BEGRÜNDUNG.

Der Kollektivvertrag hat in den letzten Jahren eine überaus grosse Bedeutung gewonnen. Er ist in jeden Wirtschaftszweig und in jedes örtliche Gebiet eingedrungen. Seine Bestimmungen sind heute für den allergrössten Teil aller Angestellten und Arbeiter in den verschiedensten Privatunternehmungen massgebend. Wenn trotz dieser riesenhaft gewachsenen Bedeutung der Kollektivvertrag hierzulande noch immer der gesetzlichen Regelung entbehren muss, so ist in diesem Mangel eine Lücke der Gesetzgebung zu sehen, deren rasche und gründliche Beseitigung als ein zwingendes Gebot wirtschaftlicher, sozialer und rechtlicher Notwendigkeit anerkannt werden muss.

Es ist dem gegenwärtigen Rechtszustande, also dem Mangel einer festen Rechtsgrundtage zuzuschreiben, wenn sich die juristischen Auffassungen über die Durchführung und Erfüllung des Kollektivvertrages vielfach in entgegengesetzten Bahnen, bewegen. Dieser Umstand wird nur allzuhäufig dazu benützt, die Bestimmungen eines Kollektivvertrages zu durchbrechen, sie teilweise durch Einzelabreden abzudingen oder um sich den Wirkungen des Kollektivvertrages überhaupt zur Gänze zu entziehen. Die mannigfaltigsten Verletzungen geschlossenen Kollektivverträge sind an der Tagesordnung - nicht jedoch aus zwingenden sachlichen Gründen, sondern lediglich deshalb, weil einerseits die unmittelbare Rechtswirkung des Kollektivvertrages auf den einzelnen Arbeitsvertrag nicht durch Gesetz festgelegt worden ist und anderseits die Unabdingbarkeit des Kollektivvertrages durch tarifwidrige Sondervereinbarungen nirgends mit zwingender Kraft ausgesprochen erscheint. Auch die Vorschriften des § 114 b der Gewerbeordnung und des § 6, Absatz 2 des Handlungsgehilfengesetzes - im übrigen die einzigen Bestimmungen, die dem Kollektivverträge Eingang in die Gesetzgebung verschafft haben - tragen nichts Wesentliches zur Behebung der Rechtsunsicherheit bei. Es besteht nach den nunmehr überreichlich gemachten Erfahrungen kein Zweifel darüber, dass die Beachtung eines Kollektivvertrages oder dessen Zustandekommen allein der guten. Einsicht und dem guten Willen des Einzelnen in keinem Falle überlassen bleiben dürfen. Die gesetzliche Regelung aller damit zusammenhängenden Fragen in straffer Form muss mit aller Beschleunigung durchgeführt werden mit dem Ziel, den Abschluss vom Kollektivverträgen zu erleichtern und den abgeschlossenen Kollektivverträgen einen durchaus ausreichenden Rechtsboden für ihre volle Erfüllung zu geben.

Allein der Kollektivvertrag ist bei den obherrschenden Verhältnissen in der Lage, dem Arbeitsverträge des einzelnen Angestellten und Arbeiters einen wirklichen sozialen Gehalt zu geben. Darüber kann nichts hinwegtäuschen, dass die bisherige Freiheit beim Abschlusse eines Einzelvertrages nur blasser Schein ist weil der Arbeitgeber noch immer dem einzelnen Arbeitnehmer gegenüber seine ganze wirtschaftliche Überlegenheit geltend machen kann. Ist das individuelle Vertragsrecht lediglich dazu angetan, den Vorteil des wirtschaftlich starken Unternehmers einseitig zu wahren, so ist anderseits der kollektive Arbeitsvertrag unbestritten das Mittel, das zur wirklichen Gleichberechtigung der vertragschliessenden Parteien führt. Weil nun der Kollektivvertrag der Arbeitnehmerschaft den ihr gebührenden Einfluss auf die Gestaltung der eigenen Arbeits- und Entlohnungsbedingungen gewährleistet, trägt er zu einem wesentlichen Teile bei, wirtschaftliche Interessengegensätze auszugleichen, und deshalb muss der Kollektivvertrag auch als eine wertvolle Stütze des sozialen Friedens bezeichnet werden. Mehr denn durch irgend eine andere Massnahme wird durch den Kollektivvertrag - der ja in der Regel der sichtbare gemeinsame Willensausdruck beider Vertragsparteien ist - die Sicherung des Arbeits- und Wirtschaftsfriedens gefördert. Auch hieraus erhellt die ungeheure Bedeutung, die der Schaffung des angestrebten Kollektivvertrags-Rechtes beizumessen ist. Der Kollektivvertrag vereinfacht und vereinheitlicht die Arbeitsbedingungen; er verringert die Zahl der Arbeitsstreitigkeiten und ermöglicht eine einheitliche Anwendung der verschiedenen Arbeits-Gesetze. Der Kollektivvertrag bannt vielfache Gefahren, die im wirtschaftlichen Leben aus dem Interessengegensatz zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern erwachsen, und er stützt also die Stetigkeit im Wirtschaftsprozesse. Schliesslich ermöglicht er der Arbeitnehmerschaft, den Angestellten und den Arbeitern, die wirkliche Mitbestimmung in den eigenen Lebensfragen. Alle diese Vorzüge und Wirkungen des Kollektivvertrages rechtfertigen die im vorliegenden Entwürfe verarbeitete Forderung nach einer umfassenden straffen, gesetzlichen Regelung und Förderung des Kollektiv-Arbeitsvertrages.

Die Forderung ist durchaus nicht neu. Ihre tragenden Gedanken führten schon vor Jahrzehnten zu ähnlichen Anträgen. Hingewiesen sei hier vor allem auf die bezügliche Enquete, die die alte Wiener Legierung im Jahre 1917 abhielt, weiter auf den Gesetzentwurf vier gleichen Regierung vom Sommer 1918, welch letzterer schon sehr deutlich die Absicht erkennen liess, den Kollektivvertrag zur zwingenden Norm des Arbeitsvertrages zu erheben. Bezeichnend ist es gewiss auch, dass der Deutsche Juristentag (der jeweils bekanntlich unter hervorragender Mitbeteiligung der österreichischen Juristen stattfand) im Jahre 1908 nach einem eingehenden Berichte dem Verlangen nach der Schaffung des Rechtsbodens für die kollektiven Arbeitsverträge wie folgt Ausdruck verlieh: Die Tarif-(Kollektiv-)Verträge bedürfen einer gesetzlichen Regelung, weil hiedurch nahezu alle Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit geordnet werden können und der Tarifvertrag den weitaus grössten Teil der Gewerbegesetzgebung berührt.

Die Notwendigkeit und der gute Zweck der Schaffung von rechtlichen Unterlagen für das Kollektivvertragswesen werden nicht allein von den Arbeitnehmern und von den in Arbeitnehmer-Angelegenheiten tätigen Behörden, sondern auch von den weitesten Kreisen der sozial gesinnten Arbeitgeber anerkannt. Diese Tatsache ist bereits zur Genüge bekannt. Hier sei deshalb nur in Erinnerung gerufen, dass sich u. a. der Sekretär der Reichenberger Handels- und Gewerbekammer in einer am 22. April 1921 stattgehabten Sitzung des Gewerbeausschusses dieser Kammer in seinem Berichte zur gesetzlichen Regelung der Kollektivverträge äusserte: Eine gesetztliche Regelung des Kollektivvertrages kann grundsätzlich als wünschenswert erachtet werden. Die Vertreter der reichsdeutschen Holzindustrie haben z. Bsp. schon vor Jahren erklärt, dass der Tarif (Kollektivvertrag) das Fundament jedes gesunden Wirtschaftslebens sei. Zwei Urteile die besser denn lange Worte erhärten, dass die besonnene, wirklichkeitsnüchterne Unternehmerschaft gegen die Ausgestaltung des Kollektivvertragsrechtes keine Einwendung erhebt, dass weiterhin die von dem weniger besonnenen Teile der Unternehmerschaft geltend gemachten Einwendungen keinen Anspruch auf sachliche Stichhältigkeit erheben können.

Ein ausserordentlich bedeutsames Recht soll den beantragten Einigungsämtern durch die Vorschrift eingeräumt werden, dass sie bestehende Kollektivverträge ganz oder teilweise zur allgemein verbindlichen Satzung erklären können. Hier war die Absicht bestimmend, in jene Gebiete der Arbeitsverhältnisse einzudringen, die bisher der kollektiven Regelung bewusst entzogen wurden oder die von den Kollektivverträgen aus durchaus bekannten Ursachen nicht zu erfassen waren. Die Satzung ist also eine Ergänzung zum Kollektivertrage, die den Inhalt des letzteren zur zwingenden Norm für alle einschlägigen Arbeitsverhältnisse erhebt. Durch die Satzung kann ein bestehender Kollektivvertrag sowohl in seinem räumlichen Wirkungskreise als auch in seiner persönlichen und sachlichen Geltungskraft zum allgemein giftigen Vertrage gestaltet werden.

Soweit dabei eine Art Zwang geübt wird richtet sich der Druck im wesentlichen gleichmässig gegen jene Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die den Abschluss eines kollektiven Arbeitsvertrages hemmen, seinen Inhalt störend beeinflussen oder sein Zustandekommen überhaupt zunichte machen. Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die keiner Berufsvereinigung angehören und die die Unterstellung unter die Satzung nicht wünschen, sind verhalten: sich alsdann auf den Boden eines Kollektivvertrages zu stellen. Vorbedingung für die Erklärung eines Kollektivvertrages zur Satzung ist, dass der letztere in sachlicher oder räumlicher Beziehung eine überwiegende Bedeutung erlangt. Auch darf sich die Satzung nur auf solche Arbeitsverhältnisse erstrecken, die mit den durch den Kollektivvertrag geregelten Arbeitsverhältnissen eine Gleichartigkeit aufweisen. Von einem behördlichen Zwang i im üblen Sinne des Wortes kann also keineswegs gesprochen werden. Überdies kommt in Betracht, dass die Satzung immer nur nach vorgängiger Fühlungnahme mit den beteiligten Parteien beschlossen wird, welche also durchaus in der Lage sein werden, das Für und das öder vor, der Verbindlichkeitserklärung in das rechte Licht zu rücken. Ausserdem ist zu berücksichtigen, dass gegen den Beschluss auf Feststellung der Satzungen Einspruch erhoben werden kann. Wenn nun noch bestimmt wird, dass das Einigungsamt eine Satzung nur unter verstärkter Teilnahme der Beisitzer der Arbeitgeber und Arbeitnehmer beschliessen kann, dass weiter das Einigungsamt Sachverständige und Gutachter zu hören hat, so sind damit genügend Sicherungen und Vorsichtsmassregeln gegen einen etwa befürchteten Missbrauch oder gegen Übergriffe getroffen. Der behördliche Zwang zur Anerkennung eines Kollektivvertrages als Satzung liegt nicht letzten Indes auch auf der Interessenlinie der Arbeitgeber. Dem sozial gesinnten, bezw. dem einer Vertragsgemeinschaft angehörenden Arbeitgeber muss es nur erwünscht sein, wenn die vertragslosen Aussenseiter die meist aus Gründen der Schmutzkonkurenz der Vertragsgemeinschaft fernbleiben durch Zwang auf den gleichen Weg der Erfüllung bestimmter Mindestleistungen gebracht werden.

Wie schon angedeutet, richtet sich der Zwang auch gegen die Arbeitnehmer, weil auch diese durch die Satzung zur Erfüllung ganz genau bestimmter Mindestleistungen angehalten werden. Je weiter die kollektive Regelung der Arbeitsverhältnisse vordringt, je mehr ist die genaue Einhaltung der abgeschlossenen Kollektivverträge und dadurch die Vertiefung der heute leider noch vielfach mangelhaften Vertragstreue verbürgt. Ist nun der Kollektivvertrag ein Mittel zur Erhaltung des sozialen und wirtschaftlichen Friedens, so kommt die gleiche Eigenschaft in verstärktem Masse auch der Satzung zu. Die wohlerwogene Rücksicht auf die Interessen der gesamten Wirtschaft und damit auf die Allgemeinheit gebieten schon von sich aus die gesetzliche Einführung der Satzung.

Die gesetzliche Pflege des Kollektivvertrages macht die Schaffung eigener Einrichtungen, die Errichtung von Einigungsämtern unerlässlich. Die Einigungsämter sollen berufen sein, bei den Verhandlungen über den Abschluss oder bei der Abänderung eines Kollektivvertrages mitzuwirken; im weiteren ist ihnen die Schlichtung von Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis als Zweck zu setzen. Nebstdem sollen sie als Registrier-und Sammelstellen für die Kollektivverträge dienen, sowie als Beratungsorgan und Begutachter wirken.

Der Entwurf lässt erkennen, dass das Einigungsamt vor allem anderen als Schlichtungsstelle tätig sein soll, d. h. zunächst zu trachten hat, den entstandenen Arbeitsstreit friedlich-schiedlich durch die Herbeiführung des gegenseitigen Einvernehmens der Parteien aus der Welt zu schaffen. Sind alle Mittel gütlicher Einigung erschöpft, dann erst tritt die volle öffentlich-rechtliche Autorität des Einigungsamtes in Erscheinung, dann erst ist der Zwang dort anzuwenden, wo der gute Wille fehlt, dein Geboten des Rechtes und der Billigkeit zu genügen.

Der Entwurf hält sich an die Erfahrungstatsache, dass sich die moralische Autorität nicht überall durchsetzt, und erhebt deshalb ausdrücklich zum Grundsatze, dass die Autorität durch gewisse, gegen die Parteien gerichtete Zwangsmassnahme gestützt werden muss. Im übrigen hat der Entwurf die Grenzen, innerhalb deren sich die Tätigkeit des Einigungsamtes abzuwickeln hat, bewusst sehr weit abgesteckt. Es soll dadurch ein breiter Unterbau geschaffen werden auf dem der Gedanke der gütlichen Einigung in Arbeitsstreitigkeiten mit besonderem Erfolge gepflegt werden kann. Die Organisation des Einigungsamtes ist darauf abgestellt, dass das Einigungsamt nicht als die Domäne der einen oder der anderen Interessengruppe angeprochen werden darf, sondern dass es vom Vertrauen aller Beteiligten getragen wird. Inwieweit Vorschriften zu treffen sind, die die Zuständigkeit des Einigungsamtes als Gerichtsstelle abgrenzen, wird der Regelung im Verordnungswege überlassen, damit allen Bedürfnissen nach Möglichkeit Rechnung getragen werden kann.

Es verdient, hier erwähnt zu werden, dass auch der Gedanke der Errichtung von Einigungskammern eine vieljährige Geschichte hat. Seine endliche Verwirklichung auch innerhalb dieses Staates würde dem wirtschaftlichen und sozialen Leben zum Vorteil gereichen.

Der Entwurf sieht vor, dass das Einigungsamt vorerst die gütliche Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten anzustreben hat; sofern eine friedliche Lösung nicht möglich ist, soll das Einigungsamt einen Schiedsspruch fällen, dem je nach der Sachlage auch die gesetzliche Wirksamkeit zugebilligt werden kann. Soll nun das Einigungsamt das ihm gesetzte Ziel erreichen, so ist u. a. auch die Anerkennung des Grundsatzes, dass der Schiedsspruch auch rechtsverbindlich und gerichtlich vollstreckbar sein kann, ein Haupterfordernis. Schiedssprüche, die der Rechtsgrundlage entbehren, werden erfahrungsgemäss nur zu häufig nur teilweise oder überhaupt nicht durchgeführt.

Es ist zuzugeben, dass die Verbindlichkeitserklärung einen Eingriff in die EntschlussFreiheit darstellt, dass ferner ein aufgezwungener Schiedsspruch nicht eben immer günstige Wirkungen hervorrufen muss. Auf Eingriff und Zwang kann aber nicht verzichtet werden, solange die Regelung der Arbeitsbedingungen und die Austragung von Arbeitsstreitigkeiten seitens weitester Unternehmerkreise als Fragen der brutalen, Macht behandelt werden, solange aber auch das wirtschaftliche Einzelinteresse noch immer den wirtschaftlichen Gesamtinteresse bewusst übergeordnet wird. Im übrigen kann hier auf die vorhergehenden Bemerkungen über die Satzung hingewiesen werden; die dort gegebenen Erläuterungen treffen zum Grossteile auch auf den Schiedsspruch zu. Bemerkt sei lediglich, dass die Zusammensetzung des Einigungsamtes, die Person des Vorsitzenden und endlich das Berufungsrecht gewährleisten werden, dass die Schiedssprüche der Ausfluss höchsten Verantwortlichkeitsgefühles sind und dass sie erst nach gerechter Erwägung aller in Betracht kommenden Umstände gefällt werden.

Im Nachstehenden werden der Begründung noch einige Erläuterungen zu wesentlichen Bestimmungen des Entwurfes angefügt.

Die angewandte Bestimmung des Begriffes Kollektivvertrag lässt deutlich erkennen, dass Kollektivverträge rechtswirksam auf der einen Seite durch einzelne oder mehrere Arbeitgeber oder deren Berufsvereinigungen, auf der anderen Seite lediglich durch Berufsvereinigungen der Angestellten oder Arbeiter abgeschlossen werden können. Als rechtswirksame Kollektivverträge im Sinne dieses Gesetzes gelten weiterhin, noch die auf Grund des § 114 b der Gewerbeordnung zwischen Genossenschaftsversammlung und Gehilfenversammlung getroffenen Vereinbarungen, sowie die gemäss der einschlägigen Gesetzesstellen von den Betriebsauschüssen vereinbarten Ergänzungen zu bestehenden Kollektivverträgen. Rechtswirksame Kollektivverträge können also weder von den Betriebsausschüssen noch von der gesamten Belegschaft eines Unternehmens (Firmen-oder Hausvertrag) abgeschlossen werden, eine Massnahme, die unerlässlich ist, sofern die Ausgestaltung des gesetzmässigen Kollektivvertrages zur allgemein gültigen Norm nicht aus sehr durchsichtigen Zwecken gehindert werden soll.

Eine genaue Umschreibung des sachlichen, räumlichen, persönlichen und zeitlichen Geltungsbereiches des Kollektivvertrages ist äusserst wünschenswert. Dadurch würde vor allem erreicht, dass zahlreiche Streitigkeiten, die aus der seither vielfach üblichen unklaren und unzulänglichen Fassung der Vertragsbedingungen immer erneut erwachsen, fortan vermieden werden.

Gegenstand weitgehender Erörterungen ist seit Jahren die Frage, unter welchen Voraussetzungen eine Berufsvereinigung der Angestellten oder Arbeiter als tariffähig zu betrachten ist. Der Antrag schlägt vor, zum Abschluss von rechtswirksamen Kollektivverträgen nur jene Arbeitnehmer-organisatiönen zu ermächtigen, die 1. zum Abschluss von Kollektivverträgen durch die Satzungen berechtigt sind; 2. die in dem unmittelbar vom Vertrage berührten Betriebe oder Wirtschaftszweige Mitglieder aufweisen können; 3. die die Interessen ihrer Mitglieder selbständig und unabhängig von Arbeitgebereinflüssen, wahrnehmen; 4. die ihren Mitgliederkreis nicht bloss auf ein Unternehmen beschränken und die 5. in ihrer Satzung genau anführen, wie die Vertretung der Berufsvereinigung nach aussenhin erfolgt. Dieser Vorschlag zielt vor allem darauf ab, solche Berufsvereinigungen der Arbeitnehmer, die nicht als unabhängige Interessenvertretungen der Angestellten oder Arbeiter angesehen werden können, von dem Gebiete der Kollektivverträge fernzuhalten. Er richtet sich sowohl gegen die sogen. gelben Organisationen als auch gegen die Werksvereine.

Als Parteien der Vertragsgemeinschaft (d. i. als Parteien des Kollektivvertrages) gelten einzelne Arbeitgeber oder Berufsvereinigungen der Arbeitgeber einerseits, die wirtschaftlichen Organisationen der Arbeitnehmer andererseits. Als Vertragsparteien können lediglich solche Berufsvereinigungen der Angestellten und Arbeiter in eine Vertragsgemeinschaft eintreten, die den vorstehend genannten Voraussetzungen über die Vertragsfähigkeit vollauf genügen. Es darf ohne weiteres angenommen werden, dass den auf Grund des § 114b der Gewerbeordnung zwischen Genossenschaftsversammlung und Gehilfenversammlung zustande gekommenen Kollektivverträgen die Berufsvereinigungen. der Arbeitnehmer beitreten können. Eine immer wieder auftauchende Streitfrage zwischen den Arbeitnehmer-Organisationen soll durch die Vorschrift endgiltig beseitigt werden, dass zur Teilnahme an den; Verhandlungen über den Abschluss eines Kollektivvertrages und zur Teilnahme an der Vertragsgemeinschaft alle Berufsvereinigungen der Angestellten oder Arbeiter berechtigt sind, soweit sie den obengenannten Bedingungen entsprechen. Wünschenswert erscheint auch die Lösung der Frage, welche Rückwirkung der Austritt aus der Berufsvereinigung auf die Zugehörigkeit zur Vertragsgemeinschaft hat; ebenso ist eine Vorschrift für den Fall erstrebenswert, dass ein Unternehmen in andere Hände übergeht.

 

 

Es entspricht einem nackten Gebot praktischer Notwendigkeit, wenn verlangt wird, dass rechtswirksame Kollektivverträge nur schriftlich ausgefertigt werden können. Das Verlangen, dass die einer Vertragsgemeinschaft angehörende Arbeitgeber-Organisation dem Kollektivvertrage ein, genaues Verzeichnis ihrer Mitglieder beizufügen hat, bedarf keiner besonderen Erläuterung. Hingewiesen sei nur auf den Umstand, dass durch die Aufnahme dieser Bestimmung einen Übelstande abgeholfen würde, der sich bisher als sehr störend erwiesen hat. Dabei mag auch bemerkt werden, dass einzelne Arbeitgeberverbände die Bekanntgabe ihrer Mitglieder noch immer ablehnen und dadurch die wirksame Kontrolle der Einhaltung bestehender Verträge durch die Gewerkschaften wenigstens teilweise zunichte machen.

Das Einigungsamt soll ein Register und eine Sammlung der in seinem räumlichen Geltungskreise zustande gekommenen Kollektivverträge führen. Die Berufsvereinigungen der Angestellten oder der Arbeiter sind verpflichtet, eine; von den Vertretern der beteiligten Parteien gezeichnete Ausfertigung des Kollektivvertrages beim zuständigen Einigungsamte zu hinterlegen. Dieser Ausfertigung ist eine beglaubigte Abschrift der Satzungen der zur Vertragsgemeinschaft gehörenden Arbeitnehmer-Organisationen beizufügen. Das Einigungsamt überprüft den Vertrag, registriert ihn und macht dann seine Eintragung öffentlich kund. Durch die öffentliche Verlautbarung wird den weiteren Kreisen Kenntnis über den giltigen Abschluss des Kollektivvertrages gegeben.

Über die letztere Absicht hinaus, gelten von dem Page der Eintragung des Kollektivvertrages in das Register innerhalb des Wirkungsbereiches des Kollektivvertrages dessen Bestimmungen als Bestandteile jedes Arbeitsvertrages. Alle Einzelverträge also, die innerhalb des Geltungsgebietes des Kollektivvertrages abgeschlossen werden, sind an die Bestimmungen des letzteren unabdingbar gebunden. Einzelverträge dürfen dann vom Kollektivvertrage nur insoweit abweichen, als ihr Inhalt für den Arbeitnehmer günstiger lautet oder Gegenstände betrifft, die durch den Kollektivvertrag selbst keine Regelung erfahren. Diese Vorschrift ist von grundlegender Bedeutung. Erst durch sie wird es weiterhin zur Unmöglichkeit, dass die oft nach zeitraubenden Verhandlungen und auf reibenden Auseinandersetzungen erreichten Bedingungen des Kollektivvertrages durch Einzelabreden zu Ungunsten des Angestellten oder des Arbeiters über den Haufen geworfen werden. Ein Gesetz ohne eine solche Bestimmung müsste von Haus aus seinen Zweck verfehlen.

Durch die Sammlung der Kollektivverträge speichert das Einigungsamt Unterlagen auf, die ihm auf allen Gebieten seiner Tätigkeit in steigendem Masse zustatten kommen werden. Der Vorteil der Sammlung wird u. a. sichtlich in Erscheinung treten, wenn das Einigungsamt seiner Aufgabe als Schlichtungsstelle und Gutachter obliegt.

Der Umstand, dass die kollektiven Arbeitsverträge in der Gesetzgebung hierzulande bisher eine ausreichende Regelung nicht erfahren haben, hat zur Folge, dass auch heute noch immer die Auffassungen über die rechtliche Natur dieser Verträge weit voneinander abweichen. Im besonderen offenbart die Spruchpraxis der Gerichte, wie unsicher seither die Rechtsgrundlagen für die Durchsetzung der Kollektivverträge sind. Beantragt wird daher, ausdrücklich auszusprechen, dass Ansprüche aus Kollektivverträgen (und selbstverständlich auch aus Satzungen)gerichtlich eingeklagt werden können. Das Recht auf gerichtlichem Wege die Erfüllung eines vereinbarten Kollektivvertrages zu erreichen, ist auch allen an der Vertragsgemeinschaft beteiligten Berufsvereinigungen der Angestellten oder Arbeiter einzuräumen. Dieser letztere Antrag entspringt der Absicht, den Arbeitnehmer-Organisationen eine Handhabe zu bieten, den abgeschlossenen Vertrag unmittelbar zur vollen Geltung zu bringen.

Der Kollektivvertrag tritt nach Ablauf der Zeit, für die er abgeschlossen wurde, ausser Kraft. Es ist jedoch keineswegs die Regel, dass die Laufdauer der Verträge durchwegs schon beim Abschlusse zeitlich genau begrenzt wird. Sofern der auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Vertrag über die Kündigung keine anderweitigen Abmachungen enthält soll er von den Parteien zu jedem Zeitpunkte unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist gelöst werden können. Von der erfolgten Kündigung ist das zuständige Einigungsamt aus sehr erklärlichen Gründen sofort zu verständigen.

Um die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes abgeschlossenen Kollektivverträge unter dessen Schutz zu stellen, müssen die Verträge innerhalb zwei Monaten nach der Verlautbarung des Gesetzes zur Eintragung in das Register der Kollektivverträge und zur öffentlichen Kundmachung dem zuständigen Einigungsamte vorgelegt werden.

Eine Satzung kommt dadurch zustande, dass das Einigungsamt einen bereits bestehenden Kollektivvertrag, der für die Gestaltung der Arbeits- und Entlohnungsverhältnisse in sachlicher oder räumlicher Beziehung eine besondere Bedeutung erlangt hat, zur Gänze oder teilweise über dessen ursprünglichen Geltungsbereich hinaus für verbindlich erklärt. Der Beschluss muss im einzelnen genau festlegen: Inhalt, Geltungsumfang, Beginn der Wirksamkeit und Geltungsdauer. Der ganze Beschluss heisst Satzung. Die Satzung bildet einen Bestandteil jedes Beschäftigungsverhältnisses, das in ihrem Geltungsbereiche abgeschlossen wurde oder abgeschlossen wird; mit anderen Worten: die Satzung erklärt den Kollektivvertrag auch für solche Arbeitsverhältnisse massgebend, die mit den im Kollektivvertrage geregelten im wesentlichen gleichartig sind, die aber von dem letzteren nicht erfasst werden können. Die Satzung ist rechtsverbindlich, wenngleich ihre Bestimmungen zwischen dem einzelnen Arbeitgeber und dem einzelnen; Arbeitnehmer nicht vereinbart wurden. Sondervereinbarungen sind nur insoweit wirksam, als sie für den Angestellten oder für den Arbeiter günstiger lauten, oder soweit sie Gegenstände betreffen, die durch die Satzung nicht geregelt wurden.

Als Satzung können lediglich Kollektivverträge erklärt werden, u. zw. nur auf Antrag der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer oder einer Behörde. Die Satzung ist ein immerhin tiefgehender behördlicher Eingriff in das freie Vertragsrecht. Es ist also nur selbstverständlich, wenn der Entwurf bestimmt, dass der Kollektivvertrag als die freie Willenseinigung der Parteien gegenüber der Satzung den Vorrang geniesst. Dadurch wird der Gefahr vorgebeugt, dass die Satzung die ja doch nur die den Kollektivverträgen selbst nicht erreichbaren Arbeitsverträge zwecks einheitlicher Regelung erfassen soll - zur starren Zwangsmassmahme versteinert, die weder dem Arbeitgeber noch dem Arbeitnehmer irgendwie erstrebenswert sein kann. Der Satzung kann also dadurch ausgewichen werden, dass die Beteiligten einen Kollektivvertrag abschliessen. Im übrigen sieht der Entwurf vor, dass der Beschluss des Einigungsamtes auf Feststellung einer Satzung angefochten werden kann;

Über die Zweckbestimmung des Registers und der Sammlung der Kollektivverträge und der Satzungen besonders zu sprechen, erübrigt sich.

Zahl, Standart und räumlicher Wirkungskreis der Einigungsämter lassen sich begreiflicherweise nicht ein für allemal durch Gesetz bestimmen sondern sie müssen sich den verschiedenen Bedürfnissen anpassen. Vor der Regelung im Verordnungswege sollen alle beteiligten Interessenten-Gruppen gehört werden. Das Einigungsamt ist in Kammern zu gliedern. Jedes Einigungsamt muss zumindest eine allgemeine Einigungskammer für Angestellten-Angelegenheiten und eine allgemeine Einigungskammer für Arbeiter-Angelegenheiten aufweisen. Neben diesen beiden allgemeinen Kammern, können nach den sich geltend machenden Bedürfnissen für bestimmte Gewerbezweige und Berufsarten Fachkammern gebildet werden. Zulässig soll weiter die Errichtung von Sonderkammern ausserhalb des Sitzes des Einigungsamtes sein, sofern hiefür Zweckmässigkeitsgründe sprechen. (Beispiel: Für den politischen Bezirk Reichenberg wird ein Einigungsamt errichtet. Dieses Einigungsamt wird nach dem Antrage je eine allgemeine Kammer für Angestellte und für Arbeiter haben. Weiter wird sich die Bildung eigener Fachkammern empfehlen für die Angestellten der Textilindustrie, für die Arbeiter der Textilindustrie, für die Angestellten der Metallindustrie, für die Arbeiter der Metallindustrie usw. Es wird, weiter ratsam sein, in Kratzau - also ausserhalb des Sitzes des Einigungsamtes - je eine Sonderkammer für die Angestellten und für die Arbeiter der in Kratzau und Umgebung stark vertretenen Textilindustrie einzurichten).

Das Einigungsamt, bezw. die Kammern sind streng paritätisch durch Beisitzer aus der Arbeitgeberschaft und Beisitzer aus den Reihen der Angestellten und der Arbeiter zu besetzen, eine Forderung, die keiner weitläufigen Begründung bedarf. Der Vorsitzende ist vom Ministerium für soziale Fürsorge zu berufen, u. zw. im Einvernehmen mit dem Justizminister aus den Reihen der richterlichen Beamten, welch letztere noch immer die meiste Gewähr für eine unbefangene, unparteiliche Geschäftsführung bieten. Dem Vorsitzenden kommt die entscheidende Stimme zu. Die Arbeitgeberbeisitzer und die Arbeitnehmerbeisitzer sollen gewählt werden. Eine einfache Berufung durch Ernennung kann aus bekannten Erwägungen nicht empfohlen werden.

Als selbstverständlich muss angesehen werden dass die Beisitzer der Arbeitnehmer gegen Massregelungen aus dem Grunde ihrer Tätigkeit beim Einigungsamt zu schützen sind. Der Antrag sieht deshalb vor, dass die Arbeitgeber und deren Vertreter die Arbeitnehmer in der Übernahme oder Ausübung des Amtes nicht benachteiligen dürfen. Wenn auch ein vollkommener Schutz für die Arbeitnehmer-Beisitzer kaum zu erreichen sein wird, so wird durch die vorgeschlagene Bestimmung immerhin der unberechtigten Massregelung in weitgehendem Masse vorgebeugt werden können.

Das einigungsamtliche Verfahren ist auf Antrag einer Partei oder einer Behörde einzuleiten. Wenn der Entwurf fordert, dass der Vorsitzende des Einigungsamtes bei Arbetseinstellungen und Aussperrungen von Amts wegen tätig werden kann, so liegt diesem Verlangen die Meinung zugrunde, dass durch das selbständige Eingreifen des Vorsitzenden in zahlreichen Fällen die Anwendung der schärfsten Mittel im Wirtschaftskampf zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vermieden werden dürfte. Es ist eine allgemein bekannte Tatsache, dass Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnisse eine zögernde Behandlung nicht vertragen, sofern sie im friedlich-schiedlichen Sinne aus der Welt geschafft werden sollen. Hieraus leitet sich die Forderung ab, dass das Verfahren nach Möglichkeit zu beschleunigen ist, im besonderen dann, wenn von den Streitparteien die Aussperrung, bezw. der Streik in Aassicht genommen wird. Die Verhandlungen sind unter allen Umständen mündlich zu führen. Ob sie öffentlich vor sich gehen sollen, bleibt der Entscheidung im Einzelfalle überlassen. Festgehalten muss unbedingt daran werden, dass sich die, streitenden Parteien durch die ständigen (berufsamtlichen) Vertreter ihrer Berufsvereinigungen vertreten lassen können, u. zw. ohne Rücksicht darauf, ob die Strittpartei eine Person ist oder ob sie von mehreren Personen gebildet wird.

Der Entwurf lässt die Frage ungelöst, inwieweit die in den Kollektivverträgen bisher vorgesehenen freien Schlichtungsstellen (auch Schlichtungsausschüsse, Tarifkommission u. dgl. m, genannt) mit den Einigungsämtern zu verbinden sind. Die Frage wird deshalb offen gelassen, weil die bisherigen Erfahrungen mit den kollektivveträglichen Schlichtungsstellen durchaus nicht genügen, um eine den tatsächlichen Bedürfnissen entsprechende einheitliche Regelung auf lange Sicht vornehmen zu können.

Eine eingehende Darlegung der Notwendigkeit der Errichtung eines Obereinigungsamtes als Überbau und Berufungsinstanz für die verschiedenen Einigungsämter erübrigt sich. Seine Zusammensetzung soll im allegemeinen jener der Einigungsämter entsprechen. Der Wirkungskreis und die damit eng zusammenhängende besondere Verantwortung erheischen natürlich eine sorgfältige Auswahl der Personen, die in die Leitung des Oberenigungsamtes und in seine fachlichen Kammern entsendet werden.

Die Einigungsämter sind als Einrichtungen sozialrechtlicher Natur zum nachhaltigen Schutz der Lebensinteressen der wirtschaftlich schwachen Arbeitnehmer gedacht. Es liegt in dieser Eigenschaft begründet, wenn begehrt wird, dass die Kosten für das Verfahren vor dem Einigungsamte zur Gänze zu Lasten der Staatskasse gehen, sowie Stempel und Gebühren nicht eingehoben werden.

Die Bedeckung der Kosten erfolgt für das laufende Jahr aus dem Mehrertrage er Luxussteuer gegenüber dem Staatsvoranschläge. Für die Zukunft ist alljährlich eine entsprechende Post in den Voranschlag des Ministeriums für soziale Fürsorge einzustellen.

In formeller Hinsicht wird beantragt, diesen Gesetzentwurf im Wege des Initiativausschusses dem sozial-politischen Ausschusse zuzuweisen.

Prag, den 19. Dezember 1922.

Patzel, Schälzky,

Dr. Jabloniczky, Palkovich, Füssy, Dr. Lelley, Scharnagl, Mark, Dr. Luschka, Dr. FeyerFeil, Ing. Kallina, Dr. Lodgman, Knirsch, Ing. Jung, Simm, Wenzel, Dr. Petersilka, Böhr, Dr. Keibl, Dr. Radda, Matzner.

 

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