Meine Damen und Herren! lch habe mich nicht zum Worte gemeldet, um inhaltlich zum Nachtragsbudget Bemerkungen zu machen, denn ich glaube, daß von den Rednern der mir nahestehenden Gruppen alles wesentliche bereits gesagt worden ist. Ich habe mich auch nicht deshalb zum Worte gemeldet, um mich zu dem eigentlichen Hauptthema dieser großen politischen Debatte zu äußern, nämlich zu der Verfügung der Regierung betreffend die Einstellung der Geschworenengerichte. Denn erstens ist auch in dieser Richtung bereits von den verschiedenen Parteien des Verbandes, dem auch meine Gruppe angehört, das Wesentliche gesagt worden, und außerdem hat meine Partei sofort nach Erlassung der Verfügung in der Oeffentlichkeit in der schärfsten Weise ihre Stellung genommen. Wir haben keinen Zweifel darüber übrig gelassen, daß wir nicht nur diese Maßnahme, sondern überhaupt die ganz mittelalterliche Persekutionsmeth ode, welche angewendet worden ist, auf das Entschiedenste verurteilen, und daß wir ganz besonders die unaufrichtige Art der Begründung dieser Maßnahme durch die Regierung verdammen. Wir hatten gehofft, daß diese Debatte mit einem praktischen Ergebnis in dieser Frage endigen werde. Wir sind aber durch die Abstimmung über die Dringlichkeit der Interpellationen, die da eingebracht worden sind, und durch die Verweigerung der Untersschriften unter unseren Dringlichkeitsantrag seitens sämtlicher Parteien der allnationalen èechischen Regierungskoalition darüber belehrt worden, daß diese Debatte kein praktisches Resultat zeitigen wird, und wir zweifeln nicht, daß auch die Resolutionsanträge, welche hier von deutschsocialdemokratischer und von unserer Seite eingebracht worden sind, das gleiche Resultat haben werden. Wir müssen uns daher damit bescheiden, im Rechtsausschuß und später im Plenum, bis die eigentliche Regierungsmitteilung zur Verhandlung gelangen wird, unseren Standpunkt noch einmal mit aller gebotener Entschiedenheit klarzulegen. (Místopøedseda dr. Hruban pøevzal pøedsednictví.)
Wenn ich mich zum Worte gemeldet habe, so geschah dies, um zwei sachliche Bemerkungen zu machen. Die eine betrifft den Bericht des Budgetausschußes, der uns vorgelegt worden ist, u. zw. jene Stelle des Berichtes des Budgetausschußes, in welcher mitgeteilt und begründet wird, daß eine Ersparnis im Jahre 1920 im Betrage von 810 Millionen Kronen erzielt werden konnte, weil entgegen der Annahme der Regierung bei der Ausarbeitung des Staatsvoranschlages weder Zinsenzahlungen noch Kapitalsrückzahlungen auf die sogenannte Vorkriegsschuld erfolgen mußten. Ob das nun wirklich eine Ersparnis ist, die budgetär als Ersparnis gebucht werden kann, dazu will ich mich nicht äußern. (Posl. Böllmann: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.) Gewiß, aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Das ist ein Standpunkt, der jedenfalls berücksichtigt werden muß. Aber ich will in dieser ziemlich heiklen Frage auf die Berechtigung vom budgetrechtlichen Standpunkt nicht eingehen. Aber der Budgetausschuß hat es für notwendig erachte t, diese Streichungen, bzw. Ersparnisse zu begründen und tut dies in folgender Richtung, indem er beiläufig sagt: "Wir haben gegenwärtig noch keine rechtliche Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen und Kapital von jenen Vorkriegsschulden. Der Friedensvertrag von St. Germain bestimmt zwar, daß die Èechoslovakische Republik einen bestimmten Teil der Vorkriegsschulden zu übernehmen hat. Das ist aber bloß eine Verpflichtung gegenüber den Staaten, mit welchen der Vertrag abgeschlossen worden ist, und zwar eine Verpflichtung in der Richtung, daß jeder Staat im Innern eine verfassungsmäßige Verfügung trifft, derzufolge er den Verpflichtungen internationaler Art, welche er übernommen hat, entspricht. Einen Rechtstitel für die Eigentümer der Vorkriegsschuldverschreibungen wird also erst diese verfassungsmäßige Verfügung, das Gesetz bilden, welches auf Grundlage des Friedensvertrages herausgegeben werden wird. Da ein solches Gesetz auch nicht herausgegeben worden ist, kann man nicht davon sprechen, daß die Zinsen der Vorkriegsschulden zu jenen Zahlungen gehören, welche auf einem Rechtstitel beruhen und die daher auch nach dem Verstreichen des Jahres 1920 aus den bewilligten Krediten ausgezahlt werden könnten."
Meine Herren, das ist die Begründung der Budgetausschußmehrheit. Dazu muß ich nun zuerst sagen, daß diese Begrundung juristisch total verfehlt ist. Wenn gesagt wird, daß ein internationaler Vertrag, welcher Berechtigungen und Verpflichtungen für die Staatsbürger der vertragschließenden Teile enthält, keinen Rechtstitel und keinen Pflichttitel für die Staatsbürger dieser Staaten bildet, sondern nur eine internationale Verpflichtung bedeutet, zu deren Durchsetzung im einzelnen und im Innern des Staates erst ein eigenes innerstaatliches Gesetz notwendig ist, so widerspricht das allem, was die Staatsrechtslehre im allgemeinen gelehrt hat und was wir auf Grund unserer Verfassung zu sagen verpflichtet und berechtigt sind. Es wird schwer halten, gegenüber einer so strengen Formulierung, wie sie in der Anlage zu dem Artikel 203 des Friedensvertrages von St. Germain enthalten ist und in der es heißt, daß die Inhaber von Titres, die sich auf dem Gebiete der abstempelungspflichtigen Staaten befinden, mit dem Tage des Inkrafttretens des gegenwärtigen Vertrages Gläubiger der betreffenden Staaten im Wertbetrage der Titres werden, gegenüber einer so exaktenVerpflichtungserklärung, welche direkt den Staatsbürgern ein Recht gibt, sich auf den Standpunkt zu berufen, daß dieses Recht nicht erworben ist durch den Vertrag, sondern erst durch ein Gesetz zur Verpflichtung, beziehungsweise Berechtigung werden müßte. Das ist meiner Ansicht nach ziemlich unbestritten. Ich weiß, dass in der staatsrechtlichen Literatur hie da der Versuch gemacht worden ist, den gegenteiligen Standpunkt zu vertreten, aber die überwiegende Mehrheit der Staatsrechtlehrer hat mit durchaus überzeugenden Gründen diesen Standpunkt abgelehnt und er ist auch weder theoretisch nochpraktisch irgendwie zum Durchbruche gelangt. Aber selbst diese juristische Frage will ich nicht in den Vordergrund stellen, sondern nachdem ich meinen Standpunkt präzisiert habe, will ich fragen, wozu überhaupt der Budgetausschuss zu dieser verfehlten, nach meiner Anschauung verfehlten, juristischen Formulierung gekommen ist, wozu er den Beweisapparat aufbietet, den er meiner Ansicht nach nicht im mindesten nötig hatte. Denn wenn der Budgetausschuß in diesem Absatz nur sagen will, daß im Jahre 1920 eine Verpflichtung zur Auszahlung von gewissen Beträgen nicht bestanden hat, so braucht er diesen Beweis in keiner Weise; es wird niemand von uns, noch in irgend einem anderen Kreise bestreiten, daß solange die Reparationskommision noch nicht gesprochen hat, solange die Abstempelungen noch nicht vorgenommen worden sind im Sinne dieses Artikels u. s. w., daß solange auch die Verpflichtung zur Vornahme von Zahlungen nicht besteht. Es scheint aber - und das scheint mir das Bedenkli che und Gefährliche zu sein, daß mit dieser Formulierung vorgearbeitet werden könnte dem Standpunkt, daß man sich der Pflicht zur wirklichen Bezahlung wann immer der Zinsen, welche im Jahre 1920 fällig geworden sind, entziehen könne, es scheint, als ob der Versuch gemacht werden sollte, im Wege einer gekünstelten juristischen Formulierung sich zumindest die Türe zu einer derartigen Auffassung offen zu halten. Das ist eine vollkommene Unmöglichkeit, wenn man sich den Friedensvertrag von St. Germain ansieht und dort die Bestimmung findet, daß die Pflicht zur Zahlung von Zinsen und von Kapitalsquoten beginnt mit dem Tage der Ratifikation des Friedensvertrages. Wenn die Èechoslovakei ihrer internationalen Verpflichtung, ein Gesetz in dieser Richtung zu erlassen, erst im Jahre 1930 entspricht, so ist trotzdem die Èechoslovakische Republik nicht davon befreit, vom Tage der Ratifikation des Friedensvertrages von St. Germain die fällig gewordenen Zinsen und Kapitalien zu bezahlen. Ich habe es für notwendig erachtet, gleich im Vorhinein einem derartig möglichen Versuche einer anderen Auffassung auf das Entschiedenste zu begegnen. Es wäre mir lieber gewesen, wenn der Finanzminister anwesend gewesen wäre und die Möglichkeit gehabt hätte, von seinem Standpunkte aus, der, wie ich überzeugt bin, von dem meinigen nicht abweicht, meiner Auffassung beizutreten, und wenn wir vielleicht bei dieser Gelegenheit auch zur Beruhigung der wahrhaftig lange genug in Ungewißheit und in Sorge gelassenen Besitzer der Vorkriegsschuldverschreibungen erfahren hätten, wie es denn mit jenen Zinsen-Verpflichtungen steht, welche fällig geworden sind in der Zeit zwischen dem Aufhören der normalmässigen Zinsenzahlungen und dem Tage der Ratifikation des Friedensvertrages. Da der Finanzminister aber uns nicht die Ehre erwiesen hat, in unserer Mitte zu erscheinen und uns wohl auch nicht mehr die Ehre erweisen wird, müssen wir den mit Recht so beliebten Weg der Interpellation betreten, um von ihm in dieser Hinsicht eine entsprechende Auskunft zu erhalten, was wir auch tun werden. Aber es war trotzdem notwendig, auch vorbehaltlich dieses Schrittes hier, was während der Debatte nicht geschehen ist, festzustellen, daß wir nicht in dieser Begründung des Budgetausschusses ein Ventil geöffnet sehen wollen, sich aus den internationalen Verpflichtungen, welche in Hinsicht auf die Vorkriegsschulden übernommen worden sind, herauszuschlängeln.
Das ist die eine Bemerkung, die zweite ist mehr allgemein und, meine Herren, ich bitte, nicht ungehalten zu sein, wenn ich mir jetzt zu sagen, daß ich diese ganze Debatte, welche hier abgeführt wurde, d. h. die Möglichkeit dieser Debatte für eine Unmöglichkeit und Sinnwidrigkeit hatte, denn wir sprechen im Jänner 1921 über ein Nachtragsbudget, d. h. Sie bewilligen - ich zweifle nicht daran, daß es bewilligt werden wird - ich freilich nicht, aber Sie bewilligen der hohen Regierung die Vornahme von Zahlungen, die Durchführung von Ausgaben in der Verwaltungsperiode, die mit dem 31. Dezember 1920 abschloß. Meine Herren, die Regierung hat alle Ausgaben, die Sie ihr jetzt bewilligen, bereits gemacht, vielleicht auch noch andere, aber jedenfalls diese, und wenn die Regierung sie noch nicht gemacht hätte und jetzt dazu ermächtigt wird, so ermächtigen Sie sie zu etwas, was sie durchzuführen nicht in der Lage ist. Denn in der Verwaltungsperiode 1920 kann die Regierung von dieser Ermächtigung keinen Gebrauch machen.
Wieso ist es dazu gekommen? Weil die Regierung das Nachtragsbudget außerordentlich spät im Jahre 1920 eingebracht hat; es hat lange gebraucht, ehe es in den Budgetausschuß kam, dort haben sich Schwierigkeiten ergeben, und auf Grund eines gewiß en Trägheitsmomentes ist der 31. Dezember 1920 verstrichen, aber das Nachtragsbudget befindet sich noch als Verhandlungsgegenstand auf der Tagesordnung. Daß die Regierung spät, meinetwegen erst am 30. Dezember 1920, ein Nachtragsbudget für 1920 vorlegt, ist zwar nicht gerade sehr richtig, aber, wenn man formell denkt, ist das immerhin möglich. Aber dass die Regierung das Nach tragsbudget nicht in demselben Momente zurückzieht, wo die Verwaltungsperiode verstrichen ist, halte ich für den Gipfelpunkt der Unmöglichkeit. Und daß das Präsidium des Hauses zuläßt, daß dieses Nachtragsbudget jetzt noch verhandelt wird, daß also ein sinnwidriger Beschluß gefaßt wird, das möchte ich besonders als unberechtigt und bedenklich feststellen. Die Regierung hatte die Verpflichtung, das Nachtragsbudget zurückzuziehen und sich die notwendige Idemnität auf dem Wege zu holen, auf welchem sich die Regierungen für Überschreitungen von Budgetausgaben die Idemnität zu holen haben, nämlich im Wege der normalen oder besonders vorgelegten Staatsrech nung. Das wäre der richtige Weg gewesen, die Genehmigung der Staatsrech nung hätte der Regierung die Entlastung geboten und hätte dem Hause selbstverständlich das Recht gewä hrt, zur Uberschreitung der Ausgaben nach seiner Auffassung Stellung zu nehmen.
Ich bitte, diese Bemerkung nicht als Formalismus aufzufassen; das Budgetrecht eines Staates gehört zu den hei kelsten Gebieten des gesamteu Verfaßungsrechtes und wir sollten nicht dazu beitragen, daß hier irgend welche Unrichtigkeiten und Sinnwidrigkeiten sich einschleichen und daß dadurch vielleicht eine Praxis herbeigeführt werde, welche unter irgend einem Gesichtspunkte gegen das Wesentliche des Budgetrechtes verstösst und gegen die wesentlichen Rechte des Parlamentes mißbraucht werden kann.
Ich habe deshalb es für notwendig
erachtet, daß diese Budgetdebatte nicht zum Abschluß komme, ohne
daß auf das Fehlerhafte dieser ganzen Verhandlung aufmerksam gemacht
werden wäre.(Potlesk na levici.)
Meine Damen und Herren! Durch den Krieg sind alle Staaten, ob sie nun zu den Siegern oder zu den Besiegten zählen, ärmer geworden, ärmer an den wertvollsten Gut, das sie besitzen, an Menschen. Die Verluste der kleinsten Staaten zählen nach hunderttausenden. Hunderttausende unserer Besten sind uns weggerafft worden. Angesichts dieser Situation wäre es Pflicht jeder Nation und jedes Volkes, alle zweckdienlichen Vorkehrungen auf dem Gebiete der Volksgesundheit zu treffen.
Wie sieht es auf diesem Gebiete heute in der Èechoslovakischen Republik aus?
Wir haben vor wenigen Tagen Gelegenheit gehabt, im Gesundheitsausschuß einen Bericht des Gesundheitsministers zu hören. Wir haben da zu hören bekommen, daß in der Slovakei und in Karpathenrußland Ärztemangel besteht, daß dieser Mangel an Ärzten zur Folge hat, daß Menschen dahinsterben, ohne daß sie ärztlicher Behandlung teilhaftig werden; wir haben gehört, daß der Mangel an Arzten nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, daß die Bezahlung der Distriktsärzte alles zu wünschen übrig läßt. Wir haben vernommen, daß die Wasserversorgung vollständig mangelhaft ist, die Kanalisierung ungenügend, noch wie in vormittelalterlicher Zeit. An diesen Zuständen, die eine ständige Gefahr für uns sind, dürfen wir nicht achtlos vorbeigehen. Die Epidemien, die eine natürliche Folge dieser Zustände sind, werden auch auf unsere Gebiete übergreifen, wenn wir nicht rechtzeitig alle Präventivmaßnahmen vorkehren. Es wurde uns gesagt, - wir wissen es ja alle daß alle Einrichtungen, die wir auf dem Gebiete der Bekämpfung der Tuberkulose haben, vollständig ungenügend sind, daß die Bettenzahl, die bei uns auf die Tuberkulosen entfällt, in gar keinem Verhältnisse steht zu der Zahl der Betten, die in anderen Staaten den Tuberkulosen zur Verfügung stehen und daß wir, insolange wir diese primitiven Maßnahmen haben werden, mit einer krassen Sterblichkeit werden rechnen müssen, die dadurch hervorgerufen wird. Es wurde uns ferner gesagt, daß die Abnahme der Geburten ständig zunimmt, daß es in der Slovakei Gebiete, einen Gau gibt, in welchem 75% der Neugeborenen wieder gestorben sind und daß selbst in Prag eine Kindersterblichkeit von - wenn ich mich recht erinnere - 22% festgestellt wurde: das sind immer Kinder im ersten Lebensjahre; man hat mitgeteilt, daß das Gesundheitsministerium Maßnahmen ergriffen hat, die es zuwege gebracht haben, die Sterblichkeitsziffer von 22 und 20% auf 12% herabzudrücken. Wir sehen also, es gibt Mittel, um dieser Kindersterblichkeit vorzukehren und dieses Mittel hat darin bestanden, daß man den Müttern, die diese Kinder zu säugen hatten, täglich 5/4 l Milch verabfolgt hat. Wenn die agrarischen Kreise in diesem Staate sich der Verpflichtung gegenüber dem Staate und dessen Bevölkerung voll bewußt wären, dann wären wir imstande, dieser Kindersterblichkeit soweit Herr zu werden, als es eben möglich ist. Wir brauchen dringend Quarantainestationen, Infektionsspitäler, Mutterberatungsstellen, wir brauchen Findelanstalten; an allen mangelt es uns oder wir haben davon nur eine ganz ungenügende Anzahl.
Der Gesundheitsminister hat auch er hat uns damit nichts Neues erzählt von der Not und dem Elend im Erzgebirge gesprochen, im Riesengebirge, in der Böhm.-mährischen Hochebene und in den Beskiden. Ich möchte auf einen Artikel aufmerksam machen, der im "Prager Tagblatt" erschienen ist und von Richard Katz gezeichnet ist und der uns so recht klar legt, unter welcher Not und unter welchem Elend die arme Bevölkerung des Erzgebirges noch immer zu leiden hat. Er schreibt unter anderem: "Wir fanden wohl kein sterbendes Volk mehr vor, aber noch immer ein schwerkrankes, ein jämmerlich hungerndes Volk." Und er schreibt weiter, daß seitens der früheren Regierung etwas geschehen ist und sagt: "Was tut die jetzige Regierung? Nichts! Angesichts der Tatsache, daß dort hunderte Kinder dahinsterben, geschieht nichts seitens des Ministeriums, ganz achtlos geht man an diesem Elend vorbei." Und er schreibt weiter: "Fern bleibe die Annahme, daß ein kläglich hungernder Mensch nach der Nationalität unterschieden werden könnte; kann er irgend jemandem etwas anderes sein, als ein hungernder Mensch, kann man bei rhachitischen Kindern darnach fragen, welche Sprache sie sprechen? Es sind Kranke!" Und weiter wird uns in dem Artikel gesagt: "Schon liegen wieder Ödemkranke im Graslitzer Spital, wöchentlich kommen fünf neue Fälle Hungertyphus ins Spital. In Falkenau stellt der Stadtarzt fest, daß 58% der Kinder unterernährt sind. Alle Ärzte klagten darüber, daß sie nun der Rhachitis nicht mehr beikommen können. Krasse Fälle gibt es noch immer: Sechsjährige, die in die Schule getragen werden müssen, weil sie noch nicht gehen können, Vierjährige, die zwölf Pfund wiegen und die faltig verkrümmten Gesichtchen von Siebenmonatkindern haben. Die allerkrassesten Fälle können weder in die Schule, noch zur Ausspeisung kommen; sie haben keine Schuhe, keine Kleider, liegen zu Hause im Stroh. Wie viele elternlose Kinder gibt es in der erzgebirgischen Residenz der Tuberkulose! In einer einzigen Volksschule zählen wir sieben Doppelwaisen." Man sollte annehmen, daß die Sprache, die da geführt wird, sofort zur Folge hat, daß wirklich alle Vorkehrungen getroffen werden, um diesen Kindern zu helfen. Es wird nach Lebertran gerufen. Jeder Laie weiß, er braucht kein Arzt zu sein, daß rhachitischen Kindern Lebertran verabfolgt werden muß und die Ministerien hätten alles vorzukehren, um diesen Kindern Lebertran zur Verfügung zu stellen. Aber dafür ist Geld nicht vorhanden.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhange über die Ernährungslage im Allgemeinen sprechen. Der Hunger, der im Erzgebirge herrscht, herrscht auch in vielen anderen Gebieten der èechoslovakischen Republik; lassen Sie mich auch darauf hinweisen, daß selbst da, wo es doch notwendig wäre, daß man nicht nur die normale Ration verabfolgt, sondern mit Rücksicht darauf, daß es sich um kranke Menschen handelt, ihnen eine viel größere Ration verabfolgt wird, als es sonst geschieht, daß man z. B. hier im Erzgebirge die halbe Ration gibt und dabei gibt man noch nicht einmal Edelmehl, sondern Maismehl, beigemengt dem Mehle, das man an die Bevölkerung verabfolgt. Ich glaube, daß man angesichts unseres Ernährungszustandes im allgemeinen wohl mit Fug und Recht von einer passiven Resistenz der Agrarier sprechen darf. Wir alle haben es gehört, daß ein Redner nach dem anderen bei jeder Debatte, bei der sie zu Worte kommen erklärt, wie sehr sie diese èechoslovakische Republik lieben. Ich glaube, daß das nur Worte sind. Dort, wo man die Worte in die Tat umsetzen soll, wo es nicht nur auf eine platonische Liebeserklärung ankommt, sondern darauf, wirklich zu zeigen, wie man den Staat liebt, dort versagen sie vollständig. Die Verhältnisse auf dem Gebiete der Ernährung sind - das kann wohl mit Fug und Recht gesagt werden - vorwiegend durch die Agrarier verschuldet. Wir haben zeitgerecht die Regierung und die Behörden auf die Ernährungszustände aufmerksam gemacht und wir haben Vorkehrungen verlangt. Wir haben den rechtzeitigen Ankauf von ausländischem Getreide und jedenfalls den Ankauf jenes Quantums von Mehl und Getreide verlangt, das uns fehlt. Alle diese Anträge, die wir gestellt haben, sind von der Regierung vernommen worden, aber es ist gar nichts geschehen, um abzuhelfen und so stehen wir vor einer schweren Ernährungskatastrophe, die nur behoben werden kann, wenn unverzüglich seitens der Regierung etwas geschieht. Wir haben rechtzeitig vor Wochen einen Antrag eingebracht mit welchem die Ernährungswirtschaft auf neue Grundlagen, gestellt werden sollte. Wir haben den Antrag Seliger eingebracht, in dem wir klar zum Ausdrucke bringen, wie wir uns die Ernährungswirtsschaft im nächsten Jahre vorstellen. Jetzt erst hat der Ernährungsausschuß den Antrag Seliger in Verhandlung genommen. Es wäre hoch an der Zeit, daß wir schon jetzt Vorsorge treffen für die Ernährung der Bevölkerung im nächsten Jahre. Aber selbstverständlich müssen erst alle Vorkehrungen für dieses Jahr getroffen werden.
Angesichts dieser Situation, in der wir uns befinden, kommt nun die Regierung mit einer Mehlsteuervorlage, mit der ich mich mit Rücksicht auf die knappe Zeit, die mir zur Verfügung steht, nicht allzulange beschäftigen kann. Ich will nur ausdrücklich feststellen, daß die Vorlage, wie sie seitens der Regierung dem Hause unterbreitet werden soll, für uns unannehmbar (Potlesk na levici), undiskutierbar ist. Diese Vorlage ist eine arge Provokation der arbeitenden Bevölkerung dieses Staates. (Souhlas a potlesk na levici.) Die Regierung hätte jene Konsequenzen ableiten sollen, die sie aus den Erfahrungen mit der Mehlsteuer gemacht hat. Wenn sie wirklich nicht parteiisch sein will, hätte sie jene Konsequenzen ableiten sollen, die ihr aus dem Ergebnis der Mehlsteuervorlage kategorisch diktiert wurden, Die Erfahrungen bei der Mehlsteuer haben uns zur Evidenz erwiesen, daß die vermögenden Kreise dieses Staates passive Resistenz geübt haben. Wenn darauf hingewiesen wird, daß seitens der Krankenkassen nicht jene Beträge abgeführt wurden, die ins Kalkül des Finanzministers gestellt wurden, so ist das meiner festen Uberzeugung nach lediglich darauf zurückzuführen, daß die meisten Krankenkassen nur für einen Monat, manche für zwei Monate und die allerwenigsten und nur die ganz kleinen Krankenkassen Gelegenheit hatten, die Mehlsteuer für drei Monate vorzuschreiben. Alle Berechnungen, die das Finanzministerium uns da vor Augen führt, entsprechen meiner Ansicht nach nicht den Tatsachen. Aber eines ist richtig: Die vermögenden Kreise dieses Staates, die sofort abführen müssen, wenn sie die Brotkarte beheben, haben ihren Obolus nicht geleistet. Sie haben lieber zu dem Auskunftsmittel gegriffen, sich Mehl im Schleichhandel zu erwerben (Výkøiky) und unsere Bürokratie hat es ihnen sehr leicht gemacht. Es hat fast den Anschein, als ob unsere Bürokratie diese Mehlsteuer dazu benützen will, um die Zwangswirtschaft ad absurdum zu führen. Denn mit jenem Momente, mit welchem die Mehlsteuervorlage in Wirksamkeit getreten ist, hat man der Bevölkerung Mehl allerschlechtester Qualität verabfolgt, ein Mehl, wie wir es nicht in den schlechtesten Zeiten bekommen haben. Es scheint also wirklich so zu sein, als ob die Bürokratie passive Resistenz üben würde. (Pøedseda Tomášek se ujal pøedsednictví.)
Lassen Sie mich nun zu einem zweiten Kapitel übergehen. Wir sind Augenzeugen einer schweren Krise in Handel und Industrie, einer unleugbaren Krise, die schon auf allen Gebieten Arbeitslosigkeit zufolge hat. Wir hören, daß in Mähr.-Ostrau, Witkowitz, Oderfurt, Nesselsdorf Tausende Arbeiter entlassen wurden. Wir wissen, daß selbst in Prag Arbeiterentlassungen vorgenommen werden, desgleichen in Nordböhmen, so in Komotau, wir wissen, daß es in Bärn und Bantsch seit Monaten Arbeitslose gibt, die zum Teil von ihren Frauen erhalten werden, wir wissen, daß in Mähr. Trübau die Seidenindustrie schon seit Jahr und Tag darnieder liegt und daß die Menschen dort arbeitslos sind. Angesichts dieser Situation hätte die Regierung alles vorzukehren um die Arbeitslosigkeit zu bannen, die ein Produkt dieser kapitalistischen Wirtschaftsordnung ist. Wir stehen nun einmal dieser Arbeitslosigkeit gegenüber und haben alle Vorkehrungen zu treffen, die geeignet erscheinen, den Arbeitslosen Arbeitsmöglichkeit zu geben. Die Regierung hätte, so wie es im alten Oesterreich öfters geschehen ist" sofort mit Notstandsarbeiten einzusetzen und hätte selbstverständlich wenn sie die Arbeitslosen nicht voll beschäftigen oder ihnen überhaupt keine Arbeitsmöglichkeit geben kann, dafür zu sorgen, daß den Arbeitslosen jene Unterstützung zuteil wird, die sie brauchen, um leben zu können. Wir haben Ihnen nach dieser Richtung hin Anträge unterbreitet und wir werden ja sehen, wie sich das Haus hiezu stellt.
Wir können feststellen, daß wir uns seit Zusammentritt des Hauses lediglich mit Staatsnotwendigkeiten, aber nur zu einem ganz geringen Teile mit Volksnotwendigkeiten zu beschäftigen haben. (Souhlas na levici.) Wir werden immerfort und immerfort gefüttert mit Regierungsvorlagen, die eine neue Besteuerung der Bevölkerung zum Zwecke haben. Wir verhandeln jetzt schon zum drittenmale, einen Voranschlag, der keinesfalls der Bevölkerung etwas bringt. Es hat das höchstens den einen Vorteil, der Bevölkerung die Augen darüber zu öffnen, nach welchen Methoden dieser Staat regiert wird. Wir werden mit aller Dringlichkeit verlangen, daß endlich zu den Sozialisierungsvorlagen, welche wir auch dem Hause unterbreiten, entsprechend Stellung genommen wird. Bitte, wir sind für die grösstmöglichste Meinungsfreiheit, Wir sind auch dafür, daß die Minister reden, so viel sie wollen. Ich glaube nur, daß die Delikatesse einem Beamtenministerium es auferlegen müßte, daß man sich in eine strittige Frage uicht zu einer Zeit einmenge, wo es nicht notwendig ist. Wir haben geglaubt, daß wenigstens ein Beamtenministerium zwischen den Parteien vermitteln werde. Wir sind in dieser Annahme gröblichst enttäuscht worden. Der Herr Minister für öffentliche Arbeiten hat es für gut befunden, seine Ansicht in der Sozialisierungsfrage zu präzisieren, indem er gemeint hat, eine Vollsozialisierung sei nicht möglich und es sei eine Sozialisierung nur nach der Richtung möglich, daß der Staat natürlich den Profit davon hat. So stellen wir uns die Sozialisierung nicht vor. Und es wäre gut, wenn sich der Herr Minister für öffentliche Arbeiten mit Fachleuten zuerst besprochen hätte, bevor er zu der Frage Stellung genommen hätte. Wir werden mit aller Entschiedenheit verlangen, daß endlich die Alters- und Invalidenversicherung rentisiert werde. Wir verlangen, daß auf dem Gebiete der Wohnungsfürsorge wirklich etwas Ernstes geschieht, denn wir sehen in dem einen Entwurf, der bisher unterbreitet wurde und lediglich die Beschlagnahme der leerstehenden oder der überflüssigen Wohnungen vorsicht, keineswergs jene Vorkehrung, die geeignet wäre, wirklich auf dem Gebiet der Wohnunsfürsorge das zu schaffen, was notwendig ist. Wir alle sind davon über zeugt, daß auf dem Gebiete der Wohnungs fürsorge Positives nur dann geschehen kann, wenn seitens der Regierung in erster Linie dafür gesorgt wird, daß der Staat Wohnungen für seine Beamten baut, und daß in zweiter Linie die private Bautätigkeit mit allen Kräften unterstützt und gefördert wird. Wir verlangen den Schutz der Kriegsverletzten. Es ist be schämend für jedes Staatswesen, wenn Menschen, die sich im Kriege verletzt haben, die ihre Erwerbsfähigkeit ein gebüßt haben, entweder vollkommen oder zum Teil, wenn die darauf angewiesen sind, betteln zu gehen. Den Kriegsver letzten soll eine solche Unterstützung zuteil werden, daß sie anständig leben. Und in diesem Zusammenhang können wir nicht an der Tatsache vorübergehen, daß es eine Schichte der Bevölkerung gibt, die im größten Elend lebt: das sind die Kindergärtnerinnen. Alle Bemühungen, die Kindergärtnerinnen den anderen Lehr personen, den Handarbeitslehrerinen we nigstens gleichzustellen, waren bisher ver geblich. Und doch ist dies keine nationale Frage, keine politische Frage, sondern eine Frage, die alle Parteien bewegen sollte. Denn die Kindergärtnerinnen sind wirklich die ärmsten Geschöpfe, die wir haben, die auf Bezüge angewiesen sind, mit denen keiner von uns sein Desein fristen kann.
Nunmehr lassen Sie mich zu dem Problem der Volkswirtschaft kommen. Meiner Ansicht nach ist es notwendig, daß die Einfuhr verringert werde, daß unsere Agrarier sich ihrer Pflichten dem Staate gegenüber bewußt werden. Und auf der anderen Seite ist eine Steigerung der Ausfuhr notwendig. Insolange diese zwei Probleme nicht gelöst sind, wird die Behauptung, daß wir das Gleichgewicht im Staatshaushalte erlangt haben, nicht zutreffen. Es muß die Produktion auf dem Gebiete der Landwirtschaft, der In dustrie und des Handels erhöht werden. Eine Erhöhung der Produktion ist aber nur dann möglich, wenn wir in der Han delspolitik andere Wege gehen, als wir bisher gegangen sind. Es müssen die Grenzen geöffnet werden, wenn ich auch weiß, daß momentan das Öffnen der Grenzen vielleicht den übersättigten Ententestaaten die Möglichkeit gäbe, Stoffe und alle möglichen anderen Gegenstände der sonstigen Produktion herüber zu bringen.