Ètvrtek 5. èervna 1924

Pøíloha k tìsnopisecké zprávì

o 269. schùzi poslanecké snìmovny Národního shromáždìní republiky Èeskoslovenské v Praze ve ètvrtek dne 5. èervna 1924.

Øeè posl. dr. Haase (viz str. 830 tìsnopisecké zprávy):

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn Herr Dr. Medvecký als Referent in einer juristischen Angelegenheit auf die Tribüne tritt, so bedeutet das - daran haben wir uns schon langsam gewöhnt - eine kleine Rückbildung des Fortschrittes, um nicht zu sagen, eine große Reaktion. Herr Dr. Medvecký hat heute als Referent eine Verschlimmerung, ja, wenn man so sagen darf, eine vollständige Annullierung des wichtigsten kriminalpolitischen Momentes der Institution der bedingten Verurteilung, zu verteidigen. (Souhlas na levici.) Der Herr juristische Referent hat sich seine Aufgabe der Begründung sehr leicht gemacht.

Er sagte nämlich wörtlich - ich übersetze ins Deutsche: "Die Einwendungen gegen den vorliegenden Entwurf sind unbegründet, weil dem Verurteilten durch denselben nicht geschadet wird." Punkt, fertig. Das ist die Begründung, die juristis che Begründung, die kriminalpolitische Begründung dafür, daß dieses hohe Haus aufgefordert wird, einen Rückschritt zu machen, zu widerrufen, was man Gutes getan hat; wir gewöhnen uns ja langsam daran, daß wenn schon etwas Gutes hier gemacht wird, man sich beeilt, dieses Gute so rasch als möglich zu widerrufen. Dabei hat man aber nicht den Mut zu sagen: "Wir widerrufen alles." Man läßt den Titel, läßt die Schale und nimmt den Inhalt auf ziemlich, sagen wir, perfide Weise heraus. (Sehr richtig!) So geschieht es auch mit dem Gesetz über die bedingte Verurteilung. Der Herr Referent scheint sich nicht den Kopf darüber zu zerbrechen, welche kriminalpolitischen Motive diesem Gesetz zugrunde liegen, für ihn ist die Sache furchtbar einfach: der bedingt Verurteilte braucht ja nicht zu sitzen und damit, daß ihm das Absitzen oder das Zahlen der Geldstrafe geschenkt wird, scheint dem Herrn Referentem schon der ganze kriminalpolitische Inhalt dieses Gesetzes erschöpft. Ich glaube, wir würden die Mitglieder der revolutionären Nationalversammlung, welche dieses Gesetz gemacht haben, als Gesetzgeber und Kriminalpolitiker sehr gering einschätzen, wenn wir annehmen wollten, daß es sich ihnen nur darum gehandelt hat, das Institut der bedingten Verurteilung einzuführen, um jemandem die Strafe zu schenken. Darum geht es ja nicht; der Herr Referent hat auch aus dem Gesetz richtig zitiert: "Es soll von demjenigen, der bedingt verurteilt wird und die Bewährungsfrist überdauert, gelten, als ob er überhaupt niemals schuldig gesprochen worden wäre, er soll in seinem, wie man sagt, bürgerlichen Fortkommen in keiner Weise behindert werden." Es soll so sein, als hätte er niemals die Straftat begangen. (Souhlas na levici.)

Nun sagt der Herr Referent, in der bisherigen Praxis hätte man den Standpunkt des Verurteilten mehr gewahrt als das öffentliche Interesse. Ja was heißt denn eigentlich Kriminalpolitik? Heißt Kriminal politik irgendeine Differenz zwischen Privatinteresse und öffentlichem Interesse? Eine richtige Kriminalpolitik - und das Gesetz über die bedingte Verurteilung in seiner bisherigen Fassung ist richtige Kriminalpolitik - sagt sich, daß Verstöße des Einzelnen gegen die Interessen der Allgemeinheit - nicht dieser Mischmasch "öffentliches Interesse" - verhindert werden müssen, und wenn ein solcher Verstoß geschieht, ist zu überprüfen, unter welchen Umständen er geschehen ist und ob es sich mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse erwarten läßt, daß in Zukunft ein derartiger Verstoß nicht mehr geschieht. Das Gesetz über die bedingte Verurteilung ist ein Ausgleich zwischen dem öffentlichen Interesse und dem Bedürfnis nach Vergeltung, dem Bedürfnis nach Rache; bei richtiger Kriminalpolitik schalten wir eben dieses Bedürfnis nach Rache und Vergeltung aus, für uns ist eine richtige Kriminalpolitik dann gegeben, wenn wir alles tun, um einen Angriff gegen die Interessen der Gesamtheit zu verhindern, indem wir das Volk dazu erziehen, daß solche Angriffe gegen die Gesamtheit nicht geschehen und indem - und das ist der dritte und vielleicht wichtigste Punkt, den mir der Herr Referent vollständig vergessen zu wollen scheint - das Gesetz sozial dazu beiträgt, daß Angriffe gegen die Gesamtheit, gegen das öffentliche Interesse verhindert werden. Wenn wir jemanden bedingt verurteilen und ihm nur das Absitzen der Strafe schenken, haben wir nichts dazu getan, zu verhindern, daß er sich noch ei mal, noch zweimal, noch x-mal gegen das öffentliche Interesse, gegen das Interesse der Allgemeinheit, vergeht. Und deshalb hat das Gesetz über die bedingte Verurteilung mit Fug und Recht gesagt: Derjenige, der bedingt verurteilt ist, ist auch schon während der Bewährungsfrist zu schützen in der Richtung, daß es ihm sozial möglich gemacht wird, einem anständigen Erwerb nachzugehen, weiter ein anständiger Mensch zu bleiben und nicht auf Schleichwegen sich seinen Lebensunterhalt verdienen zu müssen. Wenn wir aber jemandes Verurteilung der Öffentlichkeit übergeben, wenn wir es gestatten, daß wie der Herr Referent des Justitzministeriums im Ausschuß gesagt hat, ein Mensch, der das Schlossergewerbe ausübt und bedingt verurteilt war, dann eventuell verhindert werden kann, das Schlossergewerbe auszuüben, wenn wir eine derartige Möglichkeit ins Auge fassen, dann, meine Verehrten, haben wir den Zweck, den sozialen, den kriminalpolitischen Zweck der bedingten Verurteilung vollständig aufgehoben und es bleibt uns nur der Rahmen übrig. Vielleicht ist denjenigen, die heute das Gesetz überhaupt noch trotz dieser Rückbildung au frecht erhalten, nur darum zu tun, daß man in Ausland sagt: Wir haben ein Gesetz mit der Überschrift: "Gesetz über die bedingte Verurteilung." (Sehr gut!)

Das Gesetz hat schon in seiner bisherigen Form ohnehin dem sogenannten öffentlichen Interesse ein Kompliment gemacht und gesagt: wenn es sich darum handelt, ein öffentliches Amt zu besetzen, dann soll auch während der Bewährungsfrist ein Bericht des Gerichtes an das betreffende Amt erstattet werden können. Bitte, damit wollen wir uns abfinden, da ist das öffentliche Interesse, das Sublimat desselben in Frage. Aber weniger gut ist die Sache schon - und das soll jetzt geschehen - wenn jemandem ein Disziplinarverfahren angehängt wird; dann soll nach dem neuen Gesetz der ganze Apparat des Gerichtes diesem Disziplinarverfahren zur Verfügung gestellt werden, wenn eine bedingte Verurteilung stattgefunden hat; und wer bei uns in der Èechoslowakischen Republik weiß, wie insbesondere bei den Eisenbahnern das Disziplinarverfahren vor sich geht, der wird sich sagen müssen; wir haben gar keinen Grund, den Herren das Disziplinarverfahren zu erleichtern, indem man ihnen die Gerichtsakten zur Verfügung stellt, wir müssen vielmehr darauf beharren, daß die Gerichtsakten im Falle einer bedingten Verurteilung nicht dem Disziplinarrat, der Disziplinarkommission mitzuteilen sind, sondern bei Gericht zu verbleiben haben. Man hat eingewendet - und ich bin etwas genauer und deutlicher in der Bekämpfung der Einwendungen als der Herr Referent - es wäre unlogisch, die Übersendung des Berichts und der Akten im Falle einer Neuanstellung zu verlangen, hingegen ihre Übergabe zu verbieten, wenn es sich um eine eventuelle disziplinäre Entlassung handelt. Da liegt eben der große kriminalpolitische Unterschied. Wenn jemand in einem Dienste ist und infolge der Verurteilung aus seiner Bahn geworfen wird, dann wird er auf die Bahn des Verbrechens gedrängt. Es ist Aufgabe des Gesetzes, zu verhindern, daß eine derartige Entgleisung aus der sozialen Bahn geschieht, eben aus diesem Grunde hat das Gesetz jede Mitteilung von Akten, jede Mitteilung des Urteils, verboten.

Aber am kritischesten ist die Bestimmung, daß man in jenen Fällen der Behörde das ganze Aktenmaerial mitzuteilen hat, wenn es sich darum handelt, daß sich jemand um öffentliche Lieferungen bewirbt oder wenn es sich darum handelt, daß er ein Gewerbe usübt, zu dem das öffentliche Vertrauen notwendig ist. Ja, meine verehrten Damen und Herren, wenn man unsere administrative Praxis nur ein ganz klein wenig kennt und sich dann vorstellt, was unter "vyžadující veøejné dùvìry" so alles verstanden werden wird und was man unter "oprávnìní k výkonu živnosti" verstehen wird - ob sich das nur auf konzessionierte Gewerbe oder auf jede Gewerbeberechtigung bezieht - da muß man bei der Unklarheit der Fassung zur Überzeugung kommen, daß es sich da oft darum handeln wird, welcher politischen Partei oder vielleicht welchem Vereine man angehört. Denn das ist der Zweck der Übung bei einer ungenauen Fassung der Gesetze, daß man dem einen gut und dem anderen schlecht tun kann. Der richtige Administrativjurist kann dann mit Hilfe der freien Würdigung - natürlich "im Rahmen des Gesetzes" - tun, was er will. Es kann also z. B. jeder, der bedingt verurteilt wird, sehr leicht an der Ausübung eines Gewerbes verhindert werden, was früher nie der Fall war. Es ist vor Erlassung des Gesetzes über die bedingte Verurteilung niemals einem Menschen eingefallen, zu sagen, daß jemand, der wegen Diebstahls verurteilt war, nicht mehr Schlosser sein könne. Jezt bekommt die Behörde die Aufforderung, es solle ihr dies einfallen; und wenn es ihr nicht einfällt, wird man ihr mitteilen, daß es ihr einzufallen habe und wird ihr auch gleich dazu mitteilen, in welcher Weise man so ungefähr derartige Sachen im höheren öffentlichen Interesse praktizieren könnte. Damit die Geschichte noch ganz komplett wird und weil man sich denkt, daß man trotz der kautschukartigen Bestimmung des Gesetz es, vielleicht doch noch etwas ausgelassen haben könnte, was ab und zu einmal einem Machthaber vom Vorteil wäre, wird noch zwei Ministern eine Generalvollmacht gegeben, daß sie auch in anderen als im Gesetz angeführten Fällen anordnen können, daß die Akten über jemanden, der bedingt verurteilt wurde, einem öffentlichen Amte mitgeteilt werden. Es wird also das wichtigste kriminalpolitische und ungeheurerzieherische Element des Institutes der bedingten Verurteilung beseitigt, aus dem Bau des Gesetzes ausgebrochen, d. i. vom Momente der bedingten Verurteilung, also vom Momente der Gewährung der Bewährungsfrist an, jedem die Möglichkeit zu geben, ungehindert jedem Erwerbe oder Berufe nachzugehen, als ob nichts geschehen wäre, daß man nach Ablauf er Bewährungsfrist einfach einen Strich machen und ie Vergangenheit auslöschen kann. Denn vom Momente der bedingten Verurteilung an wird durch den vorliegenden Entwurf dem Betroffenen die Möglichkeit genommen, sich zu erhalten, die Bewährungsfrist zu überdauern.

Diese Vorlage ist, man muß es schon sagen, ein schlagender Beweis dafür, daß wir in diesem Staat auf allen Gebieten von der Reaktion getrieben werden; weil dieses Gesetz ein reaktionäres Gesetz ist, ein Gesetz, welches den Fortschritt in der Kriminalpolitik vernichtet, müssen wir dagegen auftreten und stimmen. (Souhlas a potlesk na levici.)


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