An dieser für uns Deutsche beschämenden
Macht- und Einflußlosigkeit der deutschen Regierungsparteien,
die sie selbst natürlich nicht zugeben dürfen, sind
die deutschen Regierungsparteien selbst schuld. Sie wollten
nicht sehen und wollten sich von der Opposition nicht belehren
lassen, daß gerade der Augenblick ihres Eintrittes in die
èechoslovakische Regierung besonders günstig gewesen
ist, den èechischen Regierungsparteien ein klar umrissenes
Programm mit konkreten Forderungen vorzulegen,
ohne deren Erfüllung der Eintritt deutscher Parteien in die
Regierung eben nicht erfolgen durfte. Heute wissen wir aus den
Verteidigungsreden des Herrn Außenministers Dr Beneš,
gegen die Angriffe des Herrn Abg. Støíbrný,
daß im Frühjahr 1926 der Staat vielleicht die schwerste
Krise seit seinem Bestande durchgemacht hat, so daß der
Staatspräsident und der Außenminister mit dem Gedanken
einer oktroierten Verfassungsänderung und eines diktatorischen
Regimes kokettierten, der unweigerlich zum Bürgerkrieg hätte
führen müssen. Diese günstige Situation haben die
deutschen Regierungsparteien nicht ausgenützt, sie haben
sich begnügt, die Rolle einer politischen Perolinspritze
zu spielen, welche in Knechtseligkeit die "Atmosphäre
verbessern" soll. Nachdem die deutschen Regierungsparteien
so wunschlos den èechischen Staat aus einer großen
Gefahr gerettet hatten, konnte die èechische Regierung
mit Behagen verlangen, daß sich die deutschen Regierungsparteien
auch weiter gratis und franko vor den
èechischen Staatskarren als Zugtiere spannen zu lassen,
den der Ministerpräsident so meisterhaft kutschiert. Ungenützt
ließ man noch die Wahl des Staatspräsidenten verstreichen
und so konnten die deutschen Regierungsparteien kontinuierlich
immer schwereren Belastungsproben von den Militärvorlagen
bis zur Verwaltungsreform ausgesetzt werden, ohne daß sie
gegen diesen Frondienst sich irgendwie auflehnen durften. Nun
haben die Deutschen in der Regierung widerspruchlos ihre Schuldigkeit
getan und der Augenblick naht heran, wo sie als überflüssig
aus der Koalition ausgeschieden werden sollen, damit sie nicht
am Ende doch noch lästige Mitfresser an der Regierungskrippe
werden.
Deutliche Zeichen sind vorhanden, daß
die gemischtnationale Regierungskoalition sich im Stadium
der Zersetzung und des Zerfalles befindet. Alle Gesetzesvorlagen,
die ein Hindernis für die Wiederkehr der allnationalen èechischen
Koalition aus bürgerlichen und sozialistischen Parteien gebildet
haben, sind dank der deutschen Regierungshilfe
beseitigt, der Ministerpräsident Švehla hat einige
Entscheidungsschlachten gegen uns Deutsche mit Hilfe deutscher
Regierungstruppen geschlagen, der Rest, der noch zu erledigen
ist, fällt nicht mehr so sehr ins Gewicht. Es ist auch kein
Wunder, wenn das Zufallsgebilde der jetzigen Mehrheit immer mehr
und mehr in die Brüche geht. Es ist ja gar keine Interessengemeinschaft
vorhanden, welche deutsche und èechische Regierungsparteien
zusammenhalten würde. Anfangs richtete die bürgerlich-konservative
Regierungsmehrheit eine deutliche Kampfansage gegen die sozialistischen
Parteien und stellte sich die Aufgabe, die angeblichen sozialen
Errungenschaften der sozialistischen Parteien aus Ära 1918
bis 1925 systematisch abzubauen. Dieses negative Programm, von
dem bis jetzt nichts anderes als die fraglich gewordene Novellierung
der Sozialversicherung übrig geblieben ist, ist natürlich
kein dauerndes Bindemittel zwischen Deutschen und Èechen
in der Regierung des angeblichen einheitlichen èechischen
Nationalstaates. Hätten die deutschen Regierungsparteien
unter Ausnützung der günstigen Konstellation
bei ihrem Regierungseintritte das nationale Problem in diesem
Staate gelöst oder seine Lösung wenigstens so eingeleitet,
wie sie es im Wahlkampfe 1925 ihren eigenen Wählern versprochen
hatten, dann hätte die jetzige Koalition ein einigendes Moment
in einem positiven Programm und Aufgabenkreis gehabt, der ihr
über manche Schwierigkeit hinweggeholfen hätte. So aber
haben die deutschen Regierungsparteien den nationalen Ausgleich
von Volk zu Volk als Ziel an das Ende eines Weges gesetzt,
das sie die Èechen werden niemals erreichen lassen. Bedenkt
man, daß die Regierungsmehrheit Švehlas
ziffernmäßig schon so gering geworden ist, daß
man zur ewigen Schande dieses sogenannten Rechtsstaates zum Mittel
der Rechtsbeugung greifen mußte, um den beiden in die Opposition
übertretenen Abgeordneten Josef Mayer und Dr. Georg
Hanreich die Mandate abzunehmen und so die Regierungskoalition
um zwei gehorsame Seelen zu bereichern, so darf man das wohl auch
als ein Zeichen dafür nehmen, daß die gemischtnationale
Koalition schon in den letzten Zügen liegt. Der Ausgang der
Gemeindewahlen hat aber auch den Beweis erbracht, daß der
Anhang der deutschen Regierungsparteien immer mehr zu schwinden
beginnt, so daß schon heute die Durchführung von Neuwahlen
ins Parlament sicher das Ergebnis bringen möchten,
daß die deutschen Regierungsparteien infolge ihrer gesunkenen
Mandatszahl keine erstrebenswerten Bundesgenossen für die
übrigen èechisch-bürgerlichen Parteien bedeuten
könnten. Es ist daher natürlich, wenn in der èechischen
Tagespresse immer häufiger die Gerüchte auftauchen,
daß der Ministerpräsident die unfreiwillige Muße
auf seinem Krankenlager dazu benützt, um nach einer neuen
und besseren Koalition auszuschauen.
Unter solchen Verhältnissen ist aber weder
die Regierung, noch die sie stützende Regierungsmehrheit
parlamentarisch arbeitsfähig und auch das bisher geübte
System der Kollegialdiktatur der Regierungsmehrheit muß
immer mehr und mehr versagen.
Gerade die Vorlage eines abermaligen zwölfmonatlichen
Provisoriums zum Mieterschutz- und Bauförderungsgesetze und
die Art und Weise, wie es zu dieser Vorlage kam, beweist am besten,
daß eine von allem Anfange an brüchig gewesene und
jetzt im Zerfallstadium befindliche Regierungskoalition trotz
ihres nach außen hin betonten wirtschaftspolitischen Fundamentes
gänzlich unfähig ist, wirtschafts- und sozialpolitische
Probleme in großzügiger Weise zu lösen.
Im Motivenberichte zum vorjährigen Bauprovisorium
hat die Regierung auf die gegenseitige und bedingte Abhängigkeit
von Mieterschutz und Bauförderung hingewiesen und erklärt,
daß die Bauförderung aus öffentlichen Mitteln
erst abgebaut werden kann, wenn Nachfrage und Angebot auf dem
Wohnungsmarkte halbwegs ausbalanziert sind, so daß man ohne
wirtschaftliche Katastrophen in den sozial schwächeren Bevölkerungsschichten
auch den Mieterschutz abbauen kann. Dieselbe Regierung durchbricht
aber in den heute vorliegenden Gesetzesanträgen diese Grundsätze,
gibt bei der jetzt sehr ungünstigen Situation auf dem Wohnungsmarkte
Bauförderungsbestimmungen heraus, die weit hinter den Maßnahmen
des gewesenen Kaiserstaates Österreich zurückbleiben,
baut also auf der einen Seite die öffentliche Bauförderung
ab, auf der anderen Seite aber erklärt sie, daß ein
weitgehender Abbau des Mieterschutzes noch nicht möglich
ist, weil die bisherige Bauförderung noch nicht den gewünschten
Erfolg hatte und die Wohnungsnot noch immer nicht behoben sei.
Die Regierung vergißt und ändert
ihre Grundsätze von Woche zu Woche, ist daher gezwungen,
von einem Provisorium zum andern fortzuwursteln und verschweigt
wohlweislich, daß sie allein an diesen unerträglichen
Zuständen die Schuld trägt. Das Ministerium für
soziale Fürsorge hat schon vor einem Jahre die Ausarbeitung
einer Statistik versprochen, welche einen Überblick über
Bevölkerungszahl und Anzahl der Wohnungen in den einzelnen
Gemeinden, Anzahl der leerstehenden Wohnungen, Anzahl der Personen
in den einzelnen Wohnungen, Anzahl der wohnungslosen Familien
u. v. a. gibt. Diese Statistik, die Deutschland beispielsweise
schon seit 1927 besitzt, sollte die Grundlage der definitiven
Regelung des Mieterschutzes und der Bauförderung bilden.
Das Ministerium für soziale Fürsorge hat aber sein Versprechen
nicht gehalten, eine solche Statistik existiert bis zum heutigen
Tage nicht, und die vorgelegten Provisorien sind ohne jede statistische
Grundlage rein auf der Basis gemacht worden, daß sich die
Parteien der Regierungsmehrheit bei Wahrung ihrer divergierenden
ständischen Interessen ohne Rücksicht auf das allgemeine
Wohl im Kompromißwege einigen können.
Der Regierung ist nicht unbekannt, daß die Wohnungsnot bei
der bisherigen unzulänglichen Bauförderung gestiegen
ist. Die amtlichen Berichte geben an, daß seit der letzten
Volkszählung 192* die Bevölkerung der Èechoslovakei
um 450.000 Köpfe gewachsen ist. Seit dem
Jahre 1921 wurden aber mit Hilfe staatlicher Unterstützung
ca 60.000 Wohnungen neu erbaut, während die Zahl der ohne
öffentliche Bauförderung errichteten Wohnungen so gering
ist, daß sie nicht ins Kalkül gezogen werden braucht.
Nimmt man an, daß jede neugebaute Wohnung von 4 Personen
bewohnt wird, so hat nahezu die Hälfte des Bevölkerungszuwachses
in den neuen Wohnungen keinen Platz gefunden. Diese Erscheinung,
daß die Zunahme der neuen Wohnungen hinter der Bevölkerungszunahme
in so unbefriedigender Weise zurückbleibt, sollte doch der
Regierung zu denken geben, und sie zu energischen Maßnahmen
veranlassen müssen. Dabei wäre die Möglichkeit
gewesen, einen planmäßig durchgeführten Abbau
des Mieterschutzes hinsichtlich der Mietzinshöhe in den Dienst
einer großzügigen Bauförderung zu stellen und
gleichzeitig die disparaten Wünsche der Mieter und Hausbesitzer
und ihre entgegengesetzten Standpunkte zu dieser Frage einander
anzunähern. Die Regierung hat aber gar nichts getan, sondern
verlangt jetzt, daß das Parlament zwei Provisorien unzulänglicher
Art das Leben schenke, welche keine andere Folge haben können,
als daß die Wohnungsnot weiter steigen und die definitive
Lösung des Wohnungsproblems durch ein langfristiges Gesetz
immer schwerer wird. Durch die Säumigkeit der Regierung wurden
die Heerlager der organisierten Hausbesitzer und Mieter in einen
parteipolitischen Machtkampf hineingedrängt, der den politischen
Parteien der Regierungsmehrheit zwar sehr unangenehm ist, dem
aber die Regierung hilflos gegenübersteht und dabei die Rolle
des Greises spielt, der auf dem Dache des Staates sitzt und sich
nicht zu helfen weiß.
Die Inkonsequenz der Regierung bei Lösung
des Wohnungsproblems zeigt sich aber auch noch in einer anderen
Erscheinung. Wiederholt schon hat die Regierung erklärt,
daß sie aus staatlichen Mitteln weder in Form von Darlehen
noch in Form von Garantien Gelder für die Bauförderung
zur Verfügung stellen kann, sondern daß sie die Belebung
der Bautätigkeit einzig und allein von der Beteiligung des
Privatkapitals erwarte. Dieser Forderung entsprechend hat sie
sich den Standpunkt angeeignet, daß das Privatkapital nur
dann für die Bautätigkeit zu haben sein wird, wenn nicht
nur die Ergiebigkeit der neuen Häuser, sondern auch die der
alten Häuser gegeben ist. Denn solange der Staat die gebundene
Zwangswirtschaft mit den alten Wohnungen nicht beseitigt, muß
jeder Bauherr befürchten, daß der Staat eines schönen
Tages auch seine Hand auf die Wohnungen in Neubauten legt und
deren Ertrag dann ebenso in Frage stellt wie die Ergiebigkeit
der alten Bauten Bei solchen Befürchtungen darf man natürlich
nicht erwarten, daß sich das Privatkapital an Häuserbauten
beteiligen wird. Was tut nun die Regierung? Ut aliquid fecisse
videatur, erhöht sie in dem vorliegenden Gesetzesantrag die
Mietzinse in alten Häusern abermals um 40%, mit dem Erfolge,
daß die Hausherren eine solche Mietzinserhöhung als
viel zu gering bezeichnen, während die Mieter erklären,
daß dieselbe für sie untragbar ist. Das ist aber der
Regierung ganz egal. Sie will ja gar nicht durch diese Mietzinserhöhung
die Ergiebigkeit der alten Häuser steigern und dadurch die
private Bautätigkeit beleben. Sie will nur auf Kosten der
Hausherren und der Mieter einen neuen Nutzen haben und progressiv
auf demselben Wege fortschreiten, der dem Staate eine Steigerung
der Einnahmen aus der Hauszinssteuer von 46 Millionen Kronen im
Jahre 1920 auf 100 Millionen Kronen im Jahre 1928 gebracht hat.
Und während sich Mieter und Hausbesitzer gegenseitig bis
aufs Messer bekämpfen, ist der Herr Finanzminister der tertius
gaudens in diesem sozialen Kampfe Und das nennt man hierzulande
eine Lösung des Wohnungsproblems.
Und doch könnte der Herr Finanzminister
gerade aus dem Titel der Erhöhung des Ertrages aus der Hauszinssteuer
etwas für den Abbau des Mieterschutzes hinsichtlich der Höhe
der Mietzinse in alten Häusern und im Zusammenhange damit
für die Bauförderung tun, ohne seinen Grundsatz aufzugeben,
daß der Staat nicht mehr dazu verhalten werden kann, Neubauten
zu subventionieren oder die Garantie für zweite Hypotheken
zu übernehmen. Will der Herr Finanzminister den Mehrertrag
der Hauszinssteuer nicht unmittelbar der Bauförderung zuführen,
so kann er dies wenigstens mittelbar auf dem Umwege über
die Gehälter der Staatsangestellten tun.
Denn die Staatsangestellten verfolgen mit besonderem
Interesse und mit begreiflicher Furcht vom Standpunkte ihrer materiellen
Situation die verfehlte Wohnungspolitik in diesem Staate. Sie
sind sich dessen bewußt, daß die bisherige Unterstützung
der Bautätigkeit durch den Staat schon Milliarden verschlungen
hat, sie geben sich aber auch keiner Täuschung darüber
hin, woher der Staat die Mittel zu dieser Unterstützung genommen
hat. Auf der einen Seite mußte der Staat Schulden machen,
auf der anderen Seite aber Sparmaßnahmen in anderen Ressorts
der staatlichen Verwaltung einführen. Und gerade diese Sparmaßnahmen
haben sich bei den Gehaltsbezügen der Staatsangestellten
besonders fühlbar gemacht. So dürfen also die Staatsangestellten
mit Fug und Recht von sich behaupten, daß besonders auf
ihre Kosten die Beiträge zur staatlichen Bauförderung
aufgebracht wurden, und sie können Dankbarkeit von jenen
erwarten, denen diese Bauförderung zugute kam. Niemand wird
es daher den Staatsangestellten übel nehmen können,
wenn sie den abermaligen Zinserhöhungen mit Bangen entgegensehen
und fordern, daß bei der progressiven Erhöhung der
Mietzinse besondere Rücksicht auf ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit
genommen werde. Die Staatsangestellten verlangen daher, daß
der Staat, wenn er eine weitere Steigerung der Mietzinse für
notwendig erachtet und die erhöhten Zinse besteuert, einen
Teil des Mehrertrages der Hauszinssteuer im Interesse seiner Angestellten
verwende und ihnen einen Zinsbeitrag gewähre, der immer in
dem gleichen Tempo stufenweise steigt, wie die Mietzinse in den
alten Häusern in die Höhe gehen. Durch diese Ausgabe
würde vor allem der Staat den Vorteil haben, daß er
durch die geringen Gehaltserhöhungen der Staatsbeamten aus
dem Titel des Mietzinsbeitrages der weitesten Öffentlichkeit
den Nachweis erbringen würde, daß die notwendig gewordene
Steigerung der Mietzinse in alten Häusern keineswegs eine
so enorme Lohnerhöhung aller arbeitenden Schichten notwendig
mache, wie allgemein immer angenommen und demagogisch ausgenützt
wird. Der Staat als Arbeitgeber ist aber auch verpflichtet, seinen
Angestellten die erhöhten Ausgaben durch die Mietzinssteigerung
durch eine Erhöhung ihrer Bezüge auszugleichen, zumal
ja der Staat durch seine eigene Gesetzgebung seine Angestellten
zu diesen Ausgaben zwingt. Denn man darf nicht vergessen, daß
die Höhe der jetzigen Staatsangestelltenbezüge unter
der Voraussetzung bestimmt wurde, daß der Lebenshaltungsindex
allmählich sinken werde. Weil aber diese Voraussetzung infolge
der Erhöhung der Mietzinse nicht realisierbar ist, so erweisen
sich die Bezüge der Staatsangestellten derartig bemessen,
daß sie eine weitere Belastung durch Verteuerung der Wohnung
nicht ertragen.
Wenn mir jemand den Einwand machen sollte,
daß ich schon wieder das System von Gehaltszulagen bei Staatsangestellten
einführen will, wo doch erst das Besoldungsgesetz 103 ex
1926 die Zulagenwirtschaft beseitigt hat, daß aber vielleicht
eine angemessene Erhöhung des Aktivitätsgehaltes von
den Staatsangestellten anzustreben wäre, was denselben Erfolg
hätte, so wäre das eine Verkennung der tatsächlichen
Verhältnisse, die nicht unwidersprochen bleiben darf. Denn
der Aktivitätsgehalt ist eine Zulage zum Grundgehalt, die
dazu bestimmt ist, die Auslagen des Staatsangestellten zu decken,
die sich aus dem aktiven Dienstverhältnisse ergeben. Daß
der Aktivitätsgehalt kein Wohnungsäquivalent ist, ergibt
sich schon daraus, daß der aktive Staatsangestellte beim
Übertritt in den Ruhestand den ganzen Aktivitätsgehalt
einbüßt, als Pensionist aber doch wohnen und Mietzins
zahlen muß. Und da jede Steigerung des Mietzinses den Ruheständler
noch härter treffen muß als den aktiven Staatsdiener,
so läßt sich dieses Problem nur durch eine Mietzinszulage
zum Grundgehalte der Staatsangestellten lösen, die in ihrer
Gänze in die Pension einrechenbar sein muß. Der Herr
Finanzminister hat die Möglichkeit, den Staatsangestellten
sofort zu helfen, da die Bedeckung des Mehraufwandes durch die
Ertragssteigerung der Hauszinssteuer gegeben ist, vermeidet gleichzeitig
kommende Gehaltskämpfe in der staatlichen Wirtschaft und
zeigt, wie man die Frage der Lösung des Mieterschutzes durch
Hebung der Zahlungsfähigkeit der Mieter herbeiführen
kann.
Mit diesen Worten habe ich eigentlich das Grundproblem
sowohl zur Hebung der Baulust und Bautätigkeit, als auch
zur Erhöhung der Mieten und zum Abbau des Mieterschutzes
berührt. Die Forderung nach Herstellung der Zahlungsfähigkeit
der Mieter kann sich nicht nur auf die Staatsangestellten beschränken,
sie ist die Allgemeinforderung im wahrsten Sinne des Wortes, die
conditio sine qua non. Unter Hinweis auf die billigen Mieten und
das Mieterschutzgesetz wird bei uns der Lebensstandard der Mieter
unnatürlich herabgedrückt, so daß die Auslagen
für die Lebenshaltung des Einzelnen bei uns im Vergleiche
zum Ausland weitaus niedriger sind. Eine im Interesse der Bauförderung
gelegene Erhöhung der Mietzinse bleibt aber unmöglich,
weil sie nicht an der Zahlungsunwilligkeit, sondern an der Zahlungsunfähigkeit
der Mieter scheitern muß, da sonst der Lebensstandard der
Mieter noch weiter herabgesetzt werden müßte, was aber
die Regierung selbst für unmöglich hält. Trotzdem
tut aber die Regierung nichts, um dieser üblen Erscheinung
abzuhelfen. Trotz aller Bitten und Warnungen bleibt die Pensionistenfrage
ungelöst, die Versorgungsgesetze für die Kriegsopfer
und die Opfer der Nachkriegszeit werden nicht entsprechend novelliert,
Beamte und Angestellte werden abgebaut und einem Hungerdasein
ausgeliefert, die Novellierung der Pensionsversicherung der Privatangestellten
wird jahrelang verschleppt, die Sozialversicherung der Arbeiter
will man verschlechtern, Lohn- und Gehaltskämpfe in der staatlichen
und privaten Wirtschaft bleiben unberücksichtigt, solange
nicht durch katastrophale Streiks die Regierung einzugreifen sich
genötigt sieht. Es ist ein Zeichen der Schwäche und
der Unfähigkeit der Regierung und ihrer Parlamentsmehrheit,
wenn sie der Tiefe des Problems ständig ausweicht und in
jämmerlichen Provisorien einen Ausweg sucht. Anstatt die
Lebenshaltung der Mieter so auszugleichen, daß eine rasche
Erhöhung der Mietzinse im Interesse der Bauförderung
ermöglicht werde, werden stufen- und etappenweise kleine
Mietzinssteigerungen zugelassen, die für die Belebung der
Bautätigkeit vollkommen effektlos sind, den Lebensstandard
der Mieter aber unerträglich drücken, dem Hausbesitzer
dagegen vom Staate weggesteuert werden.
So sündigt die Regierung auf dem Gebiete
des Wohnungsproblems drauf los, was nur Platz hat, und bedenkt
nicht, daß sie einmal die Verantwortung für ihre Haltung
wird nicht mehr tragen können.
Meine bisherigen Ausführungen begründen
wohl zur Genüge, warum meine Partei die drei vorgelegten
Gesetzentwürfe, betreffend die Baubewegung, den Aufschub
der exekutiven Räumung und den Mieterschutz, in ihrer Gänze
ablehnt.
Ich muß an dieser Stelle ausdrücklich
betonen, daß in erster Linie gegen das System des Fortwurstelns
mit einjährigen Provisorien protestiert wird. Regierung und
Parlament machen sich nur schwerer Pflichtverletzung schuldig,
wenn sie immer wieder abwarten, bis der Termin des Ablaufes des
Provisoriums vor der Tür steht, um dann in aller Eile das
geltende Mieterschutz- und Bauprovisorium mit einigen Änderungen
auf ein weiteres Jahr zu erstrecken und so den Zeitpunkt für
eine definitive Regelung der Wohnungsfrage immer um ein Jahr hinauszuschieben.
Unter solchen Umständen muß jedes Provisorium trotz
aller Änderungen zwangsläufig ein Stückwerk bleiben,
das nur Schaden anrichtet, weil es die bestehende Unsicherheit
vermehrt. Denn die Voraussetzung einer gedeihlichen Baubewegung,
die Grundlage einer vernünftigen Bau- und Wohnungspolitik
ist Ruhe, Stetigkeit und Langfristigkeit. Kurzfristige Bestimmungen
und schroffe Änderungen sind von Schaden und wirken notwendig
verteuernd auf die Baupreise und Mietzinse und verschlechtern
immer mehr und mehr die Bedingungen für die Wiederherstellung
einer normalen Wohnungswirtschaft.
Pflicht der Regierung ist es, nicht länger
zu zögern und der definitiven Lösung der Wohnungsfrage
endlich mit jener Zielsicherheit näher zu treten, die der
Wichtigkeit dieser Frage entspricht. Mieter und Hausbesitzer,
also die ganze Öffentlichkeit erwartet mit Recht, daß
die Regierung spätestens im Herbst dieses Jahr es einen Gesetzantrag
den beiden Kammern vorlegen wird, der in großzügiger
Weise auf lange Frist hinaus alle Bestimmungen enthält, die
nach Urteil der Fachleute geeignet sind, das Problem des Wohnens
definitiv zu lösen und eine freie und normale Wohnungswirtschaft
in diesem Staate einzuführen. Kommt die Regierung dieser
Verpflichtung nicht nach, dann muß sie erwarten, daß
die Wähler bei der nächsten Wahl mit dem Stimmzettel
in der Hand mit ihr und mit der Regierungsmehrheit ganz energisch
abrechnen wird.
Auf die einzelnen Bestimmungen der drei Gesetzesvorlagen,
die nach dem Willen der Regierungsmehrheit so gut wie schon beschlossen
sind, gar noch einzugehen, erübrigt sich, da die Fruchtlosigkeit
eines solchen Beginnens aus früheren Fällen ja sattsam
bekannt ist.
Ich will die Gelegenheit, da ich gerade
das Wort habe, dazu benützen, um das Parlament und insbesondere
die Herren von der èechischen Regierungsmehrheit zu Zeugen
einer krassen Ungerechtigkeit aufzurufen, die sich in den letzten
Tagen in diesem Staate ereignet hat und die deutlich Zeugnis davon
gibt, daß nicht alle Bürger dieses Staates vor dem
Gesetz gleich sind. Ich bitte besonders das Präsidium dieses
Hauses, den Vorfall, den ich jetzt schildern werde, nach dem stenographischen
Protokoll dem Herrn Minister des Innern und dem Herrn Justizminister
zur Kenntnis zu bringen und dieselben um Abhilfe zu ersuchen.
Wir Deutschen sind es schon gewöhnt, daß
die Gedenkfeiern für die Toten des 4. März sich keines
besonderen Wohlwollens der Behörden erfreuen und daß
uns Deutschen bei dieser Gelegenheit allerhand Schwierigkeiten
gemacht werden. Was sich aber in Mährisch Schönberg
ereignet hat, ist selbst in diesem Staate noch nicht dagewesen.
In Mähr. Schönberg erscheinen zwei
Zeitungen: Der "Nordmährische Grenzbote", ein überparteilich,
aber national eingestelltes Blatt, und der "Sudetenbote",
der ausschließlich im Dienst, der deutschen Regierungsparteien,
besonders des Bundes der Landwirte steht. Beide Blätter brachten
in ihrer Folge vom 4. März kurze Gedenkartikel. Im "Nordmährischen
Grenzboten" erschien ein Artikel des Senators Dr. Ledebur-Wicheln,
der der deutschen christlichsozialen Volkspartei angehört.
Ich erlaube mir diesen Artikel den Damen und Herren zur Kenntnis
zu bringen (ète): "Zum
4. März. Von Senator Dr. Ledebur-Wicheln. Jeder natürliche
Tod ist gesetzmäßige Auflösung, jeder gewaltsame
Tod gesetzwidrige Unterbrechung eines sich unter der Zusammenwirkung
von Geist und Materie nach bestimmten Regeln vollziehenden Prozesses.
Jeder natürliche Tod bedeutet zeitgemäße Scheidung,
jeder unnatürliche Tod gewaltsame Trennung von Seele und
Leib. Der schlichte Volksglaube hat hiefür ein feines Empfinden
und dies ist die Ursache, warum er der gewaltsam getrennten Seele
so oft eine ruhelose Wiederkehr und einen unsteten Drang nach
Rache zuschreibt. In diesem Volksglauben liegt viel Wahrheit,
denn mit dem natürlichen Vergehen hat sich die in jedem Menschen
wirkende Idee entweder ausgelebt oder sie ist längst von
neuen Trägern übernommen und wirkt in naturgemäßer
Umformung als Verdächtnis weiter. Anders ist es, wenn ein
lebendiges Ideal zum jähen Tode dessen führt, der bewußt
oder unbewußt Träger dieses Ideals geworden ist. Der
vorzeitig abgerissene Gedanke hat eine stärkere Anziehungskraft
als der zu Ende gedachte; er wird zum ewigen Mahnwort und immer
wieder kehren der forschende Menschengeist und die voraussetzungslose
Begeisterung zu ihm zurück. So wird auch die Geschichte des
sudetendeutschen Volkes nie aufhören, sich jener zu erinnern,
die am 4. März 1919 in freudiger Bejahung ihres nach freier
Selbstbestimmung verlangenden Volkstums schmählich niedergemetzelt
wurden. Die Schuld an dem traurigen Schicksal unserer Märzgefallenen
trägt vielleicht nur unverantwortlicher Leichtsinn. In den
Augen der Nachwelt wird diese Schuld aber niemand von dem System
jenes gewaltsamen Nationalismus zu lösen sein, die
an der Wiege des èechoslovakischen Staates stand, und der
sich auch heute noch in der planmäßigen Unterdrückung
aller nichtèechischen Nationen auslebt. So wie die Bande
dieses Blutes immer die stärksten sind und Volk
wie Familie zusammenhalten, so sind auch die durch Blut gezogenen
Trennungsstriche am schwersten zu überbrücken. Deshalb
wird der Geist, der am 4. März 1919 gefallenen Sudetendeutschen
solange als mahnender Schatten zwischen den Fronten nationalen
Kampfes stehen, bis unser Volk durch selbstgewollte Einordnung
in ein seiner nationalen Eigenart Rechnung tragendes Gemeinwesen
die Ruhe gesicherter kultureller und materieller Lebensbedingungen
erreicht hat."
Dieser Artikel, trotzdem er von einem Parlamentarier
der gegenwärtigen Regierungsmehrheit mit seinem Namen gezeichnet
war, verfiel samt dem Titel vom ersten bis zum letzten Wort der
Zensur.
Bitte, hören Sie jetzt den Artikel in
dem deutschen aktivistischen Blatte, der allerdings anonym erschien
(ète): "Zum 4. März
1919. Tückische List hatte dem deutschen Volk die Waffen
geraubt; auf sich selbst vergessend, hoffte es auf die anderen.
Törichter Wahn! Höhnend fiel der Feind über den
Arglosen her, Gehorsam und hündisches Schweigen fordernd,
wo früher süße Worte mit Freiheit und Selbstbestimmung
lockten... Verraten Volk und Heimat! Verführt und verkauft!
Unendliches Weh krampfte in Millionen Herzen und schrie hinaus
sein verzweifelndes: Volk in Not! In den Straßen standen
deutsche Männer, Frauen und Kinder. Mit brennenden Augen
und bebenden Fäusten. Heilige, leidenschaftliche Glut flammte
in den Worten, die, zornige Anklagen voll, zuckende Lippen sprachen,
alles mitreißend, alles mit stahlhartem Willen erfüllend,
diese Stunde erbärmlichster Schmach nimmer zu vergessen.
Tausende Hände hoben sich zum Schwur: Die Menge sang. Da
knatterte es auf. Wie gellendes Lachen sprang es durch die Menschenreihen.
Der neue Herr sandte seinen Gruß Maschinengewehre feuerten
in dichtgedrängte Massen... Blut färbte die Erde rot.
Verwundete deckten das Pflaster, Sterbende und Tote... Röcheln
und Stöhnen, letzte Blicke, letzte Flüche. Was die Gräber
decken, ist vergänglich Gut. Was ewig lebt, ist der Gedanke
und der Geist, den kein Messer solchen und keine Kugel zerschmettern
kann!"