Pondìlí 18. prosince 1922

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den drei Protokollen der Genfer Konvention vom 4. Oktober über die Sanierung Österreichs liegen einige Adnexe, darunter auch die Antwort des Finanzkomitees des Völkerbundrates auf die an ihn gestellten Fragen bei. Diese Antwort enthält unter anderem folgenden lapidaren Satz, der in 15 Worten das österreichische Problem in seinem tiefsten Kern enthüllt. Er lautet: "In einer sehr kurzen Spanne Zeit wird Österreich nicht mehr verbrauchen dürfen als es produziert."

Und in der Tat, darum handelt es sich. Kein Staat kann bestehen und sich behaupten, der auf die Dauer mehr verbraucht als er erzeugt. Es kann vorübergehend der Fall sein, es kann vorkommen, daß ein Staat Schulden macht oder die kommenden Geschlechter belastet, wie das ja während des Krieges und in der Nachkriegszeit fast alle Staaten getan haben und tun mußten. Die Schicksalsfrage aber ist die: Kann Österreich, dieser Torso eines Staates, überhaupt so viel erzeugen, als er, auch bei strengster Sparsamkeit, zum Leben braucht? Wohl verstanden nicht nur für den Verwaltungsorganismus, nicht nur für Zwecke des sachlichen und personellen Aufwandes der Behörden, das wäre noch das wenigste, das ließe sich erreichen; nein, soviel, um seiner Bevölkerung die Möglichkeit des Lebens als Kulturvolk zu geben. Das Finanzkomitee selbst hat offenbar nicht die feste Überzeugung, daß diese Frage in zweifelausschließender Weise beantwortet werden kann. Denn es sagt weiter: "Es handelt sich nicht darum, zwischen der Fortsetzung der vorjährigen Lebensbedingungen und ihrer Verbesserung zu wählen, es ist zu wählen zwischen einer Periode von Schwierigkeiten, die vielleicht größer sind als alle die, die man seit dem Jahre 1919 durchgemacht hat, die aber für die Zukunft eine wirkliche Besserung vorbereiten" - und es setzt hinzu: "Das ist der günstigste Fall" - "oder einem Sturz in einen Abgrund von Elend und Not, wie sie außer Rußland in der modernen Welt nicht ihresgleichen haben."

Die Besserung, die das Finanzkomitee voraussetzt, ist also, wie es sagt, der günstigste Fall, und dadurch ist doch schon ganz deutlich zum Ausdrucke gebracht, daß das Vertrauen des Finanzkomitees darauf, daß die Besserung auch wirklich eintritt, nicht allzufest begründet ist. Das Finanzkomitee konnte, wollte und durfte sich nicht deutlicher ausdrücken. Denn hätte es die volle Wahrheit gesagt, dann hätte es ein vernichtendes Urteil über die füchterlichen Verträge fällen müssen, die diesen unglückseligen, verkrüppelten Staat geschaffen haben und ihm Licht und Luft rauben, die doch jeder Organismus zum Leben braucht. Dieser Kleinstaat kann heute und noch auf lange Zeit hinaus nicht soviel erzeugen, als er braucht. Er hat Nahrungsmittel nur auf 4 Monate und hat fast keine Kohle, ist vom Meere abgeschnitten. Die ungeheuere Weltstadt, die als Zentrum eines Imperiums von 5 0 Millionen Einwohnern erstand, soll heute von 4 Millionen überwiegend bäuerlicher Bevölkerung erhalten werden. Gewiß kann einmal eine Zeit kommen, in der Österreich lebensfähig wird. Wenn es einmal seine Wasserkräfte ausgebaut haben wird, wenn es von der Kohleneinfuhr unabhängig geworden sein wird, wenn es seine Industrie umgestellt haben und solche Waren erzeugen wird, die wenig mechanische Kraft verbrauchen, die mehr auf Geschicklichkeit und auf den Geist des Menschen eingestellt sind, wie die Schweiz es getan hat, bei der die Uhrenindustrie und die Seidenindustrie eine so große Rolle spielen, wenn Wien das Handelsemporium geworden ist, als das es gedacht ist, und von dem auch in diesem Protokoll die Rede ist, dann wird es möglich sein, daß Österreich auch einmal sich selbst erhalten wird.

Aber meine Damen und Herren, das dauert nicht ein oder zwei Jahre, sondern das dauert Jahrzehnte, umsomehr, als die Mittel zu Investitionen fehlen, die doch gemacht werden müssen, wenn es soweit kommen soll. Und was soll bis dahin geschehen? Wird und muß nicht vorher der Sturz in den Abgrund des tiefsten Elends kommen, von dem der Bericht des Finanzkomitees in ahnungsvollem Schauder spricht? St. Germain ist der Ursprung all dieses Elends. Aber vielleicht wäre es nicht gar so krass geworden, wenn nicht alle Nachfolgestaaten in blindem Hass einerseits, andererseits wohl auch unter dem Drucke Frankreichs in den ersten Jahren nach dem Umsturz alles dazu beigetragen hätten, um das verabscheute Wien so rasch wie möglich umzubringen. Schadenfreude war das leitende Motiv; es kitzelte die Eitelkeit und stärkte das Selbstgefühl, wenn es dem ehemaligen angeblichen Unterdrücker noch viel schlechter ging. Der nationale Chauvinismus glaubte, die eigene Macht sei umso größer, je tiefer der Fall des Gegners sei. Und so tat man politisch und wirtschaftlich alles, um das Schicksal des ohnedies schwer leidenden Nachbarn noch zu verschärfen. Wir erinnern uns noch alle der Absper rungsmaßregeln, der endlosen Schikanen wegen der Kohlenausfuhr, der Zuckerlieferungen und so weiter und ich brauche wohl nicht daran zu erinnern, wie es die Magyaren wegen des Burgenlandes, S. H. S. wegen des Klagenfurter Beckens getrieben haben, wieviel innere Kraft all dies dem armen Österreich geraubt hat.

Und weiter: Zwei Jahre mußten vergehen, bis sich die Kapitalisten der siegreichen Großmächte endlich entschlossen, dem hilflosen Lande die rettende Hand zu reichen. Schon im Jahre 1920 begannen die Bittgänge, die Bet telleien. Seit die bürgerlichen Parteien der Arbeiterschaft die Herrschaft aus den Händen gewunden und dadurch mit vollstem Erfolge verhindert haben, daß die besitzende Klasse und besonders die Reichen durch energische Maßregeln gezwungen wurden, die Mittel zur Rettung des Staates zu liefern, konnte nur das Ausland den immer rasender werdenden Niedergang aufhalten. Aber das hat gezögert, bis die immer näher rückende Gefahr des vollständigen Zusammenbruches, der Anarchie, des Aufruhrs und des Bürgerkriegs die Herrschaften aufgeschreckt hat. Es ist ja nicht Menschlichkeit, nicht Nächstenliebe, nicht das Mitleid mit dem wahrhaftig unverschuldeten Elend dieser armen Dulder, es ist die sehr berechtigte Angst, das im Strudel versinkende Österreich könnte ein paar Nachbarländer mitreißen, es könnte sich der Geist der Gewalt und der Zerstörung, der ja überall unter der Asche glüht, von dort auch auf andere Staaten fortpflanzen.

Man hat bis zum Äußersten gewartet. Und nun gibt man endlich. Ob das, was man gibt, hinreichen wird, kann und soll heute nicht untersucht werden. Es genügt vielleicht, um die Notenpresse stillzulegen, die Krone zu stabilisieren, die Geldverhältnisse zu bessern. Ob es endgiltige Heilung bringen wird, kann heute niemand wissen.

Aber die Frage ist die, wie man gibt. Die Bedingungen, unter denen Österreich dieser Kredit von 650, beziehungsweise 530 Millionen Goldkronen gewährt werden soll, die sind es, die alle jene in tiefste Bestürzung versetzt haben, für die Demokratie, Selbstbestimmungsrecht, Freiheit noch nicht zu leeren Versammlungsschlagworten geworden sind, die an der Überzeugung festhalten, daß eine Gesundung der kranken Menschheit, der Wiederaufbau der zerstörten Kultur nur möglich sind bei Anerkennung der unveräußerlichen Menschenrechte. Die Verträge von Versailles und St. Germain haben die Gleichheit und Freiheit der Völker aufgehoben und diese Protokolle setzen das unselige Werk fort. Und weil wir die kärgliche wirtschaftliche Hilfe, die da gebracht wird, nicht des wucherischen Kaufpreises für wert halten, der dafür begehrt wird, der Versklavung eines Staates, des Raubes seiner innern und äußeren Unabhängigkeit, darum lehnen wir es, wie unsere Parteigenossen in Wien, ab, für diese Protokolle zu stimmen.

Denn was enthalten sie vor allem? Das Schicksal Österreichs wird in die Hände des Völkerbundrates gelegt. Wie schön wäre das, wenn der Völkerbund und sein Rat wirklich das wären, was unvorein genommene Menschen sich darunter vorstellen, ein Instrument der Gerechtigkeit, der Unparteilichkeit, in dem alle Völker gleiche Vertretung haben. So aber ist der Völkerbund ein Zerrbild, ein Werkzeug der siegestrunkenen Großmächte, die Hochburg des Ententekapitalismus, der sich darin den unanfechtbaren Einfluß gesichert hat. In diesem Völkerbund fehlen die Vereinigten Staaten, weil sie kein Vertrauen zu ihm haben. Es fehlen die beiden größten Staaten Europas, Deutschland und Rußland. Die Zustände im Saargebiet, das unter die Kontrolle des Völkerbundes gestellt wurde und zum Tummelplatz des wüstesten französischen Chauvinismus geworden ist, die Zustände in Danzig, wo das Deutschtum den Polen gegenüber vollständig ohnmächtig gemacht worden ist, und das gleichfalls dem Völkerbunde untersteht, lehren uns die Denkart dieser Schöpfung kennen. Und die gegen Recht und Sittlichkeit gefällte Entscheidung bezüglich Oberschlesiens öffnete jedem die Augen, der sehen will.

Und nun die Protokolle. Das erste hebt mit einer Verbeugung vor der Unabhängigkeit, Integrität und Souveränität Österreichs an. Man denkt unwillkürlich an Wilsons 14 Punkte, wenn man diese feierliche Erklärung liest. Aber dann kommt sofort die Erinnerung an den Artikel 88 des Vertrag, es von St. Germain, der noch vertieft und verschärft wird und der doch tatsächlich nichts anderes ist als die Verleugnung der Unabhängigkeit und der Souveränität.

Das Protokoll II verhängt dann die Einsetzung eines Generalkommissärs und einer Kontrollkommission über Österreich. Diesen beiden Instanzen, besonders aber dem Generalkommissär, wird absolute Machtvollkommenheit in allen wirtschaftlichen Fragen verliehen. Er wird entscheiden über die Auszahlung der Kreditraten, er schreibt die Höhe der Steuern, Zölle, staatlichen Einnahmen überhaupt vor, von seiner Zustimmung hängt der Staatsvoranschlag u. s. w. ab. Es kommt hier nicht auf die Person des Generalkommissärs an. Und ich will auch gar nicht bezweifeln, daß dieser Dr. Zimmermann, der ja aus einem recht demokratischen Volke stammt, von den besten Absichten beseelt nach Wien fährt und alle unnötigen Härten zu vermeiden gewillt ist. Es ist überaus charakteristisch, daß in den letzten Tagen durch die Wiener Blätter die Meldung ging, Dr. Zimmermann trete die Stelle des Generalkommissärs deshalb nur provisorisch auf 3 Monate an, weil Frankreich und natü rlich auch die Èechoslovakei ihn wegen seiner allzugroßen Sympathien für die Deutschen als minderqualifiziert für den Wiener Posten erklärt hatten. (Hört! Hört!) Es wäre dankenswert, wenn der Herr Minister des Äußern Dr. Beneš uns mitteilte, was an dieser Nachricht wahr ist.

Aber wie gesagt, meine Damen und Herren, es kommt hier auf die Person des Generalkommissärs gar nicht an, uns liegt an dem Grundsätzlichen. Man darf einen Staat nicht unter Zwangsverwaltung setzen, ihn einem Diktator unterordnen, ohne die Prinzipien der Demokratie und der Souveränität schnöde zu verletzen. Gewiß ist es zulässig und selbstverständlich, daß die kreditgewährenden Staaten sich die Kontrolle über die von ihnen als Sicherheit geforderten Pfänder vorbehalten, und kein Mensch hätte etwas dagegen einzuwenden, wenn die Verwaltung der Zölle und des Tabakmonopols, die vorläufig als Pfandobjekte dienen, einer solchen Überwachung unterworfen werden würden. Aber daß man diese Überwachung auf den ganzen Staat ausdehnt, ja die zur Kontrolle berufene Volksvertretung durch einen Machtspruch auf 2 Jahre einfach ausschaltet, ist ein so gefährlicher Handstreich gegen alle jene Grundsätze, die vorher im Protokoll I gepriesen werden, daß man sich aufs äußerste dagegen wehren muß. Und wir haben umsomehr Grund dazu, als diese Verneinung der selbstverständlichen Rechte jedes Volkes, diese Verächtlichmachung und Beiseitedrängung der demokratischen Einrichtungen keineswegs nur an dem kleinen wehrlosen Österreich geübt wird, sondern heute schon zum Leitmotiv der Politik der Kapitalisten, Nationalisten und Reaktionäre vieler Länder geworden ist. Die Demokratie gefällt den Herrschaften nicht mehr, weil sie fürchten müssen, daß sie die Herrschaft mit den Arbeitern teilen oder gar an sie abgeben müssen. Und darum versuchen sie es neuerdings mit der Gewalt, schalten die Volksvertretung aus, verkünden das Recht der Minderheiten. Die Erfolge der Sowjets scheinenes ihnen angetan zu haben; das Gegenstück des Rätediktatur ist der Fascismus, der Nationalismus und ähnliche die Menschen verwirrende Lehren, die alle daraufausgehen, die einzige wirkliche Gefahr, diedem Kapitalismus droht, die langsam aberunaufhaltsam vordringende Macht des internationalen Sozialismus, zu bekämpfenund zu entwurzeln. Darum haben auch die Anschläge des Ententekapitalismus auf Österreichs Volksvertretung beim Kanzler Seipel so wenig Widerstand gefunden, er, der Vertreter der kapitalistischen und erzreaktionären Parteien, mag sich ins Fäustchen gelacht haben, als man ihn auf 2 Jahre der Notwendigkeit enthob, sichvor den Vertretern der Arbeiterschaft zu rechtfertigen.

Meine Damen und Herren! Die mir zugebilligte Redezeit ist kurz und macht esmir unmöglich, auf alle unwürdigen undentehrenden Bestimmungen der Protokolleeinzeln nzugehen. Ich kann aber deren Verwerflichkeit nicht eindrucksvoller charakterisieren als durch Anführung einigerr Worte, die ein Vertreter der Labour-Party, Charles Buxton, gelegentlich der Debatteim englischen Unterhaus über die Garantieerklärung über Österreich gesprochen hat. Ihm werden ja die Herrschaftennicht zum Vorwurf machen können, daß erpäpstlicher ist als der Papst, auch nicht, daß er die Interessen eines fremden Staates vertritt anstatt die se nes eigenen, wie es im auswärtigen Ausschuß den Vertretern der Opposition gegenüber geschehen ist. Aus ihm spricht sowie auch ausuns die Empörung über die Schmach, dieeinem Staate, einem Volke, einem Parlament angetan werden. Buxton sagt unteranderem - ich lese nur die eindringlichsten und wichtigsten Sätze seiner Redevor: "Es scheint, daß die österreichische Arbeiterklasse einer leidvollen tragischen Wahl gegenübergestellt ist. Entweder esbliebe ohne jede Möglichkeit des Wiederaufbaues oder es unterwirft sich der Kontrolle, welche ihm praktisch nichts voninneren Hoheitsrechten oder Unabhängigkeit läßt. Es ist eine schreckliche Wahlfür jede Nation, dies in Aussicht zu haben. Und es ist noch schrecklicher für uns, zusehen, daß wir und unsere Verbündeten verantwortlich sind für die Herabdrückungdes österreichischen Volkes zu den Bedingungen, in die es nun kam. Es ist eine politische Einschränkung der Freiheit und Selbständigkeit Österreichs, die in absolutem Gegensatz zu den Grundsätzensteht, mit denen England in den Krieg zog, nämlich, daß es für das Selbstbestimmungsrecht der Nationen kämpfte, ob es Feinde oder Freunde waren. Wenn wir zum zweiten Punkte kommen, sehen wir, daß die Kontrolle sehr scharf ist. Die Macht, die dem Generalkommissär als Vertreter des Völkerbundes und dem Kontrollkomitee als Vertreter der Garantiestaaten gegeben ist, ist wirklich sehr weitreichend. Praktisch ist alles, was wir in diesem Hause als das Vorrecht des Hauses betrachten, alles was finanzielle Probleme betrifft, in Österreich der Kontrolle des Kommissärs oder dem Kontrollkomitee unterworfen. Der dritte Punkt, der der schwerwiegendste von allen ist, ist der einer völlig direkten Einmischung in die Selbständigkeit des österreichischen Volkes in der Form einer Kontrolle über sein Parlament, die sich in den meisten allgemeinen Bestimmungen ausdrückt. Die österreichische Regierung ist nach den Bestimmungen dieses Darlehens verpflichtet, dem österreichischen Nationalrat ein Gesetz von ganz ungewöhnlicher Art vorzulegen, ein Gesetz, das, wenn es in diesem Hause eingebracht würde, nicht mit Unwillen, sondern nur mit Hohn behandelt werden würde, ein Gesetz, durch welches das Parlament gefragt wird, ob es Selbstmord begehen will. Das Parlament hat also nach diesen Bedingungen vollständig seine Funktion aufgegeben. Ich bedauere es tief, daß es durch das Völkerbundskomitee und durch unsere Vertretung im Komitee nicht möglich war, diesen Kredit an Bedingungen zu knüpfen, die weniger ein Eingriff in die demokratischen Rechte Österreichs gewesen wären."

So hat kein Deutscher gesprochen, sondern ein Engländer, aber ein Mann, der noch nicht ganz das Gefühl für Recht, Freiheit und Unabhängigkeit verloren hat. So spricht ein Arbeitervertreter, der sich verbunden fühlt mit der gequälten, unterdrückten, entrechteten Arbeiterschaft Österreichs, so wie auch wir uns mit ihrverbunden fühlen. So spricht das Mitgliedeines Parlamentes, das in der Zertrümmerung der Privilegien einer anderen Volksvertretung sich selbst erniedrigt fühlt. Freilich in diesem Parlament ist dieses Gefühl bei den alle rmeisten nicht vorhanden, denn es erniedrigt sich Tag für Tag selbstund gibt würdelos seine Rechte preis. Waswir hier in diesen letzten Tagen erlebthaben, diese den ganzen Parlamentarismuszur Fratze, zur Karrikatur verzerrendeatemlose Durchpeitschung der weittragendsten Gesetzesvorlagen, diese illoyale - ich will keinen schärferen Ausdruck verwenden, der mir auf der Zunge liegt, weil ich kein schlechtes Beispielgeben will - diese illoyale Behandlung der Opposition, um die sich niemand kümmert und die man wie Schuljungen beh andelt, die man stundenlang draußen warten läßt, ohne ihr eine Aufklärung zuteil werden zu lassen (Potlesk na levici.), ein Parlament, in dem man so etwas zuläßt, hat natürlich kein Gefühl dafür, wenn ein anderes Parlament erniedrigt wird.

Meine Damen und Herren! Diejenigen, die es auf die Niederwerfung des Parlamentarismus abgesehen haben und darauf ausgehen, die Demokratie zugrunde zu richten, warten ja nur auf den Augenblick, in dem siedie Maske fallen lassen und frei nach Mussolini auch hier zum Neofaszismus schreiten können. Masaryk und Beneš werden die Schlacht verlieren, Baxa und Dyk werden sie gewinnen. Freilich wird es ein Pyrrhussieg sein und dann kommt der Tag, die Stunde für die Demokratie, für die Arbeiterschaft.

Meine Damen und Herren! Die Arbeiterschaft Österreichs hat die Kredite, die an so schmachvolle Bedingungen geknüpft waren, abgelehnt. Auch die Vertreter der deutschen Arbeiterschaft der Èechoslovakei lehnen die Verantwortung ab, die ihr daraus erwachsen würde, daß sie dem Genfer Protokoll ihre Zustimmung gibt. Wir legen Ihnen einen Antrag vor, in dem die Regierung aufgefordert wird, im Einvernehmen mit den anderen Signatarmächten die Verhandlungen mit Österreich wieder aufzunehmen und neue Vereinbarungen zu treffen, nach denen unter Aufrechterhaltung der Garantieverpflichtungen und der Pfänder, aber unter Verzicht auf die Forderungen der Protokolle I bis III der Kredit von 650 Millionen Goldkronen zu gewähren sei. Und falls dies bei den übrigen Signatarmächten nicht zu erreichen wäre, soll die Regierung ermächtigt werden, in neue Verhandlungen über ein Garantieabkommen mit der Republik Österreich einzutreten, durch das die Èechoslovakische Republik die von der österreichischen Regierung zu begebenden Anleihen bis zur Höhe von 130 Millionen Goldkronen garantiert, wobei natürlich auch auf irgendwelche Bedingungen, wie die der Protokolle I-III, zu verzichten wäre.

Dabei erinnern wir an die Botschaft des Schweizerischen Bundesrates vom 1. Dezember. Auch die Schweiz beteiligt sich finanziell an der Wiederaufrichtung Österreichs, sie gibt dazu 20 Millionen Goldfranks her. Und zur Begründung dieser Hilfe sagt der Bundesrat: "Was die Teilnahme der Schweiz anlangt, betont die Botschaft, daß es ohne Hilfe von außen Österreich unmöglich wäre, der Katastrophe zu entgehen. Die Katastrophe würde aber die Anarchie bedeute, gegen deren Übergreifen die Nachbarstaaten Österreichs Schutz- und Vorsichtsmaßnahmen treffen müßten. Von diesen Maßregeln bis zur Besetzung des Aufruhrherdes wäre nur ein kurzer Weg ..... Wir dürfen selbst für den Fall, daß dies mit einem beträchtlichen Risiko verbunden sein sollte, heute nicht zögern, 20 Millionen Goldfranken vorzuschießen oder zu garantieren, nachdem es sich darum handelt, ein Werk zu vollbringen, das, wenn es, wie wir hoffen, gelingt, ein befreundetes Volk wieder glücklichen Tagen entgegenführt und gleichzeitig unsere künftigen Geschlechter vor ernsten Gefahren bewahrt."

Diese Motivierung des Kredites unterscheidet sich wesentlich von der, die früher Herr Kollege Špaèek gegeben hat. Der Bundesrat weist darauf hin, daß die Mitwirkung der Schweiz weder die Notwendigkeit noch die Verpflichtung in sichschließt, die Protokolle von Genf zu unterzeichnen. "Im Hinblick auf ihre herkömmliche Politik will die Schweiz nicht eine Verpflichtung von Österreich in Anspruchnehmen, sich weder direkt noch indirektseiner Unabhängigkeit zu entäußern. Die Stellungnahme der Schweiz ergibt sich ausder Notwendigkeit, unsere Absicht, Österreich zu Hilfe zu kommen, mit dem Bestreben in Einklang zu bringen, uns, entsprechend der herkömmlichen Linie der vonuns befolgten Neutralität und Friedenspolitik, nicht in die inneren Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen."

Sehen Sie, meine Damen und Herren, das ist die Sprache einer demokratischen, seiner und der Mitmenschen Würde bewußten Volksvertretung. Folgen wir ihr nach! Vorallem ergeht unser Aufruf an alle Arbeitervertreter, sich uns anzuschließen, sich dagegen zur Wehre zu setzen, daß neuerdings Gewalt geübt, wiederum die Stellung der Arbeiterfeinde gestärkt, aufs neue das Schicksal unserer so schwer geprüften, dem Elend und der Verzweiflung preisgegebenen Klassengenossen in Wien verschlechtert werde. Zeigen Sie die internationale Solidarität, verhüten Sie, daß da eine neue Bastion der Reaktion und des Kapitalismus aufgerichtet wird. Geben wir die Kredite, die Österreich und damit ganz Mitteleuropa vor der Katastrophe retten sollen, aber verwegern wir die Protokolle, diese Brandmale der Gewalt und der Versklavung. (Souhlas a potlesk na levici.)

4. Øeè posl. dr. Luschky (viz str. 1812 tìsnopisecké zprávy):

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durch die in Ver handlung stehenden Genfer Protokolle ist das aus dem Unfriedensdiktat von St. Germain entstandene Problem des heutigen Österreich zum erstenmale aus dem Bereiche papierener Sympathie und der Phrase in die Phase hilfsreicher Tat getreten. Auf diese Tatsache, über die wir nicht hinwegkommeen, legt der Klub der Deutschen christlichsozialen Volkspartei dieses Staates bei der Beurteilung der Genfer Protokolle das Hauptgewicht.

Nach unsäglichen Lei den der österreichischen Bevölkerung, welche leider nur allzulange nach dem lachenden Wien mit seinen Schiebern und Valutaspekulanten aller Nationen und Rassen beurteilt wurde, hat die fortschreitende finanzielle und wirtschaftliche Desorganisation dieses Staates mit ihren sozialen Gefahren endlich das Gewissen der gesitteten Welt aufgerüttelt und die Sieger des Weltkrieges und solche, die vorgaben, Sieger zu sein, trotz allen Widerstrebens zu der allmählichen Erkenntnis gezwungen, daß der Ruin Österreichs kein Triumpf ihres Sieges wäre, sondern nur ein Beweis der Lebensunfähigkeit der sogenannten Friedensverträge. Jahrelang war das neue Österreich mißlungenen Bittgängen bei den Siegerstaaten ausgesetzt und jeder Versuch, sein Wirtschaftsleben nur halbwegs zu erhalten und die Nachkriegszeit zu übertauchen, mußte an der Interesselosigkeit der Großstaaten, insbesondere der Westmächte scheitern, weil diese von einer Abkehr von der Aushungerungstheorie des Krieges zur Rettung eines im Herzen Europas gelegenen Kulturstaates in ihrem Siegesrausche nichts wissen wollten. Endlich - es war die höchste Zeit - hat sich der Völkerbund im Herbste dieses Jahres dazu aufgerafft, seinem Mitglied Österreich den selbstverständlichen Anteil an dem allgemeinen Wiederaufbau zu ermöglichen und seine angebliche Sympathie durch eine Rettungsaktion zu beweisen. Dieses Ereignis hat allgemeine Bedeutung. Und zwar dadurch, daß der Völkerbund mit diesen Ansätzen zum ersten Male überhaupt daran geht, sich von dem Charakter eines Vollstreckungsorganes des Vernichtungswillens unserer Feinde abzuwenden und endlich positive Arbeit im Interesse aller Völker und so auch des deutschen Volkes zur friedlichen Entwicklung zu leisten.

Wir stehen diesen Ansätzen als Vertreter des deutschen Volkes begreiflicher Weise mit großer Skepsis gegenüber und zwar nicht nur wegen der Geschichte des Völkerbundes, wegen seiner Entstehung, sondern auch auf Grund der trüben Erfahrungen, welche wir in diesem Jahre mit dem Völkerbunde gemacht haben, als es sich darum handelte, die Minderheitsschutzrechte des deutschen Volkes dieses Staates zu verbürgen. Es sind Minderheitsverträge geschlossen, aber nicht eingehalten worden. Der Völkerbund hat die verschiedenen Reklamationen nach den Minderheitsmächtenbis jetzt nicht gehört. Soll aber der Völkerbund, wie er heute besteht, noch überhauptdas Vertrauen des deutschen Volkes erlangen können, so ist es nur auf diesem Wegemöglich, wenn er sich über die egoistischen Herrschaftsgelüste einzelner Völker hinwegsetzt, keine Sieger und keine Besiegtenmehr kennt und nur den gleichen Rechtenaller Völker dient.

Im ersten Genfer Protokoll versprechendie vier Garantiemächte Österreich feierlich, daß sie die politische Unabhängigkeit, die unveräußerliche Unversehrtheit und Souveränität Österreichs acnten werden. Darin liegt das wichtigste Moment und ein Prüfstein für die wahre Gesinnung des Völkerbundes, aber auch ein Prüfsteindafür, ob der Völkerbund die Kraft besitzen wird, ein solches Versprechen zuverbürgen und die Versprechungen, die gegeben worden sind, auf das rigoroseste zuüberwachen, zumal ja Österreich nach derunendlichen Leidenszeit, welche es durchgemacht hat, sich einen umso größeren Anspruch darauf erworben hat, jetzt endlichsein eigener Herr zu werden und auch wirtschaftlich frei zu leben.

Wir begleiten vom Standpunkte unserer Partei Österreich auf diesem Wege mit ehrlicher Sympathie und haben niemals ein Hehl daraus gemacht, daß wir gerade als Deutsche uns verpflichtet fühlen, jeder Aktion, welche darauf abzielt, unseren deutschen Brüdern in Österreich Hilfe zu bringen, unsere Unterstützung zu gewähren. In Unterordnung unter diesen obersten Gesichtspunkt wollen wir auch heute davon absehen, in die Erörterung des zweiten Genfer Protokolls des näheren einzugehen und die Besorgnisse aufzurollen, welche im Falle illoyaler Bedingungen für die garantierte österreichische Anleihe und vom nationalen Standpunkte aus uns erfüllen könnten. Wir begnügen uns für heute damit, zu erklären, daß wir es als eine Schmach gemeinsam mit dem deutschen Volke in Österreich mitempfinden würden, wenn die Siegerfaust das wehrlose Österreich bei Durchführung der Genfer Protokolle einer unerträglichen Bevormundung unterwerfen würde.

Aus diesem Grunde fordern wir auch von der Regierung der Èechoslovakischen Republik auf das entschiedenste, daß sie sich strengstens davon enthalte, irgendwie weiter sich, insbesondere unter Ausnützung ihrer finanziellen Übermacht, in die inneren Angelegenheiten Österreichs einzumischen und den unerhörten Druck, den wir Deutsche in diesem Staate erleiden, auch auf die Deutschen Österreichs auszudehnen. (Pøedsednictví pøevzal místopøedseda Buøíval.)

In Ansehung des dritten Protokolls glauben wir an die bewundernswerte Tatkraft des Bundeskanzlers Dr. Seipel und hoffen, daß es ihm im Vereine mit dem als Generalkommissär des Völkerbundes bestellten Vertreter der befreundeten holländischen Nation gelingen wird, das Rettungswerk Österreichs zu vollenden und diesem Staat, was in St. Germain niemals gelungen wäre, die volle Freiheit und Unabhängigkeit wirklich zu bringen. Ich kann da den Pessimismus des geehrten Herrn Vorredners Prof. Dr. Kafkas nicht teilen, und wenn gerade der eine der Herren Berichterstatter eine so besondere Schärfe bei der Begründung seiner Ausführungen an den Tag gelegt haben soll, ist uns das ein Beweis dafür, daß aus dieser Aktion für Österreich und das deutsche Volk dort eine Hoffnung winkt, denn sonst wäre es dem èechischen Chauvinismus nicht beigefallen, trotz aller Berichterstattung so energisch gegen diese Vorlage Stellung zu nehmen.

Unsere Stellung zu den Genfer Protokollen und der Annexvorlage, womit der Herr Finanzminister ermächtigt wird, die Garantie für alle fälligen Zahlungen durch Inanspruchnahme der Garantie im Staatshaushalt rückzuversichern und ermächtigt wird, die Garantie zu übernehmen, nehmen wir ein unabhängigvon uunserer sonstinstigen Stellungnahme zur Regierung. Zweifellos bewegt die Außenpolitik dieses Staates nicht in jener Richtung, welche uns in irgend welcher Weise auch nur im entferntesten befriedigen könnte. Wir wissen ganz genau, daß die Außenpolitik dieses Staates sich nach wie vor den französischen Weltherrschaftsplänen unterordnet und jederzeit sich ihr willfährig zeigt. Wir wissen ganz genau, daß das System der gesamten Regierung gegen die Interessen des deutschen Volkes und ihre Forderungen in diesem Staate gerichtet ist.

Nichtsdestoweniger haben wir vom Standpunkte der nationalen Beantwortung vor dem gesamten deutschen Volke und zum Ausdrucke der Gefühle unserer warmen Freundschaft für den Staat Österreich und seine führende Bruderpartei beschlossen, für den Antrag des Außenausschusses zu den Genfer Protokollen zu stimmen und auch der daran geknüpften Kreditvorlage des Finanzministers unsere Zustimmung zu geben, unabhängig und unter entschiedenem Aufschluß jeder Weiterung auf politischem Gebiete für die Stellungnahme unserer Partei zu diesem Staate. (Souhlas a potlesk na levici.)

5. Øeè posl. dr. Lodgmana (viz str. 1813 tìsnopisecké zprávy):

Meine Damen und Herren! Wenn einmal in späterer Zeit über die Geschehnisse, die uns heute beschäftigen, ein Dramatiker schreiben wird, so wird er es in der Gestalt einer Tragikomödie tun, entweder unter dem Titel "Der Bankerott der parlamentarischen Demokratie", oder aber "Der Tragödie vorletzter Akt", je nachdem er das Spiel mit und um Österreich vom Standpunkt unseres demokratischen Zeitalters oder aber vom Standpunkt unserer wirtschaftlichen Entwicklung schreiben wird. Denn noch selten hat es Gesetzesvorlagen gegeben, die so klar und deutlich wie die Genfer Protokolle die Beseitigung des demokratischen Prinzipes zugunsten der internationalen Ausbeutung durch das Finanzkapital darstellen, und sie bedeuten den vorletzten Akt der Tragödie, weil nach Österreich Deutschland darankommen wird, und dann vielleicht ganz Europa, weil es ja dies em Bankkapital so vorzüglich gelungen ist, diesmal Österreich unter seine Herrschaft und unter seine Ausbeutung zu zwingen.


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