Officielle stenographische Berichte über die Verhandlungen des österr. Reichstages.
Neunundneunzigste (XLVII.) Sitzung des österreichischen constituirenden Reichstages in Kremsier. am 6. März 1849.
I. Ablesung des Sitzungsprotokolles vom 5. März 1849.
II. Forsetzung der zweiten Lesung der Grundrechte.
Vorsitzender: Präsident Smolka.
Anfang 3/4 auf 10 Uhr Vormittags.
Präs. Die zur Eröffnung der Sitzung erforderliche Anzahl der Herren Abgeordneten ist anwesend, ich erkläre daher die Sitzung für eröffnet, und ersuche den Herrn Schriftführer Streit, das Protokoll der gestrigen Sitzung vorzulesen.
(Schriftführer Streit liest es.)
Präs. Ist bezüglich der Fassung dieses Protokolles etwas zu erinnern? Wenn nichts eingewendet wird, so erkläre ich das Protokoll als richtig aufgenommen. —
Der Herr Abg. Nebesky, für den Wahlbezirk Benatek in Böhmen, hat sein Mandat niedergelegt. De Niederlegung ist unbedingt, und es wird das Ministenum des Innern angegangen werden, eine neue Wahl auszuschreiben.
Es sind einige Interpellationen angemeldet, und zwar von den Herren Abgeordneten: Lanner, Rack, Mathis, Janesch, Nagele, Rulitz und Scholl. Ich ersuche den Herrn Abg. Lanner seine Interpellation zu verlesen.
(Der Abg. Lanner liest:)
"Interpellation der kärnthnerischen Abgeordneten an den Herrn Finanzminister.
Gegenüber dem Reichthume der österreichischen Monarchie an Salz ist der hohe Preis desselben bei der Nothwendigkeit entsprechender Salzgaben zur Hebung der Viehzucht ein wesentliches Hinderniß der Landwirthschaft, gegenüber der Armuth so vieler Staatsbürger aber ist der hohe Preis dieses unentbehrlichen Lebensbedürfnisses geradezu eine Grausamkeit. Eine angemessene Herabsetzung dessen Preises ist daher ein allgemein gefühltes Zeitbedürfniß.
Andere Staaten, zum Theil minder damit gesegnet, haben eine Herabsetzung dieses Minerales im Preise als nothwendig erkannt. In Nordamerika, England, Frankreich, Belgien, Preußen, Baiern, Baden und anderen deutschen Staaten, wurde die Herabsetzung des Salzpreises Gegenstand der Verhandlung.
Unser Heimatland Kärnthen bedarf wegen seiner landwirthschaftlichen Verhältnissen einer Herabsetzung des Salzpreises zur Aufrechthaltung seiner Viehzucht, dringend nothwendig, weil in dieser Provinz eine zahlreiche Viehzucht zur Unterstützung des bis auf eine Elevation von 700 Klafter übers Meer ansteigenden Ackerbaues Erforderniß ist, indem die Elementareinflüsse auf die stets gefährdeten Getreidesaaten der kärnthnerischen Gebirgsgemeinden nur durch eine besondere Cultur und Düngerunterstützung gemildert werden können, weil ferners bei dem geringen zur Ernährung der Bevölkerung nicht hinreichenden Ackerlande, der Ackerbau nur secundäre, die Viehzucht aber primäre Wichtigkeit hat, und weil diese letztere es vorzüglich ist, woraus die Geldbedürfnisse der vielen Hochgemeinden gedeckt, und durch welche die Contributionsfähigkeit des Landmannes, besonders im Gebirge bedingt wird.
Kärnthen welches sein Salz weit zuführen muß, bedarf einer Herabsetzung des Salzpreises an den Salinen um so nöthiger, als es vermöge seiner Entfernung von denselben ohnehin einen höheren Frachtlohn, und somit bei dem dringenden Bedürfnisse eines wohlseilen Salzes nur theuereres Salz als die umliegenden Provinzen hat.
Tirol, Salzburg, Steiermark, Küstenland, Krain, Italien, haben dießfalls, schon durch die Nähe der Salinen und durch günstige Verfrachtungsgelegenheiten, bedeutende Vortheile vor Kärnthen, für welches nach Beendigung der Wien-Triester Eisenbahn bis Laibach durch den Abgang an Retourfrachten noch höhere Salzfrachten in Aussicht stehen.
Um nun diesen empfindlichen Nachtheil zu mildern, schritten die Stände Kärnthens im vorigen Jahre um Herabsetzung des Salzpreises an den Salinen Aussee und Hallein ein. Das Ministerium antwortete darauf, daß eine Herabsetzung des Salzpreises an diesen beiden Erzeugungsstätten wegen des Ausfalles an dem Ertrage derselben nicht wohl thunlich sei, daß aber bei der Herabsetzung des Salzpreises zu Hall in Tirol auf 3 fl. 30 kr. Conv. Münze per Centner Kärnthen sich von dieser Saline wohlfeileres Salz verschaffen könne. Diese Verfügung wurde zur allgemeinen Kenntniß gebracht, und in Folge dessen trat ein vermehrter Salzbezug von Hall nach Kärnthen ein.
Aus dem in dem Staatsvoranschlage pro 1849 enthaltenen Vortrage des Finanzministeriums, und zwar aus dem dritten Abschnitte, Seite 23 ist zu ersehen, daß das Finanzministerium es unvermeidlich findet, in der auf dem Salze ruhenden Abgabe mehrfache Erleichterungen zu verfügen, weil es keine indirecte Abgabe gibt, die die dürftigsten Classen, zugleich aber auch die Landwirthschaft und Viehzucht so unmittelbar trifft, als die im Salzpreise enthaltene Steuer, welches zur Folge hatte, daß im Laufe v. J, für Tirol sammt Vorarlberg, Dalmatien und das lombardisch-venetianische Königreich eine namhafte Ermäßigung der Salzpreise bewilliget wurde. Da zwischen den verschiedenen Provinzen keine Zoll-Linien bestehen, sagt das Finanzministerium in diesem Vortrage weiter, so wirkt die Preisherabsetzung in einem Lande auch auf den Salzbezug in dem andecen zurück, und die Nachbarländer von Tirol und Italien erheben mit Recht die Einwendung, daß auch sie nicht ungünstiger behandelt werden können, als ihre Nachbarn. Eine Begünstigung des einen Landes mit Zurücksetzung des anderen kann überhaupt nicht stattfinden; geht man aber mit der Preisherabsetzung für das Küstenland, Kärnthen, Kram und Salzburg vor, so kann auch hiebei nicht mehr stehen geblieben werden, und es ist unvermeidlich auch in den übrigen Provinzen den Salzpreis in das Ebenmaß mit dem Preisausmaße der übrigen Länder zu setzen.
Ueber obigen wörtlich angeführten Vortrag des Finanzministeriums sprach auch der Finanzausschuß vor der hohen Kammer den Wunsch nach Ermäßigung der Salzpreise aus.
Während Kärnthen demgemäß einer allgemeinen Herabsetzung der Salzpreise, unter anderen auch bei den Salinen Aussee und Hallein, woher es sein meistes Salz bezieht, zuversichtlich entgegen sah, wurde es durch die ganz unerwartete Maßregel auf das unangenehmste überrascht, daß in Folge Finanzministerial-Erlasses vom 22. Jänner 1849, Zahl 90, das nach Kärnthen und in andere Provinzen gehende Salz, dessen Verschleißpreis in Folge Allerhöchster Entschließung vom 10. April v. J. von 5 fl. auf 3 fl. 30 kr. Conv. Münze pr. Centner herabgesetzt wurde, bei den Gränzämtern zwischen Tirol und Kärnthen einen Salzimpost von 1 fl. 30 kr. Conv. Münze vom 20. Februar d. J. an entrichten müsse, wodurch Kärnthen außer der höheren Fracht den Centner Salz zu einem um 1 fl. 30 kr. Conv. Münze höheren Aerarialpreis kaufen muß, als Tirol.
Diese Vrfügung hat unter der Bevölkerung Kärnthens, besonders Oberkärnthens, großen Unwillen erregt, und es stünden bei längerer Fortdauer dieser Maßregel an der Gränze, Excesse zu befürchten.
Wir stellen daher an das Finanzministerium nachstehende Interpellation:
1. Ist das Ministerium gesonnen, den von ihm selbst in seinem Vortrage vom 21. September v. J. als zu hoch erklärten Salzpreis allgemein ehestens herabzusehen und dadurch sämmtlicht hier vertretenen Länder den dießfalls begünstigten Provinzen Tirol und Vorarlberg, Dalmatien und Italien gleich zu stellen?
2. Ist das Ministerium Willens, in Anerkennung der vom Gesammtministerium im Programme ausgesprochenen Gleichberechtigung, in Ausführung der von ihm selbst in seinem Vortrage rücksichtlich Kärnthens anerkannten Nothwendigkeit der Gleichstellung, und in Aufrechthaltung des in Bezug auf Kärnthen dießfalls bereits erlassenen obangeführten Ministerial-Erlasses, den zwischen Tirol und Kärnthen eingeführten Salzimpost pr. 1 fl. 30 kr. per Centner jeglich und ganz aufzuheben?
Kremsier am 6. März 1849.
Th. Lanner Interpellant, Joseph Rack, Mathis, Janesch, Nagele, Wojtech, Joseph Scholl."
Präs. Diese Interpellation wird dem Finanzministerium zugemittelt werden. — Es hat eine weitere Interpellation angemeldet der Herr Abg. Schuselka an den Minister des Innern. Wollen der Herr Abgeordnete sie vorlesen?
(Abg. Schuselka liest:)
Interpellation an den Herrn Minister des Innern, betreffend das Verbot der deutschen Grundrechte.
"Die Beantwortung meiner Interpellation in Betreff des Verbotes der deutschen Grundrechte nöthiget mich, der Sache und meiner Ehre wegen, zu einer neuen Interpellation.
Der Herr Minister des Innern hat bei seiner Beantwortung eine ganz andere Thatsache vorausgesetzt als ich bei der Frage, und hat sich auf diese irrige Voraussetzung so fest gestellt, daß er meine gegen das Verbot der deutschen Grundrechte als einer bloßen Druckschrift gerichtete Frage gar nicht beantwortete, sondern sich für berechtiget hielt, ausdrücklich zu erklären, diese Frage verdiene keine Antwort, weil die deutschen Grundrechte in den österreichischen Zeitungen abgedruckt wären. Indem ich in meiner Eigenschaft als Vertreter des Volkes gegen eine solche ministerielle Zurechtweisung mit allem Ernste Protest einlege, mache ich den Herrn Minister zugleich darauf aufmerksam, daß es ein sehr bedeutender Unterschied ist, ob etwas in einer kostspieligen, selten in die Hände des Landvolkes kommenden Zeitung steht, oder eb es in einem eigenen Abdrucke verbreitet wird.
Der Herr Minister spricht in seiner Antwort von einer Kundmachung der deutschen Gruntrechte als Gesetz, ja er spricht sogar die wahrhaft abenteuerlich klingende Behauptung aus, die Frankfurter Deputirten hätten sich an unsere Kreisämter, Magistrate und Obrigkeiten gewendet, und sie aufgefordert, die deutschen Grundrechte kund zu machen. Für diese Behauptung aber bringt der Herr Minister nicht nur gar keinen Beweis, sondern ignorirt auch meinen gegentheiligen gänzlich. Ich habe zur Begründung meiner Interpellation den wirklichen Inhalt eines Rundschreibens angeführt, welches in Folge ministerieller Weisung durch die Kreisämter an die politischen Obrigkeiten ging, sie von der beabsichtigten Verbreitung der deutschen Grundrechte verständigte, und sie ausdrücklich aufforderte, der Verbreitung dieser Druckschrift entgegen zu wirken. Inzwischen bin ich in den Besitz eines neuen noch deutlicheren Actenstückes gelangt, welches ich dem Herrn Minister wörtlich mittheile, damit dadurch vielleicht wider ein fatales Mißverständniß aufgedeckt werde.
Das Actenstück lautet: "Zahl 262-2.
Es ist zur Kenntniß des Kreisamtes gekommen, daß viele Abgeordnete der constituirenden deutschen Nationalversammlung zu Frankfurt am Main die Absicht hegen, das Reichsgesetzblatt vom 28. December 1848 — enthaltend die Grundrechte des deutschen Volkes — in Tausenden von Exemplaren unter die Landleute in Oesterreich zu verbreiten, um dadurch eine Bewegung im deutschen Sinne hervorzurufen.
Die Magistrate und Amtsverwaltungen werden mit Bezugnahme auf das gedruckte Decret vom 31. v. M., Zahl 22.232, angewiesen, mit unausgesetzter Aufmerksamkeit ihren ganzen Amtsbezirk zu überwachen, damit es gelinge, jedes solche Beginnen sogleich zu entdecken, und Diejenigen, welche sich mit der Verbreitung dieses Gesetzblattes befassen, der gesetzlichen Behandlung zu überliefern.
Zu diesem Behufe ist insbesondere die strengste Ueberwachung aller Fremden und der dem Orte nicht Angehörigen einzuleiten, mit allen gesetzlichen Mitteln durchzuführen, und das Erscheinen eines Verbreiters des oben erwähnten Blattes sogleich hieher anzuzeigen.
Wien am 7. Jänner 1849.
Vom k. k. Nieder-Oesterr. Kreisamte V. U. W. W.
Wenzel Regner-Bleyleben,k. k. Nieder-Oesterr. Regierugsrath und Kreishauptmann."
So lautet das Actenstück, dessen gedrucktes Original ich auf den Tisch des Hauses lege.
Daß hier nicht von einer Kundmachung der deutschen Grundrechte durch die Obrigkeiten, sondern nur von einer Privatverbreitung derselben die Rede ist, unterliegt doch gewiß keinem Zweifel.
Ich wiederhole daher die Frage: Ob der Herr Minister des Innern dieses Verbot der Privatverbreitung der deutschen Grundrechte erlassen habe, und ob er es nicht zurücknehmen wolle, da es in der That eine Beleidigung des deutschen Volkes, eine Verletzung der deutschen Oesterreicher in ihrer nationalen Freiheit, und eine Compromittirung der Stellung Oesterreichs zu Deutschland ist.
Der Inhalt des neuen Actenstückes aber verpflichtet mich noch zu folgender Frage:
Ich frage den Herrn Minister, ob er den deutschen Oesterreichetn eine Bewegung im deutschen Sinne verbieten, und zum Verbrechen machen will? Durch ganz Oesterreich geht jetzt eine großartige und welthistorisch merkwürdige nationale Bewegung, und es ist eben die Aufgabe des constituirenden Reichstages, dieser Bewegung für alle Zukunft die Freiheit zu garantiren; — und die deutschen Oesterreicher sollten sich nicht im deutschen Sinne bewegen dürfen! Der thatkräftige Verein der Slowanska Lipa unterhält durch Wort und Schrift eine Bewegung im slavischen Sinne, und ich selber würde feierlich dagegen protestiren, wenn diese Bewegung beschränkt oder unterdrückt werden sollte; aber ich fordere das gleiche Recht für die Deutschen in Oesterreich, ich fordere die feierlich und kaiserlich verheißene Gleichberechtigung der Nationalitäten! Das Ministerium hat öffentlich erklärt, daß Oesterreich sich von Deutschland nicht trennen will, und zu gleicher Zeit läßt dasselbe Ministerium heimlich eine Bewegung im deutschen Sinne als verboten erklären!
Ich frage den Herrn Minister noch ferner: Ob er geneigt ist, das in dem mitgetheilten kreisämtlichen Circulare angeführte Decret vom 31. December v. J. auf den Tisch des Hauses zu legen?
Obwohl es mir endlich höchst unwahrscheinlich vorkömmt, daß die Frankfurter Abgeordneten so naiv gewesen sein sollten, die österreichischen Behörden zur Kundmachung der deutschen Grundrechte aufzufordern, so sehe ich mich doch dadurch, daß der Herr Minister öffentlich und offiziell diese Beschuldigung ausgesprochen hat, zu der Frage verpflichtet: Ob der Herr Minister im Stande und geneigt ist, die Beschuldigung, daß unsere Deputirten in Frankfurt sich unbefugter und gesetzwidriger Weise einen Eingriff in die Executivgewalt Oesterreichs angemaßt haben, öffentlich und officiell zu beweisen?"
Kremsier den 6. März 1849."
Franz Schuselka m. p.
Präs. Diese Interpellation wied dem Minister des Innern zugemittelt werden. Es ist noch eine weitere Interpellation angemeldet, von den Herren Abg. Brauner, Klaudi, Strobach, Palacky, Albert Deym, Rieger u. a. m. Wollen der Herr Abg. Brauner diese Interpellation vorlesen.
Interpellation an den Herrn Justiz minister, betreffend die Prager Juni-Ereignisse.
"Ueber die Interpellation des Abg. Klaudi wegen Vorlegung der Untersuchungsacten über die Prager Juni-Ereignisse hat der Herr Justizminister in der Sitzung vom 3. d. M. ein Actenstück auf den Tisch des Hauses niedergelegt, welches als ein authentischer und getreuer Actenauszug die voluminösen Untersuchungsacten selbst, deren Vorlegung physischen Schwierigkeiten unterliegt, vertreten soll. Dieses Actenstück führt die Aufschrift: "Actenmäßige Darstellung der Prager Juni-Ereignisse v. J. 1848" und ist von dem Vorstande der Civil-Untersuchungs-Commission am Prager Schlosse gezeichnet. Die Interpellation des Abg. Klaudi, worin auf die Veröffentlichung der betreffenden Untersuchungsacten gedrungen wurde, war in ihrem Wesen und Zwecke keine subjective, sondern ein durch die Presse und durch gewichtige Aeußerungen in und außerhalb dieser Kammer jedem Böhmen abgedrungener Act der Nothwehr für ein unschätzbares Gut, die Ehre der Nation und ihrer Vertrauensmänner, daher ward auch diese Interpellation von der Mehrzahl der böhmischen Abgeordneten auf diesem Reichstage, ohne Rücksicht ob es auch sie betraf oder nicht, gefertiget und hiedurch zu der ihrigen gemacht.
Nicht um die Neugierde zu befriedigen, oder um schon vergessene Einzelnheiten von Vorgängen ins Gedächtniß zurückzurufen, die jeden Freund der Freiheit und des Vaterlandes tief betrübten, sondern mit dem ganzen Interesse für die Wahrung der so vielfach verletzten Ehre der Nation, wie so manches Einzelnen, griffen wir nach der besagten Darstellung, in der gerechten Erwartung, daß dieselbe bloße Gerüchte von der erwiesenen Wahrheit verdächtigende Denunciation von erprobten und geläuterten Zeugenschaften genau geschieden, und die Wahrheit, wie es Menschen möglich ist, dargestellt haben werde. Zu dieser Erwartung berechtigte uns schon der Verlauf einer geraumen Zeit, innerhalb welcher sich so Manches aufklärte, was kurz nach den blutigen Ereignissen noch dunkel war, nicht minder das von den Böhmen dankbar anerkannte, ebenso gerechte als kräftige Einwirken des jetzigen Justizministeriums, dem es gelang, das Richteramt über die in Frage stehenden Ereignisse aus der Hand des zürnenden Siegers in jene des gesetzlichen Richters zu legen, und das mündliche und öffentliche Schlußverfahren von einem Schwurgerichte in Aussicht zu stellen.
Diese gerechten Erwartungen sind durch die vorliegende actenmäßige Darstellung in keiner Hinsicht befriediget; sie enthält zwar eine sehr ausführliche Zusammenstellung der militärischen Operationen in Prag während der Junitage, eine sorgfältige Würdigung des von Seite des k. k. Militärs dabei an den Tag gelegten Muthes, Schonung und Humanität, sie enthält aber nicht, was sie denn doch vorzugsweise enthalten soll: eine Würdigung der den gestimmten Ereignissen zum Grunde gelegten Muthmaßungen, und der Verdächtigungen canzer Districte, Ortschaften und Individuen, aus welche die Prager Juni-Ereignisse vielleicht auch zufällig wirkten.
So sehr wir es einerseits einsehen und zu würdigen geneigt sind, daß es schwer ist, aus dem Wuste von Protokollen, an denen wochenlang die Gerichts- und politischen Behörden des größeren Theiles von Böhmen geschrieben haben, eine Darstellung zu verfassen, die wenigstens so befriedigend wäre, als es das gerichtliche Resultat der Untersuchung selbst im Vergleiche mit dem ihr vorangeeilten Rufe wäre, so müssen wir anderseits die vorliegende Darstellung dennoch für ganz unzureichend erklären, umsomehr als sie sich selbst für eine Darstellung erklärt, die sich auf die Erhebungen, welche die von dem commandirenden Herrn General am Prager Schlosse während des Belagerungszustandes niedergesetzte militärische Untersuchungs commission gepflogen hatte, gründet.
Als eine solche kann die Darstellung für die Zeit des Ausnahmszustandes und für die Ereignisse, welche sich während dieser Zeit in der Stadt Prag zutrugen, (auf welche allein sich der Ausnahmszustand erstreckte) keineswegs aber über Personen und Thatsachen rechtlich Glauben wirkend sein, die nach ihrer Eigenschaft, der Zeit und dem Orte jenem Ausnahmsgerichte rechtlich nie unterstanden sind. Hiernach erscheint das Ergebniß der richterlichen Thätigkeit der competenten Civil-Behörde bei den Juni-Ereignissen in der vorliegenden Darstellung ganz außer Acht gelassen.
Bei Ermanglung eines so wesentlichen Theiles einer actenmäßigen Darstellung ist man auch ganz außer Stande, den zu Ende derselben angeführten wichtigen Umstand, nämlich die über Einrathen des Ministeriums von Seiner Majestät mit Allerhöchster Entschließung vom 14. September bewilligte Aufhebung jedes weiteren Verfahrens gegen die Beschuldigten, mit Ausnahme der Urheber und Rädelsführer, gehörig zu würdigen. Es muß vielmehr zweifelhaft erscheinen, ob nach der bereits erfolgten Freilassung der meisten Verhafteten noch vor dem Eintritte dieses unerwarteten Gnadenactes denselben mehr oder weniger noch in Haft Verbliebenen, oder der Untersuchungscommission selbst zu Gute kam.
Ich und meine politischen Freunde uud Landsleute sehen uns demnach bemüßiget, bei unserem ersten Ansinnen zu beharren, und stellen das Ansuchen: Der Herr Justizminister wolle die sämmtlichen Acten über die Prager Juni-Ereignisse auf den Tisch des Hauses vorlegen lassen.
Kremsier den 6. März 1849.
Dr. Brauner, Dr. Klaudi, Wezensky, Weznicky, W. Stanek, Joseph Kral, W. Tomek, Rieger, Schembera, F. Palacky, Neuberg, J. Schütz, Anton Mokry, Dr. Carl Tomiczek, Hauschild, Alb. Deym, Erasmus Wocel, Mathias Hawelka, Dr. Anton Beck, Carl Stiebitz, Johann Schantl, Kaubek, Johann Kratochwill, Johann Daniel Rosypal, Anton Robl, Franta Hawliczek, Pinkas, Joseph Schönhansl, Riegl, Strobach, Georg Reichert, Leopold Sediwy, Johann Mucha, Franz Haschek, Stoda, Dr. Franz Swestka."
Präs. Diese Interpellation wird dem Herrn Justizminisier zugemittelt werden.
Der Herr Vorstand des Ausschusses, welcher zusammengesetzt wurde zur Vorlage eines Gesetzentwurfes, betreffend die Zusammensetzung der Schiedsgerichte wegen Grundstreitigkeiten, wird auf die Interpellation des Herrn Abg. Szaszkiewicz antworten.
Abg. Plicker. Ueber eine an mich, als Vorstand der über den Antrag des Abg. Szaszkiewicz niedergesetzten Commission in der vorletzten Sitzung gerichtete Interpellation, habe ich die Ehre dem Fragesteller Folgendes zu eröffnen:
In der Permanenzsitzung des hohen Reichstages vom 17. October v. J. stellte der verehrte Abg. Szaszkiewicz den Antrag: in der Provinz Galizien ausnahmsweise schiedsrichterliche Spezialcommissionen zu errichten, und ihnen die Entscheidung über Klagen der Unterthanen gegen ihre Grundherren wegen Entziehung von Grundstücken und Gerechtsamen zu übertragen.
Das hohe Haus beschloß in eben dieser Sitzung, diesen Antrag als ein Gesetz zu behandeln, und auf alle in diesem Reichstage vertretenen Provinzen auszudehnen, sohin eine Commission zur Ausarbeitung eines Gesetzentwurfes zu bestimmen und dazu aus jedem Gouvernement einen Abgeordneten zu ernennen.
Die auf diese Art ernannte Commission konnte sich wegen den October-Ereignissen, und nach vorausgegangener Ergänzung ihrer Mitglieder erst hier in Kremsier der ihr gestellten Aufgabe unterziehen. Nachdem der Ausschuß durch einige Neuwahlen completirt war, trat er am 5. Jänner l. J. zur ersten Sitzung zusammen, bei der jedoch nichts vorgenommen werden konnte, weil die zur Beschlußnahme erforderliche Anzahl der Mitglieder nicht zusammenkam. Bei der folgenden Sitzung trug ein Ausschußmitglied ein umfassendes Gutachten vor. Der Ausschuß beschloß hierüber sich mit dem Justizministerium in das Einvernehmen zu setzen, dessen Ansichten einzuholen und dann erst zur Debatte und Schlußfassung zu schreiten.
In der Ausführung dessen wurde unterm 23. Jänner d. J. das gedachte Gutachten mit den gestellten Anträgen dem Justizministerium mit dem Ersuchen zugefertiget, die verlangten Ansichten dem Ausschusse in thunlichst kürzester Zeit mittheilen zu wollen.
Seit dieser Zeit sieht der Ausschuß der Erledigung dieses Gegenstandes entgegen, und auf die mündliche Betreibung entschuldigte sich der Herr Justizminisier mit anderweitigen dringenden Geschäften, mit dem bestimmten Versprechen, seine Aeußerung über diesen Gegenstand ehestens mittheilen zu wollen. Der Außschuß wird, nachdem ihm die Mittheilungen von Seite des Justizministeriums zugekommen sein werden, zusammentreten, um dieselben sammt den gestellten Anträgen dem hohen Hause vorzulegen. — Der Herr Interpellant und Antragsteller möge hieraus entnehmen, daß die Commission von der Wichtigkeit und Dringlichkeit des Gegenstandes überzeugt, unter den gegebenen Umständen das Möglichste geleistet hat, und wenn dieses bisher zu keinem Resultate geführt hat, diese Verzögerung nicht ihr zur Last gelegt werden kann. Damit beantworten sich die vom Herrn Antragsteller gestellten Fragen von selbst, und der Herr Interpellant möge versichert sein, daß sich die Commission keinerlei Verzögerung zu Schulden kommen lassen werde.
Präs. Es ist heute der Entwurf der Constitutions-Urkunde vertheilt worden. Im Laufe dieser Tage werden einige tausend Exemplare abgedruckt sein. Ich ersuche die Herren, sich in das Redactions-Bureau der stenographischen Berichte, allenfalls morgen oder übermorgen zu begeben, um dort die auf sie entfallende Anzahl der Exemplare persönlich abzuholen. — Als nächster Gegenstand der Tagesordnung erscheint die Fortsetzung der Debatte uber den §. 15. Es sind wieder einige Verbesserungsanträge vorgelegt worden; ich werde sie vortragen. — Es ist ein Verbesserungsantrag eingebracht worden vom Abg. Bielecki. Dieser lautet:
"Die katholische Kirche sowie jede Religions-Gesellschaft ist in der Entwicklung ihres Organismus, als auch ihrer religiösen Wirksamkeit im Staate frei und selbstständig gestellt, und bleibt nur als Gesellschaft im Staate den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen."
"Genauere Bestimmungen, durch welche den Staatsbürgern als Glaubensgenossen der Einfluß auf die Verwaltung des Kirchenvermögens, auf das Kirchenpatronat, auf die Wahl der Kirchenvorsteher gewährleistet wird, sowie auch gewisse Beschränkungen in Hinsicht der Klöster und Orden, werden mit Rücksicht aus die Autonomie der Kirche und der Gemeinden im Einvernehmen mit der Kirche durch besondere Gesetze festgestellt."
Der Herr Abg. Kanski und mehrere Andere haben einen Verbesserungsantrag vorgelegt. Der Herr Abg. Kanski hat seinen ursprünglichen Antrag zurückgezogen und dafür folgenden vorgelegt:
"Jede Religionsgesellschast (Kirche) verwaltet und ordnet ihre inneren Angelegenheiten selbstständig; sie ist aber als eine im Staate bestehende Gesellschaft den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen. Die Rechte und Pflichten des Patronates gehen auf die Pfarrgemeinden über. An der Wahl der ubrigen Vorsteher der christlichen Kirche, sowie an jener der übrigen Religionsgesellschaften haben die Glaubensgenossen des betreffenden Bezirkes unter Leitung der Synoden Antheil zu nehmen. Jede Religionsgesellschaft verwaltet und verwendet selbstständig ihr Vermögen unter der Einflußnahme ihne Gemeinden."
Endlich haben noch einen Antrag vorgelegt, die Herren Abg. Plaèek und Anton Kutschera; — es ist ein eventueller Antrag, für den Fall, als der Collectivantrag des Abg. Wiser angenommen werden sollte, und wird anstatt des Schlußsatzes folgende Fassung vorgeschlagen:
"Bis zur organischen Regelung des Kirchenwesens auf diesen Grundlagen, werden die in dieser Beziehung vom Staate oder anderen Personen ausgeübten Rechte und die denselben entsprechenden Verbindlichleiten aufrecht erhalten."
Es liegt noch vor ein Antrag des Abg. Prato. Er lautet:
"Jede Religions-Gesellschaft (Kirche) ist in der Verwaltung und Ordnung ihrer rein kirchlichen Angelegenheiten vom Staate unabhängig."
Es hat nun das Wort der Herr Abg. Pitteri.
Abg. Pitteri. Ich trete es dem Abg. Bielecki ab.
Abg. Bielecki (von der Tribune.) Ich habe bei der Generaldebatte über die religiösen Angelegenheiten bereits die Ehre gehabt, Ihnen meine Herren, die Ansichten, welche ich über die kirchlichen Fragen hege, auseinanderzusetzen; wenn ich nun heute in dieser Frage wieder das Wort ergreife, so thue ich es nur, um meinen Antrag, der so eben vom Herrn Präsidenten verlesen wurde, mit kurzen Worten Ihnen anzuempfehlen, wie auch, um auf die vielen, eben so heftigen als ungerechten Angriffe, welche der katholischen Kirche im Laufe dieser peinlichen Debatte, wahrlich nicht in homöopathischen Gaben zu Theil geworden sind, wenigstens einigermaßen — sine ira et studio — zu antworten. Befürchten Sie nicht, meine Herren, daß ich Sie mit einer Apologie der katholischen Kirche beschweren oder auf das weite Feld der Theologie führen werde. Sie haben bereits im Laufe dieser Debatte einen mühsamen Cursus der Theologie, in allen ihren Zweigen durchmachen müssen, welcher so sehr ausgebreitet war, daß ich mich selbst habe über Manches belehren lassen müssen, welches mir, obgleich einem Manne vom Fache und einstigen Professor, gänzlich neu und unbekannt gewesen. — Ich habe in der, bei der Generaldebatte über die religiösen Angelegenheiten an Sie gerichteten Ansprache den Wunsch und die Hoffnung ausgesprochen, daß Sie bei der Berathung dieser Frage mit jenem Ernste vorgehen werden, welcher der Würde und der Wichtigkeit des Gegenstandes angemessen ist. Ich fand mich leider in dieser gerechten Erwartung im Laufe dieser Debatte nur zu oft und vorzüglich gestern bitter getäuscht (oh! oh! links). Sie haben gestern, meine Herren, vom Herrn Abg. Pinkas eine heftige Philippika gegen die katholische Kirche, gegen ihre Institutionen und Tendenzen vernommen und bewundert. Auch ich habe sie mit Bewunderung, aber auch mit Verwunderung angehört; und kann somit nicht unterlassen, wenigstens mit einigen Worten auf dieselbe zurückzukommen.
Ich muß zu meiner eigenen Demüthigung offen erklären, daß mir weder die Macht der Sprache, und vielleicht auch nicht der Muth in dem Maße, wie dem Herrn Abg. Pinkas zu Gebote steht, um ihm gegenüber in die Schranken zu treten, und bei so ungleichen Waffen mit einiger Hoffnung auf einen günstigen Erfolg mit ihm ringen zu können; aber ich glaube, meine Herren, daß die Wahrheit, wenn auch in schlichten, prunklosen Worten gefaßt, doch immer eine Wahrheit bleiben, und die gehörige Würdigung finden wird. Der Herr Abg. Pinkas ist gestern in seiner Philippika mit einem Feuer, mit einer Gluth, mit einer Entrüstung, ich muß sagen, mit einem wahren offenen Ingrimm aufgetreten! — Ich frage: gegen wen? — gegen die katholische Kirche im Mittelalter. Er ist ausgezogen gegen ein längst verbrauchtes Schreckbild, gegen ein Fantom, welches im Laufe der Zeit längst verschwunden ist, um — wie ich zuversichtlich hoffe — nicht mehr zu erscheinen, und von dem Sie sich, meine Herren, am wenigsten schrecken lassen sollten. Er hat gekämpft gegen Etwas, was längst nicht da war, was nicht da ist, und was auch nicht sein wird, weil es nicht sein kann. Sie werden es also, meine Herren, ganz erklärlich finden, wenn ich beim Anhören dieses eitlen Kampfes, dieses unnützen Aufwandes von Rede- und Gedankenkraft unwillkürlich an die Windmühlen des Ritters von der traurigen Gestalt erinnert wurde! Wenn der Herr Abg. Pinkas seine gestrige Standrede vor 3 oder 400 Jahren in einem Concilium als orator regius gehalten hätte, wenn er mit derselben in Vertheidigung des Doctor Huß vor den Konstanzer Vätern aufgetreten wäre, da würde sie mehr am Platze gewesen sein, und würde vielleicht auch ihre Wirkung nicht verfehlt haben. (Heiterkeit; Ruf zur Sache.) Aber die Manen der Gregore, Heinriche und Barbarossen herauf beschwören, und