschechische Auswanderung nach Amerika von Wien aus angestrebt oder begünstigt?

Nicht minder verlässlich als die Angaben über das Eindringen des Deutschtums sind die Ausführungen über dessen Zurückdrängung. Während der Hussitenkriege sei es den Tschechen gelungen, Böhmen fast völlig von den Deutschen zu befreien, dieser Erfolg sei aber im 17. Jahrhundert verloren gegangen, da die Tschechen von den Habsburgern geschlagen worden seien. Der erste Teil dieser Behauptung ist stark übertrieben, der zweite aber durchans falsch. Denn der durch die Hussitenkriege herbeigeführte Erfolg hat nicht biszur Schlacht am Weissen Berge standgehalten. Vielmehr macht das, Deutschtum auch in der Zwischenzeit grosse Fortschritte. (Vergleiche die Verdeutsehungskarte im. dritten Bande der Kaprasschen Reobtsgeschichte, wo gerade die Verdeutschung im 16. Jahrhundert mit besonderen Farben. ersichtlich gemacht ist.)

Während des 19. Jahrhunderts haben die Tschechen nach der Denkschrift fast das ganze Land zurückerobert. Wäre dem so, dann könnte man nich begreifen, dass es immer noch ein blühendes Deutschböhmen gibt und dass in Böhmen 37% der Bevölkerung Deutsehe sind. Diel Denkschrift ist freilich kühn genug Deutsch-böhmen für eine Wiener Erfindung zu erklären, obwohl bereits der Klassiker der tschechischen Geschichtsschreibung. Franz Palacký, im österreichischen Reichstage 1848-49 die deutschen Teile Böhmens, Mährens und Schlesiens zu den deutsch-österreichischen Ländern gezählt und die grundsätzliche Berechtigung ihrsr Abtrennung von Böhmen anerkannt hat.

Die Denkschrift versteht es meisterhaft, die gesamte neuere Geschichte Böhmens aus nationalen Gesichtspunkten heraus zu erklären und die Tschechen dabei als Vertreter des guten (der Demokratie und des Fortsehritts), die Deutschen als Vertreter des schlechten Princips (der Autokratie und der Reaktion) hinzustellen. Ihrer fortschrittlichen demokratischen Gesinnung hätten die Tschechen ihre nationalen. Erfolge zu verdanken. Bei dieser Verzerrung der geschichtlichen Tatsachen werden die staatsrechtlichen und socialen Kämpfe in unzulässiger Weise mit den nationalen Gegensätzen verknüpft. Die Aufklärung, welche die modernen Ideen zur Geltung bringt, ist keine tschechischnationäle Bewegung, die Tschechen haben vielmehr aus der deutschen Aufklärung Nutzen gezogen. Der aufgeklärte Absolutismus, der gerade am Wiener Hofe unter dem von den Tschechen jetzt verlästerten Josef II. seinen vornehmsten Vertreter fand, und die deutsche Romantik haben jene literarische Bewegung hervorgerufen und begünstigt, welche auf die Wiedergeburt der tschechischen Sprache und Literatur gerichtet war. Kollar, der begeisterte Verkünder und Dichter der slawischen Gegenseitigkeit, hat an einer, deutschen Universität im Kreise deutscher Studenten seine nationalen Anschauungen gewonnen, der deutsche Adel, deutsche Dichter und Schriftsteller haben die tschechische Renaissance durch ihre werktätige Sympathie und Mitarbeit gefördert. Und als es im Jahre 1848 zum offenen Kampfe gegen den übernommenen polizeistaatliehen Absolutismus und Bürokratismus kam, da war die Revolution nicht etwa eine tschechische Revolution, nicht, wie man nach der Denkschrift glauben möchte, ein Kampf Prags gegen Wien, sondern an der Revolution haben sich alle österreichisehen Völker beteiligt und die Deutschen standen — im Einklange mit der Revolution in Deutsehland — führend an der Spitze, und auf der Gegenseite standen neben Deutschen wiederum auch Tschechen und Slowaken. So war der erwähnte Kollar ungeachtet seiner nationalen Gesinnung ein waschechter Reaktionär. Im konstitutionellen Staate wurden die staatsrechtlichen Kämpfe durch die sozialen abgelöst. Und auch hier geht die, Parteibildung nicht nach nationalen Gesichtspunkten vor sieh. Es ist eine dreiste Unwahrheit, dass die Deutschen gegen und die Tschechen für die Einführung des allgemeinen Wahlrechtes waren. Es gab auf deutscher wie auf tschechischer Seite Sozialdemokraten und Fortschrittliche, ebenso wie Konservative und Feudale.

Gerade Palacký war ein offener Gegner des allgemeinen Wahlrechtes. Wären die Tschechen wirklich infolge ihres tiefen Empfindens für die Demokratie, Recht und Gerechtigkeit (Abschnitt VI) begeisterte Anhänger des allgemeinen Wahlrechtes gewesen, warum hätten sie dann die auf dem Gedanken des allgemeinen Wahlrechtes beruhende allgemeine Wählerklasse der Badenischen Reichsrats-. wahlreform von 1896 nicht wie es z. B. Niederösterreich getan hat, in das böhmische Landeswahlrecht eingeführt, obwohl sie im böhmischen Landtag die Mehrheit hatten?

Die Berechtigung der Vorwürfe, die im Eingange gegen die geschichtliche Darstellung der Denkschrift erhoben worden sind. ist hiemit wohl unwiderleglich nachgewiesen. Bemerkt sei nur noch, dass sich die vorstehende Darstellung auf tschechische Gesehichtswerke uhd auf unbestrittene Erscheinungen im tschechischen Lager gestützt hat, um dem Einwände zuvorzukommen, als wäre der Gegensatz zwischen der Denkschrift und dem was hier vorgebracht wurde, bloss der Reflex des Gegensatzes zwischen tschechischer und deutscher Geschichtsschreibung. Jeder tschechischer Historiker, ja jeder ehrliehe Tscheche überhaupt, wird die Kritik der Denkschrift für zutreffend erklären müssen.

3. Das statistische Rüstzeug.

Nach der Denkschrift (Abschnitt I) gibtes in den Vier tschechoslowakischen Ländern zufolge der amtlichen Statistik mehr als drei Millionen Deutsche. Die vier Länder sind Böhmen, Mähren, Schlesien und die Sowakei. Tatsächlich wurden aber in den drei erstgenannten allein im Jahre 1910, wie die Denkschrift selbst angibt, 3,512.682 Deutsehe (die abweichende Ziffer in der Bohemia ist wohl auf einen Druckfehler zurückzuführen) also mehr als 3% Millionen gezählt. Dazu, kommen aber noch 296.557 Deutsche in der Slowakei und im Karphatenland hiezu wodurch sich die Zahl der Deutschen auf 3,809.149, also auf nahezu vier Millionen erhöht.

Des näheren befasst sich die Denkschrift, wie schon oben bemerkt, bloes mit den Deutschen Böhmens, welche die Stärke von 2,467.724, also rund von 2% Millionen aufweisen. Die Denkschrift unterlässt es wohlweislich, die Zahl der" Tschechen gegenüberzustellen oder die Relativzahlen. anzugeben. Hätte sie das getan, so würde es sich gezeigt haben, dass die Deutschen 36.76%, die Tschechen aber 63.19% der Bevölkerung ausmachen, dass also mehr als jeder dritte Mensch in Böhmen ein Deutscher ist.

Die Denkschrift sucht nun die zahlenmassige Bedeutung der Deutschen dadurch zu schwächen, dass sie auf tschechische Minderheiten im deutschen. Sprachgebiete hinweist, denen sie freilich die deutschen Minderheiten im tschechischen Sprachgebiete und insbesondersdie Deutsehen aus Mähren und Schlesien nicht gegenüberstellt. Aber auch die deutschböhmischen Verhältnisse behandelt sie keineswegs erschöpfend. sondern sie beschränkt sich auf die von ihr willkürlich konstruierte Gruppe von Eger-Saaz (Cheb-Žatec). In dieser Gruppe gibt es angeblich fast eine Million Deutsche, zugleich aber auch. mehr als 300,000 Tschechen. In Relativzahlen umgerechnet dürfte das beiläufig ein Verhältnis von 77% Deutschen zu 23% Tschechen ergeben. Keineswegs würden demnach die tschechischen Minderheiten im allgemeinen (also im Durchschnitt) 30—35%, wie die Denkschrift behauptet, betragen. Aber auch die Annahme einer Minderheit von 23% ist einfach aus der Luft gegriffen. Vielmehr haben im Jahre 1910 nicht weniger als 90% (!) aller deutschen Gemeinden (nämlich 2378 von 2633) des Landes eine tschechische Minderheit von unter 10% gehabt. Weitere 5% deutseher Gemeinden (nämlich 140) hatten eine tschechische Minderheit von 10—20%, sodass für tschechische. Minderheiten von über 20% bloss 5%, deutschen Gemeinden übrig bleiben. Tatsächlich wurden 1910 in den 36 politischen Bezirken im Nordwesten und Norden Böhmens, von Tachau bis Bramnau rund 1,878.000 Deutsche und 122.000 Tschechen gezählt. Das ergibt 94% Deutsehe und bloss 6% Tschechen!

Die Bedeutung der tschechischen Minderheiten sucht die Denkschrift damit darzutun, dass trotz dem furchbarsten Drucke der österreichischen Behörden die deutschen Wahlbewerber mit den tschechischen irieinem wichtigen Bezirke im Jahre 1911 in die Stichwahl gekommen seien. An dem furchtbarsten Druck der österreichischen Behörden ist selbstverständlich kein wahres Wort. Welches Mittel hätte die Regierung gehabt um unter der Herrschaft eines allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrechts die Wähler zu hindern, nach ihrer Überzeugung zu stimmen, zumal wenn es sieh tatsächlich um so stattliche Minderheiten handelt? Aber abgesehen davon, beweist der angeführte Erfolg der Tschechen nicht die zahlenmässige Stärke der Tschechen, sondern die Uneinigkeit der Deutschen, welche in so viele Parteien zersplittert waren, dass schliesslich auch die tschechische Minderheit mit konkurieren konnte. Den gleichen Erfolg hat einmal auch die deutsche Minderheit in einem Prager Wahlbezirke erzielt, was die Tschechen wohl kaum als Grund für die Bedeutung der Deutschen in Prag werden gelten lassen wollen!

Grösser als im übrigen Deutsehböhmen sind die Tschechischen Minderheiten in den Bergbaugebieten. Die Denkschrift gibt die tschechischen Elemente aber viel zu hoch mit fast 50% an. Die wahren Ziffern zeigen folgende Aufstellung:

Im politischen Bezirke Brüx standen 75% Deutsche, 25% Tschechen; im pol. Bez. Dux. standen 74% Deutsche, 26% Tschechen; im pol. Bez. Teplitz standen 87% Deutsche, 13% Tschechen gegenüber.

Nun erhebt freilich die Denkschrift den Einwand, dass die amtlichen Statistiken schändlich gefälscht worden sind. Dieser Vorwurf ist durchaus unberechtigt. Die tschechische Bevölkerung war sich auch im deutschböhmischen, Gebiete und in österreichischer Zeit viel zu sehr ihres Volkstums bewusst, als dass sie sich zu einer unwahren Angabe ihrer Mutterspräche hätte zwingen oder auch nur bestimmen lassen. Und selbst wenn in dem einen oder anderen Falle die tschechische Minderheit etwas grösser sein sollte, als sie nach der amtlichen Statistik ist, so würde dieser Fehler durch einen gleichen oder gar noch grösseren Fehler bei der Erfassung der deutschen Minderheiten im tschechischen Spraehgebeiete ausgeglichen werden. Geradezu phantastisch ist es aber wenn die Denkschrift behauptet, dass die Zahl der Deutschen in Böhmen mit Hilfe von Fälschungen fast um eine Million erhöht worden ist. Danach müsste man die Deutschen ermittelte Ziffer um etwa 40% herabsetzen. Eine so unglaubliche statistische Fälschung ist doch ineinem Kulturlande von vorherein ausgeschlossen. Übrigens haben private Zählungen, die von tschechischer Seite ausgegangen sind, die Richtigkeit der amtlichen Statistik festgestellt. Die Behauptung der Denkschrift, dass die Einführung des agemeinen Stimmrechts das Aussellen des deutschen. Gebietes, von. heute auf morgen ändern würde, ist durch den Ausfall der Wahlen in die Gemeindevertretung im Jahre 1919 und in die Nationalversammlung im Jahre 1920 gründlich widerlegt worden. Bei den Gemeindewahlen wurden in Böhmen 33.4% deutsche Stimmen gegen 66.6% tschechische Stimmen ermittelt und damit, die Ergebnisse der amtlichen Statistik in unanfechtbarer Weise bestätigt. Zu dem gleichen Ergebnis führt auch die Statistik der Parlamentswahlen im heurigem Jahre.

4. Strategisch wirtschaftliche und politische Erwägungen.

Den Kern der Ausführungen der Denkschrift bildet die Anhäufung von Gründen, die für das Berbleiben der deutschen Gebiete Böhmens bei der Tschechoslowakei sprechen sollen und auch hier wird mit Unwahrheiten, Entstellungen, Irreführung gen, Widersprüchen und Fehlschlüssen! gearbeitet.

Die Behauptung, dass Böhmen als geographische Einheit durch seine Bandgebirge dem Feinde gegenüber geschützt sei, wurde bereits oben besprochen. Hier sei nur noch hinzugefügt, dass dieser Satz richtig zu Ende gedacht, dazu führen müsste, Böhmen für sich allein als Staat zu konstruieren, denn jede Vereinigung mit anderen Ländern macht schon die Vorteile der natürlichen Festung, als welche sich Böhmen angeblich, darstellt, zunichte. Tatsächlich aber haben die Tschechen nicht bloss auf Mähren und Schlesien, sondern auch auf die Slowakei und Karphathorussland Anspruch erhoben und dadurch ein Staatsgebilde geschaffen, welches in strategischer Hinsicht so unglücklieh gestaltet ist, wie nur möglich. Die langgestreckten Nord- und Südgrenzen lassen sich im Ernstfälle gar nicht verteidigen. Wenn sich Fielen und Ungarn miteinander verbinden, so können ihre Heere auf der kurzen Strecke zwischen Nord und Süden rasch zusammenkommen. Der Eisenbahnverkehr ist ganz und gar vom Auslande abhängig. Der tschechoslowakische Staat, sagt Kapras, hat sehr unglückliche Grenzen, insofern als seine Länge im Verhältnisse zur Breite ungewöhnlich gross ist. Dabei ist dieser Staat an einigen Stellen sehr eng. Mit seinen westlichen Teilen eingekeilt zwischen Deutschland und Österreich grenzt er an Ungarn, Polen, Ost-Galizien und Rumänien. Nach den heutigen Erfahrungen ist schwer zu sagen, wer von diesen Nachbarn ihm Freund sein wird. Ein anderer tschechischer Fachmann, Dvorský macht zwar die grössten Anstrengungen, um die Vorzüge des Staatsgebietes zu preisen, kommt aber schliesslich doch zu dem pessimistisch klingenden Schlüsse, Lage und Gestaltung des tschechosl. Staatsgebietes sindnichtsoungünstig, wie es dem oberflächlichem Beobachter erscheint und bieten einige Abwehrmittel; die Sicherheit des tschechosl. Staates wird am besten dadurch verbürgt sein; dass aus seiner Wehrorganisation ersichtlich sein wird, er sei eine harte Nuss, die zu versuchen sieh nicht lohnt. Also nicht auf seine geographische Lage, sondern auf sein Heer soll sich der Staat verlassen! Nun bringt aber gerade die Einbeziehung der deutschen Gebiete vom tschechischen Standpunkte aus die Gefahr mit sieh, dass dieses Heer zu einem sehr erheblichen Teile aus nationalfremden Elementen zusammengesetzt sein wird, eine Gefahr, die österr.-ungarische. Monarchie genugsam kennen zu lernen Gelegenheit gehabt hat. Somit hätten gerade strategische Gründe die Tschechen veranlassen sollen, auf Deutschböhmen zu verzichten.

Tatsächlich wären es auch nicht die strategischen, sondern die wirtschaftlichen und politischen Gründe, die dabei die Hauptrolle gespielt haben. In wirtschaftlicher Beziehung bemüht sich die Denkschrift auszuführen, dass das deutsch-böhmische Gebiet von der Tschechoslowakei benötigt, dass aber auch unigekehrt dieses Gebiet auf die benachbarten tschechischen Landesteile angewiesen ist. Mit dem ersten Teile dieser Behauptung brauehen wir uns nicht näher zu beschäftigen — gerade von deutscher Seite wurde stets die Bedeutung Deutschbohmens für das gesamte Land hervorgehoben und die Tschechen handeln töricht, wenn sie heute dieses für sie so wichtige Deutschböhmen tyrannisieren, quälen und entrechten — wohl aber muss hervorgehoben werden, was die Denkschrift als Grund für das deutschböhmische Interesse an der Verbindung it Tschechischböhmen anziführen wagt. Während des Krieges habe sich der Widerstand der Tschechen gegen die Deutschen vor allem in der Weiterung der tschechischen Bevölkerung geoffenhart, die deutschen Bewohner Deutschbohmens zu verpflegen, die darunter entsetzlich litten, weil sie weder von Deutschland noch von Deutschösterreich etwas bekommen könnten. Man weiss nicht, ob man mehr über die Frivolität staunen soll, welche sichin diesem Bekenntnisse einer schonen Seele ausspricht, über das Eingeständnis eines der unerhörtesten Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dem gegenüber die in den Friedenverträgen einzelnen Personen zur Last gelegten Handlungen weitaus zurücktreten, oder über die Naivität, welche darin liegt, das die Feindseligkeit der tschechischen Bevölkerung gegen ihre deutschen Landesleute als Grund für die Aufrechterhaltung der Landeseinheit angeführt wird. Ist es wirklich so, dass das. tschechische Volk dem deutschen feindselig gesinnt ist, dann darf es doch die Deutschen nicht in seinem Staat hineinzwingen wollen!

Indessen ist das erwähnte Geständnis den Verfassern der Denkschrift doch nur entschlüpft. Der Nachdruck liegt darauf, dass Deutschböhmen während des Krieges dem Verhundern nahegebracht wurde, weil es auch von Deutschland und Deutschösterreich Lebensmitel nicht bekommen konnte. Damit soll gesagt sein, dass Deutschböhmen auf die Tschechen angewiesen war. Allein abgesehen davon, dass tatsächlich diese Behauptung nicht ganz stimmt, — denn das Deutsche Reich hat trotz der schweren Lage, in der es sich selbst befand, Deutsch-böhmen so viel Unterstützung zukommen lassen, als nur möglich —so war doch der staatliehe Ernährungsdienst mit Rücksicht auf die damaligen Staats- und Landesgrenzen eingerichtet. Deutschland war für Deutschböhmen Ausland und der Verkehr mit dem Auslande war unterbunden. Daraus kann man aber noch nicht schliessen, wie sich die Verhältnisse gestalten würden, wenn Deutschland nicht Ausland wäre. Würden die deutschböhmischen Gebiete zu Deutschland gehören, so würde eben das Reich für ihre Ernährung sorgen, sowie umgekehrt sie wiederum die Erzeugnisse ihres Gewerbefleisses und ihre Industrie dam Reiche zur Verfügung stellen würden.

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