Hohes Haus! Durch die vorliegenden Gesetzesvorlagen
über den Mieterschutz, über den Aufschub der exekutiven
Räumung von Wohnungen und über die Baubewegung wird
neuerlich ein ganz brutaler Anschlag auf den noch besteh enden
sehr kümmerlichen Rest des Mieterschutzes verübt, durch
den vor allem Tausende arbeitender Menschen, wenn auch nur dürftig,
geschützt waren. Es ist bezeichnend, daß seit der Zeit,
seit das Ministerium für soziale Fürsorge vom Herrn
Pater Šrámek geleitet wird, bisher noch kein
Gesetz eingebracht wurde, das nicht diktiert wäre von jenem
antisozialen reaktionären Geist, von dem diese Bürgerregierung
im allgemeinen beherrscht ist. Schon die undemokratische Art der
Behandlung dieser Vorlagen, die wieder nach dem hier üblichen
Durchpeitschungssystem erledigt werden, ist ein weiterer Beweis
dafür, daß die jetzige Regierungskoalition weder den
ernstlichen Willen, noch ein tieferes Verständnis dafür
besitzt, das für das gesamte Volk so ungemein wichtige und
brennende Problem der Wohnungsfürsorge auch nur halbwegs
in wirklichem sozialen Sinne zu lösen. Koll. Taub
hat die unwürdige Behandlung dieser Vorlagen schon im sozialpolitischen
Ausschuß kritisiert und dabei festgestellt, daß beispielsweise
in Deutschland die Mieterschutzvorlage in 33 Ausschußsitzungen
und fünf Haustagungen verabschiedet wurde, wobei der Reichsarbeitsminister
wiederholt in die Debatte eingriff, um den Standpunkt der Regierung
zu präzisieren. Bei uns erfolgt die Erledigung der Vorlagen
wieder im Eilzugstempo, sozusagen in wenigen Stunden und dem Minister
für soziale Fürsorge fällt es nicht im geringsten
ein, zu derart wichtigen Gesetzen seine Meinung zu sagen. Die
Verteidigung dieses schändlichen Angriffes auf die Mieter
wurde im sozialpolitischen Ausschuß lediglich dem Herrn
Dr. Viškovský überlassen, der nur einige
gehässige und ganz abfällige Bemerkungen über die
sachlichen Einwendungen der Opposition übrig hatte. Die deutschen
Regierungsparteien haben sich im Ausschuß überhaupt
nicht gerührt. Die Anträge der Opposition wurden daher
auch ganz bedenkenlos und unbesehen niedergestimmt. Es ist aber
besonders charakteristisch, daß es gerade zwei Christlichsoziale
waren, der eine davon sogar ein frommer Gottesmann, die Dienstag
als Berichterstatter das Attentat auf die Mieter zu begründen
und zu verteidigen versuchten. Daß sie dabei ihre christlichen
Grundsätze mit Füßen treten, ficht sie weiter
nicht an. Für die geistlichen Herren ist ja die Wohnungsfrage
gelöst; sie sind in ihren Pfarrhäusern mit ihrem Anhang
vor dem Wohnungselend geschützt. Das Elend der anderen läßt
sie vollkommen kalt. Sie werden mit sehr salbungsvollen Worten
auf das göttliche Jenseits vertröstet. Wir glauben,
daß auch dieser Betrug an den Ärmsten der Armen schließlich
und endlich zusammenbrechen wird, wozu die Herren durch ihre gottverlassene
Politik, die sie betreiben, selbst in ausreichendem Maße
mitbeitragen. Die Regierungsparteien sind nur von dem einen Willen
beseelt, den Hausbesitzern auf Kosten der Mieter weitere Vorteile
zu sichern. Um nichts anderes geht es bei diesen Vorlagen, die
nicht nur ganz bedeutende Verschlechterungen der bisherigen Gesetze
beinhalten, sondern die Grundlage schaffen, um den an und für
sich schon bedrohten Mieterschutz restlos zu beseitigen. Die Herren
vom Bürgerblock leisten ganze Arbeit, das muß man ihnen
lassen; nicht nur daß man den Arbeitern, Beamten, Angestellten
und kleinen Geschäftsleuten durch die Zölle und die
Steuergesetze die Lebenshaltung unerträglich gestaltet, nicht
nur daß sie durch die Verwaltungsreform das Volk um ein
Stück politischer Freiheit gebracht und geprellt haben, nicht
nur daß man durch das neue Finanzgesetz die Gemeinden in
jeder Beziehung zur Ohnmacht verurteilt und sie der Bürokratie
unterstellt, nicht nur daß den Arbeitern die Sozialversicherung
gestohlen werden soll, soll nun auch Tausenden arbeitenden Menschen
ihr kümmerliches Dasein zu einer wahren Hölle bereitet
werden, sollen Tausende Menschen um das Obdach gebracht werden,
um das sie bis heute so sehr bangen.
Die jetzige Gesetzesvorlage bedeutet nichts
anderes als den Anfang vom Ende des Mieterschutzes. Das wurde
auch von dem Berichterstatter Matoušek in ziemlich
unverblümter Weise zugestanden. Es wird eingewendet, daß
ein Abbau des Mieterschutzes erfolgen muß, um dadurch nicht
allein die Wohnungsnot erfolgreicher bekämpfen zu können,
sondern auch deshalb, weil es angeblich den Hausbesitzern sehr
schlecht geht. Letzteres scheint die schwerste Sorge der Regierungsparteien
zu sein. Wie es aber der arbeitenden Bevölkerung geht und
ob sie derartige Maßnahmen, die eine neuerliche schwere
materielle Belastung für sie bedeuten, ertragen können,
danach fragt die Regierung nicht. Wenn auch große Massen
durch das Wohnelend verkommen und gesundheitlich und moralisch
zugrunde gehen, das ist Nebensache, die Hauptsache ist und bleibt,
daß die dreimal geheiligte Profitrate erhöht wird.
Man hat durch diese Gesetzesvorlagen die sicherlich nicht unbescheidenen
Forderungen der Hausbesitzer fast ausnahmslos erfüllt. Auf
das harte Los der Mieter Rücksicht zu nehmen, hat man nicht
für notwendig erachtet. Die Mietzinse werden innerhalb eines
Jahres um 40% erhöht. Dazu kommen noch Zuschläge, die
die Hausbesitzer infolge Erhöhung der öffentlichen Abgaben
oder durch Einführung neuer Abgaben, für Auslagen für
Beleuchtung der Stiegenhäuser und Gänge, für Wasser-,
Gas- und Elektrizitätsmesser, für Reinigung des Hauskanals
und der Senkgrube, fürs Kaminfegen, für die Asche- und
Kehrichtabfuhr, alles Zuschläge, die die Hausbesitzer verlangen
können. Das wird ungefähr ebenfalls 20% des Mietzinses
betragen, so daß die effektive Erhöhung des Mietzinses
zu mindest 60% erreichen wird. Der Mietzins wird mit allen Zulagen
annähernd, wenn die Wohnung vor dem 1. Mai 1924 vermietet
wurde, bei kleinen Wohnungen 210% des Friedenszinses betragen,
bei mittleren 230 und bei großen Wohnungen 250%. Wenn die
Wohnung nach dem 1. Mai 1924 vermietet wurde, bei kleinen Wohnungen
240, bei mittleren 260 und bei großen Wohnungen 270%; wir
sind demnach schon beinahe bei 300% des Friedensmietzinses angelangt.
Damit wollen sich aber die Hausbesitzer noch immer nicht zufriedengeben
und sie sprechen von einer vollen Valorisierung der Friedenszinse,
obwohl sie durch die ständigen Zinserhöhungen und dem
Wertzuwachs, den die alten Häuser erfahren haben, schon sehr
viel profitiert haben. Wenn aber von Valorisieren gesprochen wird,
dann glaube ich, müssen wir auch feststellen, daß die
Löhne der Arbeiter noch lange nicht valorisiert sind und
daß es Pflicht wäre, daß in Anbetracht dieser
ungeheueren Mietzinssteigerung, wie ich noch näher darlegen
werde, auch die Löhne eine entsprechende Aufwertung erfahren
würden. Wir haben gegenwärtig den Standard von 79% der
Vorkriegslöhne. Diese Löhne vertragen keine wie immer
geartete Belastung mehr, wenn nicht das wirtschaftliche Elend
noch größer werden soll, als es schon ist. Das Lohnniveau
unserer Arbeiter, mit welchem wir im Verhältnis zu anderen
Staaten an vierzehnter Stelle stehen, hat bereits einen Tiefstand
erreicht, der nicht mehr herabzudrücken ist. (Posl. Hackenberg:
Dabei sieht es anders aus mit den Preisen der Lebensmittel!) Jawohl,
ich werde darauf zu sprechen kommen. Wir brauchen uns da nur an
das statistische Staatsamt zu halten, welches feststellte, daß
eine Arbeiterfamilie zur Deckung auch nur der notwendigsten Bedarfsartikel
einen Wochenlohn von 312.62 K benötigt. Wir wissen aber,
daß nur rund 10% aller Arbeiter diesen Lohn verdienen und
90% unter dem vom statistischen Staatsamt ermittelten Minimum
zum Leben gezwungen sind. Und dennoch wagt man es, innerhalb eines
Jahres die Mietzinse um 60% zu erhöhen. Das ist direkt ein
verbrecherisches Vorgehen, dem man allerdings auch eine Begründung
geben will: Der Motivenbericht zum Mieterschutzgesetz sagt, daß
die Mietzinserhöhung mit Rücksicht auf die gute wirtschaftliche
Konjunktur, die wir haben, durchgeführt werden kann. Nun,
meine Herren, Sie wissen ja, daß die Arbeiter bis heute
von dieser angeblich guten Konjunktur nichts verspürt haben,
im Gegenteil die Arbeiter wurden durch die verteuerte Lebenshaltung,
die zunächst auf die Zölle zurückzuführen
ist, ganz einschneidend geschädigt. Die Nutznießer
dieser guten Konjunktur sind nur die Kapitalisten, die geradezu
fabelhafte Gewinne einstreichen, ohne daß der Arbeiter entsprechend
daran partizipiert. Es gibt auch einige bürgerliche Wissenschaftler,
die zur Stelle sind, um die Mietzinserhöhung zu verteidigen.
Diese Wissenschaftler stellen sich immer sehr gern ein, wenn es
darum geht, die Ausplünderung der Volkes zu begründen.
Sie schlagen vor, daß die Mieter die Erhöhung der Mietzinse
überwälzen sollen. Das kann natürlich nur geschehen,
wenn die Löhne ausreichend erhöht werden. Wie es praktisch
damit ausschaut, dafür haben wir ein anschauliches Bild durch
den Lohnkampf der Bergarbeiter bekommen. Die Bergarbeiter mußten
infolge ihrer elenden wirtschaftlichen Lage ihre Forderungen stellen.
Obwohl bei den Verhandlungen einwandfrei nachgewiesen wurde, daß
die Steigerung der wichtigsten Lebensmittelpreise 18% beträgt
- der Index für pflanzliche Nahrungsmittel allein stieg von
941 im Oktober auf 1001 im Dezember - obwohl also die Lebensmittel
und insbesondere die wichtigsten Lebensmittel, die der Arbeiter
konsumiert, eine merkbare Steigerung aufwiesen, mußten die
Bergarbeiter trotzdem einen heißen schweren Kampf um ihre
Lohnerhöhung führen und konnten in Brüx nur 5%,
in Kladno sogar nur 3% Steigerung erreichen.
Ich will Ihnen nur kurz darlegen, in welcher
Weise die wichtigsten Lebensmittelpreise gestiegen sind, weil
man immer von der Valorisierung der Mietzinse spricht. Das Brot
hatte im Jahre 1913 - immer per kg einen Preis von 29 Hellern,
im Oktober 1927 betrug der Preis bereits 3.11 K. Mehl kostete
im Jahre 1913 41 Heller, im Jahre 1927 4 K 23 h, Kartoffeln kosteten
im Jahre 1913 8 Heller, im Jahre 1927 69 Heller. Der Brotpreis
ist also mehr als der zehnfache. Bei Mehl ist die Steigerung vom
Jahre 1913 bis 1927 ähnlich. (Pøedsednictví
pøevzal místopøedseda Zierhut.).
Wir sehen also, daß während die
Löhne nur im größten Ausmaß das sieben einhalbfache
erreichen von dem, was der Arbeiter im Frieden verdiente, die
wichtigsten Lebensmittelpreise heute immer noch auf der 10 und
elffachen Höhe gegenüber früher stehen, und da
spricht man noch von Valorisierung. Die Bergarbeiter konnten durch
ihre Lohnerhöhung also nicht einmal die Lebensmittelverteuerung
ausgleichen und trotzdem werden jetzt diese Arbeiter durch eine
60%ige Mietzinserhöhung belastet. Es ist ganz einwandfrei
errechnet worden, daß eine zehnprozentige Mietzinserhöhung
eine 2%ige Erhöhung der Löhne und des Einkommens bedingt.
Die Bergarbeiter also, die mit der erkämpften 5%igen Lohnerhöhung
nicht einmal die Teuerung wettmachen konnten, verlieren jetzt
durch die Mietzinserhöhung nicht nur diese erstrittenen 5%,
sondern es werden ihnen sogar noch weitere 7% ihres alten Lohnes
genommen. Denn nach dem errechneten Schlüssel müßte
eine 60%ige Mietzinserhöhung eine 12%ige Erhöhung der
Löhne zur Folge haben. So schaut also die von den gelehrten
Wissenschaftlern so warm befürwortete Überwälzungstheorie
in der Praxis aus. So wie es den Bergarbeitern geht, geht es auch
allen andern Arbeitern, geht es aber auch den Beamten und Angestellten
und den kleinen Geschäftsleuten, die mit ihrem geringen Einkommen
die Erhöhung der Ausgaben unmöglich decken können.
Der Herr Minister Dr. Spina hat sich
zwar die Lösung der Frage ganz einfach vorgestellt. (Posl.
Schweichhart: Er hat leicht reden, ihm geht es gut!) Jawohl.
Er hat bei den Verhandlungen erklärt, daß die Lohnerhöhung
nicht nach dem Lebensstandart erfolgen kann. Es wäre viel
klüger gewesen, wenn Herr Minister Dr. Spina dieses
Rezept damals angewendet hätte, als die Bauern die Zölle
gefordert haben. Dann wäre uns natürlich so manches
erspart geblieben. Mit der Mietzinserhöhung ist es das Gleiche.
Mit dieser neuen Symbiose soll wahrscheinlich auch heute die Mietzinserhöhung
begründet werden. Die bewußte Absicht, den Mieterschutz
zu durchbrechen, liegt ferner in der Erweiterung der Kündigungsgründe,
so bei Wohnungen von 4 oder mehr Zimmern, wenn sie nicht voll
bewohnt sind, wenn der Hauseigentümer Eigenbedarf nachweist
u. s. w. Weiters bei Wohnungen in einem Hause, das einem fremden
Staate gehört und ferner, wenn ein Mieter durch drei auf
einander folgende Jahre ein Einkommen über 100.000 Kronen
besitzt. Gelockert wird der Mieterschutz auch dadurch, daß
für die Zukunft die Erben eines verstorbenen Mieters nur
dann die Wohnung beanspruchen können, wenn sie Familienangehörige
sind. Hunderte werden dadurch um die Wohnung gebracht, die als
Lebensgefährten gezwungen sind, beisammen zu wohnen. Aber
außerdem wird den Hausbesitzern ein ausgiebiger Extraprofit
durch die sogenannte Vertragsfreiheit zugeschanzt, die sich dadurch
äußert, daß der zuviel gezahlte Mietzins nicht
mehr zurückerstattet werden braucht.
Sehr viele Mieter, die heute schon einen höheren
als den gesetzlichen Mietzins zahlen, schon um des lieben Friedenswillen,
oder die bewußt vom Hausbesitzer mit dem Mietzins überhalten
sind, werden dadurch gewaltig geschädigt. Eine vollständige
Demolierung des Mieterschutzes bringt aber die Bestimmung, daß
alle neuen Vermietungen in alten Häusern nicht mehr dem Mieterschutz
unterliegen. Daß von dieser Bestimmung die Arbeiter, die
sehr oft ihren Arbeitsplatz und somit auch die Wohnungen wechseln
müssen, am härtesten getroffen werden, brauchen wir
wohl nicht näher zu begründen.
Durch diese kuriose Bestimmung wird aber auch
den Hausbesitzern ein neuer Anreiz zu weiterer Mietzinserhöhung
gegeben. Der Druck auf den Mieter, ihn aus der alten Wohnung hinauszubringen,
wird umso schärfer, weil durch das Mieterschutzgesetz für
die alten Wohnungen ein höherer Mietzins in Aussicht steht.
Es wird dadurch nicht nur zu größeren Reibungen zwischen
Hauseigentümern und alten Mietern kommen, es wird auch für
die Hausbesitzer und Mieter zweierlei Recht geschaffen und somit
ein Zustand herbeigeführt, den vor allem die deutschen Christlich
sozialen sehnlich herbeiwünschen, Sie haben sich zunächst
für die Vertragsfreiheit sehr warm eingesetzt. Herr Abg.
Krumpe schrieb noch in der "Deutschen Presse"
vom 8. Feber d. J. unter anderem ausdrücklich Folgendes:
"Die Vertragsfreiheit hätte darin zu bestehen, daß
alle neuen Mieter in alten und neuen Häusern nicht mehr dem
Mieterschutz unterständen und für das gesamte Mietverhältnis
nur der geschlossene Mietvertrag maßgebend wäre".
Ob die christlichsozialen Mieter an der nun verwirklichten Forderung
des Herrn Krumpe eine Freude haben werden, bleibt allerdings
dahingestellt. Jedenfalls weiß ich nur, daß es sehr
viele christlichsoziale Mieter gibt, die sich gegen jede Verschlechterung
des Mieterschutzes stellen, aber die armen Mieter haben ja in
dieser christlichsozialen "Volkspartei" nichts zu sagen.
(Posl. Sweichhart: Desto mehr die Pfaffen!) Sehr richtig.
Die Mieter sind die Lämmer, die von den hohen und hochwürdigen
Herren geleitet werden und diese Lämmer merken es leider
vorläufig noch nicht einmal, daß man sie auf den Schindanger
gebracht hat. Doch die Regierung hat sich mit diesen wahrlich
ungeheuerlichen Verschlechterungen in der neuen Vorlage noch immer
nicht zufriedengestellt, sie hat noch viel Ärgeres getan.
Sie setzt in § 31 eine neue Bestimmung ein, nach welcher
in einer Gemeinde mit weniger als 2.000 Einwohnern, wenn sie am
Tage der Kundmachung dieses Gesetzes nicht zur Gänze der
Hauszinssteuer unterworfen war, der Mieterschutz aufgehoben werden
kann, wenn es die Gemeinde rechtsgültig beschließt
und die politische Landesverwaltung diesen Beschluß genehmigt.
Mit dieser Bestimmung wird nichts als ein schändlicher und
brutaler Raub des Mieterschutzes für mindestens die Hälfte
aller Mieter dieses Staates vollzogen und eingeleitet. In den
meisten Gemeinden, die sich nur nach und nach durch die Industrie
bevölkern konnten, besteht heute neben der Hauszinssteuer
auch die Hausklassensteuer, so daß diese Gemeinden nicht
zur Gänze der Hauszinssteuer unterliegen. Das ist natürlich
eine ganz ungeheuerliche Bestimmung. Die Mieter in allen diesen
Gemeinden werden ganz einfach für vogelfrei erklärt.
Welche Auswirkung diese Bestimmung annehmen wird, will ich Ihnen
durch das Beispiel meines Bezirkes Falkenau beweisen. Der Bezirk
Falkenau ist mit 56.000 Einwohnern ein durchaus industrieller
Bezirk. Nach den neuen Bestimmungen des genannten § 31 werden
von den 56 Gemeinden dieses Bezirkes nur noch 15 Gemeinden dem
Mieterschutz unterstehen, die anderen 41 Gemeinden mit rund 25.000
Einwohnern können aus dem Mieterschutz ausgeschieden werden.
(Výkøiky posl. Schweichharta.)
Es ist selbstverständlich,
daß in jenen Gemeinden, wo die Sozialdemokraten die Mehrheit
besitzen, diese Bestimmung nicht angewendet wird. Aber in jenen
Gemeinden, wo die Bürgerlichen die Majorität haben,
wird der Mieterschutz totsicher umgebracht werden. Vor allem wird
in den Gemeinden, wo die Landbündler das Heft in der Hand
haben, überall der Mieterschutz fallen und die landwirtschaftlichen
Arbeiter werden dadurch ganz der Willkür der Bauern ausgeliefert
sein, sie werden sich, wenn sie nicht obdachlos werden wollen,
als nichtswürdige Heloten behandeln lassen müssen. Man
wird ferner in diesen Gemeinden daran gehen, sich jener industriellen
Arbeiter zu entledigen, die als Wähler den Bauern in den
Gemeinden sehr unangenehm werden. Die Folge dieser wahnsinnigen
Bestimmung ist heute noch nicht abzusehen. Eines aber ist sicher,
daß dadurch über Tausende von Familien neuer Jammer
und neues Elend gebracht wird, daß eine weitere Zerrüttung
des Familienlebens platzgreift, daß die Zahl der kranken
und siechen Kinder wachsen und die Moral und Sittlichkeit noch
tiefer sinken wird. Wo sind da die berufenen Wissenschaftler,
um hier gegen die Zerstörung der nationalen Volkskraft und
Volksgesundheit zu protestieren? Wo sind die schwarzen Schleicher
und Mucker, die über die sittliche Verrohung vor allem bei
der Jugend nicht genug wettern können? Wir werden vergebens
nach ihnen rufen! Die Profitbestie hat sie alle taub und blind
gemacht. Eine weitere wesentliche Verschlechterung liegt auch
darin, daß die Dauer des Gesetzes nur bis zum 31. März
1929 begrenzt wird, was wohl nur zu dem Zwecke geschah, um nach
einem Jahr die letzten Reste des Mieterschutzes überhaupt
zu beseitigen. Im Motivenbericht wird zwar versucht, das zu bestreiten,
in Wirklichkeit aber hat man kein anderes Ziel vor Augen. Der
Berichterstatter erklärte im sozialpolitischen Ausschuß,
daß zur definitiven Regelung des gesamten Wohnungswesens
demnächst eine Enquete einberufen werde, wozu, nachdem das
Gesetz schon im März abläuft, keine Zeit mehr vorhanden
war. Diese Erklärung ist nur eine plumpe Augenauswischerei.
Man wußte schon in Jahre 1925, daß das Gesetz am 31.
März 1928 zu Ende geht, so daß genügend Zeit vorhanden
gewesen wäre, sich mit dem Wohnungsproblem ganz eingehend
zu beschäftigen. Es wurde aber bewußt alles unterlassen.
Daß das jetzige Provisorium keine Beruhigung, sondern nur
neue Unsicherheit und Verwirrung in die bestehenden Wohnungsverhältnisse
bringt, braucht nicht näher gesagt werden. Der Vorzug des
alten Gesetzes lag schließlich und endlich darin, daß
es 3 Jahre Geltung hatte. Wir vertreten den Grundsatz, daß
der Mieterschutz erst abgebaut werden kann, wenn genügend
Wohnungen vorhanden sind. Das wird aber der größte
Feind des Mieterschutzes nicht behaupten können. Es herrscht
bei uns nicht nur eine Wohnungsnot, sondern ein unbeschreibliches
Wohnungselend, das durch den weiteren Abbau des Mieterschutzes
noch größere Dimensionen annehmen muß. Wir haben
bei uns über das Wohnungselend kein umfassendes Material
zur Verfügung, weil es die Regierung bis heute unterlassen
hat, darüber statistische Erhebungen zu treffen.
Aber in jenen Staaten, wo man diese Erhebungen
durchführte, wurden erschreckende Ziffern festgestellt. So
fehlen in Deutschland rund 400.000 Wohnungen. Wenn es in Deutschland
so ausschaut, um wieviel schlimmer muß es bei uns sein,
da wir gegenüber Deutschland auf diesem Gebiete weit und
weit zurückstehen. (Výkøiky posl.
Hackenberga.) Wie gesagt, die Regierung
führt keine amtliche Statistik über unsere Wohnungsver
hältnisse, weil sie dafür kein Interesse aufbringt.
Aber dort, wo bei uns durch kommunale Körperschaften festgestellt
wurde, wie das Volk wohnt, wurde ein derart grauenvolles Material
erhoben, das so erschreckend und erschütternd ist, eine so
wuchtige Anklage gegen unsere heutige Gesellschaftsordnung darstellt,
daß jeder, bei dem noch ein Funken sozialen Empfindens und
menschlichen Mitgefühls vorhanden ist, aufschreien muß.
Herr Dr. Gruschka in Aussig, der sich mit tiefer Sachkenntnis
mit dem Wohnungsproblem beschäftigt, stellt fest, daß
in Aussig in 9.904 Wohnungen 10.480 Familien untergebracht sind.
Davon wohnen in einräumigen Wohnungen 16,2%, in zweiräumigen
Wohnungen 40,9%, in dreiräumigen Wohnungen 20,5%, demnach
in ein- bis zweiräumigen Wohnungen 57,1%, in ein- bis dreiräumigen
Wohnungen 76,6% der erfaßten Bevölkerung. Von den 9.904
Wohnungen beherbergten 1.325 Parteien mit 2.574 Aftermietern.
Unter 2.186 einräumigen Wohnungen waren 140 mit 245 Aftermietern,
unter 4.182 zweiräumigen Wohnungen waren 408 mit 767 unter
dreiräumigen Wohnungen 366 mit 675 Aftermietern. Zusam.men
also unter den 8.299 einbis dreiräumigen Wohnungen 914 mit
1.687 Aftermietern. Wie es in einzelnen dieser Wohnungen ausschaut
und welche Gefahren in gesundheitlicher und sittlicher Beziehung
aus diesem Wohnungselend für das Volk erfließen, darüber
hat mein Parteifreund Vizebürgermeister Pölzel aus Aussig
in objektiver Weise Erhebungen durchgeführt, die die Schande
unseres sogenannten Kulturstaates unbarmherzig aufdecken. In mehreren
Artikeln, die unter der zutreffenden Bezeichnung "Die im
Dunkeln leben" in unserem Zentralorgan erschienen sind, wird
geschildert, wie die Menschen wohnen. In Kellerwohnungen, in Pferde-,
Schweine- und Hühnerställen, die feucht und dumpf sind
und von keinem Sonnenstrahl belichtet werden, kampieren hunderte
Familien und gehen dem sicheren Ruin entgegen. Ja sogar Höhlenbewohner
gibt es bei uns im 20. Jahrhundert auf der "Insel der Glückseligen".
Um Ihnen nur einen kleinen Ausschnitt des Wohnungselends
zu zeigen, will ich die nackte Schilderung wiedergeben, die der
Verfasser über diese Höhlenbewohner bringt. Er schreibt:
"Eine schwache Wegstunde von Auscha gegen Norden an der Bahnstrecke
Großpriesen-Auscha liegt in waldreicher bergiger Gegend
der deutsche Ort Lewin. In der Zeit vom Mai bis August ist der
Ort von vielen Sommergästen besucht und seit Jahren kommen
alljährlich während der Schulferien aus Aussig und den
Gemeinden in der Umgebung Schulkinder zur Erholung. Diese Gemeinde,
die Sommer für Sommer Dutzenden von Parteien Unterkunft bietet,
hat keinen Platz für die eigenen Gemeindebürger und
wird zur traurigen Berühmtheit gelangen, weil ihre Vertreter
ruhig zusehen, wie neun Menschen, vier Erwachsene und fünf
zarte Kinder, die in einer Sandsteinhöhle wie die Tiere kampieren
müssen, inmitten der heutigen gottgewollten Ordnung langsam
aber sicher dem Siechtum und frühen Tode entgegen gehen.
Auf diesem elenden kleinen Fleck Erde haust eine Familie, hausen
neun Menschen, darunter fünf kleine Kinder von zwei bis fünf
Jahren. Einige schadhafte Einrichtungsgegenstände, echte
Proletariermöbel, stehen in wirrem Durcheinander umher. Zwei
Betten, ein Tisch, einige Stühle und ein Koffer vervollständigen
diese Wohnung. Der alte Strohsack, der neben dem Eingang vor den
Betten aufgestellt ist, soll vor der herrschenden Zugluft durch
die Türe schützen. Rund umher im Raume naßkaltes
Dunkel. Ein armseliger Ofen, den sich die Bewohner selbst aus
Ziegeln und Lehm bauten, verpestet durch den Rauch die Luft derart,
daß, wenn Feuer angemacht wird, die Tür geöffnet
werden muß, damit die Bewohner im Raume nicht ersticken.
Die Familie lebt in solch kümmerlichen Verhältnissen,
daß die Anschaffung eines Ofenrohres, das durch das Loch
hinausgeleitet werden könnte, eine Unmöglichkeit ist.
So dringt der Rauch aus dem Ofen unmittelbar in den Raum und schlängelt
sich tief in die anderen Höhlen. Der Ofen kann nur dann angeheizt
werden, wenn dies zum Abkochen dringend nötig ist. Die Folge
davon ist, daß insbesondere in der jetzigen Jahreszeit in
der Höhle eine nasse schauerliche Kälte herrscht."
Es war notwendig, das Aussiger Wohnungselend und das der nächsten
Umgebung deshalb hervorzuheben, weil vor Kurzem in dieser Stadt
die deutschen Hausbesitzer, die sich wahrscheinlich auch gute
nationale Volksgenossen schimpfen, unter frenetischem Beifall
und mit Zustimmung einzelner bürgerlicher Parteien auf einer
Tagung die schleunige Abschaffung des Mieterschutzes beschlossen
haben. Hätten die Teilnehmer der Hausbesitzertagung nur eine
kleine Exkursion in die Aussiger Elendwohnungen unternommen, würden
sie einen Begriff davon erhalten haben, unter welchen Zuständen
große Schichten ihrer Volksgenossen das Leben verbringen
müssen. Sie hätten dann, falls sie noch ein bißchen
menschliches Mitgefühl gehabt hätten, das Verbrecherische
ihrer Handlungsweise gegen die Mieter unterlassen. Wir wissen
schon, daß sich die Hausbesitzer auf ihrer Aussiger Tagung
nur deshalb einer solchen gehässigen Sprache gegen die Mieter
bedienen konnten, weil sie damit rechnen können, daß
sie ausreichend ihre Wünsche von der jetzigen Bürgerregierung
erfüllt bekommen. Man braucht nur die Vorlage über den
Mieterschutz genau durchzugehen und erkennt sofort, daß
sich die Regierung zum größten Teile die Forderungen
der Hausbesitzer zueigen gemacht hat. Dafür steht eben an
der Spitze des Fürsorgeministeriums ein frommer Priester,
der zwar den Spruch: "Kommt alle zu mir, die ihr mühselig
und beladen seid" in ganz irrtümlicher Weise auf die
Zinsgeier anwendet, die Mieter aber mit dem biblischen Fluche
abspeist: "Ihre Behausungen müssen wüst sein, damit
ihnen das Wohnen verleidet wird" (Souhlas na levici.)