Verhandlungen des österreichischen Reichstages nach der stenographischen Aufnahme.
Erster Band.
Erste bis achte vorberatende Sitzung, Wien 10. bis 20. Juli 1848.
Neunte Sitzung, Eröffnung des Reichstages am 22. Juli 1848.
Erste bis siebenundzwanzigste Sitzung des constituirenden Reichstages (nach der Eröffnung).
Wien 24. Juli bis 22. August 1848.
Wien.
Aus der kaiserlichenköniglichen Hofe und Staatsdruckerei.
Officielle stenographische Berichte über die Verhandlungen des österr. Reichstages.
Erste vorberatende Sitzung.
Den 10. Juli 1848, Vormittags 10 Uhr.
Minister Doblhoff Nachdem mehr als die Hälfte der zum Reichstage erwählten Abgeordneten in Wien eingetroffen ist, so hat das Ministerium sich verpflichtet gefühlt, Sie meine Herren! zu dieser Sitzung einzuladen, damit Sie die nöthige Einleitung zur Constituirung des Reichstages treffen mögen. Ohne Ihnen in irgend einer Beziehung vorgreifen zu wollen, erlaube ich mir den Antrag zu stellen, daß Sie vor Allem den Alters-Präsidenten einladen, daß er den Vorsitz einnehme, damit Sie die weitern Verhandlungen vornehmen können.
Dr. Bach. Meine Herren! Um der Einladung des Herrn Minister-Präsidenten zu entsprechen, würde ich mir erlauben, einen Vorschlag zu machen, die Herren, welche durch das Alter berufen werden, in dieser provisorischen Versammlung den Vorsitz einzunehmen, einzuladen, sich zu erklären, welche von ihnen über 60 Jahre alt sind, und zwar, weil ein Mitglied, welches 63 Jahre ist, den Vorsitz nicht übernehmen konnte, und ein anderes von 61 Jahren gegenwärtig ist, welches erklärt hat, daß wenn es in der Kategorie des Aeltesten bliebe, den Vorsitz zu übernehmen bereit wäre.
Ein Polnischer Deputier. Ich muß im Namen einiger anwesenden Deputirten aus Galizien den Antrag stellen, daß, um das Verständniß möglich zu machen, ihnen ein Dolmetsch oder eine andere Art der Verständigung gegeben werde, sie sitzen da und fragen mich so eben, was gesprochen wurde. Es ist also unmöglich, daß hier Verhandlungen vorgenommen werden, wo eine zu große Anzahl Deputirter sie nicht versteht.
(Ein Herr verständigt die Polnischen Deputirten in ihrer Landessprache von dem, was hier vorgenommen wird.)
(Es melden sich mehrere Herren mit einem Alter von mehr als 60 und einer von 71 Jahren)
Dr. Bach hiermit wäre der Herr mit 70 Jahren Alters-Präsident, und ich glaube der verehrten Versammlung den Vorschlag machen zu dürfen, diesen Herrn einzuladen, den Vorsitz einzunehmen.
Ein Deputierter. Ich begreife nicht, wie Dr. A. Bach dazu kommt, dieses zu sagen, es hätte der Herr Minister-Präsident dieß sprechen sollen.
Dr. A. Bach rechtfertigt sich unter Zustimmung der Versammlung und glaubt in keiner Weise der Autonomie der Versammlung entgegengetreten zu sein.
Dr. Fischhof. Ich glaube wir hätten unsere Sitzung würdiger einleiten können, als mit diesen Persönlichkeiten zu beginnen.
Der durch sein Alter zum Präsidenten berufene Deputirte erklärt der Versammlung, daß er es nicht übernehmen kann, indem er erklärt, daß er in der Provinz ansässig und mit den Geschäften nicht so vertraut ist, als es erforderlich ist.
Der an Alter nächste Hr. Deputirte Prof. Kudler nimmt den Präsidentenstuhl ein, und spricht "Meine Herren! Zwei Umstände sind es, denen ich das Glück verdanke hier zu sein, das Vertrauen eines ehrenwerthen Bezirkes, der mich hierher gesandt und ein anderer mir nicht so angenehmer Umstand, mein vorgerücktes Alter. Doch hielt ich es nicht für so weit vorgerückt, daß mir das Glück zu Theil werden würde, heute vor Ihnen aufzutreten, und bin demnach ganz unvorbereitet. Aber es soll mich der feierliche Augenblick begeistern, der uns gegenwärtig erfaßt. — Wir stehen gegenwärtig an der Schwelle einer neuen Zeit, wir haben eine große Aufgabe: ein edles und großes Volk, wenn auch aus verschiedenen Nationalitäten zusammengesetzt, sieht mit Hoffnung auf uns. Mögen wir unsere Aufgabe würdig erfüllen, möge die Vorsehung uns hiezu stärken. Ich kam Sie nur willkommen heißen in diesen Hallen, die über das Schicksal Oesterreichs entscheiden."
Hierauf ladet der Hr. Präsident die Versammlung ein, zwei provisorische Vice-Präsidenten zu wählen und schlägt vor, dabei das Alter entscheiden zu lassen.
Es melden sich zwei Herren, einer mit 60 3/4, und einer mit 63 Jähren.
Der eine dieser Herren spricht. "Ich glaube, es sei mehr als Anmaßung von mir, wenn ich diesen ehrenvollen Platz einnehmen wollte, ich als Gewerbsmann der Provinz habe nie Gelegenheit gehabt, mir eine Kenntnis dieser Geschäfte zu erwerben sollte es der hohen Versammlung nicht genehm seyn, auf eine andere Weise zu wählen?
Von der ihm Beifall zollenden Versammlung aufgefordert, nimmt jedoch dieser Herr die Stelle als Vice-Präsident an, der zweite durch das Alter dazu berufene Herr Deputirte lehnt die Stelle ab, eben so ein Herr mit 69 Jahren. Auf die Bemerkung des Dr. Fischhof, daß derjenige, der zunächst an Alter ist, und sich befähigt glaubt, diese Stelle anzunehmen, ohne zu große Bescheidenheit ausstehen möge, wird Herr Deputirter Mannheimer durch Zuruf der Versammlung trotz seiner Weigerung zweiter Vize-Präsident, wobei Herr Deputirter Professor Füster zu ihm sagt: Herr Collega, man wünscht, man will es! welche Bemerkung von der Versammlung mit lebhaftem Beifall aufgenommen wird.
Der Herr Präsident ladet hierauf die Versammlung ein, zur Bestimmung der Secretäre zu schreiten, worauf 6 Herren Deputirte, die unter 30 Jähre sind, ihre Plätze als Secretäre einnehmen.
Die Namen der Herren Funktionäre sind:
Präsident: Professor Kudler.
Vizepräsident:
1. Joseph Weiß.
2. Isak Mannheimer.
6 Secretäre:
1. Adolph Purtscher.
2. Theodor Geier.
3. Joseph Nesbeda.
4. Joseph Demel.
5. Victor Brasdill.
6. Hanns Kudlich.
Hierauf werden die Namen sämmtlicher Herren Deputirten, welche sich schon gemeldet, verlesen, und mehrere in das Verzeichniß noch nicht aufgenommene Herren Deputirte melden sich. — Der Herr Präsident ladet hierauf die Versammlung ein, zur Prüfung der Wahlen neun Commissionen durch das Los zu bilden, so zwar, daß die eine Abtheilung die Wahlen einer andern prüft, um vollkommen unparteiisch sein zu können.
Es wird bemerkt, daß viele Abgeordnete des Schreibens nicht kundig sind, weßhalb eine Wahl durch das Los nicht am Platze seyn dürfte, und daß die Wahl-Protokolle aus Galizien in polnischer Sprache geschrieben sind, wobei der Vorschlag gemacht wird, daß die der deutschen Sprache kundigen Herren Abgeordneten in neun Gruppen getheilt werden mögen, und daß jeder solchen Gruppe eine verhältnißmäßig große Zahl nicht deutsch redender Abgeordneter beigegeben werde.
Präs. Ich glaube, daß auf die Sprachverschiedenheit gar kein Bedacht genommen werden soll, und zwar nach dem Vorbilde anderer constitutioneller Staaten, wo man geradezu fordert, daß Jeder, der Deputirter, Ablegat oder Mitglied eines Senates ist, die Sprache, in der verhandelt wird, versteht. Hier macht es nur einen Unterschied, daß Wahl-Protokolle zu verificiren sind, die in einer andern Sprache abgefaßt sind; nur deßwegen glaube ich, soll man eine Ausnahme machen.
Der Herr Präs. beruft sich weiter auf Paris, London, Nordamerika, Ungarn und sagt: ich glaube durch die Umstände bedingt, wäre der Antrag vielleicht so zu stellen: Wenn Wahl-Protokolle in einer fremden Sprache abgefaßt sind, mögen sich einige dieser Sprache mächtige Herren melden, um sich nach dem Lose in die Abtheilungen einverleiben zu lassen.
Dr. Bach stellt den Antrag, daß nach der Bildung der Wahl-Prüfungs-Commissionen durch das Los aus der gesamten Versammlung es dem Herrn Vorsteher frei stehen möge, nach dem Wunsche der einzelnen Abtheilungen Personen aus der einen in die andere durch Tausch zu versetzen, ferner daß jede Commission zur Prüfung der Protokolle Dolmetscher und andere Urkunds-Personen zuziehen möge, wo es sich bloß um Verständigung und den Inhalt der Wahlacten selbst handelt, welcher Antrag auch angenommen wird. Dr. Bach trägt an: daß auf eine halbe Stunde die Versammlung suspendirt, mittlerweile die Namen angefertigt, und sodann zur Verlosung der 9 Abtheilungen geschritten werde, wenn nicht die Versammlung dieß dem Vorstande überlassen wollte.
Dr. Fischhof trägt an, daß die Herren Abg. die Namen augenblicklich aufzeichnen und in eine Urne werfen sollten, womit man auch beginnt, da bemerkt Dr. Bach: Ich muß die verehrte Versammlung von einer Thatsache unterrichten. Die Gesamtzahl der Abgeordneten beträgt 383, also die Hälfte 191 + 1, diese ist erforderlich, um sich provisorisch constituiren zu können. Gegenwärtig sind aber bloß 186 Herren Abgeordnete zugegen. Die Versammlung ist daher nicht vollzählig genug, um einen Beschluß fassen zu können; er bemerkt ferners, daß die heutige Sitzung vollkommen giltig anberaumt worden ist, da bereits die Hälfte der Deputirten in Wien eingetroffen und in die Register eingetragen; er entschuldigt das Unterlassen der individuellen Einladung durch den eingetretenen Ministerwechsel, und schlägt vor, die Sitzung für heute aufzuheben, und zu einer zunächst von der Versammlung anzuberaumenden Sitzung die Herren Abgeordneten individuell einladen zu lassen, worauf ein Herr Abgeordneter bemerkt, daß nur an jene Herren Deputierte eine Einladung ergehen zu lassen nöthig wäre, welche heute nicht zugegen sind.
Herr Minister Doblhoff: Ich mache Sie auf das materielle Hinderniß aufmerksam, meine Herren, daß die Wohnungen der anwesenden Herren Deputirten nicht alle bekannt sind, sie sind aufgefordert worden, ihre Wohnungen anzugeben, aber sie haben, wenigstens Viele, seitdem ihre Wohnungen gewechselt. Wir haben bemerkt, daß dieser Entwurf einer provisorischen Geschäftsordnung, welcher lediglich nur zur Benützung für die Commission, welche eine Geschäftsordnung berathen soll, verfaßt worden ist, gestern Abends oder Nachmittags nur sehr wenigen Herren Deputirten zugestellt worden ist, weil nur von Wenigen die Wohnungen bekannt waren. Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben dürfte, in Beziehung auf die Giltigkeit unserer heutigen Beschlüsse, und derer, die noch gefaßt werden dürften, so erlaube ich mir zu bemerken, daß man in Beziehung auf die Giltigkeit dessen, was heute beschlossen worden ist, den Anhaltspunct in dieser prov. Geschäftsordnung der Art nimmt, daß, wenn die Hälfte der gewählten Abgeordneten gegenwärtig ist, die Sitzung abgehalten werden kann. — Meine Herren! Das ist nur eine Bestimmung in einem Entwurf, Sie haben ja die Geschäftsordnung erst zu berathen, und ich glaube, daß Sie durch vorläufige Einleitungen dazu in keinerlei Weise verhindert seyn konnen. Der Unterschied in Beziehung auf die anwesenden Mitglieder ist sehr gering, im Ganzen würden, glaube ich, 190 die Hälfte seyn, und hier sind, glaube ich, gegenwärtig 186, also glaube ich, daß es offenbar der Autonomie der Versammlung überlassen ist, sich eine Geschäftsordnung zu bilden und dazu die Einleitungen zu treffen, und daß es ganz in ihrem ferneren Ermessen liegt, dießfalls einen solchen Beschluß zu fassen, der ihre Geschäfte nicht hemmt, sondern wie es so nöthig ist, fördert, und ich würde mich aus den so eben dargestellten Gründen an eine so scharfe Form nicht halten.
Ein Herr Deputirter unterstützt den Antrag des Dr. Bach, daß auf morgen eine Sitzung anberaumt werde, und meint, es werde sich leicht Jemand finden, die nicht hier anwesenden Herren Deputirten, deren Namen ein Herr Secretär verlesen möchte, davon zu verständigen, worauf ein Herr Secretär bemerkt, daß dieß schwer fallen dürfte, da viele Herren nach Hause gereist sind, da sie gehört hatten, daß der Reichstag erst am 18. eröffnet werde Nach mehreren Zwischenreden bemerkt Dr. Fischhof: Es handelt sich nur darum, meine Herren, daß die Versammlung die Majorität habe, damit sie nicht in der Minorität Beschlüsse fasse, welche die später eintretetende Majorität umstoßen könnte.
Der von Dr. Bach gestellte Antrag wird unzerstützt und Dr. Bach bemerkt: Ich wäre geneigt, von der Form abzugeben, wenn es nicht von Wesenheit wäre, gerate jetzt, wo eine ganze Provinz noch gar nicht vertreten ist; es ist jetzt die Lebensfrage, ob unsere Wahlen gültig sind, um uns auf den unbestreitbaren Rechtsboden zu stellen.
Die Versammlung stimmt bei.
Dr. Neumann schlägt vor, die Namen der 36 Herren abzulesen, welche von anwesenden Herren gewiß eingeladen würden.
Dr. Neuwall. Es wäre am einfachsten, wenn die Secretäre herumgingen und die Versammlung abzahlen wollten.
Die Namen der Abwesenden werden vorgelesen und 3 melden sich als indessen eingetreten.
Die Zählung der Versammlung ergibst den Abgang von 2 Deputirten.
Der Hr. Präs. schlagt vor, zum Entwurfe der Geschäftsordnung ein Comité von 13 Mitgliedern zu bilden, welcher Vorschlag von Dr. Neumann und Fischhof dahin verstanden wird, daß dieß eine rein privative Aufgabe ist, welche durchaus seinen officiellen Charakter hat, unter welcher Bedingung allein sie dem Antrage beistimmen könnten.
Auf die Bemerkung des Hrn. Präsidenten: Zur Vorberathung würde es auch gehören, jene Herren zu bezeichnen, welche sich mit den Vorarbeiten befassen mögen, erwidert ein Hr. Abg. so konnen sie selbst zusammen kommen, aber wenn wir sie bestimmen, ist es nicht mehr privativ.
Der Hr. Präsident bemerkt, daß er ebenfalls die heutige Vorberathung als eine privative betrachte, in so ferne sie erst morgen durch die Majorität sanctionirt werden müsse.
Mit dieser Bemerkung wird die Sitzung um halb 2 Uhr aufgehoben, und aus den nächsten Morgen 10 Uhr vertagt.