Officielle stenographische Berichte über die Verhandlungen des österr. Reichstages.
Zweiundfünfzigste Sitzung des constituirenden Reichstages,
am 27. October 1848.
(Permanenz.)
Tagesordnung.
I. Bericht des permanenten Ausschusses.
II. Ablesung der Sitzungs-Protokolle vom 24., 25., und 26. October.
III. Berathung über den Beschluß des Constitutions-Ausschusses wegen Vornahme neuer Wahlen für Reichstags-Mitglieder, die in Staatsämter oder höhere Gehalte treten.
IV. Berichte über Wahlacte.
V. Bericht des Petitions-Ausschusses.
VI. Berathung über das Rekrutirungsgesetz.
VII. Nationalgarde-Gesetz.
VIII. Bericht über die Reichstagsrechnungen.
Vorsitzender: Präs. Smolka.
Anfang um 3/4 auf 1 Uhr Mittags.
Präs. Nach vorgenommener Zählung ist die zur Eröffnung der Sitzung erforderliche Anzahl Abgeordneter anwesend. Vor Allem will ich die hohe Versammlung aufmerksam machen, daß ich bereits am 24. October aufgefordert habe, daß sich diejenigen Herren, welche hier in Wien anwesend sind, im Vorstands-Bureau aufzeichnen; es ist diese Maßregel von praktischer Wichtigkeit, deßhalb, weil wie die Herren wissen, nach der Geschäftsordnung bloß diejenigen Herren, welche, wenn auch auf Urlaub abwesend, nicht über 14 Tage ausbleiben, Anspruch auf die Diäten haben. Es ist aber der Fall wirklich eingetreten, daß Herren über die Urlaubszeit und über 14 Tage ausgeblieben sind; es wird demnach nothwendiger Weise eine Liquidirung in Betreff der Diäten vorgenommen werden müssen. Gilt dieß hinsichtlich jener Herren Abgeordneten, welche befugter Massen mit Urlaub abwesend sind, so muß dieß umsomehr gelten hinsichtlich derjenigen Herren Abgeordneten, die unbefugt abwesend sind. Wir haben keinen anderen Beweis, ob Jemand in Wien anwesend ist, außer daß er selbst kommt und sich meldet. Bisher haben sich 164 Herren gefertigt, es sind aber noch mehrere Herren da, welche auf dem im Vorstands-Bureau aufliegenden Bogen, den ich hier mitgebracht habe, ihre Unterschriften noch nicht beigesetzt haben. Ich werde demnach ersuchen, daß diejenigen Herren, die sich noch nicht gefertigt haben, es nach der Sitzung thun, weil dieser Umstand dann auf die Liquidation der Diäten von Einfluß sein, und sonst Jemanden ein Unrecht widerfahren könnte. — Um die Drucklegung der rückständigen Protokolle vornehmen zu können, ersuche ich vor Allem den Herrn Schriftführer Wiser das Protokoll vom 24. zu verlesen.
(Schriftf. Wiser liest das Sitzungs-Protokoll vom 24. October 1848.)
Präs. Ist in Bezug auf die Fassung dieses Protokolles etwas zu bemerken?
Abg. Goldmark. Gegen einige Ausdrücke erlaube ich mir einige Bemerkungen zu machen. Es heißt dort: "Minister Krauß habe angesucht um Suspendirung des Belagerungszustandes und Standrechtes". Ich glaube, es dürfte heißen: "um Aufhehebung desselben."
Schriftf. Wiser. Es heißt in der Original-Zuschrift des Ministers Krauß ausdrücklich: "Suspendirung".
Abg. Goldmark. Dann ist an einer anderen Stelle die Frage an den Minister Wessenberg, ob er die Proclamation des Fürsten Windischgrätz contrasignirt habe. Das kann nicht der Fall sein; es ist die Frage gestellt worden, ob in den Vollmachten, die dem Fürsten Windischgrätz übergeben worden sind, auch das enthalten sei, nicht ob er die Proclamation des Fürsten Windischgrätz contrasignirt habe. — Es dürfte an der Stelle sein, wo es heißt: "es wurden Abschriften durch Eilboten an Wessenberg und Windischgrätz geschickt".
Abg. Wiser. Diese Stelle lautet so: "Der Ausschuß hat verfügt, einen Abdruck durch Eilboten nach Olmütz an Minister Wessenberg milder Anfrage zu schicken, ob ihm diese Proclamation bekannt sei, und ob er sie contrasignirt habe."
Abg. Goldmark. Das ist falsch, wenn wir ihn fragen, ob sie ihm bekannt sei, so können wir nicht fragen, ob er sie contrasignirt habe. Ich glaube, diese Sache wäre gänzlich wegzulassen.
Abg. Umlauft. Ich habe selbst Theil genommen an der Ausführnng dieses Beschlusses, und bemerke, daß er so gefaßt war: "ob erstens friedliche Maßregeln zur Pacifirung von Wien versucht worden seien, und zweitens, ob der Inhalt dieser vom Fürst Windischgrätz erlassenen Proclamation mit den Vollmachten übereinstimme, die ihm in Olmütz ertheilt worden sind." Ich werde mir erlauben, das Original dem Herrn Secretär auszumitteln.
Präs. Wenn das Original gleich ausgemittelt werden kann, so wird es keinem Anstande unterliegen, diese Verbesserung vorzunehmen. — Ist noch etwas in Bezug auf diese vorzunehmende Berichtigung zu bemerken? — Hat sonst noch Jemand elwas über das so eben vorgelesene Protokoll zu bemerken? (Es meldet sich Niemand.) Ich erlaube mir zu bemerken, daß nach vorgenommener Zählung 196 Mitglieder anwesend sind, somit die beschlußfähige Anzahl vorhanden ist; ich ersuche daher diejenigen Herren, welche mit der Fassung des so eben gelesenen Protokolles einverstanden sind, aufzustehen. (Angenommen.)
(Schriftf. Cavalcabó verliest das Protokoll vom 25. October, Schriftf. Gleispach das vom 26., welche beide ohne Abänderung angenommen werden.)
Präs. Ich ersuche den Henn Berichterstatter des permamnten Ausschusses. Bericht zu erstatten über das, was seit dem gestrigen Tage vorgefallen ist.
Abg. Schuselka. Die Aufgabe des Berichterstatters des permanenten Ausschusses wird von Tag zu Tag geringer und kleiner, je größer die Ereignisse werden, die da draußen im Leben vorgehen. Der Strom der Ereignisse geht in großen Wogen über die Stadt, über unser Vaterland. Neben einem solchen geschichtlichen Strome nehmen sich die Bemühungen einzelner Personen, selbst die von Corporationen kaum anders aus, als wollte man einen Stein in den großen aufgeregten Strom hineinwerfen. Wie betrübend nun der bisherige Gang der Ereignisse für jedes Menschenherz, für jedes Herz, welches eine Theilnahme für das Schicksal einer so großen Bevölkerung, wie die hiesige ist, hat, wie betrübend es sein muß, zu sehen, wie durch feindliche Maßregeln bereits den Kindern die Milch, den Kranken die Nahrung gebricht, wie schmerzlich es sein muß, daß bereits so viel Menschenblut vergossen wurde, so darf man sich diesem großen geschichtlichen Strome gegenüber nicht darauf beschränken, unmittelbar die nächsten Ereignisse, die zunächst liegenden Schicksale der Statt Wien ins Auge zu fassen, und nur wenn man dieß nicht thut, findet man die Kraft, in diesem Wirrsale der Ereignisse aufrecht zu bleiben. Man gewinnt die Ueberzeugung, daß es sich zunächst um die Wohlfahrt, um das Schicksal der Stadt Wien, daß es sich aber in weiterem Verfolge um einen Kampf der großen Zeit- und Weltideen handle. Man gewinnt die Ueberzeugung, daß in diesem Augenblicke hier in Wien die alte Zeit mit der neuen im Kampfe begriffen ist. Man findet die Ueberzeugung, daß der Kampf, welchen die alte Zeit jetzt begonnen hat, ein letztes zorniges Aufraffen aller ihrer Kräfte ist, um das hochaufgewachsene Kind der neuen Zeit nochmals niederzudrücken. (Beifall.)
Wenn man diesen großen weltgeschichtlichen Kampf ins Auge faßt, der jetzt Wien zu seinem Schauspiele erkoren hat, dann darf man stolz darauf sein, sich in Wien zu befinden, und nach seiner kleinen Persönlichkeit Theil zu nehmen an den großen Ereignissen, die hier über die Weltbühne gehen; dann darf man sich der Hoffnung hingeben, wenn das Ende dieses Kampfes auch unmittelbar und zunächst eine Niederlage sein sollte, dennoch die weitere Folge ein Sieg der Freiheit sein wird. (Beifall.)
Gegenüber dieser ganzen Auffassung der Ereignisse, in denen wir mitten inne stehen, wird jeder Berichterstatter, wird Ihr Berichterstatter klein und schwach; es sind andere Berichterstatter aufgetreten: die Flamme, die heute Nacht zum Himmel aufgestiegen, ist zum Berichterstatter geworden. Diese Flamme hat in vielen Köpfen, die noch in der Nacht der alten Zeit befangen waren, Licht angezündet; diese Flamme hat viele Herzen, die noch in der Kälte der Gleichgiltigkeit, des Indifferentismus befangen waren, Wärme, lebenskräftige Wärme erzeugt; diese Flamme hat Bericht erstattet der ganzen Bevölkerung der Stadt, weithin dem Lande, noch weiter, dem ganzen Europa, ja der ganzen civilisirten Welt. Sie hat Bericht erstattet über die Art und Weise, wie man Ordnung und Sicherheit herzustellen gesonnen und bemüht ist (Beifall), und diese Flamme sie hat auch Bericht erstattet hoch zum Himmel hinauf, und sie wird als ewiges, unauslöschliches Brandmal dastehen für Diejenigen, welche sie angezündet. (Beifall.)
Nach dieser kurzen Einleitung erlaube ich mir die wichtigeren Einläufe, die uns vorgekommen sind, Ihnen vorzutragen. Zunächst ist in Betreff unseres neuerlichen Beschlusses über die Wiederherstellung des freien Postverkehres an den Herrn Reichstags-Präsidenten sowohl von dem Herrn Stellvertreter des Herrn Finanzministers, von Baron Stifft, als vom Herrn Finanzminister selbst, Baron Krauß, Folgendes eingelaufen. (Liest vor:)
"An Se. des Herrn Reichstags-Präsidenten Dr. Franz Smolka, Wohlgeboren.
"Mit Beziehung auf die dem Herrn Finanzminister Freiherrn von Krauß übergebene Anfrage des Reichstags-Ausschusses vom 23. d. M. beeile ich mich in Vertretung desselben dem Herrn Reichstagsvorstande eine Abschrift des aus Olmütz mittelst Couriers eingelangten Rückschreibens des Herrn Minister-Präsidenten Wessenberg mitzutheilen, worin derselbe mit Rücksicht auf den exceptionellen Zustand der Stadt Wien und unter Hinweisung auf die in der kaiserlichen Kundmachung vom 19. d. M. ausgedrückten Gesinnnungen Seiner Majestät die Ueberzeugung ausspricht, daß dem Befehlshaber der kaiserlichen Truppen, wenn die Bevölkerung Wiens zur Herstellung der gesetzlichen Ordnung, somit zur Erreichung des von Fürst Windischgrätz beabsichtigten Zweckes auch die Hände bietet (Zischen), nichts willkommener sein wird, als Milde vor der Strenge vorwalten zu lassen. (Zischen.)
"Indem ich aber hier ausdrücklich beifügen zu müssen glaube, daß die vorberührte Depesche der eben gestern angetretenen Reise des Herrn Finanz-Ministers Freiherrn von Krauß nach Olmütz entgegen lief, gebe ich mir zugleich die Ehre zu bemerken, daß Freiherr von Wessenberg der gemachten Mittheilung zu Folge auch ein eindringliches Ersuchen an Fürst Windischgrätz richtete, damit der Postverkehr auf den von den kais. Truppen beherrschten Straßen-Routen nicht behindert und die postmäßige Beförderung, sowie dieselbe über den Reichstagsbeschluß vom 23. d. M. schon von Seite des Finanzministeriums neuerdings angeordnet worden ist, unaufgehalten bewerkstelliget werden könne.
Wien, 27. October 1848.
Stifft."
Zugleich ist mitgetheilt ein Schreiben des Minister-Präsidenten Wessenberg an Herrn Minister Krauß ddo. Ollmütz am 25. October. (Liest:)
"An den Herrn Finanzminister Freiherrn von Krauß.
Olmütz den 25. October 1848.
"Das an mich ddo. 23.-24. dieses erlassene Schreiben, nebst beigelegter Anfrage von Seite des Reichstagsausschusses, habe ich heute Morgens 6 1/2 Uhr erhalten. Der Zustand der Stadt Wien ist leider ein so exceptioneller, zumal dadurch, daß daselbst vorzüglich fremde Elemente im Spiele sind, sowie, daß die Insurrection auch durch den Uebertritt verführter Militärs einen ernsteren Charakter angenommen, daß alle Aussicht verschwand, mit gewöhnlichen oder friedlichen Mitteln auszureichen. Die kaiserliche Kundmachung vom 19. d. M. läßt nicht den mindesten Zweifel, eben so wenig über die unwandelbaren väterlichen Gesinnungen (Zischen) Seiner Majestät, als über den Zweck der militärischen Maßregeln, zu welchen sich der gütige Monarch nothgedrungen sieht. (Zischen.) Die Umstände sind aber von der Art, daß wohl nicht möglich gewesen wäre, die Vollmacht des mit der Herstellung der gesetzlichen Ordnung beauftragten Oberbefehlshabers anders als durch Bezeichnung des vorgesetzten Zweckes zu beschränken.
Da jeder Augenblick eine andere Maßregel hervorrufen kann, so lassen sich solche nicht im Voraus bestimmen. Der hohe Reichstag darf überzeugt sein, daß die constitutionellen Rathgeber Seiner Majestät im vollen Maße seine Theilnahme an dem Schicksale der Stadt Wien und der gutgesinnten Bewohner (Zischen) derselben theilen; allein derselbe wird nicht verkennen, daß vor Allem von diesen selbst geeignete Schritte hätten ausgehen müssen, um der zunehmenden Unordnung zu steuern, und dem Gesetze Achtung zu verschaffen, und vielleicht noch jetzt statthaben sollten, um größerem Unheile vorzubeugen, indem dem Befehlshaber der Truppen nichts willkommener sein wird, als in den Stand gesetzt zu werden, Milde vor Strenge vorwalten zu lassen.
Der Minister-Präsident
Wessenberg."
Abg. Schuselka. Der permanente Ausschuß sieht sich nicht veranlaßt, über diese Actenstücke irgend eine Bemerkung laut werden zu lassen, und noch weniger, einen Antrag an die hohe Reichsversammlung zu stellen. Sehr angenehm war es dem permanenten Ausschusse, von Seite eines Officiers der österreichischen Armee in einer sehr freundlichen Zuschrift einen Vorschlag entgegen nehmen zu können, der darauf hingeht, zur Aufhellung und Ausgleichung der Mißverständnisse, des gegenseitigen Mißtrauens zwischen dem Volke und der Armee einen Weg vorzuschlagen. (Beifall.) Ein Officier, Unterlieutenant der k. k. Armee, theilt uns aus eigener Erfahrung als Resultat seiner eigenen Ueberzeugung sowohl, als durch die Erfahrung, die er im Lager und in einem beträchtlichen Theile des Officierscorps gemacht hatte, mit, daß die überwiegende Mehrzahl sämmtlicher Officiere, ja nach seiner Ueberzeugung fast alle sehr geneigt wären, jetzt mittelst ihres schriftlichen Ehrenwortes die Versicherung dem Volke zu geben, daß sie die constitutionellen Freiheiten des März und Mai nicht nur nicht antasten, sondern für den Fall, als sie angetastet werden sollten, dieselben gar vertheidigen wollen. (Beifall.)
Wir waren hoch erfreut, diese Gesinnungen eines Officiers der k. k. Armee zu vernehmen, und wir zweifeln auch nicht im Mindesten, daß diese edle staatsbürgerliche Ueberzeugung einen großen Theil der Officiere unserer Armee erfülle; wir sahen uns aber dennoch in unserer Stellung nicht veranlaßt, weiters auf diesen Vorschlag einzugehen, als daß wir dem Officier, dessen Namen zu nennen ich mich bis dahin noch nicht für ermächtiget halte, unsere Ansichten dahin mittheilten, daß ein solcher Vorschlag nach unseren Kenntnissen von der militärischen Disciplin nicht anders realisirt werden könnte, als daß von Seite der Officiere selbst an ihren Commandanten das Ersuchen gestellt würde, ihnen zu erlauben, dem Volke zur Beseitigung des Mißtrauens und der verderblichen Folgen dieses Mißtrauens diesen Schritt zu thun. Ganz natürlich war der Herr Officier mit dieser Ansicht vollkommen einverstanden, daß sie ohne Erlaubniß des Obercommandanten irgend eine Erklärung in dieser Richtung hin zu unterfertigen nicht vermöchten. Da eben in dem Augenblicke als wir diese Mittheilung empfingen, eine Deputation des Gemeinderathes sich hinaus zum Fürsten Windischgritz begab, um seinem Wunsche gemäß, mit ihm sich zu besprechen über eine allfällige friedliche Ausgleichung, so ersuchten wir den Herrn, dem Gemeinderathe diese Mittheilung zu machen, damit vielleicht von Seite der Deputation des Gemeinderathes dieser gewiß sehr anerkennenswerthe Gedanke dem Fürsten Windischgrätz ausgesprochen werden möge. Ueber das Resultat hievon haben wir keine nähere Mittheilung erhalten. Inzwischen hatte Ihr permanenter Ausschuß nebst vielen geringfügigeren Beschäftigungen wesentlich dahin zu wirken getrachtet, daß die Besorgnisse beseitigt wurden, welche dahin lauten, ein Theil der Bevölkerung sei gesonnen, gegenüber den in Flammen aufgehenden Privathäusern, öffentliche Gebäude und darunter auch die kaiserliche Burg anzuzünden. Wir halten uns verpflichtet, dieses öffentlich jetzt schon auszusprechen, wir haben uns bemüht, das Volk von diesem Vorhaben abzuhalten, und es ist uns auch, wie es die Erfahrung beweist, gelungen, und es wird dieser Umstand, daß, ungeachtet an so vielen Orten das bürgerliche Eigenthum in Flammen aufging, dennoch kein öffentliches Eigenthum der kaiserlichen Familie angetastet wurde, gewiß mit unter die schönsten Beweise des Edelmuthes der Bevölkerung Wiens in der Geschichte gerechnet werden.
Die eben erwähnte Deputation des Gemeinderathes, die sich nach Wunsch des Fürsten Windischgrätz hinaus begeben hatte, erstattete nun Bericht über das Resultat dieser Besprechung. Sie theilte uns eine ihr vom Fürsten Windischgrätz selbst in mehreren Exemplaren ausgefolgte Proclamation des Feldmarschalls mit, mit dem Ersuchen, darüber einen Beschluß zu fassen. Ich erlaube mir diese Proclamation vorzulesen. (Liest sie.)
"An die Bewohner von Wien.
"Es ist mir der Antrag gestellt worden, eine friedliche Vermittlung mit der Stadt einzugehen und mit meinen Truppen nach Wien einzurücken, um die von mir vorgeschriebenen Bedingungen selbst in Ausführung zu bringen. — Ich appellire an den Rechtlichkeitssinn eines gewiß großen Theiles der Bewohner Wiens und frage sie, ob es möglich ist, daß ich nach allem Vorgefallenen, nachdem auf meine Truppen ohne allen Anlaß gleich bei ihrem Erscheinen gefeuert wurde, mit denselben nach Wien ein ziehen könne, in eine Stadt, die nach Aussage Aller von bewaffneten Uebelgesinnten wimmelt, ehe diese Menge entwaffnet ist, ohne einen mörderischen Straßenkampf herbeizuführen. Ich frage, ob diejenigen, welche mir Frieden anbieten, welche mich auffordern, ungescheut nach Wien einzuziehen. auch wenn sie es gut mit mir meinten, im Stande wären, denen Ruhe und Mäßigung zu gebieten, die nun schon seit Wochen mit Waffen in der Hand die ganze Stadt terrorisiren. — Es ist meine Pflicht, den guten Theil der Bewohner Wiens von dem in Kenntniß zu setzen, was seit der kurzen Zeit meines Erscheinens und vor demselben geschehen ist, da diese Vorfälle gewiß auf das höchste entstellt werden. Seit mehreren Tagen finden stete Angriffe auf meine Truppen Statt, die den Befehl haben, nur im dringendsten Falle dieselben zu erwiedern, was denn auch bereits an mehreren Orten geschehen ist. Die Partei, welche für die Urheber jener unerhörten Schandthat, die an dem Kriegsminister Grafen Latour und selbst noch an seiner Leiche begangen wurde, von Seiner Majestat Amnestie begehrte, die die Entfernung der Truppen, welche so schändlich angegriffen wurden, verlangte, einen Antrag auf Verbannung mehrerer Glieder des kaiserlichen Hauses stellte, noch vor Kurzem gegen die mir von Seiner Majestät dem Kaiser verliehenen Vollmachten protestirte und meine ganze Sendung als ungesetzlich erklärte, — diese Partei schickt Friedensboten zu mir, um mich mit meinen Truppen ohne alle Garantie in die Stadt zu ziehen.— Fern ist von mir der Gedanke unnöthiger Gewaltmaßregeln; es erfüllt mich mit Schmerz, gegen die Hauptstadt der Monarchie feindlich auftreten zu müssen; doch ich frage nochmals die rechtlichgesinnten Bewohner derselben: ist Vermittlung in der mir angetragenen Form unter solchen Voraussetzungen möglich?
"Hauptquartier Hetzendorf am 25. October 1848.
Fürst zu Windischgrätz.
Feldmarschall."
Der permanente Auschuß hat diese neue Proclamation des Fürsten Windischgrätz in Berathung gezogen und hat sich veranlaßt gesehen, unter sich und öffentlich durch mich vor allem Andern auszusprechen, zu wiederholten Malen auszusprechen, was schon ausgesprochen wurde, — daß gleich der erste Satz: "Es ist mir der Antrag gestellt worden" u. s. w. eine völlige Unwahrheit enthalte. Es ist durch den Herrn Berichterst. Pillersdorff öffentlich erklärt worden, und er hat sogar diese Erklärung ihrem ganzen Inhalte nach schriftlich hinterlegt, und erklärt, sie völlig verantworten zu können und zu wollen, daß er durchaus als keine Gesandtschaft oder Deputation an den Fürsten Windischgrätz geschickt worden, sondern daß lediglich nur aus Humanitätsrücksichten versucht wurden, in confidentieller, in vertraulicher Weise mit ihm sich zu besprechen, um Ereignisse, welche die verderblichsten Wirkungen für uns Alle und den Thron, selbst wenn in keiner anderen, wenigstens in finanzieller Beziehung haben könnte, abzuhalten. Der Herr Abg. Pillersdorff ist durchaus gänzlich ohne Vollmacht, auch nicht als Abgeordneter des Reichstages zum Fürsten Windischgrätz gegangen, und hat ihm dieses zu wiederholten Malen erklärt. Die Stelle, wo es heißt: "er möge in die Stadt Wien einrücken, um die von ihm vorgeschriebenen Bedingungen selbst in Ausführung zu bringen," ist lediglich nur der Ausdruck des Gedankens, daß er, wenn er die Bedingungen, die er gestellt hat, ausgeführt sehen will, in die Stadt herein kommen und versuchen muß, ob er sie ausführen kann. Es ist nichts Anderes damit ausgesprochen, als daß, wenn er das Proletariat entwaffnet, oder überhaupt vielleicht die ganze Stadt entwaffnen will, er kommen muß, um es auszuführen, und nur in dieser Beziehung konnte von einem Einrücken in die Stadt die Rede sein.
Es kommt in dieser Proclamation, um den übrigen Inhalt ganz zu übergehen, eine Stelle vor, die offenbar gegen den hohen constituirenden Reichstag gerichtet ist, und Fürst Windischgrätz nimmt keinen Anstand, den hohen constituirenden Reichstag geradezu eine Partei zu nennen. Der permanente Ausschuß fühlt es sowohl in seinem, als dem Namen der constituirenden Versammlung unter seiner Würde, genauer in den eigentlichen Inhalt dieser Worte einzugehen; er sieht sich veranlaßt, in seiner öffentlichen Stellung sich dem Fürsten Windischgrätz gegenüber auf dem Standpuncte zu erhalten, auf dem er sich bis jetzt zu erhalten gesucht und gewußt hat, und muß in dieser Beziehung erklären, daß der Fürst zu Windischgrätz, der vom Kaiser ernannte Feldmarschall, sich durch diese Erklärung offenbar über Seine Majestät den Kaiser hinausstellt; denn wir wissen es, daß Seine Majestät in dem Manifeste vom 19. October offen ausgesprochen hat, daß er Alles, was wir zur Aufrechthaltung der Ordnung verfügt, vollkommen anerkenne; der Fürst Windischgrätz dagegen erklärt, daß diese Partei, die dieß und dieß veranlaßt hat, eine revolutionäre Partei ist, mit der man sich nicht einlassen könne. Der Fürst erklärt ferner, daß der Reichstag, der vom Kaiser in wiederholten Erlässen als wirklicher erklärt worden ist, gleichsam nur eine Fraction des Reichstages sei, er verräth ferner eine so große Unkenntniß des constitutionellen Verfahrens, daß er dem ganzen Reichstage einen Antrag zur Last legen will, den vielleicht ein einzelnes Mitglied und den, wie wir wissen, nicht einmal ein einzelnes Mitglied gestellt hat. Er untersängt sich, den ganzen Reichstag dafür verantwortlich zu machen, daß ein Mitglied einen Antrag gestellt hat, er weiß nicht, daß jedes einzelne Mitglied in einer constituirenden, freien, souveränen Reichsversammlung das Recht hat, solche Anträge zu stellen, wie er sie vor seinem Bewußtsein und dem Volke zu verantworten im Stande ist, und daß man nicht sagen kann, eine Partei oder der Reichstag hat einen solchen Antrag gestellt, Ueberdieß wissen Alle und es ist aus den stenographischen Berichten ersichtlich, daß kein solcher Antrag auf Verbannung einzelner Mitglieder der kaiserlichen Familie gestellt wurde, sondern dieses Umstandes nur in einer Rede erwähnt worden ist, und es muß jedem Abgeordneten in dieser Beziehung auch das Recht der vollen Redefreiheit zustehen. (Bravo.) Der permanente Ausschuß hat sich daher, nachdem er noch dazu den letzten Erlaß Seiner Majestät, nämlich den traurigen Erlaß, wo der constituirende Reichstag von Wien abberufen und nach Kremsier verlegt wurde, nachdem er selbst diesen traurigen Erlaß in Betrachtung gezogen und darin abermals gesehen, daß Seine Majestät den hiesigen Reichstag, obwohl er sich um viele Mitglieder vermindert, dennoch als den Reichstag anerkennt und vollständig ausspricht, daß der Reichstag hier seine Sitzungen einstelle und sich bis zu einer bestimmten Frist in Kremsier einfinde, da der Kaiser selbst sagt, alle erwählten Volksvertreter haben sich dort einzufinden, daß also der Kaiser von dem reinen constitutionellen Standpuncte dabei ausgehe, daß er nicht einen Unterschied zwischen einer Partei des Reichstages und dem Reichstage selbst macht, daß er dadurch die Ueberzeugung ausspricht, es müsse bei einem Reichstage Parteien geben, es müsse in jedem Reichstage so wie alle Nationalitäten hier vertreten sind, auch jede politische Ansicht hier vertreten sein.
In Anbetracht alles dessen, daß diese neue Proclamation des Fürsten Windischgrätz, so wie die früheren nicht nur den allgemeinen Grundbegriffen, den Elementarbegriffen des constitutionellen Lebens entgegen sind, sondern auch den ausdrücklichen, den wiederholten Erklärungen Seiner Majestät des Kaisers, hat es der permanente Ausschuß, wie gesagt, unter seiner Würde gehalten, in Betreff dieses Actenstückes irgend einen Antrag zu stellen, sondern sich bemüssiget gesehen, es lediglich ad acta zu legen. (Beifall.) Zu gleicher Zeit hat der Gemeinderath uns, wie er es in allen Verhältnissen zu thun pflegt, auch eine Mittheilung gemacht von der schriftlichen Antwort, die an den Gemeinderath der Stadt Wien vom Feldmarschall Fürsten Windischgrätz abgegeben wurde. Ich bin bloß beauftragt, Ihnen den Inhalt derselben vorzulesen.
"An den Gemeinderath der Stadt Wien.
Hauptquartier Hetzendorf
am 26. October 1848.
"Im Nachhange zum Puncte 3 meiner Proclamation vom 23. October, habe ich für nothewendig befunden, folgende Individuen zur Auslieferung zu bestimmen:
1. Den angebilchen polnischen Emissär Bem, der sich ganz unberufen in die Wiener Angelegenheiten mischt.
2. Den gewesenen Unterstaatssecretär im ungarischen Ministerium Pulszky.
3. Den Doctor Schütte, und
4. Die Mörder des Kriegsministers, Grafen Latour.
"Zu gleicher Zeit stelle ich alle Aerarial- und Privatgebäude unter den Schutz des Gemeinderathes, und mache denselben für allen Schaden, der durch Plünderung und sonstige Angriffe im Innern der Stadt an denselben verübt werden sollte, auf das strengste verantwortlich.
A. Windischgrätz."
In meinem eigenen Namen erlaube ich mir nur die Bemerkung, daß diese letzte Verantwortlichkeitserklärung des Gemeinderathes der Stadt Wien für alle Verletzungen des Privateigenthums den Ereignissen des gestrigen Tages gegenüber geradezu wie eine fürchterliche, wahrhaft fürchterliche Ironie erscheinen muß.
Präs. Ich würde mir nun erlauben, mit Rücksicht auf den Umstand, daß wir von unserer abgesendeten Commission noch immer keine Nachricht haben, die Sitzung bis auf morgen um 12 Uhr zu unterbrechen mit Beibehaltung derselben Tagesordnung, wie sie gestern festgesetzt war. Der Abg. Micewski trägt darauf an, das Gesetz über den Beschluß des Constitutions-Ausschusses wegen Vornahme neuer Wahlen der Reichstagsmitglieder, die in Staatsämter getreten sind, d. h. er wünscht die dritte Lesung noch heute vorzunehmen. — Diejenigen Herren, welche damit einverstanden sind, daß die dritte Lesung heute noch vorgenommen werde, wollen aufstehen. (Majorität.)
(Viele Deputirte entfernen sich.)
Abg. Borrosch. Ich glaube, die Beschlußfähigkeit hat jetzt aufgehört. Ich bitte den Herrn Präsidenten, bevor mehrere Mitglieder noch fortgehen, heute Abend, allenfalls um 6 Uhr, die Sitzung anzukündigen, indem man nicht wissen kann, ob es nicht jedenfalls für die Zukunft sehr wichtig und dringend nöthig ist, daß der Reichstag beisammen sei.
Präs. Ich habe die Herren ausgefordert, nicht wegzugehen, aber wehren kann ich es Niemanden, — wir sind nicht nur nicht mehr beschlußfähig, sondern auch nicht mehr berathungsfähig, ich werde also die Sitzung auf morgen 12 Uhr und nicht mehr auf heute 6 Uhr anberaumen.
Da sich die meisten Herren, die weggegangen sind, in dieser Beziehung schon dafür ausgesprochen haben, und von einem Antrage für Anberaumung auf heute 6 Uhr nichts wissen, — somit erkläre ich die Sitzung bis morgen 12 Uhr unterbrochen.
(Halb 2 Uhr.)