Ètvrtek 30. øíjna 1924

Pøíloha k tìsnopisecké zprávì

o 295. schùzi poslanecké snìmovny Národního shromáždìní republiky Èeskoslovenské v Praze ve ètvrtek dne 30. øíjna 1924 odpol.

1. Øeè posl. dr. Czecha (viz str. 44 tìsnopisecké zprávy):

Hohes Haus! Wir wollen es gleich vorweg sagen: Auch wir halten die letzte Tagung des Völkerbundes für eines der bedeutendsten Ereignisse auf internationalem Gebiet. Dabei denken wir nicht so sehr an die bei dieser Tagung gefaßten Beschlüsse, deren große Bedeutung wir keineswegs verkennen wollen, als vielmehr an die große Wandlung, die sich förmlich über Nacht im äußeren Bilde der internationalen Politik vollzogen hat, sowie an die sich langsam, aber deutlich vorbereitende Abkehr des Völkerbundes von dem alten Geiste, der ihn ausschließlich zu einem Werkzeug der Siegermächte degradierte und zur Erfüllung seiner großen Aufgaben unfähig machte. Von diesem Standpunkt aus ist die letzte Völkerbundtagung für die ganze Menschheit und vor allem für die kämpfende Arbeiterklasse von schicksalsschwerster Bedeutung. Wenn die Tagung auch in ihrem Endeffekt nur eine gewaltige Friedensdemonstration bleiben und wenn ihr auch die erhofften Wirkungen versagt sein sollten, so bleibt sie dennoch in dem großen Kampfe der Menschheit um den Frieden eine der wichtigsten geschichtlichen Etappen, an welche in weiterer Folge das Ringen der Menschheit um den Weltfrieden, um die friedliche und soziale Zusammenarbeit der Völker, um den Wiederaufbau der zerrütteten Weltwirtschaft, vor allem aber um die Aufrichtung einer Weltfriedensorganisation unbedingt wird anknüpfen müssen.

Nachdem wir dies vorausgeschickt haben, wollen wir uns einer nüchternen Prüfung der Genfer Ergebnisse zuwenden. Hiebei werden wir zweifellos mit jenen in Widerspruch geraten, die für die Genfer Tagung nichts als Überschwänglichkeiten übrig haben, die dem Genfer Werk eine geradezu revolutionierende Bedeutung zumessen, die von ihm die endgültige Beseitigung des in der internationalen Politik geltenden Faustrechtes und dessen Ersatz durch eine Rechtsordnung erwarten, die von einer bevorstehenden Ära der europäischen Solidarität, von dem Bankerott und der Liquidierung der alten Diplomatenpolitik sprechen. Hohes Haus! Ohne irgendjemandes Verdienste zu schmälern, ohne vor allem die vom Herrn Außenminister in Genf geleistete Arbeit gering zu schätzen, ohne ihm den großen Anteil an dem Zustandekommen der Genfer Beschlüsse aberkennen zu wollen, erklären wir, daß zu solchen Ekstasen, deren Zeugen wir in den letzten Wochen gewesen sind, daß zu solchen Freudenkundgebungen kein Anlaß vorliegt und daß wir in den Panegyrikus auf das Genfer Werk mit einzustimmen außerstande sind. Dabei wollen wir uns absolut nicht jene Koalitionsblätter wie den "Venkov" zum Muster nehmen, der in einem unbedachten Augenblick folgenden Schmerzensschrei ausgestoßen hat: "Der Pazifismus ist eine Mode der Diplomatie, wer weiß, was die nächste Mode sein wird! Wir können unseren Staat nicht einer Luxusmode aussetzen." Solche Gedankengänge, die den wahren Geist gewisser Koalitionskreise ausdrücken, liegen uns ferne. Denn wir wollen im Gegensatz zu ihnen endlich die Einkehr des Friedens. Für uns ist der Kampf um den Frieden nicht ein bloßes Luxusbedürfnis, für uns ist dieser Kampf nicht ein Nachjagen nach einer Luxusmode, die morgen eine andere sein kann, für uns bedeutet dieser Kampf das Ringen um das nackte Leben, das Ringen um ein Stück Gesundheit, um die Kultur und die ganze Zukunft der leidenden Menschheit, vor allem aber der Arbeiterklasse. Wir wollen den Frieden und glauben in dieser Stunde der Sehnsucht von Millionen und Abermillionen leidender Menschen nach endlicher Befreiung von der imperialistischen Gewaltpolitik, von den Treibereien der nationalistischen Geheimdiplomatie, sowie nach baldigster Herbeiführung von Völkerversöhnung und Völkerverständigung lautesten Ausdruck geben zu müssen.

Und nun nehmen wir das Genfer Protokoll zur Hand! Nur wenige werden sich an dieses Formelgestrüpp heranwagen, und doch sollte diesen Pakt jedermann gelesen haben. Denn er soll nach dem Willen seiner Schöpfer von jetzt ab das internationale Grundgesetz der Weltpolitik werden oder, wie der Herr Außenminister heute vormittag sagte, der Grundstein des Weltfriedensgebäudes. Jedem, der sich durch den Paragraphenurwald des Protokolles glücklich durchgeschlagen und zur Not wenigstens den Formelbann gebrochen hat, muß der zwiespältige Charakter des Protokolles offenkundig werden, das deutlich die Spuren jener zahllosen divergierenden Meinungen und Interessen aufzeigt, die sich aus den verschiedenen Auffassungen und Interessen von 52 zum allergrößten Teile kapitalistisch eingestellten Regierungen von selbst ergeben. Dadurch mußte natürlich der leitende Gedanke des Protokolls, die Idee der Friedenssicherung, den verschiedenen Sonderinteressen gewisser Gruppen zum Opfer fallen und konnte daher nur in starker Verfälschung zum Ausdruck kommen. Schon dieses Moment allein entwertet dieses Dokument, dem in der Zukunft eine so bedeutende Rolle in der internationalen Politik zugedacht ist.

Da sind es besonders zwei Punkte, die ich zur Beweisführung herausheben möchte. Vor allem ist es die Tatsache, daß die Friedensverträge nach wie vor ein Noli me tangere bleiben und daß die vielen Streitpunkte, die sich gerade aus diesen Verträgen ergeben, nicht unter das Schutzgebiet des Genfer Protokolles fallen sollen. Wir fragen aber, was nach Ausscheidung aller dieser Streitfragen noch an großen strittigen Problemen übrig bleibt und wie man die Pazifizierung der Welt herbeiführen will, wenn man die brennendsten, man kann fast sagen, die einzigen großen Streitpunkte und strittigen Probleme von vornherein aus der Diskussion schaltet.

Es ist des weiteren jene Bestimmung des Protokolles, welche neben dem Völkerbundpakt und dem Genfer Protokoll auch noch die Sonderverträge zuläßt, oder wie sie der Herr Außenminister Dr. Beneš vormittag nannte, Allianz-, Regionalverträge oder die Partikularverträge.

Hohes Haus! Sieht man von dem sonstigen Inhalt des von der Koalition so verhimmelten Protokolles ab, setzt man sich über die sonstigen zahllosen gerechten Einwendungen gegen das Protokoll hinweg, so muß man sagen, daß schon die beiden vorangeführten Bestimmungen es verständlich machen müssen, daß wir die Behauptung, als würde das Genfer Protokoll eine neue Epoche des internationalen Lebens inaugurieren, die europäische Politik von Grund auf ändern, eine neue Basis für die Zusammenarbeit der Völker schaffen, nicht zu teilen vermögen. Denn das grundlegende Gesetz für den Völkerbundpakt und für das Genfer Protokoll sollen nach wie vor die Friedensverträge bleiben, jenes Diktat übermütiger imperialistischer und kapitalistischer Sieger, die Europa mit dem Schwert in der Hand pazifizieren wollten, es aber balkanisiert haben, die die besiegten Völker zu solchen minderen Rechtes gemacht, der Arbeiterklasse aller Länder die schwersten Tribute auferlegt, die an die Stelle der vielen ungelösten Vorkriegsprobleme doppelt soviel neue von dreifachem Gewichte gesetzt, die ein kunstvoll ausgeklügeltes Ausbeutungssystem von sogenannten mehrbegünstigten und meistbenachteiligten Staaten ersonnen haben, die aber, wie einmal unser Freund Dr. Renner meinte, in ihrem Siegesrausche doch ihren Triumph gefährden, weil sie vor ihren Wagen eine Leiche geladen haben.

Soll also, fragen wir uns, wirklich der Pariser Friede auch weiter unantastbar bleiben, jener Friede, über den die bedeutendsten Männer der Welt längst bereits den Stab gebrochen haben und den vor einigen Monaten der französische Sozialist Renault so charakterisiert hat: "Nun, dieser Frieden der gleichermaßen gehässig und ungerecht ist, ist nicht der unsere, nicht der des französischen Volkes, nicht der seiner heldenhaften Soldaten; die sozialistischen Parteien des Auslandes werden das mit lauter Stimme sagen, sie werden die Verantwortung vor der Geschichte ablehnen, wie dies 1871 Bebel und Liebknecht der Vater taten, als Frankreich vernichtet und ausgeraubt am Boden lag." Und dieser Frieden nun, der den Keim von Verwicklungen, neuen Konflikten, neuen Kriegen in sich birgt, der auf die Idee des Völkerbundes, wie sie Wilson in seinen 14 Punkten umschrieben hat, so paßt wie die Faust aufs Auge, der nur dazu dient, um die Macht und den Reichtum des internationalen Kapitales zu stärken und den Einfluß der Arbei terklasse zu schwächen, soll nun auch nach den Genfer Beschlüssen das unumstößliche Gesetz des Völkerbundes bleiben! Wahrlich, eine fürchterliche Belastung des Genfer Protokolles, das dadurch ein Janusgesicht erhält, indem es ein Stück vom Versailler Antlitz und Versailler Geist und ein Stück von dem des Völkerbundes zur Schau trägt oder, wie dies auch der Herr Außenminister Dr. Beneš in seinem vormittägigen Exposé sagte, ein Stück pazifistischen Idealismus enthält, verbunden mit dem gesunden Sinn politischer Realitäten.

Doch, hohes Haus, nicht minder schlimm steht es um die Bestimmung des Protokolles, die die Sonderverträge dem Völkerbundspakt einverleibt. Unser Urteil über die Sonderverträge ist bekannt. Mochten sie uns in welcher Form immer präsentiert werden, in Form der Kleinen Entente oder in Form von Militärkonventionen und militärischen Bündnissen, mochten sie in der Form des französischen oder des italienischen Vertrages aufscheinen, wir haben sie immer abgelehnt, wir haben sie von der ersten Stunde an für eine schwere Gefahr, für einen direkten Anschlag auf den internationalen Frieden erklärt, wir haben sie als Allianzen alten Stils bezeichnet und bereits wiederholt bewiesen, daß die Behauptung unrichtig ist, als würde es sich um ein neues demokratisches außenpolitisches System handeln, das Staaten und Völker zur Herbeiführung und Aufrechterhaltung des Friedens, zu wirtschaftlicher Zusammenarbeit verbindet. Wer die Geschichte der Allianzen aus der Vorkriegszeit kennt, der weiß, daß sie immer nur Gegenallianzen ausgelöst, das Rüstungsfieber gesteigert und den ganzen Kontinent schließlich in eine Welt in Waffen umgewandelt haben. Dabei haben die alten Mächte und Diplomaten es niemals an ebenso schönen Worten und ebenso begeisterten Friedensphrasen fehlen lassen. Nur hat man früher von Gerechtigkeit, von christlicher Nächstenliebe und Treue gesprochen, während heute die moderne Terminologie wie Rekonstruktion, Konsolidierung, Erneuerung und Demokratie herhalten muß. Sowie Außenminister Dr. Beneš nach Abschluß des französischen Bündnisses überall verkündete, daß er durch diesen Vertrag den Frieden und die Konsolidierung Mitteleuropas gesichert habe, so rief 1887 Crispi bei Erneuerung und Bekräftigung der Trippelallianze aus: "Wir haben Europa einen guten Dienst erwiesen!", was aber die italienischen Machthaber absolut nicht hinderte, nach Ausbruch des Weltkrieges den damals noch bestandenen Freundschaftsbund zu brechen und über alle Verträge hinweg dem einstigen Bundesgenossen den Krieg zu erklären. Darum müssen wir Macdonald beipflichten, wenn er in der Note der englischen Regierung zum Aus druck bringt, daß die Sonderverträge, deren Einverleibung in den Garantiepakt verlangt wurde, nur die alten den Frieden gefährdenden Bündnisse sind und Gegenbündnisse hervorrufen. Wir müssen ihm Recht geben, wenn er in der großen Völkerbundsversammlung ausrief, daß Defensivverträge den Frieden stören und daß sich die kleinen Völker, die hier das treibende Element gewesen sind, einer ständigen und gefährlichen Illusion hingeben, wenn sie alle ihre Hoffnungen auf Sonderverträge setzen. Denn sie werden, rief Macdonald aus, ob es Verträge gibt oder nicht, mit oder ohne Pakt zerschmettert werden und die ersten Opfer des Zusammenstoßes sein. Darum spricht Macdonald mit aller Entschiedenheit gegen jeden Sonderpakt, darum verweist er immer und immer wieder darauf, daß Sonderpakte nur den Boden für neue Koalitionsbildungen abgeben, darum nennt er die Sonderbündnisse Truggebilde und Spinngewebe.

In einer Auseinandersetzung über die èechoslovakische Außenpolitik hat das "Právo Lidu" jüngst erklärt, daß die Vertragspolitik nicht im Gegensatz stehe zu den Ideen, die der Sozialismus verfolge, und es glaubte das "Právo Lidu" allen anderen sozialisti schen Parteien anraten zu müssen, sich auf den gleichen Standpunkt zu stellen. Wir aber halten es in diesem Falle mit Macdonald, und wir glauben, auch mit Herriot eines Sinnes zu sein, der un serer festen Überzeugung nach ein Bündnis nach dem Poincaréschen Rezept ebensowenig geschlossen hätte, als es der neue jugoslavische Außenminister Marinkoviè nach seinen jüngsten Erklärungen abzuschließen gedenkt. Zur Unterstützung unserer Behauptung erwähnen wir, daß Herriot in seiner großen Völkerbundsrede der Regionalverträge auch nicht mit einem einzigen Worte gedachte und nur ganz allgemein davon sprach, daß die kleinen Völker geschützt werden müssen, ein Standpunkt, gegen den sich naturgemäß absolut nichts einwenden läßt.

Die einzige Stütze im Kampf um die An erkennung der Regionalverträge hat die Èechoslovakei in Polen gefunden, dessen Außenminister sich in außerordentlich begeisterter Weise über das Genfer Projekt aussprach, weil es die Ergänzungsverträge nicht beseitigte, die er als wirksames Instrument zur Sicherung der Nationen bezeichnet und die ursprünglich mit Stillschweigen übergangen werden sollten. Hohes Haus! Das ist dasselbe Polen, das dieser Tage den traurigen Mut aufbrachte, gegen die von dem dänischen sozialistischen Ministerium Stauning geplante Abrüstung Dänemarks mit der Begründung Stellung zu nehmen, daß dadurch im Falle des Krieges die einzige Meeresstraße, auf welcher Frankreich Polen zur Hilfe eilen könnte, hinfällig würde. Es ist dies dasselbe Polen, das die Abrüstung Dänemarks zum Anlaß nahm, den Kriegsminister Sykorski zur Einleitung einer Gegenaktion nach Frankreich zu entsenden und hier alle Kräfte gegen die dänische Abrüstung zu mobilisieren. Tatsächlich schrieb auch die Zeitschrift "Temps", daß Dänemark wohl das Recht habe, sich seiner Verteidigung zu entäußern, daß aber seine Neutralität und die natürliche Stellung des Landes, die es zum Schützer des Sundes macht, ihm gewisse internationale Pflichten auferlege, die die dänische Sozialdemokratie übersehen zu haben scheine. So beschaffen ist der einzige Partner der Èechoslovakei in der Frage der Sonderverträge. Daß Polen sich beeilt hat, das Genfer Protokoll zu un terschreiben, wird nach dem Gesagten niemand in Erstaunen setzen, doch ist gerade dieser Umstand nur geeignet, das Protokoll erst recht verdächtig zu machen.

Der Herr Außenminister Dr. Beneš hat in seiner heutigen Rede, aber auch schon vorher in seinem Genfer Exposé, in seinen zahlreichen Interviews, die er in der Schweiz erteilte, sowie in einer ganzen Reihe von Zeitungsartikeln seiner ganzen Meinung dahin Ausdruck gegeben, daß die Partikularverträge unentbehrlich seien, da sie das einzige Mittel sind zur schnelleren Durchführung der Strafmaßnahmen, zur rascheren Applikation der Sanktionen jeder Art, daß sie ganz besonders die Sicherheit der kleinen und schwachen Staaten zu erhöhen in der Lage sind und vor allem jedem Staate gegenüber die Sicherheit gewährleisten, daß das System der Sanktionen nicht versagen wird. Darum, so meinte der Herr Außenminister, müssen diese Verträge bestehen und sie werden bestehen, trotz aller Mängel und Unzulänglichkeiten, und darum werde und könne man sie nicht abschaffen. Als wir seinerzeit in der Auseinandersetzung über die èechoslovakische Vertragspolitik, in einem Ausspruch über die Bündnisverträge auf den militärischen Charakter und die Gefährlichkeit derselben hinwiesen, als wir diese Verträge als Allianzverträge alten Kalibers bezeichneten, erklärte Herr Außenminister Dr. Beneš unsere Auffassung für unrichtig und verwies auf die Schiedsgerichtsklausel des Vertrages, die ihm ein geradezu modernes Gepräge gebe und die Aufrichtung eines neuen demokratischen weltpolitischen Systems zur Beilegung der internationalen Konflikte ermögliche. Was wußte man uns nicht damals alles über die Bedeutung der Schiedsgerichtsklausel, über ihren Wert und ihre Realisierbarkeit zu erzählen! Als aber Macdonald in seiner großen Völkerbundsrede die beiden Grundsätze, die obligatorischen Schiedsgerichte und die Abrüstung, aufwarf, als er sie als Kern- und Angelpunkt des Friedensproblems bezeichnete, da erklärte der Herr Außenminister, das alles genüge noch immer nicht, da rief er in Variierung des Wortes Herriots, daß Gerechtigkeit ohne Kraft ohnmächtig sei, nach Sicherung und Sanktionen, da verlangte er zur Ergänzung die Zulassung der Sonderverträge. In diesen Sonderverträgen allein erblickt der Außenminister die einzige Sicherung für die kleinen Staaten, die Sicherung dafür, daß der Genfer Pakt niemals versagen werde. Doch der Herr Außenminister vergißt vollständig, daß die Sonderverträge, wenn sie tatsächlich die volle Sicherheit in sich bergen sollen, mit zwingender Notwendigkeit Gegenverträge und Gegenallianzen auslösen müssen, daß die Regionalverträge die ganze Welt in viele, einander gegenüberstehende, einander bekämpfende Mächtegruppen auflösen und dadurch nicht nur den von ihm so oft angerufenen Geist der Solidarität uund Zusammenarbeit, sondern auch den Friedensgedanken aufs schwerste gefährden und diese vor allem dem Geiste des Völkerbundpaktes den schwersten Schlag versetzen müssen. Die natürliche Entwicklung muß dann zur Vernichtung der sogenannten europäischen Konzeption führen, auf welche sich die èechoslovakische Außenpolitik bisher immer so viel zugute tat. Doch der Herr Außenminister, der die Gefahr erkennen muß, erklärt, nicht anders handeln, nicht anders die Sicherheit seines Landes herbeiführen zu können. Ganz offen hat der Herr Außenminister in seiner an den Völkerbund zum Garantiepakt gerichteten Note es ausgesprochen, daß er sich auf den Völkerbund in seiner heutigen Konstruktion nicht verlassen könne, daß ihm dieser in seiner idealistischen Auffassung heute nicht die notwendige Sicherheit zu bieten scheine, daß er ihn heute für lebensunfähig und zur Lösung "des großen taktischen Problems des internationalen Lebens und vor allem des Problems des ständigen und dauernden Friedens noch nicht für tauglich halte. Das sei, ruft der Außenminister in seinem Memorandum aus, ein etwas beklemmendes Gefühl, aber es sei besser die volle Wahrheit zu wissen, als sich auf Sicherungen und Hoffnungen zu verlassen, die nicht existieren. Diese etwas ketzerische Auffassung des Herrn Außenministers über den Völkerbund, diese Erkenntnis war von der Stunde der Geburt des Völkerbundes an unsere Überzeugung. Durch den Gewaltfrieden geschaffen, ist der Völkerbund bis in die letzte Minute hinein nichts anderes als der Exponent der siegreichen Entente und vor allem der französischen Mächtegruppe gewesen, zu der in so hohem Maße die Kleine Entente mit der Èechoslovakei an der Spitze gehört. Ein Werk der Sieger wurde der Völkerbund zu ihrem Werkzeug. Von dem Geiste, der den Völkerbund nach den Wilsonschen 14 Punkten beherrschen sollte, war bisher fast nichts zu spüren. Durch eine Reihe von Fehlentscheidungen und Mißgriffen - ich erwähne Oberschlesien - durch seine Selbstausschaltung bei der Entscheidung großer Fragen der Weltpolitik - ich erwähnte die Reparationen - durch seine einseitige Stellungnahme in allen in seinen Wirkungskreis fallenden Fragen - ich erwähne die Minderheitenpolitik -, verlor er, wie der italienisch-griechische Konflikt klar aufzeigte, mit jedem Tag an Ansehen und sank zur Stellung einer diplomatischen Konferenz herab, von der niemand einen ernsten Schritt zur Beilegung der großen, die Menschheit bewegenden Probleme und Konflikte und schon gar nicht die Herbeiführung des Völkerfriedens erwartete. Zudem fühlte sich der Völkerbund in allen Fällen, in denen er zum wirtschaftlichen Exponenten seiner Mitgliedsstaaten wurde, wie etwa bei der österreichischen und der ungarischen Sanierung, ausschließlich als das ideologische und politische Instrument des internationalen Finanzkapitals, welcher Umstand gewiß nicht zur Hebung seines Ansehens beitrug. Diese Entwicklung vermochte der Völkerbund nur deshalb zu nehmen, weil er von Haus aus nicht als Bund der Völker, sonder als ein Verband der Regierungen geschaffen ward, weil er nicht aus dem Gedanken der internationalen Solidarität der Völker erwachsen ist, sondern durch das Machtdiktat der Sieger zustande kam, deren geistige Einstellung in jeder Faser dem Geiste und den Aufgaben des Völkerbundes widersprach, weil er nicht auf dem Grundsatz der Gleichberechtigung aller Völker aufgebaut und nicht von dem Grundsatze der Demokratie geleitet war, sondern einzig und allein von dem Machtstreben der Siegerstaaten beherrscht gewesen ist. Er konnte auch nicht die ihm zugedachte Wirksamkeit entfalten, da er von Haus aus eine Rumpfkörperschaft gewesen ist, deren Einflußsphäre an den Grenzen Deutchlands, Rußlands, Amerikas, also an den entscheidenden Stellen, an dem Brennpunkten des politischen Weltgetriebes ein Ende nahm. Unter solchen Umständen konnte der Völkerbund nicht funktionieren, unter solchen Umständen unmöglich ein taugliches Instrument für die neue Rechtsordnung der Welt, für eine internationale Rechtsorganisation im wahren Sinne des Wortes werden. Unser bisheriges Mißtrauen gegen den Völkerbund war daher durchaus begründet und wurde, wie wir oben gesehen haben, auch von so maßgebender Stelle, vor allem auch von dem Herrn Außenminister, durchaus geteilt. Trotzdem wollen wir über den Völkerbund absolut nicht den Stab brechen. Wir verstehen es sehr wohl, daß er, auf das Zusammenwirken der Staaten und ihrer Regierungen aufgebaut, nur soviel Macht und nur soviel Kraft besitzen kann, als ihm diese Staaten und Regierungen zu geben bereit sind. Darum vermag auch der Völkerbund aus eigener Kraft die ihm anhaftenden Fehler und Mängel nicht zu beseitigen, die Schwierigkeiten, die seiner Wirksamkeit im Wege stehen, nicht zu überwinden, vielmehr bedarf er hiezu des Antriebes von außen. Nur die Staaten, auf deren Mitwirkung er gestellt ist, vermögen ihm die Kraft zu geben, deren er bedarf, um ein internationales Gremium für den Frieden, für die Verständigung der Völker und den Wiederaufbau der gestörten Weltwirtschaft zu werden. Es kommt dah er unserer Meinung nach vor allem auf die Kräfte an, die innerhalb dieser Staaten wirken und für den Völkerbund lebendig gemacht werden können.

Gerade der Verlauf der letzten Völkerbundstagung hat ess gezeigt, daß ein Umschwung in der Politik der für die Völkerbundorganisation entscheidenden Länder, wie etwa der Übergang der Macht aus den Händen des Imperialismus und Kapitalismus in die der Arbeitsklasse, daß die Auswechslung Poincarés durch Herriot, Baldwins durch Macdonald dem Völkerbund ein ganz anderes Gepräge, eine ganz andere Bedeutung, eine ganz andere Aufgabe zu geben vermag. Der Völkerbund braucht also absolut nicht in seiner heutigen Zusammensetzung bedeutungslos, er muß nicht unbedingt unfruchtbar sein und darum wäre es ganz verfehlt, über den Völkerbund wegen seiner Vergangenheit das Kreuz zu machen, über ihn definitiv zur Tagesordnung hinwegzugehen, vielmehr müssen wir alle unsere Kräfte anspornen und darauf richten, ihn organisatorisch und geistig den bestehenden Notwendigkeiten gemäß umzuformen, ihn nach allen Richtungen hin zu demokratisieren, ihm alle Mittel an die Hand zu geben, die ihn in die Lage versetzen könnten, seinen Aufgaben in vollem Maße gerecht zu werden. Daß dies nur herbeigeführt werden kann, wenn die Arbeiterklasse an die Macht kommt, das hat gerade die letzte Völkerbundtagung sehr deutlich bewiesen. (Sehr richtig!) Dabei dürfen wir aber in unserem Ringen um den Frieden, wie wir dies schon seit Jahrzehnten getan haben, keinen Augenblick unseres Kampfes um die Abrüstung vergessen. Heute, zehn Jahre nach Kriegsausbruch, stehen in Europa um eine Million Menschen mehr unter Waffen, verausgabt Europa für den Militarismus um 3 Milliarden Franken mehr als im Jahre 1913. Nach einer Zusammenstellung, die in den letzen Tagen durch die Blätter ging, verfügt die Kleine Entente und Polen zusammen über einen Armeefriedensstand von 640.000 Mann (Hört! Hört!), der also doppelt so groß ist, als im großmächtigen Frankreich. Im Weltkriege hatte Frankreich 105 Divisionen, Deutschland 150 Divisionen auf die Schlachtfelder geworfen, die Kleine Entente und Polen sind heute in der Lage, 89 Infanteriedivisionen und 12 Reiterbrigaden auf die Beine zu bringen. 16.5 Milliarden hat die Èechoslovakei seit ih rem kurzen Bestande zur Deckung das Kostenaufwandes des Militarismus aufgebracht und alles das, trotzdem die Washingtoner Deklaration vom 18. Oktober 1918 dem èechischen Volke den Ersatz des stehenden Heeres durch die Miliz verhieß, trotzdem im Wehrgesetze vom 19. März 1920 der Aufbau des Wehrsystems auf Grundlage der Miliz rechtswirksam beschlossen wurde, wobei noch als ganz besonders charakteristisches Moment zu erwähnen wäre, daß der jetzige Landesverteidigungsminister Udržal der Referent zum Wehrgesetze gewesen ist und sich damals für die Einführung der Miliz sehr warm einsetzte. (Výkøiky na levici.)

Alles das hinderte aber die èechischen Koalitionsparteien nicht, einen von der deutschen sozialdemokratischen Fraktion nach Konstituierung der Nationalversammlung im Jahre 1920 überreichten Antrag auf Revision der Wehrverfassung im Initiativauschuß kaltblütig zu erwürgen und so jede Erörterung und natürlich auch die weitere parlamentarische Behandlung dieses Antrages unmöglich zu machen. Seither hat es, so oft der Miliz auch nur Erwähnung getan wurde, im Koalitionslager immer nur einen Aufschrei gegeben, seither hat man eine ganze Unsumme von Argumenten gegen die Miliz zusammengetragen, welche doch nach der Verheißung des Präsidenten einer der Grundpfeiler der Verfassung werden sollte. Allerdings, in den letzten Wochen hat sich das Gewissen gewisser Koalitionskreise plötzlich zu regen begonnen. Aus èechicch-sozialdemokratischen Kreisen wird ein Antrag auf Revision des Wehrgesetzes durch Verkürzung der Militärdienstzeit, durch Herabsetzung des Wehrkontigentes, durch Ökonomisierung der Armee angekündigt. Auch von klerikaler und èechisch-nationalsozialistischer Seite kommen ähnliche Anregungen. Wie man aber gerade die letztere Anregung einzuschätzen hat, beweist ein Ausspruch des Führers der Nationalsozialisten, des Senators Klofáè, der sagte: "Meine Partei hat den Frieden viel zu lieb, als daß sie jetzt gerade die vollständige Entwaffnung durchführen würde." Ganz charakteristisch ist auch ein Ausspruch unseres Pariser Gesandten Osuský, der kürzlich über die Abrüstung befragt, sein Urteil in die Worte zusammenfaßte: "Wenn man die allgemeine Entwaffnung durchführt, würden sich die Menschen mit Steinen bewaffnen, die sie gegeneinander schleudern."

Dabei weiß aber jeder klar denkende Mensch in diesem Staate, daß auf Grund der Konfiguration der Èechoslovakei nicht die leiseste Möglichkeit besteht, dieses Land, dessen Grenzen von Westen nach Osten 2000 km und dessen größte Breite 300 km betragen, in Verteidigungsstellung zu bringen. Das ist nicht bloß die Meinung eines kleinen Kreises von Menschen, nicht bloß die Auffassung von oppositionellen Politikern, sondern von der ersten Stunde an die Auffassung der entscheidenden Sachwalter dieses Staates. War es doch gerade der jetzige Landesverteidigungsminister, der damalige Referent zum Wehrgesetz, der bei der Begründung dieses Gesetzentwurfes in seinem Ausschußberichte wörtlich sagte: "Wir wissen auch, daß uns unsere strategische Lage heute nötigen wird, die schwersten Probleme der Verteidigung dem Minister für auswärtige Angelegenheiten zur Lösung zu übertragen." Herr Minister Udržal war es auch, der damals daran erinnerte: "Mehr durch die Übermacht des Geistes, denn durch die rohe Gewalt physischer Waffen haben unsere Vorfahren nach Palacký gesiegt." Seither haben sich die Meinungen der Lenker dieses Staates ganz gewaltig geändert, denn schon nach kaum vier Jahren können wir in dem vom Landesverteidigungsminister Udržal überreichten Motivenbericht zum Gesetz betreffend die neue Festsetzung des Präsenzdienststandes wörtlich nachlesen: "Die geographische Lage unserer Republik ist sehr ungünstig und erfordert daher zur Verteidigung eine aktive Armee in einem solchen Friedensstande, daß sie, wenn ein feindlicher Überfall kommen sollte, in der Lage wäre, diesen Überfall so lange aufzuh alten, bis sie durch die Mobilisierung der Reservisten verstärkt worden ist." Während also noch im Jahre 1920 ach Auffassung der Machthaber dieses Staates bei der Verteidigung des Landes der Herr Außenminister das erste Wort haben sollte, immt es nun im Jahre 1924 der Herr Landesverteidigungsminister für sich in Anspruch. Aber wir glauben nicht daran, daß es möglich sein soll, mit den dee Èechoslovakei zur Verfügung stehenden Mitteln das Land in Verteidigungsstellung zu bringen, den diese würde mit der für den Mobilisierungsfall aufzubringenden Million Mann absolut nicht zu bewerkstelligen sein, während zur vollen Verteidigung des Landes in Wirklichkeit ein dreifaches Aufgebot notwendig wäre. Darum sind wir der Meinung, daß der Èechoslovakei nur durch solche Vorkehrungen gedient sein kann, für die sich aus der ganz analogen Situation heraus die dänische sozialistische Regierung entschieden hat, als sie ihren Abrüstungsantrag einbraachte. Dänemark ist ein kleines Land von 3 1/2 Millionen Einwohnern, mit einer Küste, die größer ist als die Frankreichs und die zur Verteidigung ein zehnfaches militärisches Aufgebot als dasjenige, über welches Dänemark verfügt, benötigen würde. In Erkenntnis der faktischen militärischen Ohnmacht, trotz seines Armee- und Marinestandes, hat sich die dänische Regierung zu dem einzig möglichen Schritt entschlossen, zur resoluten Abrüstung, derzufolge der Präsenzdienst beseitigt, an Stelle der Armee und Marine Wachkorps zu Wasser und zu Land gesetzt, die Heeres- und Marinewerkstätten in zivile Staatsunternehmungen umgewandelt und die bestehenden militärischen Einrichtungen durch Maßnahmen ersetzt werden, die eine Herabsetzung des militärischen Aufwandes von 60 dänischen Millionen auf 11 Millionen dänische Kronen ermöglicht. Dadurch werden in Dänemark ganz ungeheure Geldmittel frei, die für soziale- und volkswirtschaftlich nützliche Zwecke verwendet werden können und die das geistige und kulturelle Niveau dieser ohnehin so hochstehenden Bevölkerung auch noch weiter zu heben in der Lage sind.


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