"Das Beitragserfordernis für die Invalidenversicherung war mit 800 bis 850 Millionen jährlich angenommen, die Beitragsleistung des Staates aus verschiedenen Titeln kann mit rund 50 Millionen im Durchschnitt der ersten 10 Jahre eingeschätzt werden. Die Kosten der Krankenversicherung hätten nach den Bestimmungen des ersten Entwurfes annähernd den gleichen Ges amtbetrag erreicht, wie das Beitragserfordernis der Invalidenund Altersversicherung. Was ferner die Zahl der zu versichernden Selbständigen anbelangt, so wurde sie mit rund einer Million Personen angegeben. Hiebei dürfte aber nicht berücksichtigt worden sein, daß bei Einführung der Selbständigenversicherung auch die nach der Regierungsvorlage nicht versicherungspflichtigen mithelfenden Familienmitglieder in die Versicherung einbezogen werden dürften, sodaß sich der Kreis der Versicherungspflichtigen ungefähr um eine weitere Million erhöhen würde. Nach den - unseres (der Handelskammer) Erachtens zu niedrigen - Berechnungen der österreichischen Sozialversicherungsvorlage des Ministeriums Beck hätte das Beitragserfordernis für die Versicherung der Selbstständigen und der mithelfenden Familienmitglieder zusammen etwas weniger als die Hälfte des Erfordernisses für die Unselbstständigenversicherung betragen, allerdings bei der Einschränkung der Selbstständigen auf den Altersrentenanspruch. Sollen die Selbstständigen, wie dies vielfach gefordert wird, auch auf andere Versicherungsleistungen Anspruch erhalten, so müßte das Erfordernis ihrer Versicherung natürlich bedeutend höher werden und sich dem Erfordernis der Arbeiterversicherung ziemlich nähern. Stellt man ferner die Aufwendungen für die durch die neuen Gesetze unverändert belassenen Sozialversicherungseinrichtungen (Unfallversicherung, Bruderladenversicherung, Privatangestelltenversicherung) in Rechnung, ferner die Kosten der Altersversorgung der Sechzigjährigen, der Arbeitslosenunterstützung oder Versicherung, so käme man - ohne Einreichung von Teuerungszulagen zur Invalidenversicherung - zu einem jährlichen Gesamterfordernis der Sozialversicherung in der Höhe von rund 3 1/2 Milliarden.
Andere Versicherungsmathematiker, welche von den Grun dziffern der Vorlage, also 1·7 Millionen Versicherten in Industrie, Handel und Gewerbe und ca 900.000 Versicherten in der Landwirtschaft ausgehen, errechnen in vorsichtigster Weise als Gesamtbeitragsleistung eine Summe, welche 5% der gesamten Lohnsumme ausmacht, was im Jahre einem Betrage von mindestens 700 Millionen Kronen entsprechen dürfte. Nehmen wir die übrigen Versicherungsbeiträge, die Beitragsleistungen durch den Staat und die Selbstständigenversicherung hinzu, so nähern wir uns bei dieser äußerst vorsichtigen Berechnung zweifellos ebenfalls der zweiten Milliarde als Jahresleistung. Es ist zu hoffen, daß eine gut prosperierende auf gesichertem Absatz und Produktionsverhältnissen beruhende Wirtschaft auch derartige Lasten zu tragen imstande wäre, besonders dann, wenn sie dafür erhöhte Arbeitswilligkeit und dadurch gesicherten Bestand eintauscht. Aber befinden wir uns gegenwärtig tatsächlich in der Èechoslovakei in diesem Stadium? Und wenn wir es wenigstens baldigst zu erreichen hoffen, muß nicht in einem solchen Augenblick die Regierung alle Kräfte daran setzen, um die Produktionsbedingungen zu verbesen? Hier muß die schwere und verantwortungsvolle Aufgabe der Regierung einsetzen, daß sie der gesamten Wirtschaft die durch die Sozialversicherung übernommenen Lasten dadurch erleichtert, daß sie das Äußerste tut, um jene Lasten zu vermindern, die heute unsere Wirtschaft ohnedies zu erdrücken drohen. Es scheint, daß sich unsere Regierung dieser Aufgabe nicht vollkommnen bewußt ist, denn sonst wäre es nicht möglich, daß in demselben Augenbilcke, da dieses Parlament Milliarden an Belastungen beschließt, ein Vertreter dieser Regierung, die etwas brüchig gewordene Freundschaft mit dem früheren Regime in Frankreich dadurch neu bestärkt, daß er von einer Demokratie spricht, die sich seiner Meinung nach nur durch Bajonette erhalten kann. Auf diesem Wege werden wir keine Sozialversicherung zustande bringen, im Gegenteil, wir werden das vielleicht hoffnungsvoll unternommene Werk in kurzer Zeit wieder vernichten. Soziale Leistungen für die Menschheit sind nur möglich, wenn sich diese Menschheit auf friedliche, versöhnliche Gesinnung einstellt, die in der Arbeit Schutz für den Bestand geschaffener Staatsorganisationen sucht, nicht in der Gewalt. Alle, die es ehrlich mit dem Lohn für die Arbeit meinen, müssen sich gegen diejenigen kehren, welche durch derartig doppelzüngige Äußerungen dasjenige von vornherein gefährden, was sich nur bei wahrhaft demokratischer Gesinnung durch die Zusammenarbeit aller auf gerechter Grundlage erhalten kann.
Aber wenden wir uns nochmals zu den Ziffern dieser Vorlage, denn auf ihrer Wahrscheinlichkeit und Möglichkeit beruht das Gelingen dieses Werkes. Aus dem Motivenberichte, dem gewiß kein Sachverständiger das Zeugnis besonderen Fleißes versagen wird läßt sich feststellen, daß das angesammelte Vermögen nach 20 Jahren 12-14 Milliarden Kronen betragen wird. Nach 25 Jahren wird annähernd die Höhe des ganzen Staatsbudgets erreicht sein. Es wird weiter davon gesprochen, daß im Beharrungszustande das angesammelte Vermögen 35 Milliarden betragen müßte, da der Zinsbetrag 1·4 Milliarden ausmachen soll. Es läßt sich heute kaum übersehen, ob die Wirtschaft imsmstande sein wird, eine derartige Riesensumme dem privaten Wirtschaftskreislauf zu entziehen, und der staatlichen Gebahrung zuzuführen. Jedenfalls ergibt sich daraus die dringende Forderung, daß die Verwaltung und Anlage dieser angesamelten Geldbeträge durchaus im Interesse der wirtschaftlichen Kräfte des Staates erfolgen muß. Wir sehen heute den Kapitalsmarkt für gewisse Zwecke vollständig verarmt, so z. B. fließen für die Bautätigkeit die Mittel nur äußerst spärlich. Wir wissen es, daß die Ursache zum Teil darin liegt, daß die allzulange Fortsetzung von Zwangsgesetzen und die Enteignung groß er Summen anläßlich der Entrechtung der Kriegsanleihebesitzer zu diesen Stockungen geführt haben. Wir müssen dringend davon warnen, auch hier vielleicht in diesem Sinne fortzufahren und das, was einem Teil der Wirtschaft entzogen wird, vielleicht einem anderen aus nationalen Gründen anzuführen. Ein solcher Vorgang müßte sich furchtbar rächen. Denn wenn einmal der Unternehmungsgeist erloschen ist, gibt es auch für soziale Zwecke keine Mittel mehr. Aus diesen Gründen wäre auch daran zu denken, ob man nicht hier mit Glück den Gedanken der langsam aufsteigenden Versicherungsprämien einführen könnte. Fachmänner haben berechnet, daß in den ersten 10 Jahren eine Prämie von 3·6% bis zum 20. Jahre von 4·8% und dann erst eine gleichbleibende Prämie von 6% unter Vereinigung des Aufwands- und Deckungsprinzipes zum gleichen Ziele der gesicherten Rentendeckung führen könnte. Die gesamten Jahresprämien würden dann statt 738 Millionen nur 465 Millionen betragen. Die Steigerungsbeträge der Invalidenrenten müßten dann statt mit 1/5 der bezahlten Beträge mit einem entsprechend höheren Teile derselben, vielleicht mit einem Drittel, bemessen werden. Es ist leider nicht möglich, in eine öffentliche Diskussion dieser Fragen heute noch einzutreten, da die Vorlage, wie bereits früher gerügt, im letzten Augenblick unbedingt überstürzt verhandelt wurde und behandelt wird.
Jedenfalls aber bleibt es Pflicht der Regierung, der Industrie, dem Handel und dem Gewerbe in der nächsten Zeit alle jenen Erleichterungen, insbesondere auf dem Gebiete der Steuergesetzgebung, der Revision der Vermögensabgabe und der Steuervorschreibungen mit Rücksicht auf die nullifizierte Kriegsanleihe, so rasch als möglich zu gewähren, damit die Produktionsgrundlagen durch die Lasten der Sozialversicherung nicht allzusehr ins Schwanken geraten. Ein solches Vorgehen wird insbesondere auch für die Arbeiterschaft selbst von größtem Vorteile sein.
Zum Schluß möchte ich mir noch einige Bemerkungen zum Kapitel der Krankenversicherung erlauben. Wir leiden auf diesem Gebiete unter einem argen Mißverhältnis. Die Aufgabe der Krankenversicherung sollte es doch vor allem sein, die Erkrankten zu heilen. Leider haben sich die Krankenkassen in sehr vielen Fällen nicht davon losmachen können, daß sie als ihre Hauptaufgabe die Krankengelderauszahlung angesehen haben. Die Schuld liegt nicht allein in der Verwaltung der Kassen, sondern auch in den Versicherten selbst, sowie in den unglücklich gefaßten Bestimmungen der letzten Zeit, die die Arbeitslosen geradezu dazu verleiten mußten, soviel als möglich auf Anerkennung einer Erkrankung hinzuarbeiten, weil sie darin in vielen Fällen beinahe soviel an Krankengeld ohne Arbeitsleistung erhielten, als sie durch eine Arbeitsleistung hätten verdienen können. Schuld ist daran vor allem das System. Der Fachmann, der Arzt, ist der schlechtbezahlte Angestellte der Krankenkassa und dieser erfaßt in vielen Fällen, durchaus nicht seine Hauptaufgabe, d. i. die der Krankenheilung. Daß sie auch noch die Organisationstätten für politische Parteien wurden, hat ihre Tätigkeit in diesen Richtungen nicht verbessert. Überraschend sind jedenfalls die statistischen Ziffern, welches nachweisen, daß in den letzten Jahren die Morbidität d. i. die Zahl der auf ein Mitglied entfallenden Krankentage von 8·2 im Jahre 1916 auf 12·1 im Jahre 1921 gestiegen ist; in den beiden letzten Jahren soll diese Ziffer noch weiter in die Höhe gegangen sein. Wir vermissen leider in dem vorliegenden Gesetzentwurf die richtige Erfassung dieser Tatsachen. Von fachmännischer Seite wurde vorgeschlage, man möge das Schwergewicht der Heilbehandlung und der Entscheidung darüber, wer Krankengeld zu beziehen habe, in die Hände der Fachmänner, also der Ärzte legen, und man möge weiter durch organisierte freie Ärztewahl die Pauschalbehandlung möglichst zu verbessern suchen. Die im Ausschuß diesfalls gestellten Anträge wurden leider abgelehnt. Wir glauben, daß man in einem späteren Zeitpunkte auf diesen durchaus gesunden Gedanken wird zurückgreifen müssen, da vielleicht nur so das wirklich sozial erstrebenswerte, also die Heilung der Kranken durchzuführen ist, und auf diesem Wege auch der Selbstverwaltung in der Sozialversicherung am besten entsprochen werden könnte.
Mit Rücksicht auf alle die angeführten Momente, welche wir zum Teil in Anträgen zu dieser Vorlage zusammenfassen werden, komme ich in Namen der deutsch-demokratischen Freiheitspartei zur Schlußfassung, daß wir durch diese Anträge uns bemühen wollen, die Vorlage in dem Sinne abzuändern, welcher unserer Meinung nach als Grundlage für die Sozialversicherung zu gelten hätte, das ist der Grundsatz der Selbstverwaltung und der nationalen Gerechtigkeit. Außerdem soll durch unsere Anträge auch jenes Übermaß von staatlichem Zentralismus vermieden werden, welches unserer Meinung nach einem solchen sozialen Werke nur schweren Schaden bringen dann. Sollte das Gesetz in der vorliegenden Fassung bestehen bleiben, müßte unsere Fraktion sich bei der zweiten Lesung der Abstimmung enthalten.
4. Øeè posl. Blatné (viz str. 1589 tìsnopisecké zprávy):
Hohes Haus! Meine Fraktion hat mir den Auftrag gegeben, von dieser Stelle aus von den Leistungen der Sozialversicherungsvorlage zu sprechen, soweit sie sich auf die Frauen bezieht. Aber ich muß gestehen, meine Damen und Herren, ich habe trotz eifrigster Prüfung wohl etwas im Motivenbericht, aber nicht viel von Leistungen, nicht viel von Frauenfreundlichkeit in der Vorlage selbst gefunden. Die Paragraphen, die in der ursprünglichen Vorlage etwas davon enthielten, sind durch die Veränderungen in der letzten Fassung durchaus frauenunfreundlich geworden; durch die Veränderungen der §§ 95 und 96 scheinen die Gefährtinnen, Tausende und Tausende braver Proletarierfrauen aus dem Versicherungsrecht hinausgeschleudert, eine Maßregel, eine brutale moralmeuchlerische Maßregel, die uns erkennen läßt, daß auch hinter den Kulissen der "Pìtka" die Weltanschauungen miteinander ringen. Und wir hätten wohl gewünscht, daß unsere èechischen Genossen in diesem Ringen ein wenig mehr Kraft, ein wenig mehr Rückgrat, ein wenig mehr Mut aufgebracht hätten. Aber wir ahnen dieses Ringen und wir wissen von dem Kampf, den unsere Parteigenossen in den Ausschüssen durchgekämpft haben, wir wissen von dem zähen und uner müdlichen Kampf, den im Subkomitee unser Genosse Taub durchgefochten hat, wo er fast um jedes einzelne Wort gerungen hat, und wollen hier buchen, daß als einziger Erfolg für die Frauen eine Veränderung im § 5 zu unseren Gunsten zu konstatieren ist, wodurch die Hausnäherinnen, Bedienerinnen und die verwandten Berufe, wodurch Hauslehrer und Hauslehrerinnen in die Versicherungsberechtigung einbezogen erscheinen. Eine der schwersten Enttäuschungen, die der Entwurf der Arbeiterschaft bringt, sind die unheilvollen Bedingungen, an welche die Gewährung einer Witwenrente geknüpft ist. So mit zweierlei Maß gemessen wie in dieser Sache wurde selten in sozialpolitischen Dingen. Die Witwen der Staatsbeamten, die Witwe des Privatangestellten, des Eisenbahners, der Bergmanns erhält, gleichgültig ob sie kräftig oder kränklich, jung oder alt, mit Kindern gesegnet oder kinderlos ist, ihre Witwenversorgung und das ist recht so. Denn die heutigen Einkommensverhältnisse gestatten dem Familienerhalter nicht, bei Lebzeiten etwas für seine Frau zurückzulegen und ihm die qualvolle Sorge abzunehmen, was nach seinem Tode mit seiner Lebensgefährtin, sein wird. Es ist das ein Gebot, wenn schon nicht der Humanität, die unsere herrschenden Klassen im Munde führen, aber nicht betätigen, so doch der Rücksicht auf die Arbeitsfreude und den Arbeitseifer. Nur der Arbeiterschaft gegenüber hören diese Gebote und Rücksichten vollständig auf. Die Regierung, die mit ihrer Frauenfreundschaft im Motivenbericht gar so groß tut, will den Arbeiterswitwen eine Rente nur dann gewähren, wenn sie bereits invalid sind oder sobald sie invalid werden. Die Witwen werden also verurteilt, bis zu ihrem letzten Blutstropfen - mögen sie alt sein wie immer - zu rackern, wenn sie nur ein Drittel des nach ihrer Vorbildung, Geschicklichkeit und in ihrer Gegend üblichen Tageseinkommens zu verdienen im Stande sind. Das aber nennen wir den Grundsatz der Arbeitspflicht, den wir als das heiligste Gebot der künftigen Gesellschaft anerkennen, verdammt entheiligen und aus dem Idealbild eine Fratze machen. (Pøedseda Tomášek se ujal pøedsednictví.) Die Arbeitersfrau hingegen ist Zeitlebens an Arbeit gewohnt, sie hat als Kind schon auf die Geschwister aufgepaßt oder in der Werkstatt mitgeholfen, mit 14 Jahren ging sie in die Fabrik, in der Ehe mußte sie das Haus besorgen und Geld verdienen, weil es sonst nicht gelangt hätte. Das Weib hat einen geduldigen Buckel, soll sie weiter schuften. Zugtiere sind zum Ziehen da. So sieht die soziale Gerechtigkeit unserer Regierungs aus. Aber nicht genug daran. Die Schäbigkeit der §§ 114 und 115 sitzt tiefer. Überlegen wir einmal: Das Gesetz argumentiert, daß die Arbeitersfrau auch schon in der Ehe gewöhnlich erwerbstätig sei, sie soll also diesen ihren Erwerb fortsetzen und erst, bis ihr Einkommen durch körperliche oder geistige Gebrechen auf ein Dritteil des üblichen gesunken ist, soll der Staat helfend eingreifen. Ja, aber warum arbeitete die Frau in der Ehe? Offenbar, weil der Mann zu wenig verdiente und eine Zubuße nottat. Denn mehr als eine Zubuße kann die verheiratete Frau, die Haushalt und Kinder zu versorgen hat, durch ihre Arbeit nicht herein bringen. Gewöhnlich muß sie sich mit dem dürftigen Einkommen einer Wäscherin, Bedienerin oder Heim-Akkordarbeiterin begnügen. Wenn sie 5.000 Kronen im Jahr verdient, kann sie froh sein, und von diesen 5.000 Kronen soll sie nun als Witwe, solange sie gesund ist, weiter den gesamten Haushalt versorgen. Sie soll die Kinder aufziehen und nähren, kurz, alle Lasten, die bisher der Mann trug, selber tragen. Denn die Lebensbedingungen im Hause haben sich ja durch den Tod des Mannes nicht geändert. Wie soll die Arme das leisten? Wie nicht samt ihren Kindern körperlich und geistig verkümmern? Und auch, wenn ihr Einkommen auf 2.500, auf 2.000, auf 1.800 Kronen sinkt, sieht unser sozialpolitisch so fortgeschrittener Staat gleichmütig und hartstirnig zu. Erst wenn sie weniger als 1666 Kronen verdient, wenn sie von Arbeit so zermürbt ist, daß sie körperlich und seelisch als Krüppel dasteht, erst dann greift der Staat ein. So sinnlos müssen sich die Dinge gestalten, so albern - statt des von Mann und Frau zusammen verdienten - ein Bettelgeld als Existenzminimum angenommen werden, damit alles über einen Kamm geschoren, damit ein blechernes Allerweltsmaß angewendet werden kann. In dem Fanatismus, an allen Ecken zu sparen und unseren armen Industriellen ja nicht wehe zu tun, durften die §§ 114 und 115 keine Sonderbestimmungen bekommen, durfte keine Altersgrenze eingesetzt werden, bei der die Rente jedenfalls beginnen müßte, durfte die Zahl der Kinder, für die die Witwe zu sorgen hat, nicht berücksichtigt werden. Und weil nun so vorgegangen wurde, verwandelten sich Bestimmungen, auf die Millionen hofften; die Hunderttausenden eine gewusse karge Sicherheit fürs Alter gewähren sollten, in bitteren Hohn, ward ein sozialpolitisches Werk zur jesuitischen Augenauswischerei.
Die vielberufene Frauenfreundschaft des Entwurfes, die wir sozusagen Paragraph für Paragraph verfolgen konnten, tritt auch in einem Paragraph zutage, der im Gesetzentwurf nicht steht. Wir vermissen nämlich eine Bestimmung, die entsprechend dem Gesetz über die Pensionsversicherung der Privatangestellten verfügt, daß ein Teil der eingezahlten Prämien beim Austritt aus der Versicherung zurückgezahlt werde. Solche Rück zahlung gibt es bei der allgemeinen Sozialversicherung nicht, ja die Regierung hat merken lassen, daß sie auch den Privatangestellten diese Vergünstigung bei der nächbesten Gelegenheit zu nehmen gedenke. Auf wessen Rücken wird diese versicherungsmathematische Extratour ausgedroschen? Nun, wie sich das bei unseren Frauenfreunden von selbst versteht, auf dem der Frauen. Denn, während die meisten Männer aus der Arbeiterversicherung austreten, dafür in die Versicherung für selbständige, private oder öffentliche Angestellte eintreten und so tatsächlich, und wie es billig ist, nichts verlieren, büßen die versicherten Frauen, die heiraten und ihren bisherigen Beruf aufgeben, alle Vorteile aus ihren vielleicht langjährigen Zahlungen ein, es sei denn, daß man die famose Witwenrente für ausgemergelte Krüppel als "Vorteil" bezeichnen will. Damit also die Rechnung der Herren Versicherungsmathematiker stimmt, sollen Tausende von Frauen ganz vergeblich ihre Beiträge geleistet haben, und wie gut könnten sie doch das runde Sümmchen, das sie gelegentlich der Eheschließung auf die Hand bekämen, brauchen. Wissen wir doch, daß viele privatangestellte Frauen nur mit Hilfe der rückgezahlten Prämien ihren bescheidenen ehelichen Hausstand gründen konnten. Damit ist es für Arbeiterinnen nichts, und wenn die Regierung ihre Drohung wahr macht, soll es auch für die privatangestellten Frauen damit bald aus sein. Es geht doch nichts über die sozialpolitische Einsicht unserer Regierungsmänner, die dem ledernsten Fiskalismus zuliebe vielen Frauen die Möglichkeit einer Eheschließung rauben. Gesunde Bevölkerungspolitik handelt anders und unsere in der Regierung so maßgebenden Klerikalen, die doch nur von der Heiligkeit der Ehe, wie wir es heute von dieser Stelle aus gehört haben und von der Verwerflichkeit der freien Liebe predigen, was im Paragraph über die Lebensgefährtinnen zu so unheilvollem Ausdruck kommt, sie sollten erst recht anders handeln. Aber wir wissen schon: Der fromme Sinn unserer regierenden Patres wird stumm, sobald der heilige Fiskus sein gefräßiges Maul öffnet.
Ein wechselvolles Schicksal hat auch der § 111 über die Grundrente durchlaufen. Eine bemakelte Vergangenheit und ein schimpfliches Ende. Ursprünglich einheitlich mit 600 Kè für beide Geschlechter festgesetzt, wurde die Grundrente knapp vor Versendung der ersten Vorlage plötzlich und rasch abgeändert und zwar zu Ungunsten der Frauen. Die Einh eitlichkeit wurde fallen gelassen und die Rente der Frauen auf 450 Kè herabgesetzt. An der Hand von Zahlen, die eine dreißigjährige Erfahrung der reichsdeutschen Sozialversicherung bietet, wurde darauf hingewiesen, daß die Frauen die Versicherung durch ihre Invalidität in weit höherem Maße belasten als die Männer. Es wurde zahlenmäßig erwiesen, daß die Frauen zwischen 20 und 40 Jahren durch ihre Funktionen der Mutterschaft, der Schwangerschaft, gesundheitlichen Störungen in weit höherem Maßeunterliegen, daß sie nervösen Störungen mehr ausgesetzt sind, und auf der anderen Seite wurde darauf hingewiesen, daß die alten invaliden Männer viel früher sterben, als die alten Frauen. Und es kommt mir schon so vor, daß es den alten Frauen in der Versicherung so ähnlich geht, wie in manchen Stellen anderswo: Sie werden ein bischen als überflüssig empfunden. Es wurde in diesem Zusammenh ang auf die steigende Berufstätigkeit der Frauen hinge iesen und aus all dem wurde nun der Grundsatz konstruiert, daß die Frauen die Versicherung in einem höheren Grade belasten und daß sie um eine Gleichstellung herbeizuführen, eine niedrigere Rente beziehen müßten. Die Tatsachen stimmen, die Zahlen sicherlich auch, die Beweisführung ist eine logische und mag richtig sein, da sie aber von einer falschen Voraussetzung ausgeht, kommt sie zu einer gänzlich falschen Schlußfolgerung, die erbitternd wirkt. Die Frauen sind wirklich in steigendem Maße berufstätig. Die Statistik aller Länder beweist es uns und auch das statistische Ergebnis der Volkszählung vom 15. Feber 1921 ergibt, daß der Anteil der Frauen an den Berufen in der Èechoslovakei von je 1000 Berufstätigen in Böhmen 323, in Mähren 326, in Schlesien 301, also ungefähr ein Drittel aller Berufstätigen beträgt. Mehr als die Hälfte aber ist berufstätig, und zwar sind es die sogenannten mithelfenden weiblichen Familienmitglieder. Die Berufstätigkeit der Frau steigt in allen Ländern. Es gibt heute fast keinen Beruf mehr, in dem nicht auch Frauen tätig wären. In der giftgeschwängerten Atmosphäre der Fabriken, auf den Bauten, im Bergbau, überall wo es gefährlich, wo es mühsam ist, findet man sie. Die Frau ist heute ein Faktor der Volkswirtschaft geworden, die Volkswirtschaft könnte heute auf Frauenarbeit nicht mehr verzichten. Und wenn darauf hingewiesen wird, daß durch die Mutterschaft die Gesundheit der Frau geschädigt wird und sie dadurch die Versicherung gefährdet, so ist das auch wahr. Aber, wie steht denn die Sache? Leisten denn die Frauen nicht gerade durch die Mutterschaft der Menschheit unersetzliche Dienste, leisten sie nicht den schwersten und edelsten Dienst? Mit einer Rechenmaschine, und mag sie noch so gut funktionieren, kann man eine dringende Frage der Zeit, das Frauenproblem, nicht entscheiden. Die mangelnde Fürsorge für die Mütter hat verschiedene Folgen gezeitigt. Nicht nur, wenn wir das Schicksal der arbeitenden Mütter mit dem Schicksal der Mütter aus den begüterten Klassen vergleichen, sondern auch nach einer anderen Hinsicht: der Mangel an Mutterschutz, der Mangel an Fürsorge gerade für die Hilflosesten der Mütter, das Übel, daß sie von der Gesellschaft verlassen sind, daß die Gesellschaft sich nicht um sie kümmert, daß sie sie verachtet, hat sicherlich schon manches unglückliche Weib nicht nur zur Verzweiflung, sonderm auch direkt zu einem Verbrechen getrieben.
Ein Besuch in der Strafanstalt Nikolsburg, den ich vor einigen Wochen machte, hat mich überzeugt, daß die Verpflichtung des Staates zum Mutterschutz unmittelbar mit dem Schicksal so mancher entgleisten Frau verknüpft ist. Nikolsburg ist die Strafanstalt, wo alle jugendlichen Schwerverbrecherinnen der Èechoslovakei untergebracht werden und ich habe dort zu meinem Entsetzen gefunden, daß ein Drittel aller erstbestraften Schwerverbrecherinnen, Kindesmörderinnen sind, Mörderinnen am eigenen Kinde. Welch seelische Not, was für eine Gesellschaftsordnung, die das tiefinnerste Empfinden des Weibes, die Mütterlichkeit, erschlägt! Dabei machen diese Frauen dort durchaus nicht den schlechsten Eindruck. Das Aufsichtspersonal und die Beamten haben sie mir als willig, fleißig und still gelobt. Ich habe mir die Akten der Unglücklichen zeigen lassen und in ihnen wahllos herumgeblättert. Die eine, Štìpánka Kalová, war in einer Mühle bedienstet, hatte ein Verhältnis mit einem Knecht und ein Kind von ihm. Der Knecht hat das Kind nicht anerkannt, der Müller hat das Mädchen fortgewiesen, das Elternhaus hat sie nicht aufgenommen und sie hat das Kind getötet. Sie wurde zum Tode durch den Strang ver urteilt und dann zu sieben Jahren Strafhaft begnadigt. Eine andere, Anna Apuková, ist mir durch ihr idiotenhaftes Aussehen, durch ihr Grinsen und freundliches Lächeln gleich aufgefallen. Ich habe in ihren Akten gefunden, daß für ihre Tat als Entschuldigungsgrund angegeben ist, daß es ihr an Inteligenz fehlte. Um Ihnen auch einen Lichtblick aus dies em Dunkel zu zeigen, erwähne ich den Namen der Anna Dörflova, die von ihrer Dienstherrin hie und da immer noch ein Schreiben erhält und die sie, wenn sie ihre Strafe abgebüßt hat, wieder in den Dienst aufnimmt. Eine andere mit zwei unehelichen Kindern ist in selbstmörderischer Absicht ins Wasser gegangen. Sie und das eine Kind wurden gerettet, das andere ertrank. Sie büßt nun in Nikolsburg als Mörderin eine mehrjährige Strafhaft ab. Meine Herren und Frauen! Wo ist die Antwort auf eine solche Frage? Hat die kapitalistische Gesellschaftsordnung auf diese Frage irgendeine Antwort, irgendwelche Mittel? Wir können bei einer anderen Gelegenheit von solchen Mitteln sprechen. Aber ein Mittel vor allen anderen, das war mir klar, ein sozialpolitisches Vorbeugungsmittel, mußte es sein: die Sozialversicherung. Heute liegt die Sozialversicherungsvorlage vor uns, diese heißersehnte Vorlage, und wir müssen uns fragen: was bringt uns diese Vorlage, was ist aus dieser Vorlage geworden?
Wir sehen, daß die Invaliden, die Kranken, die Greise, die Greisinnen, die Kinder und die Waisen sehr schlecht wegkommen. Für sie ist fast ein Nichts dabei herausgekommen.
Wir haben uns in ernster Beratung angesichts dieser Tatsachen die Frage vorgelegt, ob wir für diese Soizalversicherung noch stimmen können. Und da wir nun doch dafür stimmen, so fast lediglich des Namens willen, denn die Vorlage trägt diesen durch die Sehnsüchte von Arbeitergenerationen geheiligten Namen. (Souhlas a potlesk na levici.)