Meine Herren und Frauen! Wir deutschen Sozialdemokraten werden für den in Verhandlung stehenden Gesetzentwurf stimmen, obwohl wir uns die Lösung der Arbeitslosenfürsorge nach den Erfahrungen, die in anderen Ländern gemacht worden sind, anders vorgestellt haben. Von unseren Vertretern im sozialpolitischen, Ausschuß ist bereits darauf hingewiesen worden, daß eine ausreichende Arbeitslosenfürsorge nur möglich ist auf der Grundlage der Zwangsversicherung. Wenn aber die Regierung und jene Parteien, die diesen Gesetzentwurf vertreten, der Anschauung sind, daß augenblicklich zu der Zwangsversicherung nicht übergegangen werden kann, dieses Gesetz aber den Weg dazu vorbereiten soll, so wollen wir uns diesen Gründen nicht verschließen und erklären uns mit dem Schritt, der hier unternommen wird, einverstanden. Wir wollen aber ganz deutlich hervorheben, daß wir uns, wenn wir auch manches Bedenken gegen diese Art der Lösung der Arbeitslosenfürsorgefrage haben, von jenen Parteien und von jenen Richtungen unterscheiden, die den Gesetzentwurf aus anderen Gründen vom Anfang an bekämpft haben.
Ich erinnere daran, daß gleich, nachdem der vorliegende Entwurf zur Begutachtung an die Handelskammern, Unternehmerorganisationen und an die Hauptstellen der Gewerkschaftnn hinausgegangen war, die Unternehmer gegen den Inhalt des Entwurfes, gegen seine Bestimmungen einen heftigen Vorstoß unternommen haben. Vor allem erklärten sie, es bedeute dieses Gesetz nichts anderes als eine Stärkung und Förderung der Gewerkschaften und es sei schon von diesem Gesichtspunkte aus zu verwerfen. Ich glaube, es braucht nicht erst betont zu werden, daß die Gewerkschaftsbewegung durchaus keiner derartigen staatlichen Förderung bedarf, um sich zu entwickeln. Denn die Notwendigkeit der gewerkschaftlichen Organisation sieht der Arbeiter umso deutlicher, je mehr die Unternehmer den Klassenhaß und den Klassenstandpunkt gegen die Arbeiter hervorkehren und alles bekämpfen, was auf sozialpolitischem Gebiete geschehen soll.
Es ist heute vom Herrn Abgeordneten Novák gegen das Gesetz manches gesagt worden. Wir haben aus seinem Munde gehört, daß die Unternehmer eine Arbeitslosenfürsorge auf Grundlage der Zwangsversicherung vorziehen würden, sogar zu Beiträgen seien die Unternehmer bereit. Ich bin überzeugt, wenn an Stelle dieses Gesetzentwurfes hier eine Arbeiterversicherungsvorlage verhandelt würde, wie sie von den Herren Unternehmervertretern jetzt verlangt wird, daß dann von den Herren Unternehmern ebenso gegen die Gesetzesvorlage Sturm gelaufen würde, wie gegen dieses Gesetz. (Posl. Hackenberg: Dann würde man das Genter System verlangen!) Gewiß, es kônnte passieren, daß dann die Herren erklären möchten, die Frage der Arbeitslosenfürsorge müsse auf einem noch besseren und fortgeschritteneren Wege gelöst werden. Wir unterscheiden uns also, wenn wir Bedenken gegen diese Lösung der Arbeitslosenfürsorgefrage haben, sehr stark und deutlich von jenen Gegnern des Gesetzes, die überhaupt keine Lösung der Arbeitslosenfürsorge wollen und die jeden sozialpolitischen Fortschritt bekämpfen.
Aber, meine sehr geehrten Herren, es ist doch notwendig, zugleich bei der Besprechung dieses Gesetzes zu sagen, daß zunächst einmal, wenn das Gesetz beschlossen wird, ein Zustand eintritt, der unerträglich ist. Sofort nach dem Zusammenbruche hat man gegen die Folgen der Arbeitslosigkeit durch Unterstützungseinrichtungen gewisse Vorkehrungen treffen müssen. Es ist ein Arbeitslosenunterstützungsgesetz im Dezember 1918 geschaffen worden. Jenes Gesetz war den damaligen Verhältnissen nahezu angepaßt. Es erfüllte seinen Zweck, der zu jener Zeit zu erfüllen war. Es wäre aber die Aufgabe der Staatsverwaltu ng gewesen, weiterzubauen, dafür zu sorgen, daß es nicht dabei bleibt, sondern Besseres an seine Stelle zu setzen, weil das damalige Gesetz nur ein Notbehelf war. Statt dessen hat die Staatsverwaltung das Gesetz über die Arbeitslosenfürsorge ununterbrochen verschlechtert und heute weiß überhaupt niemand mehr, welche Arbeitslosenfürsorge in diesem Staate gilt, wie weit das Gesetz vom Dezember 1918 noch aufrecht ist oder nicht.
Der Ständige Ausschuß hat im vorigen Sommer zur Arbeitslosenunterstützung eine Vorlage angenommen, in der es am Schlusse heißt, daß das Ministerium für soziale Fürsorge ermächtigt ist, die Unterstützung unter bestimmten Umständen überhaupt aufzuheben. Von dieser Ermächtigung hat die Staatsverwaltung einen erschreckenden Gebrauch gemacht. Es gibt heute zahllose Bezirke, wo die Arbeitslosenunterstützung ganz aufgehoben ist, und dort, wo sie noch besteht, wo sie noch nach den gesetzlichen Bestimmungen gezahlt wird, hängt es vielfach von der Einsicht der politischen Beamten und von Angaben ab, die ganz willkürlich gemacht werden, ob ein Arbeitsloser die Unterstützung bekommt oder nicht. Es werden ganze Gruppen von Arbeitern von der Arbeitslosenunterstützung ausgeschieden. Wir erhalten aus allen Teilen des Staates Zuschriften mit Klagen und Beschwerden gegen die Handhabung des Arbeitslosenfürsorgegesetzes. Es ist uns bis heute trotz der vielen Vorsprachen, trotz der ununterbrochenen Vorstellungen, die beim Ministerium für soziale Fürsorge durchgeführt worden sind, nicht gelungen, eine Abhilfe zu schaffen.
Ich erinnere daran, daß zum Beispíel im Glasindustriegebiete Haida und in einer Reihe von anderen Bezirken, so in Ronsperg im Böhmerwalde seit Monaten keine Arbeitslosenunterstützung gezahlt wird, ohne Rücksicht darauf, wie stark die Arbeitslosigkeit in diesen Bezirken ist. Nun machen obendrein noch einige Gruppen von Arbeitern schwere wirtschaftliche Krisen durch. Sie leiden ganz besonders unter der Arbeitslosigkeit. Die Glasindustrie hat eine so große Arbeitslosigkeit aufzuweisen, daß das Eingreifen des Staates Verpflichtung wäre. Anstatt dessen hört einfach mit einem bestimmten Tage die Arbeitslosenunterstützung auf. Es gibt viele Bezirke - und da nenne ich insbesondere den Bezirk Senftenberg wo für die deutschen Gerichtsbezirke, die ihm eingegliedert sind, die Arbeitslosenunterstützung völlig aufgehört hat, obwohl sie vom Ministerium für soziale Fürsorge noch nicht aufgehoben wurde. Dies ist darauf zurückzuführen, daß der dortige politische Beamte, dem die Durchführung der Arbeitslosenfürsorge übertragen ist, einfach alle abweist, die um Unterstützung einkommen und die - das können wir belegen - unter den nichtigsten Vorwänden abgewiesen worden sind. Es sind Hunderte und Hunderte, die so zurückgewiesen worden sind, und es ist in diesem Bezirke so, daß man eher einen Haupttreffer in der Staatslotterie machen kann, als in den Besitz der paar Kronen Arbeitslosenunterstützung zu kommen. Das ist ein Bezirk, wo mir die Handhabung des Gesetzes genau bekannt ist. Ich habe auch schon in dieser Sache das Ministerium für soziale Fürsorge darauf aufmerksam gemacht, wie die dortigen Verwaltungsbehörden das Gesetz handhaben.
Es ist ein großer Fehler vom Ständigen Ausschusse gewesen, daß man dem Ministerium für soziale Fürsorge ohne Einschränkung eine solche Ermächtigung gegeben hat. Ich gebe zu, daß es wirklich Bezirke gibt, daß es Gruppen von Arbeitern gibt, wo sich die Arbeitslosenunterstützung nach dem dermaligen Gesetze nicht mehr begründen läßt. Aber das soll nicht einseitig vom Ministerium für soziale Fürsorge auf Grund von Angaben, die nicht aus den Kreisen der Arbeiter kommen, ausgesprochen werden, sondern soll erst nach Uberprüfung der ganzen Sachlage geschehen und bei der Überprüfung sollen vor allem anderen die Vertreter der Arbeiter gehört werden. Aber eine Mitteilung eines Gendarmen oder irgend eines Bürokraten gilt für die Behörden in der Frage der Arbeitslosenfürsorge mehr als alle Einwendungen der Gewerkschaften und der Arbeitervertretungen.
Wir wollen deswegen vor allem auf diesen unerhörten Zustand aufmerksam machen, weil sicher ist, daß das Gesetz, das wir heute beschließen, nicht sofort in Kraft treten kann. Es heißt am Schlusse des Gesetzes: Solange es nicht in Kraft tritt, bleiben die bisherigen Bestimmungen über die Arbeitslosenfürsorge aufrecht. Das ist sehr klar. Es bleiben die bisherigen Bestimmungen bestehen, so lange, bis das neue Gesetz in Kraft tritt. Aber wir wissen heute nicht mehr, welche Bestimmungen eigentlich gelten. Wir haben keine allgemeine Arbeitslosenfürsorge, sondern es hängt völlig von dem Willen und den Anschauungen der Herren vom Ministerium für soziale Fürsorge ab und ebenso von dem der betreffenden Beamten in den Bezirksverwaltungen.
Es ist natürlich nicht genug getan, wenn die Staatsverwaltung durch ein Gesetz für einen Zuschuß zur Arbeitslosenunterstützung gewährt und eine Arbeitslosenunterstützung auch von Staatswegen gewährt. Was wir als eine ebenso dringende Aufgabe der Staatsverwaltung betrachten, ist, daß Vorbeugungsmaßnahmen getroffen werden gegen die Zunahme der Arbeitslosigkeit und gegen die Arbeitslosigkeit überhaupt. In der èechoslovakischen Republik merken wir von dieser Vorbeugungsarbeit sehr wenig. Im Gegenteil, es geschieht alles, um die Zahl der Arbeitslosen zu erhöhen. Ich erinnere nur daran, daß in der Textilindustrie infolge der mannigfaltigsten Umstände, infolge des Mangels an Rohmaterial, infolge der schlechten Kohlenversorgung, die Betriebe nicht voll ausgenützt werden konnten, reduziert gearbeitet haben und daß heute in den meisten Gebieten der Textilindustrie eine bedeutend herabgesetzte Arbeitszeit besteht. In der Metallindustrie ist es genau so. Da könnte die Staatsverwaltung manches zur Besserung tun. Anstatt daß dieses geschieht, werden die Bestellungen zurückgezogen. So ist mir berichtet worden, daß die Regierung Waggonbestellungen zurückgezogen hat, obwohl allgemein bekannt ist, daß uns im Staatseisenbahnbetrieb Zehntausende von Waggons fehlen. (Výkøik: 46.000 Waggons!) 46.000 Waggons fehlen uns, aber die Regierung hat in der jetzigen Krise nichts anderes zu tun, als die Bestellungen wieder zurückzuziehen und dadurch beizutragen, daß die Zahl der Arbeitslosen erhöht wird. Vom Postministerium sind Aufträge zurückgezogen worden, die sich auf die Herstellung von Telegraphendraht bezogen haben. Ich glaube, daß es in der Zeit der wirtschaftlichen Krise doppelte Pflicht der Staatsverwaltung ist, nicht Bestellungen zurückzuziehen, sondern eher die Betriebe zu beschäftigen. Allerdings wird man diese Zurückziehung von Bestellungen mit dem Mangel an Mitteln, mit der schlechten finanziellen Lage des Staates begründen.
Wir brauchen aber wohl nicht erst darauf zu verweisen, daß es Gebiete gibt, wo finanzielle Schwierigkeiten niemals davon abhalten, alles zu tun, was verlangt wird. Es gibt Gebiete in diesem Staate, bei welchen es durchaus nicht darauf ankommt, wie schwer die finanziellen Mittel zu beschaffen sind. Es wird insbesondere in den deutschen Industriebezirken in der Metallindustrie stark herabgesetzt gearbeitet und da halten wir es für eine Pflicht der Staatsverwaltung, nicht bloß für die Unterstützung von Arbeitslosen zu sorgen, sondern auch Arbeit zu beschaffen.
Ich möchte, wenn wir von der schlechten Handhabung des bisherigen Arbeitslosenfürsorgegesetzes sprechen, noch auf einen Umstand verweisen, der schon mehreremale in Vorsprachen und Interpellationen beanständet worden ist. Wir können ja vielfach von den Beamten, die dieArbeitslosenfürsorge zu betreuen haben, nicht eine solche Umsicht verlangen, die notwendig wäre, um allen Aufgaben gerecht zu werden, wenn die Staatsverwaltung diesen Beamten gegenüber so zugeknöpft ist und nicht einmal als Arbeitgeber ihre Pflicht erfüllt. Die Verwaltungsbeamten der Arbeitslosenfürsorge werden mit einer Entlohnung abgespeist, die skandalös ist, und es ist trotz aller Interventionen bisher nicht möglich gewesen, eine Änderung herbeizuführen.
Wir sind, wie ich schon ausgeführt habe, für das Gesetz, wir werden ihm zustimmen, wünschen aber - und dazu dient der Resolutionsantrag, den wir gestellt haben, - daß bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes mit dem bisher ungeordneten Zustande in der Arbeitslosenfürsorge aufgeräumt wird. Wir haben daher beantragt, daß jener Initiativantrag, den wir im Juni 1920 eingebracht haben, welcher verlangte, daß das Gesetz vom 10. Dezember 1918 wieder hergestellt wird,- soweit seine Wiederherstellung nicht durch die veränderten Verhältnisse überflüssig geworden ist, weil die Demobilisierung zum großen Teile bereits abgeschlossen ist - im sozialpolitischen Ausschuß sofort verhandelt werde und bei Beginn der nächsten Tagung des Abgeordnetenhauses der Bericht des sozialpolitischen Ausschusses dem Hause unterbreitet werde, so daß wir, bis dieses Gesetz in Kraft tritt, doch endlich wissen, wie es mit der Arbeitslosenfürsorge steht. Heute weiß das niemand und es muß in der Arbeits losenunterstützung, bis wir zur Verwirklichung dieses Gesetzes kommen, wenig stens soviel geschehen, daß jeder, der arbeitslos wird, weiß, worauf er Anspruch hat, und daß ihm der Anspruch nicht mehr durch die Willkür eines Beamten streitig gemacht werden kann.
Wir stimmen für das Gesetz, obwohl
wir in ihm nur den ersten Schritt zur Regelung einer wirklichen
Arbeitslosen fürsorge erblicken und obwohl wir grundsätzlich der
Meinung sind, daß das Endziel in der Arbeitslosenfrage die Zwangsversicherung
sein muß, eine Arbeitslosenversicherung, zu der die Arbeiter,
der Staat und die Unternehmer beitragen müßten. Es ist keine Frage,
daß, solange wir in der kapitalistischen Wirtschaftsweise sind,
es auch in der besten Geschäftszeit Arbeitslose geben wird. Eine
gewisse Arbeitslosigkeit wird immer vorhanden sein, Unternehmerschaft
und Kapitalismus brauchen eine Reserve. Für die Unterstützung
der Arbeitslosen sollen aber nicht nur die Arbeiter durch ihre
Gewerkschaften zu sorgen verpflichtet sein, da soll auch der Staat
beitragen und die Unternehmer müssen gleichfalls verpflichtet
werden, zu dem Unterhalte der Arbeitslosen beizutragen. (Potlesk
nìmeckých poslancù.)
Hohes Haus! Dieses Gesetz, betreffend die Zusammenlegung und Trennung der Gemeinden, der Bezirke und Gaue und die betreffende Änderung der Landgrenzen, ist für uns unannehmbar. Es ist eines jener vielen Gesetze, die dazu geschaffen wurden, in unseren völkiscnen Besitzstand Bresche zu schlagen. Jener kleine kümmerliche Rest von Autonomie, der uns seit dem Umsturz noch geblieben ist, soll uns auf diese Weise endgültig aus den Händen gewunden werden. Sie zerstören jahrhundertelang eingelebte Verhältnisse und verletzten in vielen Fällen auch das Heimatsgefühl der Bevölkerung. Bei vernünftigen Zusammenlegungen, bei vernünftigen Trennungen, die einem sachlichen Bedürfnisse entsprechen, wird wohl niemand von uns eine Einwendung erheben. Neubildungen müssen jedoch stets im Einvernehmen mit der bodenständigen Bevölkerung durchgeführt werden. Sie dürfen nicht lebensunfähige, ständigem Streite ausgelieferte Gebilde schaffen, die sich als feindliche Akte gegen unser Volk darstellen. Nirgends ist ein gewisses Beharrungsvermögen so am Platze, wie hier. Unser Volk hat sich an die Gemeinde-, an die Bezirksverhältnisse gewöhnt. Nicht nur an die Verwaltung, sondern auch an die Wirtschaftsverhältnisse ist die Sache gebunden, und alle diese Momente spielen da eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Sie greifen mit rascher und rauher Hand in diese Verhältnisse hinein. Man scheut sich in den meisten Fällen, auf dem geraden Wege vorzugehen, man verschleiert die Absicht, man bemüht sich, der Sache ein soziales oder irgend ein anderes unschuldiges Mäntelchen umzuhängen. Aber der nationalchauvinistische Pferdefuß lugt überall hervor. Unrecht bleibt eben Unrecht. Es wird kein Atom gemildert, wenn man es mit Gesetzen und Verordnungen verbrämt. Die Unterbehörden - die Beweise dafür werden wir erbringen - übertreffen in radikaler Anwendung alles Dagewesene und wir stellen unser reiches Material heute schon zur Verfügung. Sie gefallen sich in den unglaublichsten Extremen, reißen willkürlich wirtschaftliche Zusammenhänge auseinander, zerstören die wirtschaftliche Schichtung, berücksichtigen die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht und selbst die bekanntlich amtlich so hochgeschätzte Katasterfiguration wird nicht respektiert. Einzelne Flurflügel schält man heraus, um sie anderen zuzuweisen und damit einen nationalen Erfolg buchen zu können. Unser Böhmerwaldvolk hat für diese Art der Gesetzgebung ein bezeichnendes Wort geprägt, hart aber gut. Dieses Wort heißt: "Bodenfetzenpolitik".
Einige Beispiele seien angeführt. Da liegt ein Dorf in Westböh men in der Bezirkshauptmannschaft Mies, Rot-Aujezd, in dem mit Hilfe verschiedener öffentlicher Faktoren und auch mit Hilfe von nachbarschaftlicher Rücksichtnahme eine musterhafte landwirtschaftliche Kommassation geschaffen wurde. Es wurden keine Opfer gescheut, wie ich schon erwähnt habe. Die nachbarschaftliche Rücksichtnahme, gegenseitige Nachgiebigkeit mußte eine große sein, es wurde nichts gescheut, um dieses vorbildliche Musterwerk landwirtschaftlichen Fortschrittes allen Unbilden zum Trotze auszugestalten. Und mitten in diesen idyllischen Frieden, mitten in dieses landwirtschaftliche Juwel greift mit rauher, rascher Hand die nationale Unduldsamkeit und verfügt vorerst die Zusammenlegung dieses deutschen Dorfes, welches von pflichtbewußten, ihre Staatsschuldigkeiten leistenden Bauern bewohnt ist, mit einer benachbarten größeren, anderssprachigen Gemeinde. Als über unsere Vorstellungen der ungeheuerliche Plan, für den man gleichfalls soziale Momente ins Treffen führte, selbst den Sozialisten zu ungeheuerlich vorkam und auch der ausführenden Oberbehörde zu gewagt, zu ungeheuerlich, zu boshaft schien, ließ man sich damit genügen, von der kommassierten Dorfmark Abtretungen zu verlangen und zugleich Abtretungen eines größeren Industrieobjektes, das mit 90% zu den Gemeindegiebigkeiten beiträgt. Soziale Momente sind auch hier nur Scheinbegründung. Dahinter steckt nebenbei irgend eine reiche städtische Baugenossenschaft mit ihrer Geldgier, mit ihrem Profithunger und ihrer nationalen Eroberungspolitik. Charaktervolle Èechen haben selbst darüber den Stab gebrochen. Allen Regierungserklärungen zum Trotz, allen Regierungsbeteuerungen zum Trotz geschah dies.
Ihre Regierungserklärungen sprechen stets von der Hebung der Produktion, aber Theorie und Praxis gehen klafterweit auseinander. Kommassierte Dorfmarken zu zerstören, das, was unsere Zeitgenossen mit vieler Mühe geschaffen haben, das ist der Ruin der landwirtschaftlichen Produktion. Überhaupt der Bezirk Mies und die Bezirkshauptmannschaft Mies! Das ist so der Leidensbezirk, so ein politisches Golgatha unseres Volkes. Ich liebe nicht persönliche Anwürfe, sie sind nicht geschmackvoll, aber in diesem Punkte muß ich leider eine Ausnahme machen. Während sich vernünftige Bezirkshauptleute bemühen, mit der Bevölkerung gut auszukommen, ist dort das Gegenteil der Fall. Der Bezirksbeherrscher von Mies hat alles andere denn urbane Formen. Ich möchte dem Herrn Ministerpräsidenten als Minister des Innern raten, einmal als Harun al Raschid nach Mies zu gehen. Er würde dort ein großes blaues Wunder erleben, er würde wohl nicht ohne Strafmandat Mies verlassen. Demokratie scheint in Mies bei manchen Leuten gleichbedeutend mit Grobheit zu sein. Ich glaube, bei der Besetzung eines so wichtigen Postens wie Mies sollte bei der Wahl des Bezirkshauptmannes vorsichtiger vorgegangen und im Interesse des Staates eine gewisse Auslese vorgenommen werden. Erledigungen lassen dort Jahre auf sich warten und auf das Amtsgebäude sollte die Aufschrift gesetzt werden: "Was du heute kannst besorgen, das verschieb' auf übermorgen!"
Ein anderes Beispiel, wie mit diesem Gesetz bei uns vorgegangen wird, wie willkürlich: Ein kleiner Kurort in Westböhmen soll lebensfähiger ausgestaltet werden und zu diesem Zwecke von mehreren benachbarten Gemeinden Flurstücke zugewiesen erhalten, ein Vorgehen, das sachlich gewiß nicht von der Hand zu weisen ist.
Aber anstatt die Verhandlungen einvernehmlich mit den beteiligten Faktoren, insbesondere den beteiligten Gemeinden zu pflegen, und anstatt den wirklich vorhandenen guten, sachlichen Willen auszunützen, scheint man aus eigener Hoheit Verfügungen zu treffen und einfach die Abtretungen diktieren zu wollen, ohne zugleich auf die große Verschuldung, auf die Passiven, die vornehmlich aus der Kriegsanleihe stammen, Rücksicht zu nehmen. Für den einen schöpft man, den anderen köpft man und schröpft man. Das sind verhüllte Konfiskationen, nichts anderes. Mit dem Ackerboden, mit der Scholle, wie mit einer Ware zu feilschen und zu verfahren, die Flur nach Belieben zerfetzen und zerstückeln zu wollen, das verletzt das Rechtsgefühl, dagegen bäumt sich das Rechtsgefühl eines jeden ruhigen Mannes auf. Sie haben die slovakische Volksseele nicht verstanden. Die Wallachen in Mähren schütteln über Ihre Politik und Gesetzgebung den Kopf, die Morawzen in Hultschin sind wacklig. (Výkøik: Das sind Deutsche!) Ich wollte das nur verständlich gestalten! Die deutsche Volksseele verstehen Sie auch nicht, oder besser gesagt, Sie wollen sie nicht verstehen, und dieses Nichtverstehen, dieses Nichtverstehenwollen, das ist der krankhafte Zug in Ihrer ganzen Gesetzgebung. Unsere Soldaten verwendet man in Oslavan, Krompach und anderen Stellen zum Schutz der Regierung und des Staates. Sie tun ihre Pflicht, Pflichtbewußtsein ist uns von Jugendbeinen angewöhnt worden. Sie tun ihre Pflicht, und während sie dort für den Staat in die Bresche springen, zerstückelt man ihre Heimatserde gegen ihren Willen. Das ist eine Tragödie, die wohl nicht grösser sein kann. Unsere feste, eiserne Überzeugung ist es: was auf dem Wege des Unrechtes erreicht wird, das wird und kann keinen Bestand haben.
Ein anderer Fall, ein gewöhnlicher Fall, der als Schulbeispiel dienen kann, wie in den meisten Fällen in der Praxis vorgegangen wird. In Mähren ist der Ort Nedweiß. Die geringe èechische Minorität hat ihr volles Recht, ihr volles Recht an der Schule und in allen nationalen Belangen. Doch das genügt nicht, Nedweiß muß mit der èechischen Gemeinde Ješkovice vereinigt werden, um eine èechische Gemeindemehrheit zu erringen und die deutsche Selbständigkeit zu zerstören. Wieviele solcher Nedweiß gibt es und wird es in der Republik noch geben, lauter Grabhügelunserer Gemeindeautonomie. Andere krasse Fälle aus Mähren wurden in diesem Hause bereits berichtet. Am krassesten ist der Fall Mieslitz; 15 km von dieser Gemeinde weg gemeindet man eine èechische Gemeinde ein und die dazwischenliegende deutsche Gemeinde wird natürlich ausgeschaltet, um die nationale Mehrheit in Mieslitz zustande zu bringen.
Meine Herren! Der Beispiele sind Legion, ich würde die vorgeschriebene Zeit weit überschreiten und kann nur noch mitteilen, daß gegenwärtig die èechischen Gemeinden von Olmütz mit Händen und Füßen von Olmütz wieder los wollen. Sie sehen, welches Unheil Sie bei den eigenen Volksgenossen anrichteten. Der Hauptschlag soll durch dieses Gesetz natürlich durch die Umbildung der Bezirke fallen. Hier ist das schwerste Verbrechen, das dieses Gesetz begeht. Da soll ein Meisterstück geleistet werden, da wird unsere deutsche Bezirksautonomie in hunderten von Fällen zugrabe getragen werden. Traurige Vorzeichen sind schon da. Schauen Sie nach dem Bezirke Wegstädtl. Wegstädtl mit 80% Deutschen ist unserer Verwaltung seit dem Umsturz entrissen, alle Vorstellungen waren nutzlos. Ein hervorragender èechischer Parlamentarier ist mit deutschen und èechischen Vertretern des Bezirkes beim Ministerium des Innern vorstellig geworden - ich wiederhole: mit deutschen und èechischen Vertretern - und diese haben auch gesagt, das Unrecht sei ihnen zuwider, sie wollten es bereinigt wissen im Interesse des friedlichen Nebeneinanderlebens. Dem Willen dieser Vertreter beider Nationen ist bis jetzt nicht stattgegeben worden, und seit dem Umsturz ist Wegstädtl ein markantes Beispiel, wie man uns Unrecht tut. In Rokitnitz, Schüttenhofen, Hartmanitz, Bischofteinitz und vielen anderen Bezirken entspinnen sich schon heute nationale Trennungsdebatten in den Orten. Man kann es nicht mehr erwarten, bis man unsere Bezirksautonomie begräbt und zerpflückt. Es ist uns zugemutet worden, daß wir in Zukunft nur Mitläufer und Nebenläufer bei der Bezirksautonomie werden. Derartige Gesetze zu schmieden, zu beschließen und bei der Durchführung in einseitiger Weise gegen uns zu benützen, heißt Unrecht begehen.
Schon einmal befand sich in diesem Lande in Böhmen die Gesetzgebung auf einer gleich abschüssigen Bahn. Es war dies, als jener berüchtigte böhmische Macchiaveli, Rendl von Uschau verhängnisvoll in die Geschicke dieses Landes eingriff und die Gesetzgebung aufs unheilvollste und verderblichste beeinflußte, so daß damals das geflügelte Wort von der Verrendelung der Gesetzgebung in Böhmen allgemein im Gebrauch war. Heute ist es nicht viel besser, es gibt nur einen Unterschied, daß wir heute ungleich mehr Rendl als im Jahre 1498 haben.
Wenn es sich um die Gemeinden, um die Bezirke handelte, so gäbe es für Sie als Mehrheit dermalen viel wichtigere Dinge, die zu bereinigen wären. Unter der Last der Gemeindeumlagen, der Kriegsanleihe brechen viele Gemeinden zusammen. Die Landesautonomie ist krank, totkrank, der Landesvoranschlag noch nicht genehmigt, der Landesvoranschlag, der auch in ihrem Interesse gelegen ist. Sehen Sie nicht das Beschämende dieser Tatsache? Entweder machen Sie reinen Tisch und überantworten die Landesautonomie dem Tode, oder Sie sanieren sie. Ein drittes gibt es nicht. Durch dieses Gesetz wird die gesamte Autonomie auf den Kopf gestellt und Sie erzeugen nichts anderes als eine "verneuerte Landesunordnung". (Sehr gut!) Zerstören Sie die deutschen Gemeinden und Bezirke, so zerstören Sie damit die Oase der Ruhe, des Pflichteifers und schaffen ständige Kampfherde für die nationale Agitation, und lassen so selbst Ihren Staat nicht zur Ruhe kommen. Ihr Werk muß sich dann gegen Sie kehren. Wenn dieses Gesetz ernst gemeint wäre, wenn es ernst geschaffen worden wäre mit idealen und zugleich mit praktisch weitausblickenden Tendenzen, dann hätten wir dafür stimmen können. So wird es aber für uns zum Alb, der uns drückt, zum Gesslerhut, dem wir die Reverenz versagen.
Die Btägigen Einwendungsfristen, die im Gesetz festgelegt sind, sind Überrumpelungsfristen im wahren Sinne des Wortes. Das schlichte Landvolk wird in dieser kurzen Frist von 8 Tagen die Einwände versäumen und seine berechtigten Vorstellungen nicht erheben können. Darauf spekuliert man, das ist ja klar und offensichtlich. So sind wir durch Ihre Einseitigkeit nicht in der Lage mitzuwirken, um gesunden Anschauungen diesbezüglich zum Durchbruch zu verhelfen.
Was im Gesetz nur vereinzelt angedeutet
wird, wird für die Unterbehörden ein Anreiz sein zur offenen Fehde
gegen uns. Wir spüren es schon an unserem Körper, an unserer Autonomie;
alle Stellen, die bei der Reform mitzuwirken haben, sind befangen
bis ins Mark, Verantwortlichkeitsgefühl wird man bei ihnen umsonst
suchen. In den Gemeinden entrechtet, in den Bezirken gefesselt
und erwürgt, bleibt uns nichts anderes mehr übrig, als das karge
Recht zu atmen und das karge Recht zu zahlen. Bangt Ihnen nicht
vor dieser Satrapenmethode? Kultur arbeitet nicht mit rücksichtsloser
Gewalt, die Methoden der Kultur sind Methoden der Kraft und Methoden
der Milde zugleich. Mit den alten österreichischen Verhältnissen
läßt sich in diesem Falle kein Vergleich ziehen. Beileibe nicht!
Der Vergleich wäre hinkend. Hier wäre nur ein Vergleich mit dem
Vormärz am Platze und auch da wäre er zu schwach und fiele zu
Ihren Ungunsten aus. Dieses Gesetz ist ein Fehdehandschuh für
das deutsche Volk der Republik. Dieses Gesetz und besonders seine
Durchführung, die wir im letzten Jahre schon an uns verkostet
haben, sind eines Rechtsstaates unwürdig und wir lehnen es ab.
(Potlesk nìmeckých poslancù.)