Støeda 6. bøezna 1929
Hohes Haus! In den letzten Jahren wurde auf
gesetzgeberischem Gebiete leider wenig tiefschürfende Arbeit
geleistet. Man Begnügte sich mit kleineren oder größeren
Verbesserungen, kurz mit Flickarbeit. Auch die in Verhandlung
stehende Novelle gehört in diese Kategorie der Gesetzgebung.
Sie ist eine Art lex Ofner und erhöht die Geldbeträge
für die Beurteilung, ob eine gerichtlich strafbare Handlung
ein Verbrechen, Vergehen oder eine Übertretung ist, oder
die für den Strafsatz entscheidend sind, auf das Mehrfache
bis zum Zehnfachen. Darin steckt gewiß ein humaner Gedanke,
wenn wir auch wissen, daß nicht die Humanität der Beweggrund
für die Einbringung der Vorlage war, die mit ziemlich unzureichenden
Mitteln eine Entlastung der Richter anstrebt. Übrigens waren
ursprünglich einige Bestimmungen in dem Regierungsentwurf
enthalten, die wir bekämpften, weil sie eine wesentliche
und überflüssige Verschärfung gewisser Tatbestände,
die sich auf die Verletzung des Eigentumsrechtes bezogen, zum
Inhalt hatten. Hervorheben möchte ist, daß unseren
Anträgen auf Verbesserung der Vorlage Rechnung getragen wurde,
so daß wir zu dem Inhalte des Gesetzes selbst nicht allzu
viel zu bemerken haben.
Wenn nicht gerade reaktionären Tendenzen
gehuldigt wird, was sich beim Schutzgesetz und bei der Pressenovelle
drastisch äußerte und was man auch bei der Vorlage
über die Strafkolonien in neuerer Zeit beobachten kann, leistet
die Mehrheit auf gesetzgeberischem Gebiete wirklich nichts Großzügiges.
Ich möchte an einige wichtige ungelöste Fragen erinnern.
Im Jahre 1921 hat die damalige Regierung den Entwurf eines neuen
Preßgesetzes vorgelegt. Bisher ist das Preßgesetz
nicht in demokratischem, fortschrittlichem und freiheitlichem
Sinn reformiert worden, wohl aber hat sich die Gesetzgebung und
die Praxis in dieser Richtung empfindlich verschärft. Jeder
Journalist, jeder Zeitungsherausgeber weiß es und jede politische
Partei muß es bestätigen, daß die Zustände
in Bezug auf das Pressewesen heute ganz unhaltbar geworden sind.
Immer noch ist die Presse ausgeliefert dem Wohlwollen oder der
Mißgunst der Staatsanwälte, die auf jeden Wink von
oben wahre bethlehemitische Morde an der Presse begehen. Auch
in anderer Richtung ist der jetzige Zustand auf die Dauer völlig
unhaltbar. Wenn auch der Schutz der Angegriffenen weiterhin ein
wirksamer sein muß, so darf das andererseits nicht so weit
gehen, daß mit einem System leichtfertiger und dabei kostspieliger
Klagen jedes Blatt sozusagen willkürlich finanziell zugrunde
gerichtet werden kann. Die Kommunisten, die über dieses System
jetzt ein großes Lamento erheben, haben es jedoch selbst
erfunden und zuerst angewendet. Sie haben sich dabei in der eigenen
Schlinge gefangen.
Jahrelang hat eine bedeutende juristische Kommission
an dem Entwurf eines modernen Strafgesetzes gearbeitet und in
der Presse wurde öfters das Lob für diese Arbeiten gesungen.
Im Jahre 1926 wurden diese Studien publiziert, seitdem rührt
sieh aber leider gar nichts, um sie gesetzgeberisch zu verarbeiten
und zu einem modernen Gesetz zu erheben. Die Kraft der innerlich
zerissenen, nur durch den gemeinsamen Haß gegen den sozialen
und kulturellen Fortschritt zusammengehaltene Bürgerblock-Koalition
reicht offenbar nicht hin, um derartig große gesetzgeberische
Arbeiten zu bewältigen. Nicht einmal Teilreformen, die leicht
zu lösen wären und die dringend notwendig sind, werden
in Angriff genommen. Hier kommt z. B. der § 144 des Strafgesetzbuches
in Frage. Was ist hier im Hause nicht schon darüber gesprochen
worden! Die Ungerechtigkeit, die dieser verhängnisvolle Paragraph
verursacht, schreit wirklich zum Himmel. Es ist evident, daß
kaum 1% aller dieser sogenannten Verbrechen überhaupt bekannt
und bestraft wird. Kriminalpolitisch ist also dieser Paragraph
ganz unwirksam, sozial aber wirkt er sich verhängnisvoll
und im krassesten Unrecht aus. Denn nur arme Frauen werden in
der Regel erwischt und verurteilt, wobei Not und Krankheiten sie
zum sogenannten Verbrechen nach § 144 zwangen. Nur arme Kurpfuscher
und Pfuscherinnen werden mit dabei ertappt. Die reichen Damen
aber, die sich irgendwo in einem Sanatorium operieren lassen,
kann man und will man nicht kontrollieren und anklagen, ebensowenig
den Arzt, der für einen einzigen Fall vielleicht 10.000 Kè
und noch mehr erhält. Gerade auf diesem Gebiet herrscht unverhohlene
Klassenjustiz.
Im letzten Jahre haben sich in der Welt eine
Reihe von erschütternden Dramen abgespielt, wo die Todesstrafe
die entscheidende Rolle spielte. Immer mehr kommt man in den Kreisen
der Wissenschaft und Politik zu der Erkenntnis, daß die
Todesstrafe absolut nicht abschreckend wirkt, daß sie die
Verbrechen nicht verhindert und daß sie ein barbarisches,
überlebtes Strafmittel in den Händen der modern sein
wollenden Justiz ist. "Du sollst nicht töten, dieses
christliche Wort wird wohl in der Theorie gepredigt, in der Praxis
aber werden die Menschen getötet, gehängt und erschossen.
Unsere Partei hat in der letzten Zeit den Herrn Justizminister
Dr Mayr-Harting in dieser Angelegenheit interpelliert.
Die Antwort des Herrn Justizministers ist durchaus nicht befriedigend.
Sie bedeutet ein Ausweichen, eine Umgehung des Problems, sie stellt
keine baldige Lösung in Aussicht. Man erklärt uns, man
wolle keine Teilreform und verweist uns tröstend auf die
Schaffung des allgemeinen Strafgesetzbuches, das aber sicher noch
in weiter Ferne zu liegen scheint. Mehr Ernst und Eile wäre
auch in diesem Falle sicherlich dringend geboten.
Wie wichtig wäre auch die Reform des Jugendstrafrechtes!
Die Verbrechen der Jugendlichen wachsen und bilden ein Problem,
das dringend der Lösung bedarf. Wir fordern Jugendgerichte
und die systematische Heranziehung der Fürsorgeorganisationen,
die hier vorbeugend wirken können und so dazu beitragen würden,
die Zahl der Verbrechen herabzumindern. Die endliche Aufhebung
der Militärgerichte ist ein Gebot der demokratischen Zeit.
Wir wiederholen diese Forderung aufs neue.
Beschwerden haben wir aber nicht nur auf dem
Gebiete des materiellen Rechtes, sondern auch auf dem Gebiete
des Prozeßrechtes. Das Justizministerium hat jüngst
einen umfangreichen Entwurf einer Strafprozeßordnung an
eine Reihe von Experten verschickt und dabei dringend verlangt,
daß die Gutachten binnen drei Monaten wieder in Prag vorzulegen
sind. Anscheinend soll es also schnell gehen. Der Amtsschimmel
scheint in Trab zu geraten. Wir sind nur neugierig, ob das Justizministerium
ebenso schnell das übersendete Material verarbeiten und in
Gesetzesform gießen wird, wie es die Gutachten abverlangt.
Jede Reform ist natürlich wirkungslos,
das beste Prozeßgesetz nützt nichts, wenn es sich in
der Praxis nicht durchführen läßt, weil die Zahl
der Beamten viel zu klein ist. Es ist eine bekannte Klage, daß
die Zahl der Richter in verhängnisvoller Weise abgenommen
hat. Der Verfassungsausschuß hat sich mit dieser Tatsache
eingehend befaßt und in seinem Bericht auf den katastrophalen
Zustand von heute hingewiesen. Im Prager Bezirke sind von 1235
systemisierten Stellen nur 1099 besezt. Im Bezirk Brünn sind
von 600 Stellen 53 unbesetzt. Im Bezirk Bratislava sind von 345
Stellen lediglich 309 besetzt. Im Bezirk Kaschau sind von 293
Stellen 58 unbesetzt. Von dieser Gesamtzahl der systemisierten
Stellen von 2473 sind tatsächlich nur 2190 besetzt, so daß
ein ganzes Neuntel aller Stellen offen bleibt, das sind mehr als
11%. Daß sich das in der Rechtsprechung aufs unliebsamste
bemerkbar machen muß, liegt auf der Hand. Infolge des Mangels
an Richtern ist die Belastung der vorhandenen Richter eine kolossale
und der Nervenzusammenbruch manches guten Beamten ist geradezu
unvermeidlich. Mein Parteigenosse Senator Dr Heller hat
bereits die riesige Überlastung der Richter vor einiger Zeit
im Senat eingehend besprochen. Zu den Belastungen tragen wesentlich
bei die vielen statistischen Erhebungen und Berichte, die Doppelsprachigkeit
und die Tatsache, daß Angelegenheiten von den Richtern erledigt
werden müssen, die anderswo von anderen Beamten behandelt
werden, so z. B. die Legalisierungen, Proteste, Steuerangelegenheiten,
Betriebsratsfragen, Erbschafts- und Eheangelegenheiten. Der Motivenbericht
hebt mit Recht hervor, daß die Unzulänglichkeit der
materiellen Versorgung der Richter sich ebenfalls bemerkbar macht.
Auch in dieser Beziehung muß Remedur geschaffen werden.
Das ganze Justizwesen leidet unter dem jetzigen ungeregelten Zustand.
Die Haft wird weit länger ausgedehnt, als unter normalen
Verhältnissen notwendig wäre. Die Hauptverhandlung und
die Erledigung des Rechtsmittelverfahrens zieht sich infolge der
herrschenden Verhältnisse hinaus. Die Prozesse dauern infolgedessen
viel länger, und kosten mehr Geld, als in der Regel notwendig
wäre.
Nun einiges über den Strafvollzug. Sieben
Jahre sind es nun her, seit die damalige Regierung einen Entwurf
über die Behandlung politischer Häftlinge vorgelegt
hat. Der Entwurf ist im Verfassungsausschuß verbessert worden,
aber das Licht der Öffentlichkeit hat er nicht erblickt,
d. h., er ist nicht in die Praxis überführt worden,
denn er blieb irgendwo stecken, verstaubt zwischen den Akten,
und doch ist es und bleibt eine Schande, daß den nach dem
Schutzgesetz verurteilten Personen hierzulande nicht einmal die
Rechte gewährt werden, wie sie das alte, oft mit Recht bekämpfte
und beschimpfte Österreich den politischen Häftlingen
zugebilligt hat. Wir fordern, daß dem Skandal alsbald ein
Ende gemacht wird, politische Häftlinge gleich gemeinen Verbrechern
zu behandeln und so ihnen gleichzustellen.
Ein lebhaftes Interesse haben wir am Strafvollzug
auch insofern, als wir eine Zivilkontrolle der Gefangenenhäuser
und Strafanstalten anstreben. Der Antrag Blatný und
Gen. bewegt sich in dieser Richtung, aber es bewegt sieh nichts
im Hause, um die Vorlage zum Gesetz zu erheben. Auch dieser Antrag
ist zwischen anderen Akten begraben worden. Ich urgiere hiemit
die Erledigung dieses für uns wichtigen Antrages.
Wenn wir auch gegen den vorliegenden Regierungsantrag
nicht opponieren, müssen wir doch klipp und klar erklären,
daß wir in die Justizverwaltung kein Vertrauen setzen können,
weil wir wissen, daß sie in den Händen des kapitalistischen
Klassenstaates und der kapitalistisch eingestellten Bürgerblockparteien
ein Werkzeug zur Niederhaltung der arbeitenden Klasse ist. Das
bleibt sie solange, bis der Kapitalismus einmal siegreich überwunden
sein wird. (Souhlas a potlesk poslancù nìm.
strany soc. demokratické.)
Sehr geehrte Damen und Herren! Auf der Tagesordnung
steht der Ausschußbericht über den Regierungsantrag
Nr. 1967, dessen Überschrift besagt, daß durch ihn
gewisse Bestimmungen des Strafgesetzes und der Strafprozeßordnung
ergänzt werden sollen. Er ist in Wirklichkeit aber weder
eine Ergänzung der Strafprozeßordnung noch des Strafgesetzes,
sondern eigentlich gerade das Gegenteil davon. Denn unter Ergänzung
versteht man eine Maßnahme, die em Gesetz verbessert und
ausführlicher gestaltet, damit es dem praktischen Bedürfnis
angepaßt wird, kurz und gut gesagt, was besser sein soll,
als das frühere. Der jetzige Entwurf geht aber den umgekehrten
Weg. Er verschlechtert die vorhandenen Bestimmungen. Aber das
ist nicht einmal so sehr das Wesentliche an der Sache, als das,
was hinter diesen Dingen verborgen ist und ihnen zugrunde liegt.
Wir haben auch noch einen zweiten Regierungsantrag Nr. 1685, der
etwas ganz Ähnliches bezüglich des Zivilverfahrens beinhaltet.
Auch dieser ist bereits im verfassungsrechtlichen Ausschuß
behandelt worden und der Bericht liegt unter Zahl 2046 bereits
vor. Im Wesentlichen ist es dieselbe Materie, die eine auf der
zivilrechtlichen, die andere auf der strafrechtlichen Seite. Beide
Anträge bezw. Berichte haben den Zweck, die Gerichte von
der übermäßigen Arbeit zu entlasten, die mit der
Zeit auf ihre Schultern geworfen worden ist.
Da der Grundgedanke und Zweck beider Vorlagen
ein und derselbe ist, so wäre es eigentlich praktisch und
ökonomisch gewesen, beide Vorlagen gleichzeitig auf die Tagesordnung
des Hauses zu setzen und die Debatte über beide Vorlagen
gleichmäßig abzuführen. Man hätte sich eine
ganze Menge Wiederholungen erspart und schließlich und endlich
wäre ja dasselbe herausgekommen: das, was von der Regierung
beantragt wird, wird von diesem Haus ohne weiters geschluckt.
Da der gegenwärtig in Verhandlung stehende Regierungsantrag
den Zweck der Gerichtsentlastung haben soll, muß ich mich
zuerst mit dieser Materie befassen. Unsere Gerichte sind überlastet,
das ist eine Sache, die heute nicht mehr bewiesen zu werden braucht,
weil sie allgemein bekannt ist, weil sie in der Presse des öfteren
und längeren breitgetreten wurde und auch keine Erscheinung
ist, die erst gestern aufgetaucht ist, sondern schon seit lang
em besteht, sich jahrelang hinzieht und alle diese Dinge auch
den Behörden bekannt sind, sowohl den zweiten Instanzen wie
auch dem Justizministerium und auch dem Hause. Über dieses
Kapitel wurde schon manches gesprochen und geschrieben, ohne daß
bisher ein greifbares Resultat erzielt worden wäre. Es haben
die Richter ungemein wenig davon, wenn der verfassungsrechtliche
Ausschuß sie einen ganzen Nachmittag lebhaft bedauert und
zum Schluß die Hoffnung ausspricht, daß es ihnen einmal
besser gehen wird. Damit ist ihnen nicht gedient, und wenn auch
der Justizausschuß eine Resolution angenommen hat, welche
dahin geht, daß die Regierung und das Justizministerium
insbesondere aufgefordert werden, keine Interkalarien mehr zu
machen und wenn Interkalarien aufgelaufen sind, sie unter die
Richter als außerordentliche Aushilfe zu verteilen, sogar
über die Maßnahmen, die auf Grund dieser Resolution
getroffen worden sind, binnen einem Monat Bericht zu erstatten,
so ist das immerhin etwas, aber ich fürchte, daß der
Bericht, wenn dieser Monat um sein wird - und dazu ist es nicht
mehr lange - ungemein mager sein wird. Ich will nicht die ganzen
Klagen der Richter hier wiederholen, das würde einmal zu
weit führen und das anderemal würde es ohnedies wirkungslos
verhallen. Ich will darauf hinweisen, daß die Zustände
bei Gericht tatsächlich mit der Zeit unhaltbar sind. Es ist
einfach nicht möglich, einen Zustand weiter zu dulden, daß
gerichtliche Erledigungen, die binnen wenigen Tagen oder zumindestens
zwei Wochen hinausgehen sollen, monatelang brauchen, ehe sie in
die Hände der Partei ankommen, es ist nicht möglich,
länger einen Zustand zu ertragen, wo der Richter sich selbst
die Verhandlungsprotokolle schreiben muß, wo er keinen Schriftführer
hat, wobei das Gesetz ausdrücklich alle Verhandlungen, die
ohne Schriftführer vorgenommen werden, als nichtig erklärt.
Die Justiz lebt also sozusagen von nichts anderem als von der
fortgesetzten Nichtigkeit des Verfahrens in den unteren Instanzen.
Es geht nicht an, die einzelnen Richter so zu überarbeiten,
daß sie während der Arbeit oder zuhause zusammen brechen.
Wir haben in der letzten Zeit sogar eine ganze Menge Todesfälle
gehabt. Es geht nicht an, die Verhandlungen so zu führen,
wie sie jetzt unter dem Druck der Verhältnisse vor Gericht
gehalten werden. Die Verhandlungen besonders bei Obergerichten
besteh en lediglich aus reinen Formalitäten, sie dauern nur
eine ganz kurze Zeit, wenige Minuten, die Parteien werden nicht
angehört, die Anwälte können keine Plaidoyers halten
und keine Anträge stellen, alles ist bestrebt, die Sache
möglichst kurz zu machen. Das Urteil, das auf Grund der Verhandlungen
gefällt werden soll, ist bereits vor der Verhandlung geschrieben
und wird dann lediglich abgelesen und die ganze Geschichte ist
fertig. (Výkøiky posl. dr Schollicha.)
Durch alle diese Dinge wird die
Justiz direkt zu einer Farce herabgewürdigt und kein Mensch
hat mehr Vertrauen zu der ganzen Sache. Eine Justiz ohne Vertrauen
in der Bevölkerung ist keine Justiz. Die Justiz, von der
immer behauptet wurde, daß sie das Rückgrat der Bevölkerung
ist, ist in letzter Zeit auch durch andere Dinge in Mißkredit
geraten, und ich kann nicht umhin, auch den Fall Popelka wieder
einmal hier vor das Parlament bringen. Bitte, man kann über
die Frage, ob der Oberste Gerichtshof in diesem Falle seinerzeit
wirklich Recht hatte oder nicht, verschiedener Meinung sein. Gewiß,
er ist der Oberste Gerichtshof, und wenn er in einer Entscheidung
erklärt, er mache es so oder anders, so ist das unanfechtbar.
Formell mag das Oberste Gericht Recht gehabt haben. Aber es geht
nicht an, daß der Präsident des Obersten Gerichtshofes
persönlich in den Parteikampf heruntersteigt und sozusagen
eine Rolle einnimmt, die im alten Österreich, wollen wir
sagen, ganz unmöglich gewesen wäre. Es wäre ganz
ausgeschlossen gewesen, daß ein Mann wie Popelka nach dem,
was er gemacht hat, im alten Österreich auch nur zehn Minuten
lang Präsident des Obersten Gerichtshofes geblieben wäre.
Denn dann wäre die höchste Macht, die damals war, zweifellos
aufgestanden und hätte erklärt, einen derartigen Funktionär
einer höchsten Behörde könne man in ein em Staate
nicht brauchen. Nicht, daß der Oberste Gerichtshof damals
die betreffende Entscheidung fällte, hat in der deutschen
Bevölkerung solche Aufregung verursacht, sondern die Art
und Weise, wie der Präsident des Obersten Gerichtshofes
die Sache zum Anlaß nahm, sich von der ganz en Welt als
èechischen Parteimann und Chauvinisten in Positur zu setzen,
und dadurch, daß und wie er die Sache in die Hand nahm,
wurde die ganze Affäre zu einer politischen; und
heute ist der Oberste Gerichtshof und sein Präsident Gegenstand
von heftigen Angriffen in der Presse, heftiger Angriffe der politischen
oder der nationalen Parteien und muß sich sogar auf die
Anklagebank setzen, weil eine Korporation sich durch seine Ausdrücke
beleidigt fühlt und Genugtuung verlangt. Es ist doch eine
ganz unmögliche Sache: Der Präsident des Obersten Gerichtshofes
auf der Anklagebank! (Posl. dr Schollich: Das ist nur
in der Èechoslovakei möglich!) Das
ist tatsächlich nur hier möglich, das ist in anderen
Staaten unbedingt ausgeschlossen, und ich muß schon mein
Befremden darüber ausdrükken, daß es nicht gelungen
ist, im Interesse der Justiz, jenes Ansehen, das die Justiz unbedingt
haben muß, diesen Ehrenbeleidigungsprozeß überhaupt
unmöglich zu machen, nicht vielleicht unmöglich zu machen,
indem man den Privatklägern das Recht nimmt, vor Gericht
zu gehen, sondern indem man die Sache irgendwie vor der Verhandlung
aus der Welt schafft. Es wäre vielleicht das Amt des Ministeriums
gewesen, hier als ehrlicher Makler aufzutreten. Dieses Bild ist
fürchterlich: Der Präsident des Obersten Gerichtes auf
der Anklagebank! Das könnte ein Lustspiel abgeben, während
es in Wirklichkeit ein Trauerspiel ist. (Výkøiky
poslancù nìm. strany národní a nìm.
strany soc. demokratické).
Unter solchen Umständen verliert die Justiz
an Achtung. Es verliert sie nicht nur die Justiz als Institution,
als Einrichtung des Staates, sondern auch die einzelnen Mitglieder
dieser Institution verlieren in der Bevölkerung an Achtung,
und in dem Augenblicke, wo die Bevölkerung nicht mehr ein
Interesse an den Richtern hat, ist für diese auch der Weg
sehr erschwert, zu ihren Rechten zu kommen auch dort, wo die Allgemeinheit
dieses Recht sonst ohne weiteres anerkennt; und worin bestehen
denn diese Rechte? In einer menschenwürdigen Behandlung,
in erster Linie in der Bezahlung der geleisteten Arbeit, ferner
darin, daß von den Richtern nicht eine übergroße
Arbeit verlangt wird. Wir haben die achtstündige Arbeitszeit.
Em jeder, der in einem Betriebe arbeitet, wird nach acht Stunden
seiner Arbeit für ledig erklärt. In den staatlichen
Ämtern und insbesondere bei Gericht gibt es keine achtstündige
Arbeitszeit, und ich möchte sehen, was die Justizverwaltung
machen würde, wenn heute ein Richter nach acht Stunden Dienstzeit
sagen würde: "Nun sind meine acht Stunden vorbei, ich
arbeite heute nicht mehr." Bei Gericht sind Überstunden
zu einer selbstverständlichen Einrichtung geworden und es
werden sich vielleicht noch die Kronjuristen mit der Frage zu
befassen haben, ob nicht diese Überstunden nachträglich
bezahlt werden müssen. Es wäre nicht uninteressant,
diese Klage einmal gegen das Ärar zu führen, man würde
dann sehen, was herauskommt.
Eines steht fest: In dieser Form geht die Sache
absolut nicht weiter. Gerade meine Partei hat vor einer ganz kurzen
Zeit durch den Koll. Siegel eine Interpellation an den
Herrn Justizminister eingebracht, in der sie eine ganze Menge
von Fällen aufzeigt, nicht um darzutun, wie schlecht die
Justiz ist, sondern in welchen schlechten Verhältnissen die
Richter leben müssen und unter welchen Verhältnissen
sie zu arbeiten gezwungen sind. Der notwendige Kontakt zwischen
der Bevölkerung und dem Gericht wird immer geringer und infolgedessen
auch das Interesse ein geringeres. Wenn man die Ursachen dieser
Überlastung ganz genau überprüft, wird man finden,
daß der größte Teil nicht vielleicht notwendige
Dinge sind, die sich gar nicht ändern lassen, daß der
größte Teil willkürlich auferlegte Arbeiten sind.
Das ist in erster Linie die Zweisprachigkeit. (Sehr richtig!)
Wenn heute der Richter beinahe jede Entscheidung und jedes
Urteil doppelsprachig machen muß, so ist es klar, daß
er die doppelte, wahrscheinlich die dreifache. Zeit dazu braucht.
Ich greife aus der gerichtlichen Tätigkeit nur die Grundbuchsachen
heraus: Die Grundbuchsachen waren in vergangenen Jahren, vor Erlassung
der Sprachenverordnungen, etwas, was den Richter nicht übermäßig
beschäftigte, das er vielfach nur so nebenbei mit besorgen
konnte; aber heute ist das eine Tätigkeit, die ihn derart
hindert, daß er allein schon mit Grundbuchsachen vollständig
beschäftigt ist. Diese Belastung geht dann weiter. Nicht
nur der Richter ist dadurch mehr belastet als unbedingt notwendig
ist, sondern auch die Kanzlei, der Grundbuchführer, der alles
doppelsprachig in die Grundbücher eintragen muß, sie
werden mit der Arbeit nicht fertig und es häufen sich die
Rückstände. Was geschieht aber nun? Eine Kassa zahlt
Darlehen, um die angesucht wird, nicht früher aus, ehe nicht
das Pfandrecht für die Darlehen verbüchert ist. Das
Pfandrecht kann aber nicht verbüchert werden, weil Richter
und Grundbuchführer nicht zur Erledigung der Sache kommen.
Daher bekommt der Schuldner sein Geld nicht und kommt in größte
Verlegenheit. Da gibt es nur zwei Wege: Entweder muß die
Kassa gegen die Statuten auszahlen, bevor das Pfandrecht einverleibt
ist, oder man muß schmieren und Bakschische austeilen, damit
aus diesem Berg von Resten gerade jenes Stück herausgezogen
wird, das Gegenstand der Intervention ist. Auf diese Weise züchtet
man bei schwachen Charakteren jenen Zustand, den wir im Orient
als normal kennen gelernt, von dem wir uns aber bisher freigehalten
haben, und wir sind auf dem besten Wege, immer tiefer in diesen
Sumpf zu geraten. Daran sind aber nicht die Leute schuld, die
die paar Kreuzer annehmen, sondern das System, das sie geradezu
zwingt, die Sache so zu machen.
Nun sind aber noch andere Dinge vorhanden.
Wie kann man nun der Sache am besten steuern? Da gibt es auch
zwei Wege: Entweder man kommt mit den vorhandenen Kräften
aus, dann muß man die Menge der Arbeit vermindern oder man
läßt die Menge der Arbeit bestehen und muß die
Kräfte vermehren. Etwas anderes ist praktisch von Rechts
wegen nicht möglich. Die Arbeit vermindern ist nicht gut
möglich, das sieht heute jeder gut ein. Im Gegenteil! Die
Gesetzgebung hat eine Richtung eingeschlagen, in welcher beinahe
überall, auch in Verwaltungssachen, wo ein Schiedsgericht
eingesetzt, eine Schiedskommission errichtet wird, der Vorsitz
meist einem Berufsrichter übertragen wird und das schließlich
mit gutem Grunde, weil man im Berufsrichter immerhin die Person
sieht, die imstande ist, die Gegensätze auszugleichen, alles
was für oder gegen ist, abzuwägen, den einen und den
anderen Teil zu hören und zum Schluß eine Entscheidung
herbeizuführen, die am ehesten als gerecht angesprochen werden
kann. Bei Verwaltungsbeamten, wie das früher der Fall war,
hatte man diese Gewähr weniger. Infolgedessen ist es unmöglich,
die Tätigkeit der Richter weniger einzuschränken. Im
Gegenteil, wir werden immer mehr dazu kommen, daß wir ihnen
noch mehr Arbeit auferlegen werden. Gewiß gibt es eine ganze
Menge von Dingen, die man dem Gerichte abnehmen könnte. Aber
vom Standpunkt der Staatsverwaltung würde sich die Notwendigkeit
ergeben, für diese Agenden wieder andere Behörden zu
schaffen oder sie anderen Behörden zu übertragen, vom
Standpunkt des Staates und der Staatsverwaltung würde das
ein Hin- und Herschieben der Agenden bedeuten. Man kann also nur
sagen, daß bei alledem nur dadurch geholfen werden kann,
daß man die Richterstellen vermehrt und mehr Richter anstellt,
mehr als bisher möglich war, und zwar deswegen, weil nicht
einmal die systemisierten Stellen vollkommen besetzt werden konnten.
Man kann ruhig sagen, daß beiläufig ein Fünftel
aller Richterstellen unbesetzt ist.
Und nun frage ich: Wie kommt es denn, daß
bei den heutigen Verhältnissen, wo besonders die freien Berufe
bei Gott nicht auf Rosen gebettet sind, wo es eine ganze Menge
junger Advokaten gibt, die verhältnismäßig weniger
verdienen als ein junger Richter, daß diese Juristen nicht
zu Gericht strömen, daß sie es vorziehen, lieber mit
einem kleinen Anfangseinkommen als Anwälte, als Sachwalter
irgendwelcher Organisationen zu leben, daß sie es vorziehen,
langsam sich emporzuarbeiten und erst mit der Zeit in eine bessere
wirtschaftliche Stellung zu kommen als hineinzubeißen in
den Staatsdienst, der ihnen zwar anfangs etwas gibt, aber für
die Zukunft nichts verspricht, der sie sozusagen ihr ganzes Leben
lang in einer eng begrenzten kleinbürgerlichen Existenz verkommen
läßt. Wieso das kommt? Weil der Staat für seine
Beamten, für seine Richter überhaupt kein Geld hat.
Es nützt nichts, mit diesen Gesetzen und Gesetzentwürfen,
die die Regierung Ihnen vorlegt, werden Sie das Grundübel
keineswegs bekämpfen, das sind lauter Versuche, die lediglich
an der Oberfläche bleiben und nicht in die Tiefe gehen. Alle
diese Unannehmlichkeiten und Schwierigkeiten lassen sich nur dadurch
bekämpfen, daß man die Beamten, insbesondere aber die
Richter materiell derart stellt, daß der Richterberuf wieder
ein erstrebenswerter Beruf ist. (Pøedsednictví
pøevzal místopøedseda Horák.)
Wir haben im Justizausschuß
auch den Vertretern der Regierung ohne weiters gesagt, daß
nicht allein die verfehlte Systemisierung schuld ist, sondern
die Art und Weise, wie gerade die Richter wirtschaftlich behandelt
werden, alle derartigen Dinge nützen nichts, man muß
endlich einmal darangehen, für die Justiz die notwendigen
Ziffern in das Budget einzustellen. Aber da bin ich überzeugt,
würde man sofort auf den unbedingten Widerstand der Finanzverwaltung
stoßen. Ich bin überzeugt, das Justizministerium würde
sich glatt hinter die Forderungen der Richter stellen, ich bin
überzeugt, auch andere Ministerien würden keine Einwendungen
erheben, bin aber ebenso überzeugt, daß das Finanzministerium
sagen wird: wir machen alle Reformen mit, aber Geld dürfen
sie nicht kosten. Da ist natürlich nichts zu machen, am besten
man fängt dann überhaupt nicht an. Warum aber sagt das
Finanzministerium, daß es keine Bedeckung für alle
diese Forderungen hat? Weil es keine Quellen mehr hat, aus denen
es schöpfen kann. Man kann doch heute nicht verlangen, daß
neue Steuern eingeführt werden, daß Quellen eröffnet
werden, aus denen diese Dinge irgendwie bezahlt werden! Das erträgt
die Volkswirtschaft nicht, das ertragen unsere Steuerträger
absolut nicht. Es könnte also nur gespart werden. Gespart
aber könnte in diesem Staat wiederum nur werden beim Militäretat,
beim Etat für Minderheitsschulen und beim Etat für auswärtige
Angelegenheiten; allein das sind drei Dinge, an denen das Staatssystem
nicht rütteln läßt, weil man sonst vielleicht
nicht so weiter könnte wie man wollte. Infolgedessen kommen
wir wiederum zum Schluß auf das System dieses Staates, das,
weil es eben auf falschem Boden steht, auch diese Frage nicht
ordentlich zu lösen imstande ist. Wenn es möglich wäre,
einige wenige Millionen auch nur beim Militäretat zu sparen,
wäre die Lösung aller dieser Fragen spielend zu erreichen;
es handelt sich gar nicht um viel: soweit mir bekannt, hat der
Entwurf des Richtergehaltsgesetzes, wie ihn die Riehterorganisation
ausgearbeitet hat, vielleicht 6 oder 7 Mill. Kè
jährlich erfordert, beim Milliardenbudget, wie wir es haben,
ein ganz lächerlicher Betrag. Aber auch dieser Betrag ist
nicht aufzubringen. Und was die Resolution anlangt, die im verfassungsrechtlichen
Ausschuß angenommen wurde und auf die Interkalarien hinweist,
so ist sie ja für die Gegenwart vielleicht ein brauchbares
Mittel, einige Heller und Kreuzer herbeizuschaffen, auf die Dauer
aber geht es nicht, denn in dem Augenblicke, wo alle systemisierten
Stellen besetzt sind, gibt es keine Interkalarien mehr, und aus
den Interkalarien sollte ja die Justizverwaltung schöpfen.
Infolgedessen sehe ich eigentlich gar keine Möglichkeit einer
wirklichen Lösung und ich muß schon sagen, daß
unter solchen Umständen diese Gesetzentwürfe eine Ausflucht
darstellen, die wir nicht mitmachen können, weil sie erstens
die Sache nicht bei der Wurzel angreifen und auch nicht imstande
sind, den Gerichten jene Erleichterung zu verschaffen, die sie
vorgeben, und zweitens, weil sie auch mit einer ganzen Reihe von
Grundsätzen, die wir als wesentlich für die Justizverwaltung
aufgestellt wissen wollen, notwendigerweise in Widerspruch geraten
müssen.
Der Gesetzentwurf, der dem Hause vorliegt,
gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil sucht die Strafsätze
des Strafgesetzes und der Nebengesetze, soweit die Strafsätze
in Geld ausgedrückt sind, mit den heutigen Geldverhältnissen
in Einklang zu bringen und es ist interessant, daß durchschnittlich
mit 10 valorisiert wird. (Posl. dr Schollich: Die Gehälter
werden auch mit 10 valorisiert?) Das ist es ja, fast überall
gibt man offen oder stillschweigend zu, daß der Wert der
Vorkriegskrone der zehnfache des heutigen Wertes ist, aber dort,
wo man die letzten Konsequenzen ziehen sollte, dort gibt man das
nicht zu und behauptet, daß vielleicht das drei-, vier-
oder fünffache richtig sei. Aber schließlich und endlich
könnte man sich damit abfinden, zumal bei den Beratungen
im Ausschuß der Vorlage die größten Giftzähne
ausgebrochen wurden; unter den Verhältnissen, wie sie jetzt
liegen, bleibt eben, wenn man sich nicht entschließt, das
Übel an der Wurzel zu fassen nichts übrig, als eine
Vorlage, die im wesentlichen darauf hinausgeht: "Wasch mir
den Pelz und mach mich nicht naß", einfach abzulehnen.
Bedenklicher ist nur der zweite Teil, der vom
Strafmandat handelt. Meine Herren, das Strafmandat ist keine Neueinführung
dieses Gesetzes, wir haben es schon in der alten österreichischen
Strafprozeßordnung gehabt; die §§ 460 bis 462
sprechen davon. Aber ich möchte auf Folgendes aufmerksam
machen: In unserem alten Strafgesetz findet sich einmal eine ganze
Menge Übertretungen, welche ganz nebensächliche, kleinliche
Tatbestände zum Gegenstande haben, Tatbestände, die
anderswo, nahezu in allen Staaten, überhaupt von der gerichtlichen
Verfolgung ausgeschlossen und den politischen Behörden als
Polizeibehörden übertragen sind. Andererseits finden
sich in unserem alten Strafgesetz ganz ungeheuerliche Strafausmaße.
Man darf nicht vergessen, daß das alte österreichische
Strafgesetz, welches noch in Geltung ist, aus dem Jahre 1852 stammt
und daß auch diese Redaktion des Jahres 1852 nichts anderes
war als die Umwandlung des alten Maria Theresianisch en Strafgesetzbuches,
so daß wir also heute ein Strafgesetzbuch haben, das weit
über 100 Jahre alt ist. Die Ansichten über Strafen waren
vor 100 Jahren zweifellos andere als heute, infolgedessen darf
man sich nicht verblüffen lassen, wenn § 460 der alten
Strafprozeßordnung bestimmt, daß das Strafmandat auch
dort erlassen werden kann, wo das Gesetz eine Tat mit Arrest bis
zu einem Monat straft. Nach unserer Überzeugung ist ein Monat
Arrest reichlich viel und ich bin überzeugt, im neuen Strafgesetzentwurf
wird auf ganz andere Tatbestände eine solche Strafandrohung
von einem Monat gesetzt werden als im alten Strafgesetzbuch. Für
uns ist heute die Freiheit noch ein etwas höheres Gut als
vielleicht noch am Anfang des vorigen Jahrhunderts, und infolgedessen
darf man nicht sagen, daß der Monat des § 460 gleichbedeutend
ist mit dem Monat, den wir heute als Strafe einer gewissen Tat
gegenüber angewendet werden wissen. (Posl. Horpynka: Paß
auf, "Freiheit" wird vom Präsidium konfisziert!)
Deswegen bleibt sie immer bestehen. Soviel konfiszieren kann
man ja gar nicht. Wir müssen zweierlei beobachten: die kleinen
nichtssagenden Übertretungen und die verhältnismäßig
hohen Strafen des alten Strafgesetzes. Von diesem Gesichtspunkte
aus betrachtet kann man sagen, daß die Strafverfügungen
der alten österreichischen Strafprozeßordnung sich
nur auf ganz wenige unbedeutende Übertretungen bezogen und
ihre Anwendbarkeit war auch so eingeschränkt, daß sie
den geringsten Teil der Strafgerichtsagenda ausgemacht hat. Und
nun soll das alles umgekehrt werden. Nach den Bestimmungen des
zweiten Teiles dieser Vorlage wird die Strafverfügung im
Strafverfahren das Normale sein, die Verhandlung und Urteilsfällung
wird sozusagen der Ausnahmsfall sein und die Möglichkeit,
eine Strafverfügung zu erlassen, wird ausgedehnt auf Strafsätze
bis zu 6 Monaten. Das sind beinahe alle Übertretungen unseres
Strafgesetzes. Daraus ist zu entnehmen, daß das eine ganz
merkwürdige Verschiebung der Art und Weise der Strafrechtspflege
gegen früher sein wird. Jeder, der einen Strafbefehl bekommt,
kann dagegen Einspruch erheben: gewiß, das wird darin gedruckt
stehen. Ich frage aber, wieviele es wirklich tun werden und ich
frage, ob da nicht eine Menge von Mißbräuchen möglich
ist? Ganz abgesehen davon: es geht doch nicht an, das Urteil und
die Verhandlung durch eine Strafverfügung zu ersetzen. Wenn
das wirklich zur Regel wird, dann meine sehr Verehrten, ist das
etwas, was man eigentlich als geordnete Justiz nicht mehr bezeichnen
kann, das ist ein Diktatverfahren, ein Strafverfahren, wie man
es vielleicht der Verwaltungsbehörde zumuten kann, aber eine
Justiz ist das nicht mehr. Man opfert lieber die Grundsätze
der Justiz, man opfert die Mündlichkeit und Öffentlichkeit
des Verfahrens, man opfert alles, was man Urteilsfällung
nennt, nur, um auf das Grundproblem und die Grundfrage, die diesen
Dingen zugrundeliegt, nicht eingehen zu müssen. Wir sind
der Ansicht, daß der umgekehrte Weg hätte eingeschlagen
werden sollen. Man hätte erst die Grundfrage lösen sollen,
indem man das Problem des Richters, der Gerichtskanzlei sowie
des Gerichtsdienstes überhaupt vom organisatorischen und
auch vom finanziellen Standpunkt aus eingehend löst, und
dann brauchte man nicht zu derartigen Auskunftsmitteln zu greifen.
Es ist sehr bedauerlich, daß nicht auch die zweite Vorlage,
die mit dieser zusammenhängt, in Verhandlung gezogen werden
kann. Man würde auch bei dieser ganz ähnliche. Einwendungen
vorbringen können. Auf Grund aller dieser Dinge können
wir, trotzdem wir sagen müssen, daß die Vorlage nichts
Sonderliches enthält, was abzulehnen wäre, wenn man
sich eben auf den Standpunkt der Regierung stellt, nicht anders
als aus prinzipiellen Gründen gegen die Vorlage stimmen.
(Potlesk poslancù nìm. strany národní.)